Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

12.12.2016

Geschäftszahl

G63/2016

Sammlungsnummer

20122

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelung über die Möglichkeit der vorzeitigen gerichtlichen Verwertung sichergestellter oder beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten gegen das Eigentumsrecht und die Unschuldsvermutung; Eigentumseingriff im öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung gelegen; kein Abspruch über die Schuld oder Unschuld der von der Veräußerung betroffenen Person

Rechtssatz

Abweisung des Parteiantrags (auf Aufhebung des §115e StPO), soweit er sich auf die Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in §115e Abs1 StPO sowie auf §115e Abs2 letzter Satz StPO, jeweils in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 35 aus 2012,, bezieht.

Im Übrigen Zurückweisung des Antrags.

Die gerichtliche Anordnung der frühzeitigen Verwertung des unter einem beschlagnahmten Fahrzeuges des antragstellenden Beschuldigten, aus deren Anlass der vorliegende Antrag gestellt wird, gründet auf §115e StPO. Diese Regelung normiert drei Fälle, in denen eine frühzeitige Verwertung eines sichergestellten oder - wie im vorliegenden Fall - beschlagnahmten Gegenstandes zulässig ist, wobei der erste Fall einen raschen Verderb, der zweite Fall eine erhebliche Wertminderung des Gegenstandes bzw Vermögenswertes und der dritte - im Anlassfall angenommene - Fall die außer Verhältnis zu geraten drohenden Kosten der Aufbewahrung betrifft.

Da eine bloße Aufhebung des dritten, die Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten betreffenden Tatbestandes die beiden anderen in dieser Norm geregelten Fallgruppen unberührt lässt, ist der Antrag unter dem Blickwinkel der aus Anlass des bekämpften Gerichtsbeschlusses vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken nur bezüglich der Wortfolge "oder lassen sie sich nur mit unverhältnismäßigen Kosten aufbewahren" in §115e Abs1 und des damit im untrennbaren Zusammenhang stehenden letzten Satzes des §115e Abs2 StPO zulässig. Nur diese Wortfolge ist präjudiziell und sie steht mit den anderen Tatbeständen des §115e Abs1 StPO nicht in einem untrennbaren Zusammenhang. Auch der letzte Satz des §115e Abs2 StPO steht nur mit der genannten Wortfolge, also dem dritten Tatbestand des §115e Abs1 StPO, in einem untrennbaren Zusammenhang.

Kein Verstoß gegen das Eigentumsrecht.

§115e Abs1 3. Fall StPO dient der Vermeidung unverhältnismäßiger Kosten für die Aufbewahrung von im Zuge eines Strafverfahrens sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenständen und Vermögenswerten und liegt damit im öffentlichen Interesse an einer effizienten Strafverfolgung, zumal die Kosten für die Aufbewahrung erhebliche Ausmaße annehmen können und die -gegebenenfalls längere Zeit andauernde - Aufbewahrung auch zu organisatorischen Problemen führen kann.

Die Regelung ist auch nicht unverhältnismäßig, kommt sie doch nur dann zum Tragen, wenn die Kosten der Aufbewahrung zum Wert des Gegenstandes außer Verhältnis stehen bzw in ein Missverhältnis zu geraten drohen. Überdies ist eine (vorzeitige) Verwertung gemäß §115e Abs1 letzter Satz StPO ausgeschlossen, wenn und solange die Gegenstände für Beweiszwecke benötigt werden; dies gilt selbst dann, wenn deren Aufbewahrung unverhältnismäßige Kosten verursacht. Schließlich haben Personen, die von der Veräußerung betroffen sind, die Möglichkeit, die vorzeitige Verwertung wegen unverhältnismäßiger Aufbewahrungskosten abzuwenden, indem sie rechtzeitig einen zur Deckung dieser Kosten ausreichenden Betrag erlegen.

Keine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK.

Die Entscheidung über die Zulässigkeit einer vorzeitigen gerichtlichen Verwertung sichergestellter bzw beschlagnahmter Gegenstände oder Vermögenswerte spricht ausschließlich über das Vorliegen der in §115e Abs1 3. Fall StPO genannten Voraussetzung, nämlich unverhältnismäßige Aufbewahrungskosten, ab. Damit wird lediglich über den Wert der sichergestellten oder beschlagnahmten Gegenstände oder Vermögenswerte in Relation zu den mit der Aufbewahrung verbundenen Kosten entschieden, nicht aber darüber, ob die von der Veräußerung betroffene Person schuldig ist.

Die Entscheidung spricht also weder ausdrücklich noch implizit über die Schuld der davon betroffenen Person(en) ab, weshalb mit einer solchen Entscheidung schon denkmöglich keine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK einhergehen kann.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:G63.2016