Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

12.10.2005

Geschäftszahl

V19/05

Sammlungsnummer

17671

Leitsatz

Gewährung von Akteneinsicht in die auf die SystemnutzungstarifeV 2003 - SNT-VO 2003 bezughabenden Akten mit Ausnahme der Beratungsprotokolle der Energie-Control Kommission; kein öffentliches Interesse an der Ausnahme bestimmter Aktenstücke von der Akteneinsicht

Spruch

Die Einsicht in die auf die Systemnutzungstarife-Verordnung 2003 bezughabenden Akten wird mit Ausnahme der Beratungsprotokolle der Energie-Control Kommission gewährt.

Begründung

Begründung:

römisch eins. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein auf Art139 Abs1 letzter Satz B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung von Teilen der Verordnung der Energie-Control Kommission, mit der die Tarife für die Systemnutzung bestimmt werden (Systemnutzungstarife-Verordnung 2003, SNT-VO 2003), verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 194 vom 9. Oktober 2003, in der Fassung der Novelle, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 8 vom 14. Jänner 2005, anhängig.

2. Die Energie-Control Kommission als zur Verteidigung der angefochtenen Verordnung berufene Behörde erstattete eine Äußerung.

Die Energie-Control GmbH, der die Geschäftsführung der Energie-Control Kommission obliegt, legte die Akten betreffend das Zustandekommen der Verordnung mit dem nicht näher begründeten Ersuchen vor, "die Beratungsprotokolle (gelber Ordner)" von der Akteneinsicht auszunehmen.

3. Die antragstellende Gesellschaft ersuchte mit Schreiben vom 21. Juli 2005 um Gewährung der Akteneinsicht in den "gesamten Verfahrensakt".

Sie begründet ihren Antrag damit, dass ein öffentliches Interesse am Ausschluss der Akteneinsicht von Teilen der Akten gemäß §20 Abs3 VfGG aus folgenden Gründen nicht gegeben sei:

Im Zusammenhang mit der Erlassung von Verordnungen komme der ausreichenden Erhebung der Entscheidungsgrundlagen und der Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens besondere Bedeutung zu.

"Auf Grund des §25 ElWOG hat die Behörde in diesem Zusammenhang eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Die Behörde macht nämlich von dem durch diese Bestimmung eingeräumten Entscheidungsspielraum nur dann gesetzeskonform Gebrauch, wenn sie aufgrund eines die Entscheidungsgrundlagen offen legenden Ermittlungsverfahrens die Ziele des Gesetzes, insbesondere die Rechte und Pflichten der Netzbetreiber, aber auch die Interessen der österreichischen Bevölkerung und Wirtschaft (bezüglich kostengünstiger Elektrizität, Sicherheit, einschließlich der Versorgungssicherheit, ...) unter Zugrundelegung der volks- und betriebswirtschaftlichen sowie der technischen Gegebenheiten gegeneinander abwägt und einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Zuge der Festsetzung der Systemnutzungstarife herbeiführt (VfGH 16.10.2004, G67/04)."

Der solcherart geforderte Entscheidungsprozess sei im Falle einer Verordnung - anders als im Falle eines Bescheides - nicht in einer nach außen hin in Erscheinung tretenden Begründung, sondern nur in den Beratungsprotokollen dokumentiert. Damit hätten aber Beratungsprotokolle im Zusammenhang mit der Verordnungserlassung eine ganz andere Bedeutung als im Zusammenhang mit der Verfassung von Bescheiden. Es handle sich nicht bloß um rein verwaltungsinterne Akte ohne außenrechtliche Relevanz, die daher keinerlei Auswirkungen auf die Rechtskonformität des auf ihrer Grundlage ergehenden Aktes darstellten. Vielmehr hänge vom Inhalt der Beratungsprotokolle selbst ab, ob die erlassene Verordnung gesetzeskonform sei oder nicht. Es erschiene unverhältnismäßig, wenn die Behörde die etwaige Dokumentation der von ihr getroffenen Abwägungsentscheidung mit der "Beratung (im engeren Sinn)" kombiniere und dadurch auch die Dokumentation der Abwägungsentscheidung von der Akteneinsicht ausschließen könnte.

Darüber hinaus sei ein öffentliches Interesse an der Ausnahme der Beratungsprotokolle auch deshalb nicht gegeben, weil sich die Behörde in ihrer Äußerung vom 24. Mai 2005 genau auf diese Sitzungsprotokolle berufe (Seite 16 der Äußerung).

Mit dem Ausschluss von Beratungsprotokollen von der Akteneinsicht werde hier offenbar auf das Geheimhaltungsinteresse "Vorbereitung einer Entscheidung" Bezug genommen. Ein solches Geheimhaltungsinteresse sei - wie bereits dargestellt - aber im vorliegenden Fall nicht ersichtlich: Dieses Geheimhaltungsinteresse sei überdies so zu verstehen, dass es eine Geheimhaltung ausschließlich bis zum Zeitpunkt der Fällung der Entscheidung rechtfertigen könne (Erläut 39 BlgNR 17. GP, 4).

Darüber hinaus enthalte der gelbe Ordner jedenfalls auch andere Unterlagen als Beratungsprotokolle, nämlich die Stellungnahme des Elektrizitätsbeirates. Ein Ausschluss dieser Stellungnahme von der Akteneinsicht sei keinesfalls im öffentlichen Interesse gelegen.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat den Antrag der belangten Behörde übermittelt und sie ersucht, dazu schriftlich Stellung zu nehmen.

5. Die Energie-Control Kommission erstattete eine Äußerung, in der sie ausführt, dass der Ausschluss von den Sitzungs- bzw. Beratungsprotokollen von der Akteneinsicht aus folgenden Gründen im öffentlichen Interesse liege:

Bei Verordnungen lasse sich die ausreichende Erhebung der Entscheidungsgrundlagen bereits aus dem Verfahrensakt, dessen Einsicht der Antragstellerin freistehe, ableiten. Bereits darin sei die Auseinandersetzung der Energie-Control Kommission mit den Einwänden der Antragstellerin dokumentiert worden. Der Entscheidungsprozess der Behörde über die widersprechenden gesetzlichen Ziele lasse sich daher nicht nur aus den Beratungsprotokollen, sondern auch aus diesen Unterlagen ableiten.

Die von der Antragstellerin gemachte Unterscheidung zwischen Beratungsprotokollen in Verordnungs- und Bescheiderlassungsverfahren sei zu kurz gegriffen. Auch bei der Erlassung von Bescheiden seien Beratungsprotokolle nicht "ohne außenrechtliche" Relevanz. Eine Unterscheidung zwischen "bloßen internen Vorbereitungshandlungen" von solchen, die für eine Entscheidung von Relevanz seien, lasse sich nicht ohne weiteres treffen. Keinesfalls lasse sich daraus ableiten, dass bei Verordnungsverfahren kein öffentliches Interesse an einem Ausschluss der Akteneinsicht in die dabei erstellten Beratungsprotokolle bestehe. Dies werde auch durch die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 14.307/1995) im Zusammenhang mit dem Erlass einer Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr bestätigt. Darin werde die Akteneinsicht für "behördeninterne Besprechungsnotizen" aus im öffentlichen Interesse liegenden Gründen abgelehnt. Der Verfassungsgerichtshof bestätige damit auch seine Judikatur, dass ein öffentliches Interesse daran bestehe, Aktenteile von der Einsicht auszunehmen, in denen sich Abstimmungs- und Beratungsvorgänge verzeichnet fänden (VfGH 25.2.1982, B368/81). Auch im vorliegenden Fall liege die Ausnahme vom Recht auf Akteneinsicht für die Beratungsprotokolle im öffentlichen Interesse.

Es sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die einzelnen Mitglieder der Energie-Control Kommission, die in Ausübung ihrer Funktion unabhängig seien, ein besonderes Interesse hätten, dass persönliche Wortmeldungen und Diskussionsbeiträge, welche in den Protokollen dokumentiert seien, nicht öffentlich zugänglich gemacht würden. Die Position der Mitglieder der Energie-Control Kommission sei in diesem Zusammenhang nicht anders einzuschätzen als jene von Mitgliedern von Gerichtssenaten, für die der Gesetzgeber die Ausnahme von der Akteneinsicht von Protokollen über Beratungen und Abstimmungen ausdrücklich normiert habe (§219 Abs1 ZPO). Für die Entscheidungsfindung einer Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag könne in Bezug auf das Interesse an Geheimhaltung der Beratungsprotokolle kein anderer Maßstab gelten als für Gerichtssenate, handle es sich doch bei beiden um Tribunale im Sinne von Art6 Abs1 EMRK. Die Einsicht in die Beratungsprotokolle hätte sohin zur Folge, dass die Unabhängigkeit der Mitglieder der Energie-Control Kommission gefährdet wäre.

In den Beratungsprotokollen werde zudem auch auf die Situation anderer Unternehmen Bezug genommen. Die einzelnen Protokollteile ließen sich auch nicht ohne Informationsverlust trennen, sondern bildeten eine verschränkte Einheit. Das individuelle Interesse der Antragstellerin vermöge sicher nicht das Interesse der anderen Unternehmen an der Geheimhaltung dieser Informationen zu übersteigen.

Die Antragstellerin sei mit ihrer Ansicht im Unrecht, dass ein Ausschluss der Stellungnahme des Elektrizitätsbeirates von der Akteneinsicht keinesfalls im öffentlichen Interesse liege. Aus §28 E-RBG, der insbesondere auf die Tätigkeit der Mitglieder des Elektrizitätsbeirates Anwendung finde, ergebe sich, dass die Mitglieder Amts-, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut bzw. zugänglich geworden seien, weder während eines Verfahrens noch nach Verfahrensabschluss offenbaren oder verwerten dürfen. Es lasse sich allein daraus das Interesse des Gesetzgebers auch an der Geheimhaltung von Beratungen und Stellungnahmen des Elektrizitätsbeirates in diesem Zusammenhang ableiten.

Zusammenfassend lasse sich festhalten, dass die soeben angeführten im öffentlichen Interesse gelegenen Gründe den Ausschluss der Antragstellerin von der Einsicht in die Beratungsprotokolle rechtfertigen.

römisch II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß §20 Abs3 VfGG können die Behörden bei Vorlage von Akten an den Verfassungsgerichtshof bekannt geben, ob und welche Akten oder Aktenteile im öffentlichen Interesse von der sonst den Beteiligten zustehenden Einsicht auszuschließen sind. Erachtet der Referent, dass die von der Behörde mitgeteilte Ausschließung von Akten oder Aktenteilen zu weit gehe, so hat er die Behörde über seine Bedenken einzuvernehmen und kann allenfalls einen in nichtöffentlicher Sitzung zu fassenden Beschluss des Gerichtshofes darüber einholen.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird ein dem Verfassungsgerichtshof vorgelegter Akt, soweit er die anhängige Rechtssache betrifft, zum Bestandteil der verfassungsgerichtlichen Prozessakten vergleiche VfSlg. 8941/1980, 14.307/1995 und 16.424/2002).

Für den Ausschluss von der Akteneinsicht ist - wie aus §20 Abs3 VfGG abgeleitet werden muss - das öffentliche Interesse maßgebend.

2.2. Die belangte Behörde stützt den Ausschluss der Akteneinsicht im Wesentlichen auf das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung von Protokollen über Beratungen und Abstimmungen eines unabhängigen Tribunals und hinsichtlich der Stellungnahme des Elektrizitätsbeirates auf die Geheimhaltungspflicht nach §28 E-RBG, wonach die Mitglieder als Teilnehmer an Verfahren in Energie- bzw. Erdgasangelegenheiten Amts-, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse, die ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut bzw. zugänglich geworden seien, weder während eines Verfahrens noch nach Verfahrensabschluss offenbaren oder verwerten dürfen.

2.3. Von der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Akteneinsicht sind auch Akten nicht ausgeschlossen, die im Zuge der Vorbereitung von Verordnungen angelegt wurden vergleiche VfSlg. 14.307/1995).

Die Energie-Control Kommission ist jedoch eine Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag gemäß Art133 Z4 B-VG vergleiche §§15 ff E-RBG). Wenn der Verfassungsgesetzgeber (§16 E-RBG) einer weisungsfreien Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag eine Kompetenz zur Verordnungserlassung überträgt, so besteht - soweit gesetzlich nichts anderes geregelt ist (z.B. dissenting opinion) - auch ein öffentliches Interesse daran, als eine besondere Gewähr für die Unabhängigkeit der Mitglieder der Kollegialbehörde Protokolle über Beratungen und Abstimmungen von der Akteneinsicht auszunehmen vergleiche auch §219 ZPO). Denn wenn ein Mitglied einer Kollegialbehörde befürchten muss, dass sein Beitrag zur Willensbildung in die Öffentlichkeit dringt, so ist nicht auszuschließen, dass damit sein Stimmverhalten beeinflusst und damit seine Unabhängigkeit gefährdet wird.

Die belangte Behörde legt jedoch in keiner Weise dar, warum die Beilagen der Beratungsprotokolle, insbesondere ein "Bericht über das Gespräch ECG-VEÖ vom 29.12.2004" im öffentlichen Interesse von der Einsicht durch die antragstellende Gesellschaft auszuschließen sind, wobei zuzugeben ist, dass einige der Beilagen von der antragstellenden Gesellschaft selbst stammen oder ihr im Zuge des Verfahrens bekannt gemacht wurden. Die hinsichtlich des Protokolls des Elektrizitätsbeirates ins Treffen geführte Begründung ist zum Nachweis eines derartigen öffentlichen Interesses nicht geeignet, solange nicht dargetan wird, dass nicht zu offenbarende Amts-, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse konkret Gegenstand einer Stellungnahme oder eines Protokolls sind.

Der Verfassungsgerichtshof kann nach Prüfung des Inhaltes des Protokolls des Elektrizitätsbeirates und der sonstigen Beilagen nicht finden, dass ein öffentliches Interesse besteht, diese Aktenstücke von der sonst den Parteien zustehenden Einsicht auszunehmen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §20 Abs3 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.