Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

23.02.2021

Geschäftszahl

V533/2020 (V533/2020-9)

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen der COVID-19-LockerungsV betreffend die Benützung von Kraftfahrzeugen durch nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen mangels nachvollziehbarer Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen

Rechtssatz

Gesetzwidrigkeit des §4 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung - COVID-19-LV), Bundesgesetzblatt Teil 2, 197 aus 2020,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 266 aus 2020, und des §4 Abs2 COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, 197 aus 2020,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 342 aus 2020,. Unzulässigkeit des Antrags hinsichtlich §1, §2 Abs1a und 2, §3 Abs3 und 4, §4 Abs3, §10 Abs7, 8, 11 und 13, §10a Abs3 und §10b Abs1 Z2 COVID-19-LV: Mit der bloßen, abstrakten Behauptung, Massenbeförderungsmittel sowie andere "verordnungsrelevante Verkehrsmittel" zu benützen, Kundenbereiche von "in der Lockerungsverordnung genannten Unternehmen" zu betreten und Veranstaltungen, insbesondere Versammlungen, sowie Fach- und Publikumsmessen zu besuchen, genügt der Antragsteller seiner Pflicht zur Konkretisierung seiner unmittelbaren Betroffenheit nicht, weil damit bloß die Anwendbarkeit dieser Normen behauptet, aber nicht dargelegt wird. Hinsichtlich §2 Abs2 und §3 Abs3 leg cit hat der Antragsteller als Rechtsanwalt nicht dargetan, inwiefern auf Grund der Eigenart der Dienstleistung bzw beruflichen Tätigkeit der Abstand von einem Meter nicht eingehalten werden kann, sodass die dort vorgesehenen Rechtsfolgen auf ihn zur Anwendung kämen; entsprechendes gilt zu §3 Abs4 der Verordnung. Zu §10b COVID-19-LV fehlt überhaupt jegliches Vorbringen zur aktuellen Betroffenheit. Im Übrigen, also hinsichtlich §4 Abs1 erster Satz COVID-19-LV hat der Antragsteller durch den Hinweis auf seine Berufstätigkeit als Rechtsanwalt und darauf, dass er seine Fahrzeuge bisweilen gemeinsam mit Klienten auf Fahrten zu beruflichen Terminen benutze, seine aktuelle Betroffenheit im Zeitpunkt der Antragstellung hinreichend dargetan. §4 Abs1 zweiter Satz und §4 Abs2 COVID-19-LV stehen mit dieser Bestimmung in Zusammenhang. Da in Bezug auf die Anfechtung von §4 Abs1 und 2 COVID-19-LV auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind vergleiche zur Aktualität des Rechtseingriffs: E v 14.07.2020, V411/2020 ua), erweist sich der Antrag insoweit als zulässig.

Weder der Verordnungsakt zur Stammfassung der COVID-19-LV noch die Verordnungsakten zu den zitierten Novellen machen ersichtlich, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung zu den Verpflichtungen (unter anderem) nach §4 Abs1 und 2 COVID-19-LV bzw zu ihrer Beibehaltung geleitet haben. §4 Abs1 und 2 COVID-19-LV in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 342 aus 2020, verstößt somit gegen §1 und §2 COVID-19-Maßnahmengesetz in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 23 aus 2020,, weil es der Verordnungsgeber gänzlich unterlassen hat, jene Umstände, die ihn bei der Verordnungserlassung bestimmt haben, so festzuhalten, dass entsprechend nachvollziehbar ist, warum der Verordnungsgeber die mit dieser Regelung getroffenen Maßnahmen für erforderlich gehalten hat. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine weitere Prüfung, ob die angefochtenen Bestimmungen auch aus anderen geltend gemachten Gründen gesetz- oder verfassungswidrig sind.

Da die - seit Bundesgesetzblatt Teil 2, 407 aus 2020, als COVID-19-Maßnahmenverordnung bezeichnete - COVID-19-LV durch §19 Abs2 COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, 463 aus 2020,, zunächst vorübergehend und durch §19 Abs3 zweiter Satz COVID-19-Notmaßnahmenverordnung, Bundesgesetzblatt Teil 2, 479 aus 2020,, endgültig aufgehoben wurde, ist festzustellen, dass §4 Abs1 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 266 aus 2020, und dass §4 Abs2 COVID-19-Lockerungsverordnung in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, 342 aus 2020, gesetzwidrig war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §61a VfGG. Da sich der Antragsteller in eigener Sache nach §28 ZPO selbst vertreten hat, war lediglich die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,- zuzusprechen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2021:V533.2020