Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

02.03.1995

Geschäftszahl

G279/94

Sammlungsnummer

14040

Leitsatz

Zurückweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des IESG "idgF" mangels eindeutiger Bezeichnung der bekämpften Gesetzesvorschrift; "geltende Fassung" der zur Aufhebung begehrten Rechtsvorschrift angesichts der unübersichtlichen Rechtslage nicht mit hinreichender Deutlichkeit ersichtlich

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen beantragte in der Rechtssache eines ehemaligen Dienstnehmers einer nunmehr im Konkurs befindlichen Gesellschaft mbH gegen das Arbeitsamt Eisenstadt wegen Zahlung von Insolvenz-Ausfallgeld mit Beschluß vom 27. Oktober 1994 die Aufhebung des "ersten Satz(es) des §7 Abs1 IESG, BGBl 1977/324, idgF" wegen Verstoßes gegen Art7 Abs1 B-VG.

2.a) In seiner Stammfassung lautete der erste Absatz des mit "Entscheidung und Auszahlung" überschriebenen §7 des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes (IESG), BGBl. 324/1977:

"Das Arbeitsamt ist bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind. Soweit der dritte Satz des §6 Abs5 anzuwenden ist, hat das Arbeitsamt dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendeten Auszug (Abschrift) des Anmeldungsverzeichnisses der gesicherte Anspruch im Konkurs oder im Ausgleichsverfahren festgestellt ist. Im übrigen sind die §§45 bis 55 AVG 1950 anzuwenden."

b) Dem wurde durch ArtI Z7 (gemäß. Z11 mit Wirkung ab 1. Jänner 1993) des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt 835 aus 1992,, mit dem u.a. das IESG geändert wurde, der Satz angefügt:

"Durch den fristgerechten Antrag (§6 Abs1) werden Verjährungs- und Verfallsfristen unterbrochen."

c) Durch ArtIII Z8 des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1994, Bundesgesetzblatt 153 aus 1994,, mit dem die KO, die AO, das IESG, das HGB, das AktG, das GesmbH-G sowie das GerGebG geändert wurden, wurden der zweite und dritte Satz des §7 Abs1 IESG durch folgende Bestimmung ersetzt:

"Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung vor weniger als sechs Monaten vor Eröffnung des Konkurses oder vor Erlassung eines nach §1 Abs1 gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist. Soweit der dritte Satz des §6 Abs5 anzuwenden ist, hat das Arbeitsamt dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendeten Auszug (Abschrift) des Anmeldungsverzeichnisses der gesicherte Anspruch im Konkurs oder im Ausgleichsverfahren festgestellt ist, es sei denn, daß die gerichtliche Feststellung auf einer nicht bindenden gerichtlichen Entscheidung im Sinne des zweiten Satzes beruht. Im übrigen sind die §§45 bis 55 AVG anzuwenden. Zur Ermittlung des Nettoanspruches nach §3 Abs4 erster Satz ist das Arbeitsamt berechtigt, einen Steuerberater heranzuziehen, wenn hiezu der Arbeitgeber nach §6 Abs4 nicht in der Lage ist."

Diese Änderung ist mit 1. März 1994 in Kraft getreten; aufgrund der Übergangsbestimmung des §17a Abs4 IESG in der Fassung des ArtIII Z12 des BG Bundesgesetzblatt 153 aus 1994,) ist sie aber auf bestimmte, dort näher umschriebene Verfahren nicht anzuwenden.

d) Durch das Arbeitsmarktservice-Begleitgesetz (AMS-BegleitG), Bundesgesetzblatt 314 aus 1994,, wurden 34 Bundesgesetze teilweise neu geschaffen und teilweise geändert, darunter (mit Art24) auch das IESG.

Nach Z1 dieses Artikels wurde u.a. in §7 Abs1 erster Satz IESG das Wort "Arbeitsamt" durch das Wort "Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen" ersetzt. Diese Änderung ist mit 1. Juli 1994 in Kraft getreten (§17a Abs5 erster Satz IESG in der Fassung Bundesgesetzblatt 314 aus 1994,). §17a Abs5 zweiter Satz leg.cit. bestimmt, daß bis zum Inkrafttreten des §5 Z2 lita des - durch Art33 des AMS-BegleitG neu erlassenen - Bundessozialämtergesetzes (das wird gemäß §13 Abs1 BundessozialämterG jener Zeitpunkt sein, zu dem der Bundesminister für Arbeit und Soziales durch Verordnung gemäß §74 Abs1 des Arbeitsmarktservicegesetzes - AMSG, Bundesgesetzblatt 313 aus 1994,, feststellt, daß die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind) die Aufgaben und Befugnisse der Bundessozialämter den regionalen Geschäftsstellen und Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice obliegen. (Fraglich bleibt dabei freilich die Bedeutung des §71 Abs1 AMSG, demzufolge bis zum 31. Dezember 1994 "die Aufgaben der regionalen Geschäftsstellen (§23) als Hilfsapparat der regionalen Organisation den Arbeitsämtern, die Aufgaben der Landesgeschäftsstellen (§17) als Hilfsapparat der Organe der Landesorganisation den Landesarbeitsämtern" obliegen, deren Rechtsgrundlage durch Aufhebung des römisch fünf. Abschnittes des Arbeitsmarktförderungsgesetzes - AMFG (Art7 Z2 des AMS-BegleitG) mit Ablauf des 30. Juni 1994 (§54 AMFG in der Fassung des Art7 Z32 des AMS-BegleitG) weggefallen sein dürfte.)

3. Der Antrag ist unzulässig.

a) (Gerichts)Anträge nach Art140 B-VG, die nicht begehren, das - nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes verfassungswidrige - Gesetz seinem "ganzen Inhalte" nach oder in "bestimmte(n) Stellen" aufzuheben (§62 Abs1 Satz 1 VerfGG) sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht verbesserungsfähig (§18 VerfGG) und als unzulässig zurückzuweisen vergleiche VfSlg. 9880/1983, 11074/1986, 11888/1988 uva.).

Um die strengen Formerfordernisse des ersten Satzes des §62 Abs1 Satz 1 VerfGG zu erfüllen, müssen - wie der Verfassungsgerichtshof in vielen Beschlüssen vergleiche etwa VfSlg. 11888/1988 (mit Hinweisen auf frühere Judikatur), 12062/1989, 12263/1990) entschieden hat - die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet werden. Es darf nicht offenbleiben, welche Gesetzesvorschriften nach Auffassung des Antragstellers tatsächlich der Aufhebung verfallen sollen (VfSlg. 12062/1989).

b) Ein Antrag, der sich damit begnügt, die angefochtene Norm bloß mit den Worten "in der geltenden Fassung" zu nennen, statt sie konkret - etwa durch genaue Angabe der Fundstelle der Rechtsvorschrift in der zur Aufhebung begehrten Fassung oder zumindest durch deren wörtliche Wiedergabe - zu bezeichnen, wird dem strengen Formerfordernis des ersten Satzes des §62 Abs1 VerfGG jedenfalls dann nicht gerecht, wenn sich aus dem Blickwinkel der zu entscheidenden Rechtssache die "geltende Fassung" der zur Aufhebung begehrten Rechtsvorschrift nicht mit hinreichender Deutlichkeit ersehen läßt. Denn dem Verfassungsgerichtshof ist es verwehrt, Gesetzesbestimmungen aufgrund bloßer Vermutungen darüber, in welcher Fassung ihre Aufhebung begehrt wird, zu prüfen und im Falle des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken aufzuheben vergleiche dazu VfSlg. 11802/1988 mwH).

c) Der vorliegende Antrag bezeichnet die Gesetzesbestimmung, deren Aufhebung beantragt wird, insofern undeutlich, als er sie mit der Wendung "idgF" zu bestimmen versucht. Aber auch aus dem Inhalt des Antrages insgesamt läßt sich angesichts der oben skizzierten unübersichtlichen Rechtslage (, die auf ihre Übereinstimmung mit rechtsstaatlichen Mindestanforderungen vergleiche VfSlg. 3130/1956, 12420/1990, 13000/1992) der Verfassungsgerichtshof bei der vorliegenden prozessualen Konstellation nicht zu prüfen hat) die zur Aufhebung beantragte Fassung der bekämpften Bestimmung nicht mit hinreichender Deutlichkeit ersehen: dies schon deshalb nicht, weil §7 Abs1 erster Satz IESG während des dem Antrag zugrundeliegenden Gerichtsverfahrens durch ArtIII Z8 des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 1994, BGBl. 153, (mit - bloß teilweiser - Wirkung vom 1. März 1994: ArtIII Z12 litb dieses Gesetzes) inhaltlich und durch Art24 Z1 des AMS-BegleitG (mit der oben näher dargelegten vergleiche Pkt. 2/d) Wirkung) auch in seinem Wortlaut geändert wurde.

4. Der Antrag ist daher gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.