Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

25.02.2020

Geschäftszahl

E3446/2019

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit den Länderberichten von UNHCR und EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben

Rechtssatz

Zur Beurteilung von §8 Abs1 AsylG 2005 sind vor allem hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang etwa auf die Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees - UNHCR) oder auf die Berichte des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art8 Abs2 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei vergleiche zB Art10 Abs3 litb der Richtlinie 2013/32/EU Verfahrensrichtlinie). Nach stRsp des VfGH und des VwGH ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer, der lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt hat, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat bzw Mazar-e Sharif zumutbar ist. Mit dieser Einschätzung steht das BVwG zwar auf dem Boden der zu im Iran aufgewachsenen, alleinstehenden, jungen und arbeitsfähigen afghanischen Männern ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan ergangenen Judikatur des VfGH, die allerdings auf einer älteren Berichtslage fußt. Soweit das BVwG seine Entscheidung maßgeblich auf die UNHCR-Richtlinien 2018 und zum Teil auf den Bericht "Country-Guidance: Afghanistan - Guidance note and common analysis" des EASO vom Juni 2018 stützt, ist ihm Folgendes zu entgegnen:

Wenngleich die UNHCR-Richtlinien der Rechtsansicht des BVwG zu alleinstehenden Männern ohne Unterstützungsnetzwerk im Neuansiedlungsgebiet nicht entgegenstehen, treffen die UNHCR-Richtlinien keine näheren Aussagen zu Asylsuchenden, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Aus dem Bericht des EASO geht hingegen hervor, dass für diese Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).

Das BVwG hat sich sohin in Bezug auf den diesem Personenkreis angehörenden Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses Afghanistan im Alter von ca zwei Jahren verlassen und bis zu seiner Ausreise nach Österreich im Iran gelebt hat, in keiner Weise auseinandergesetzt und seine Entscheidung mit Willkür belastet. Mit Blick auf die dargestellte Berichtslage und die Rsp bedarf es daher im fortgesetzten Verfahren einer Begründung, auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände es dem Beschwerdeführer dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 EMRK auf Leben sowie gemäß Art3 EMRK, weder der Folter, noch erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wird.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2020:E3446.2019