Verfassungsgerichtshof
04.03.2011
WI-7/10 ua
19345
Keine Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters und des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Niederhollabrunn; Zurückweisung der Wahlanfechtung hinsichtlich der Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Stellvertreter
römisch eins. Die Wahlanfechtung wird hinsichtlich der Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Stellvertreter zurückgewiesen.
römisch II. Im Übrigen wird der Wahlanfechtung nicht stattgegeben.
römisch III. Der Antrag auf Abtretung der Wahlanfechtung an den Verwaltungsgerichtshof wird zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Sachverhalt, Anfechtung und Vorverfahren
1.1. Bei der am 14. März 2010 stattgefundenen Wahl zum Gemeinderat der Marktgemeinde Niederhollabrunn entfielen von den insgesamt 1.188 abgegebenen gültigen Stimmen auf die
Österreichische Volkspartei (ÖVP):
681 Stimmen (11 Mandate), Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ):
205 Stimmen (3 Mandate),
Liste Schachel Parteilos (LSP):
302 Stimmen (5 Mandate).
1.2. Im Rahmen der am 13. April 2010 stattgefundenen (konstituierenden) Sitzung des Gemeinderates der Marktgemeinde Niederhollabrunn kam es zur Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse. Für die Wahl des Bürgermeisters lagen ein Wahlvorschlag der ÖVP und einer der LSP vor, wobei auf den Kandidaten der ÖVP 11 der 18 gültigen Stimmen entfielen. Für die Wahl des Vizebürgermeisters lagen Wahlvorschläge der ÖVP und der SPÖ vor, wobei auf den Kandidaten der ÖVP 11 der 19 gültigen Stimmen entfielen. Für die Wahl der 6 Mitglieder des Gemeindevorstandes lagen ein Wahlvorschlag der ÖVP für 4 Mitglieder, ein Wahlvorschlag der SPÖ für ein Mitglied und ein Wahlvorschlag der LSP für ein Mitglied vor. Alle Kandidaten der jeweiligen Listen wurden gewählt und nahmen die Wahl an. Für die 6 Gemeinderatsausschüsse wurden die Vorsitzenden, die Stellvertretung und die Mitglieder nach den entsprechenden Vorschlägen gewählt.
1.3. Mit Eingaben an die Bezirkswahlbehörde Korneuburg fochten insgesamt 5 der Wählergruppe "Liste Schachel Parteilos (LSP)" angehörende Gemeinderäte die Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse gemäß §109 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973), Landesgesetzblatt 1000-16, an. Mit Bescheiden der Bezirkswahlbehörde Korneuburg vom 18. Mai 2010 wurden die Wahlanfechtungen zurückgewiesen.
1.4. Gegen diese Bescheide erhoben zwei der Anfechtungswerber Berufung gemäß §109 NÖ GO 1973 an die Landes-Hauptwahlbehörde und begründeten dies mit der Verletzung des Rechts auf geheime Wahl. Mit zwei Bescheiden der Landes-Hauptwahlbehörde jeweils vom 28. Juni 2010 wurden diese Berufungen inhaltsgleich abgewiesen. Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass Vorkehrungen zum Schutz des geheimen Wahlrechts durch die Möglichkeit der Stimmabgabe in einem Nachbarraum getroffen worden seien.
2. Dieselben zwei Mitglieder des Gemeinderates, welche auch die administrative Wahlanfechtung eingebracht hatten, fechten nunmehr mit ihrer auf Art141 B-VG gestützten Anfechtungsschrift die Wahl des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Gemeinderatsausschüsse vom 13. April 2010 an und beantragen, der Verfassungsgerichtshof wolle diese Wahlen für nichtig erklären und als rechtswidrig aufheben. Begründend wird in der Anfechtungsschrift im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:
"Der Bescheid der Landes-[Hauptw]ahlbehörde vom 28.6.2010 enthält keine Rechtsmittelbelehrung bzw. keine Erklärung, dass keine Rechtsmittel zulässig sind. Ein Hinweis auf die Zulässigkeit einer Beschwerde an die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ist im Bescheid auch nicht ersichtlich.
... Bei den Bescheiden der Landes-Hauptwahlbehörde vom
28.6.2010 wurde der Sachverhalt falsch beurteilt, und eine unrichtige bzw. unvollständige rechtliche Beurteilung getroffen. Somit sind die Bescheide der Landes-Hauptwahlbehörde vom 28.6.2010 aus folgenden Gründen rechtswidrig:
Nach §98 NÖ Gemeindeordnung 1973 müssen die Wahlen mit Stimmzetteln und geheim durchgeführt werden. Das geheime Wahlrecht setzt voraus, dass niemand erkennen kann, wen der Wähler gewählt hat vergleiche VfSlg 10.412/1985). Für den Wähler muss auch eine Gewissheit bestehen, dass Dritten unbekannt bleibt, wie von ihm gewählt wurde vergleiche VfSlg 10.217/1984).
Bei den Wahlen in Niederhollabrunn wurden keine Kuverts und keine Wahlzellen verwendet. Die Mitglieder des Gemeinderates konnten einander bei der Abgabe der Stimmen beobachten. Der Ansicht der Landeshauptwahlbehörde, dass die Wahl selbst dann nicht ungültig ist, wenn der Wahlberechtigte kein Geheimnis daraus macht, wie er den Stimmzettel ausfüllt, die anderen Wahlberechtigten daher wissen wen er wählt, ist im gegenständlichen Fall nicht zu folgen.
Es ging nicht darum, dass bloß ein Wahlberechtigter kein Geheimnis von seiner Stimme machte, vielmehr haben die Gemeinderatsmitglieder ihre Stimmen zum größten Teil so abgegeben, dass sie dabei voneinander beobachtet wurden. So haben die Mitglieder der einzelnen Fraktionen sicherlich im Sinne des Fraktionszwangs gestimmt. Wäre die Wahl so gestaltet gewesen, dass niemand die Stimme des anderen erkennen kann, wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Da keine Kuverts verwendet wurden und viele Stimmzettel eingesammelt wurden, kann man sicherlich über keine geheime Wahl sprechen, weil die Person, die die Stimmzettel eingesammelt hat, die Stimmen den einzelnen Personen zuordnen konnte.
Weiters ist davon auszugehen, dass andere Gemeinderäte in ihrer Entscheidung durch die Fraktionen beeinflusst worden sind und ihre Stimmen unter Druck der Fraktion nicht für den Kandidat abgegeben haben, für welchen sie tatsächlich stimmen wollten.
Durch die oben geschilderte Vorgehensweise wurde die Wahl nicht geheim durchgeführt und damit wurde die Freiheit der Meinungsäußerung der Wähler in unzulässiger Weise beeinträchtigt. Die Gemeinderatsabgeordneten mussten daher bei einer von der Fraktionslinie abweichende[n] Stimmabgabe mit Vorwürfen oder sogar mit Nachteilen rechnen.
'Der VfGH nahm bereits in seinem zur (NÖ) Gemeindewahl ergangenen Erk Slg 3843/1960, bezogen auf das Wahlrecht im allgemeinen, den Standpunkt ein, von einer 'freien' und 'geheimen' Wahl könne nur gesprochen werden, wenn der Wähler die unbedingte Sicherheit empfinde, dass eine Feststellung (Beobachtung), welche Partei er wähle (oder ob er einen leeren Stimmzettel abgebe), unmöglich sei; nur der unbeobachtete Wähler vermöge sein Wahlrecht frei und ohne Hemmung auszuüben. Des [W]eiteren führte der VfGH erst jüngst in seinem Erk v 10.10.1984 WI-7/83 aus, das Prinzip des geheimen Wahlrechts müsse dem Wähler Gewissheit geben, dass Dritten unbekannt bleibe, wie gewählt worden sei. Die geheime Wahl soll den Wähler also nicht bloß vor unerwünschter Einflussnahme auf seine Willensbildung im Zug des Wahlvorgangs bewahren, sie soll ihm auch die Sorge und Furcht nehmen, dass er wegen seiner Stimmabgabe in bestimmter Richtung Vorwürfen und Nachteilen welcher Art immer ausgesetzt sei (Ermacora, Handbuch der Grundfreiheiten und Menschenrechte, 1963, 570).' (VfGH 16.3.1985, G18/85., ÖJZ 1985/44 (VfGH))[.]
Die Landes-Hauptwahlbehörde hat diesen Punkt in deren Entscheidung überhaupt nicht geprüft.
Aus diesen Gründen kann man bei der Bürgermeisterwahl, bei der Wahl des Gemeindevorstandes, bei der Wahl des Vizebürgermeisters und bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden und Stellvertreter in der Marktgemeinde Niederhollabrunn über keine geheime Wahl sprechen.
Betreffend die Wahl des Gemeindevorstandes hat die Landes-Hauptwahlbehörde ausgeführt, dass die Verwendung unterschiedlicher Stimmzettel keine Auswirkung auf das Wahlergebnis
gehabt habe. Dabei ist ... auszuführen, dass bei der Wahl des
LSP-Kandidaten 10 aus 19 Stimmen als ungültig erklärt worden sind. Auch wenn die LSP erst unmittelbar vor dem Sitzungsbeginn den Wahlvorschlag bekannt gegeben hat, hätten in der heutigen Zeit identische Stimmzettel gedruckt werden können. Bei der heutigen Technik wäre es leicht gewesen, in wenigen Sekunden identische Stimmzettel zu drucken.
Die Anfechtung der Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter hat die Bezirkswahlbehörde mit der Begründung:
zurückgewiesen, dass zur Wahlanfechtung nach §108 Abs2 NÖ GO nur die Mitglieder des jeweiligen Ausschusses und die im Ausschuss vertretenen Parteien berechtigt seien. Weiters sei auf einen bestimmten Ausschuss nicht Bezug genommen worden.
Der Erstanfechtungswerber ist im Ausschuss für Umwelt und Natur, der Zweitanfechtungswerber im Ausschuss Bau, Land- und Forstwirtschaft vertreten. Die Wahlbehörden hätten daher betreffend die Anfechtungswerber einzeln prüfen müssen, ob die Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter recht...mäßig erfolgt ist.
Bei dem Ausschuss für Umwelt und Natur hat die Wahl im Nachbarraum stattgefunden. Die Argumentation, dass der Gemeinderat Herr U. angegeben habe, dass die Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter des Bauausschusses im Sitzungssaal vorgenommen wurden, ist betreffend den Ausschuss für Umwelt und Natur nicht relevant. Die Wahlbehörden hätten daher hierbei auch die Voraussetzungen des geheimen Wahlrechts prüfen müssen.
Der Argumentation, die subjektive Beschwerde sei nicht gegeben, da der Erstanfechtungswerber zum Vorsitzenden des Ausschusses gewählt worden sei, ist auch nicht zu folgen, da der Erstanfechtungswerber berechtigt ist, auch die Wahl des Stellvertreters anzufechten.
Aus all diesen Gründen hatten die oben geschilderten gesetzwidrigen Vorgehensweisen bzw. die Nichteinhaltung der geheimen Wahl Einfluss auf das Wahlergebnis bei der Wahl des Bürgermeisters, bei der Wahl des Vizebürgermeisters, bei der Wahl des Gemeindevorstandes, bei der Wahl der Vorsitzenden und deren Stellvertreter der Gemeinderatsausschüsse in der Marktgemeinde Niederhollabrunn.
…
Zu der Niederschrift der Wahl ist auszuführen, dass diese fehlerhaft ist und nicht dem tatsächlichen Wahlvorgang entspricht.
Folgende Punkte werden bemängelt:
1. Seite 1 unter dem Punkt 'Angelobung': der Satz 'die Mitglieder des Gemeinderates legen über Namensaufruf durch den Altersvorsitzenden, nachdem dieser zunächst das Gelöbnis vor dem neugewählten Gemeinderat abgelegt hat, mit den Worten 'Ich gelobe' das Gelöbnis ab.'
2. Unter Punkt 2 bei 'Wahl des Bürgermeisters' - die ungültigen Stimmzettel (leere Kuverts) werden fortlaufend nummeriert. Bei der Wahl wurden keine Stimmzettel mit Kuverts verwendet.
3. Unter Punkt 3 bei 'Wahl der geschäftsführenden Gemeinderäte' wird angeführt, dass es beim Wahlvorschlag der ÖVP 19 abgegebene Stimmen g[e]be, davon 5 ungültige Stimmen, 14 gültige Stimmen.
Es wurde vielmehr wie folgt vorgegangen: Die Mitglieder des Gemeinderates sagten nacheinander - so wie sie saßen - die
Gelöbnisformel... auf.
Die Ungültigkeit ist wie folgt zu begründen: Stimmzettel Nr. 1 - 5, alle durchgestrichen; Stimmzettel 6-7, 1 bzw. 3 Kandidaten durchgestrichen.
Von den gültigen Stimmzetteln lauten alle bei den ÖVP-Kandidaten auf 13 Stimmzettel. - Was mit dem 14. gültigen Stimmzettel passierte, ist nicht ersichtlich. Anhand des Protokolls ist auch nicht ersichtlich, wie das Ergebnis zustande kommt."
3. Die Landes-Hauptwahlbehörde legte dem Verfassungsgerichtshof die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Wahlanfechtung, soweit sie die Wahlen zu Mitgliedern, Vorsitzenden und Stellvertretern von Gemeinderatsausschüssen betrifft, als unzulässig zurückzuweisen und im Übrigen als unbegründet abzuweisen. Begründend führt sie darin im Wesentlichen Folgendes aus:
"In der nunmehrige[n] Beschwerde wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und vorgebracht, dass durch die vermeintlich nicht geheime Wahl und den - nicht näher erläuterten - vorhandenen Fraktionszwang die freie Meinungsäußerung der Wähler beeinträchtigt gewesen sei. Die Beschwerdeführer übersehen aber, dass der Verfassungsgerichtshof bei der Wahl der Gemeindefunktionäre aus deren Mitte keinen ganz so strengen Maßstab anwendet wie er es bei einer Wahlhandlung durch den Wähler tut. Auch wird außer Acht gelassen, dass es den Beschwerdeführern möglich war und zugemutet werden konnte, zum Zwecke der Stimmabgabe den dafür vorgesehenen Raum aufzusuchen, da die für diese Wahlhandlung notwendige Infrastruktur vorhanden war.
Auch verkennen die Beschwerdeführer im Bereich der Gemeindevorstandsmitglieder die Besonderheiten der 'gebundenen' Wahl, zumal dies auch keine Auswirkungen auf die Ergebnisse der Wahlhandlung gehabt hat vergleiche VfSlg. 12.946).
...
Was die Wahl der Mitglieder, Vorsitzenden und Stellvertreter der Gemeinderatsausschüsse betrifft, darf angemerkt werden, dass ein Gemeinderatsausschuss kein allgemeiner Vertretungskörper ist, sodass die Wahl in diesen nicht nach Art141 Abs1 lita B-VG angefochten werden kann. Dies deshalb, da ein Ausschuss des Gemeinderates ausschließlich die Stellung eines Hilfsorganes des Gemeinderates hat und daher nicht unter den Begriff 'mit der Vollziehung betrautes Organ der Gemeinde' fällt. vergleiche VfSlg[.] 16.854, VfSlg. 17.389 und VfSlg. 18.288)."
römisch II. Rechtslage
Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der NÖ GO 1973 lauten wie folgt:
"§22
Rechte der Mitglieder des Gemeinderates
…
§49
Sitzungspolizei
…
1. Abschnitt
Konstituierung des Gemeinderates
§96
Erste Sitzung
§97
Gelöbnis
wahren und das Wohl der Gemeinde ....... nach bestem Wissen und
Gewissen zu fördern.'
2. Abschnitt
Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und der Ausschüsse
§98
Allgemeines
§99
Wahl des Bürgermeisters
§100
Annahme der Wahl
Der zum Bürgermeister Gewählte muß vom Altersvorsitzenden befragt werden, ob er die Wahl annimmt. Verweigert der Gewählte die Annahme der Wahl, muß binnen zwei Wochen eine neuerliche Wahl durchgeführt werden.
§101
Wahl der geschäftsführenden Gemeinderäte (Stadträte)
§102
Wahlvorschläge
a) die Wahlvorschläge von mehr als der Hälfte der Gemeinderäte der anspruchsberechtigten Wahlpartei unterschrieben sind, und
b) die Vorgeschlagenen in den Gemeindevorstand gewählt werden dürfen, übergeben werden.
§103
Wahlvorgang, Bewertung der Stimmzettel
§104
Unterbleiben des Wahlvorschlages
§105
Wahl der (des) Vizebürgermeister(s)
§106
Niederschrift, Kundmachung des Wahlergebnisses
§107
Wahl der Gemeinderatsausschüsse und deren Vorsitzenden
a) der Ausschußmitglieder und
b) der Vorsitzendenstellen (nach Maßgabe des Abs2) und der Vorsitzendenstellvertreterstellen, sofern sie im Ausschuß vertreten sind.
Welcher Wahlpartei das Vorschlagsrecht für die Besetzung einer Vorsitzendenstelle und/oder Vorsitzendenstellvertreterstelle eines Ausschusses - mit Ausnahme des Prüfungsausschusses - zukommt, wird durch Gemeinderatsbeschluß bestimmt.
3. Abschnitt
Anfechtung der Wahlen des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes (Stadtrates), der Ausschüsse, der Ausschußvorsitzenden und der Ausschußvorsitzendenstellvertreter
§108
Anfechtungsberechtigung, Anfechtungsfrist, Anfechtungsgründe
§109
Anfechtungsverfahren
römisch III. Erwägungen
1. Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof u.a. über Anfechtungen von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde. Wahlen im Sinne dieser Bestimmung sind - schon auf Grund der ausdrücklichen Erwähnung im §67 Abs1 VfGG - Wahlen in den Gemeindevorstand - und somit auch die Wahl einzelner Mitglieder des Gemeindevorstandes (zB VfSlg. 12.946/1981, 13.643/1993) - sowie auch die Wahl des vom Gemeinderat zu wählenden Bürgermeisters (zB VfSlg. 10.801/1986, 10.786/1986, 10.908/1986). Die Anfechtung von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde bedarf gemäß §67 Abs2 erster Satz VfGG eines Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung, mindestens aber zweier Mitglieder.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass Wahlen in einen Ausschuss des Gemeinderates, der ausschließlich die Stellung eines Hilfsorganes des Gemeinderates hat vergleiche §43 NÖ GO 1973), nicht unter den Begriff "mit der Vollziehung betrautes Organ der Gemeinde" fallen; sie sind daher nicht nach Art141 Abs1 litb B-VG bekämpfbar. Da ein Gemeinderatsausschuss auch keinen "allgemeinen Vertretungskörper" darstellt, kann die Wahl in einen solchen auch nicht nach Art141 Abs1 lita B-VG angefochten werden vergleiche zB VfSlg. 7678/1975, 16.854/2003, 18.288/2007).
Die Wahl des Vorsitzenden und des Stellvertreters der Ausschüsse stellt daher keine Wahl in ein "mit der Vollziehung
betraute(s) Organ... einer Gemeinde" dar. Andere Bestimmungen als die
in Punkt 1.1. genannten, die in Betracht kämen, um eine Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Anfechtung der Wahl der Ausschussvorsitzenden und deren Stellvertreter zu begründen, gibt es nicht; die - ausdrücklich auf Art141 B-VG gestützte - Wahlanfechtung erweist sich daher, soweit sie die Aufhebung der "Wahl der Ausschussvorsitzenden und Stellvertreter" begehrt, als unzulässig.
1.3. Nach §68 Abs1 VfGG muss die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht sein.
1.4. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt römisch eins.1.4. ergibt, wurde die von den beiden Anfechtungswerbern gemäß §108 NÖ GO 1973 erhobene Wahlanfechtung mit Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde vom 28. Juni 2010 als unbegründet abgewiesen. Dieser Bescheid wurde den beiden Anfechtungswerbern am 30. Juni 2010 zugestellt. Die am 15. Juli 2010 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde somit rechtzeitig eingebracht. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist die auf Art141 B-VG gestützte Wahlanfechtung, soweit darin die Aufhebung der Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und des Vizebürgermeisters beantragt wird, zulässig.
2. In der Sache
2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof ein Wahlverfahren nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Grenzen zu überprüfen hat (VfSlg. 8852/1980, 12.289/1990).
2.2. In der Anfechtung wird die Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens im Wesentlichen damit begründet, dass die Wahl des Bürgermeisters, des Gemeindevorstandes und des Vizebürgermeisters nicht den Anforderungen des in §98 Abs2 NÖ GO 1973 festgelegten "geheimen" Wahlrechts entspreche. Es seien keine Kuverts für die Stimmzettel und keine Wahlzelle verwendet worden, sodass sich die Mitglieder einander bei der Stimmabgabe hätten beobachten können. Die Landes-Hauptwahlbehörde führte demgegenüber aus, dass ein anderes Zimmer zur Ausfüllung des Stimmzettels zur Verfügung gestanden habe und Stimmzettel verteilt worden seien, ansonsten wurde dem Vorbringen in der Anfechtungsschrift nicht widersprochen.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof hat anlässlich einer vom Gemeinderat durchgeführten Wahl eines Mitgliedes des Gemeindevorstandes ausgesprochen, dass es Sache der an einer Gemeinderatssitzung Teilnehmenden ist, schon in dieser Sitzung - rechtzeitig - den Vorsitzenden der Wahl und die übrigen Mitglieder des Gemeinderates auf die behaupteten Unzulänglichkeiten der Wahlhandlung hinzuweisen oder auch entsprechende Anträge zu stellen, damit potenzielle Rechtswidrigkeiten einer Wahl überhaupt vermieden oder noch während des Wahlvorganges abgewendet werden könnten (VfSlg. 16.626/2002).
Im vorliegenden Fall hätten die Anfechtungswerber die Möglichkeit gehabt, die von ihr behaupteten Unzulänglichkeiten der Vorkehrungen zum Schutz des geheimen Wahlrechts aufzuzeigen bzw. entsprechende Anträge zu stellen vergleiche §22 Abs1 und §49 Abs1 NÖ GO 1973) und die Vorsitzenden auf die ihrer Ansicht nach vorliegende Mangelhaftigkeit des Wahlverfahrens hinzuweisen. Weder ergibt sich aus der Niederschrift über die Wahlen gemäß §106 NÖ GO 1973 noch wird in der Wahlanfechtung behauptet, dass die Anfechtungswerber entsprechende Anträge gestellt bzw. die Mangelhaftigkeit des Wahlverfahrens aufgezeigt hätten. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens wegen Verletzung des geheimen Wahlrechts liegt daher nicht vor.
2.4. Wenn die Anfechtungswerber weiters vorbringen, dass bei der Wahl des Gemeindevorstandes einerseits bei einem Wahlvorschlag vorgedruckte Stimmzettel und andererseits beim - erst unmittelbar vor Sitzungsbeginn eingebrachten - Wahlvorschlag der Anfechtungswerber nur leere Stimmzettel verwendet worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 in keiner Bestimmung vorgedruckte Stimmzettel vorschreibt. Gemäß §103 NÖ GO 1973 sind leere Stimmzettel als ungültig zu werten, womit das Gesetz von einer Möglichkeit der Verwendung leerer Stimmzettel ausgeht. Eine rechtswidrige Vorgangsweise kann somit nicht erblickt werden.
2.5. Soweit die Anfechtungswerber außerdem rügen, dass einzelne Feststellungen in der Niederschrift betreffend die Durchführung der Angelobung der Mitglieder des Gemeinderates, der Verwendung von Stimmkuverts und der Feststellung des Ergebnisses der Wahl der - auf Grund eines Wahlvorschlages der ÖVP - "geschäftsführenden Gemeinderäte" fehlerhaft seien, ist auf die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach einer Wahlanfechtung nicht schon dann stattzugeben ist, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde; sie muss darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluss gewesen sein (Art141 Abs1 Satz 3 B-VG, §70 Abs1 VfGG): Dazu sprach der Verfassungsgerichtshof wiederholt aus, dass diese (zweite) Voraussetzung bereits erfüllt ist, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte vergleiche VfSlg. 11.738/1988 sowie 17.146/2004).
Der Mangel der fehlerhaften Niederschrift - läge er tatsächlich vor - bliebe jedoch auf die Wahlergebnisse tatsächlich ohne jeden Einfluss. Selbst wenn man - trotz der in diesem Punkt unklaren Formulierung in der Anfechtungsschrift - von einer behauptetet Rechtswidrigkeit iS eines falsch gewerteten Stimmzettels ausginge, würde dies ebenfalls keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, da bei der Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes gemäß §103 NÖ GO 1973 nur Vorgeschlagene gewählt werden können und jene Vorgeschlagenen gewählt sind, auf die gültige Stimmen entfallen, und somit eine gültige Stimme reicht, um gewählt zu sein. Die Frage der richtigen Wertung eines Stimmzettels ist daher angesichts von jedenfalls zwölf unbestrittenen gültigen Stimmen nicht von Einfluss auf das Wahlergebnis. Im Übrigen wird in der Anfechtungsschrift nicht behauptet, dass die Gemeinderäte tatsächlich nicht angelobt wurden.
römisch IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1.1. Soweit die Anfechtung gegen die Wahl der Ausschussvorsitzenden und der Stellvertreter gerichtet ist, war sie aus den unter römisch III.1.2. genannten Gründen als unzulässig zurückzuweisen.
1.2. Im Übrigen war der Wahlanfechtung der Anfechtungswerber aus den unter römisch III.2. genannten Gründen nicht stattzugeben.
1.3. Der Antrag auf Abtretung der "Beschwerde" an den Verwaltungsgerichtshof für den Fall der Zurückweisung musste zurückgewiesen werden, weil Art144 Abs3 B-VG vergleiche auch §87 Abs3 VfGG) nur die Abtretung einer Beschwerde, nicht aber einer Wahlanfechtung vorsieht (und die Abtretung einer Bescheidbeschwerde darüber hinaus auch nur für den Fall der Ablehnung oder Abweisung derselben; vergleiche VfSlg. 13.624/1993).
1.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita und Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.