Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

30.06.2017

Geschäftszahl

G53/2017

Sammlungsnummer

20186

Leitsatz

Abweisung des Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Gesetzes über die Enteignung des Geburtshauses von Adolf Hitler in Braunau am Inn; Zulässigkeit eines Individualgesetzes; kein Rechtsformenmissbrauch; völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs zur Verhinderung nazistischer Tätigkeit und Propaganda; besondere Verantwortung der Staatsorgane im Umgang mit der Unterbindung von (neo-)nationalsozialistischem Gedankengut; Liegenschaft als "Pilger"- oder Identifikationsstätte geeignet; Enteignung im öffentlichen Interesse gelegen, nicht unverhältnismäßig und nicht entschädigungslos; keine Verletzung des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes

Rechtssatz

Zulässigkeit des Parteiantrags der früheren Eigentümerin auf Aufhebung des BG über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr 15, Braunau am Inn, Bundesgesetzblatt Teil eins, 4 aus 2017,, soweit er §1, §3 Abs3 und §5 dieses Gesetzes betrifft.

Im Verfahren zur Vormerkung der Übertragung des Eigentums im Grundbuch sind nicht alle normativen Anordnungen des zur Gänze angefochtenen Gesetzes anzuwenden. Die Verpflichtungen der Republik Österreich gemäß §2 des Enteignungsgesetzes sind vom Gericht im Vormerkungsverfahren nicht anzuwenden. Die Frage, ob und wann die Legalenteignung stattgefunden hat, wird allein durch §1 und §5 entschieden, §3 Abs3 des Gesetzes verpflichtet das Gericht sodann zur Vormerkung. Die angefochtenen Bestimmungen, die die Verpflichtung des Bundes nach dem Eigentumsübergang regeln, sind auch trennbar.

Insoweit Abweisung, im Übrigen Zurückweisung des Antrags.

Weder unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit noch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltentrennung bestehen Bedenken dagegen, dass die Rechtsform des Gesetzes auch für die Enteignung genutzt wird vergleiche VfSlg 3118/1956). Zulässigkeit eines Individualgesetzes; kein Rechtsformenmissbrauch.

Kein verfassungsrechtlich verpöntes Sonderopfer, steht doch außer Frage, dass das Geburtshaus Hitlers - wie die Mitglieder der Interdisziplinären Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers wiederholt hervorheben - gegenüber anderen historisch belasteten Objekten "besonderes Identifikationspotential" mit sich bringe, weshalb ein Vergleich mit Enteignungen anderer Objekte von vornherein ins Leere geht. Eine unsachliche Ungleichbehandlung ist daher ebenfalls auszuschließen.

Der VfGH ist im Normprüfungsverfahren ein Gericht mit voller Kognitionsbefugnis iSd Art6 EMRK.

Die Berufung auf Art17 und Art47 GRC geht ins Leere, da die Enteignung nicht in Durchführung des Rechts der Union gemäß Art51 GRC erfolgt.

Kein Verstoß gegen Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK.

Die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der 1945 wiedererstandenen Republik Österreich vergleiche VfSlg 12646/1991, 18405/2008).

Die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Staatsvertrag von Wien (Art9 StV Wien 1955), das verfassungsgesetzliche Verbot der nationalsozialistischen Wiederbetätigung (§3 VerbotsG) und der historische Kontext Österreichs vergleiche EGMR 15.10.2015 [GK], Fall Perincek, Appl 27510/08 [Z242 f]) gebieten allen Staatsorganen eine besondere Verantwortung im Umgang mit der Unterbindung von (neo-)nationalsozialistischem Gedankengut.

Die Liegenschaft ist geeignet, als "Pilger"- oder Identifikationsstätte zur Pflege (neo-)nationalsozialistischen Gedankengutes besucht zu werden; ihr kommt diesbezüglich sogar ein "Alleinstellungsmerkmal" zu. Die damit verbundene besondere Symbolkraft kann nachhaltig und effektiv nur beseitigt werden, wenn es zu einer tiefgreifenden architektonischen Umgestaltung kommt, um dem Objekt den Wiedererkennungswert und die Symbolkraft zu entziehen.

Da Besuche der Liegenschaft auch oder geradezu regelmäßig von rechtsextremen Gruppierungen und Personen zur Verherrlichung der in Österreich verfassungsrechtlich verpönten Ideologie des Nationalsozialismus genutzt werden bzw werden könnten, ist der Staat dazu verpflichtet, selbst sicherzustellen, dass dieser strafrechtsbewehrte Missbrauch nicht stattfinden kann.

Entscheidet sich der Gesetzgeber zur Enteignung durch Gesetz, liegt dies im öffentlichen Interesse, weil er nur so durch die uneingeschränkte Ausübung des Eigentumsrechts eine der möglichen Optionen entsprechende Nutzung der Liegenschaft iSd Empfehlung des Abschlussberichtes der Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers umsetzen kann. Dies ist Voraussetzung dafür, dass der Staat der Verpflichtung, jegliche nationalsozialistische Wiederbetätigung und bejahende Gedanken an den Nationalsozialismus dauerhaft zu unterbinden, im Sinne der Zielsetzung des Gesetzes nachkommen kann. Daher ist der Bedarf zur Enteignung gegeben.

Die im öffentlichen Interesse liegende Enteignung ist nicht schon deshalb unverhältnismäßig, weil die mit der Enteignung verfolgten Ziele allenfalls auch anders erreicht werden könnten, ist doch nur durch die Enteignung der gesamten Liegenschaft sichergestellt, dass Maßnahmen entsprechend den Nutzungsempfehlungen der Kommission überhaupt umgesetzt werden können. Nur der Eigentümer hat gemäß §354 ABGB, mit der Substanz und Nutzung einer Sache "nach Willkühr zu schalten", was jedoch zur Umsetzung der Empfehlungen notwendig ist. Zudem musste sichergestellt werden, dass das in Rede stehende Grundstück nicht an Dritte verkauft wird.

Auch ist die Enteignung nicht entschädigungslos. Die angefochtenen Regelungen verletzen die Antragstellerin in ihrem Recht auf Unversehrtheit des Eigentums daher nicht.

Keine Verletzung des Gleichheitsrechtes.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2017:G53.2017