Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

23.09.2016

Geschäftszahl

V98/2015 ua

Leitsatz

Keine Gesetzwidrigkeit eines Wiener Plandokuments hinsichtlich einer Wohngebietswidmung im 6. Bezirk mit Festlegung der hinteren Baufluchtlinie; keine Überschreitung des planerischen Gestaltungsspielraumes durch Fortschreibung bestehender Festlegungen nach umfangreicher Interessenabwägung

Rechtssatz

Abweisung von Anträgen des Verwaltungsgerichtes Wien auf Feststellung der Gesetzwidrigkeit des Plandokumentes 7735 (PD 7735), soweit darin für einen im nordöstlichen Schnittstellenbereich der Straßen Esterhazygasse/Magdalenenstraße gelegenen Bereich die Widmung W römisch II 11 m g (Wohngebiet, Bauklasse römisch II, maximale Gebäudehöhe 11 m, geschlossene Bauweise) und die hintere Baufluchtlinie mit einem Abstand von 12,00 m zur Baulinie festgelegt waren.

Denkmögliche Anwendung des PD 7735 im Anlassverfahren.

Richtet sich in einem Rechtsmittel die an der Baubewilligung geübte Kritik entweder ausdrücklich oder auch bloß der Sache nach gegen die Bebauungsbestimmungen, so liegt hierin auch eine gegen den Bekanntgabebescheid gerichtete Berufung. In der Entscheidung der Berufungsbehörde über die Baubewilligung ist der Bekanntgabebescheid mitumfasst. Die Entscheidung der Berufungsbehörde entfaltet in jede Richtung, sowohl für die Baubewilligung als auch für den Bekanntgabebescheid ihre Wirkung (VfSlg 12743/1991). Somit ist der der Baubewilligung zugrunde liegende Flächenwidmungsplan präjudiziell.

Unzulässigkeit des Hauptantrags, da das Plandokument die von der Antragstellerin zur Abgrenzung des Aufhebungsumfanges verwendeten Haus- bzw Ordnungsnummern nicht aufweist.

Zulässigkeit jedoch des Eventualantrags; Bezugnahme auf die im Plandokument enthaltenen Himmelsrichtungen, Straßenbezeichnungen und die festgelegte Widmung.

Der Vorlagebericht des PD 7735 enthält eine Interessenabwägung, in der der Verordnungsgeber umfangreich auf die angestrebten Ziele und Entwicklungen und ihre Umsetzung eingeht. Dem Vorlagebericht zum PD 7735 ist ausdrücklich eine Abwägung zwischen der Bedachtnahme auf den Bau- und Nutzungsbestand sowie der Vorsorge für der Erholung dienende Grünflächen durch entsprechende Widmungen und durch Entkernung und Begrünung der Innenhöfe zu entnehmen.

Die in großen Teilen des Gebietes des PD 7735 vorgesehene Baufluchtlinie von 12,00 m ist, wie die Verordnungsakten belegen, aus historischen Entwicklungen hervorgegangen.

Legt der Verordnungsgeber aus Gründen des Ortsbildschutzes eine Widmung fest, dann ist es schon aus Gründen der Widmungskontinuität grundsätzlich nicht rechtswidrig, wenn er in nachfolgenden Änderungen des Bebauungsplans diese Art der Bebauung unverändert lässt. Es muss sich der Verordnungsgeber bei der Festlegung und Zielfindung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes auch nicht an den bestehenden Eigentumsverhältnissen zu orientieren.

Der Verordnungsgeber hat seinen planerischen Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er nach umfangreicher Interessenabwägung und wegen der erhöhten Bestandskraft von Flächenwidmungen die bereits bestehenden Festlegungen beibehält und somit eine Fortschreibung der bestehenden Widmung vornimmt. Schreibt der Verordnungsgeber nach umfangreicher Interessenabwägung bereits bestehende Festlegungen fort, liegt dies in seinem planerischen Gestaltungsspielraum und ist daher nicht als rechtswidrig anzusehen.

Der für gemischte Wohngebiete nach §6 Abs8 Wr BauO geltende, vom Verwaltungsgericht aus der Judikatur (VfSlg 12468/1990) abgeleitete Grundsatz einer möglichsten Vermeidung gegenseitiger Beeinträchtigungen, bei dem es weitestgehend um den Immissionsschutz gegen bestimmte Betriebstypen geht, kann nicht allgemein auf die Situation in Wohngebieten gemäß §6 Abs6 Wr BauO übertragen werden. Auch stellt die Bestimmung keine Anforderung an die inhaltliche Ausgestaltung von Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen dar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:V98.2015