Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

01.03.2016

Geschäftszahl

E2091/2015

Sammlungsnummer

20054

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Bestimmungen über die Zurücknahme der Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke bei Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke sowie gegen die abweichende Übergangsregelung für "Zwei-Kassenvertragsarzt-Gemeinden"; keine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm durch Zurücknahme einer Hausapothekenbewilligung in einer "Mehr-Kassenvertragsarzt-Gemeinde"

Rechtssatz

Der Vorrang der ärztlichen Hausapotheke gegenüber der öffentlichen Apotheke gilt (nur) für sogenannte "Ein-Kassenvertragsarzt-Gemeinden". In einer Gemeinde, in der entweder zwei oder mehrere Vertragsstellen nach §342 Abs1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, kann eine Konzession für eine öffentliche Apotheke auch dann erteilt werden, wenn es dort bereits Hausapothekenbewilligungen gibt.

Die Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union, wonach bei der Bedarfsprüfung für die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke die "starre Grenze" in §10 Abs2 Z3 ApothekenG von 5.500 weiterhin zu versorgenden Personen der Niederlassungsfreiheit entgegensteht (EuGH 13.02.2014, Rs C-367/12, Sokoll-Seebacher), hat keine direkte Auswirkung auf die Rücknahme von ärztlichen Hausapotheken bei Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke, weil es gemäß §29 Abs3 ApothekenG in der geltenden Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 80 aus 2013,) auf das Kriterium einer bestimmten Anzahl an "weiterhin zu versorgenden Personen" nicht ankommt.

Der VfGH verkennt aber nicht, dass das genannte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union dazu führen kann, dass für mehr öffentliche Apotheken (insbesondere im ländlichen Bereich) Konzessionen erteilt werden und damit einhergehend vermehrt Bewilligungen für Hausapotheken zurückzunehmen sind. Damit wird allerdings keine Verfassungswidrigkeit des §29 Abs3 und 4 ApothekenG bewirkt. Es liegt innerhalb des rechtspolitischen Spielraums des Gesetzgebers, wie er die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung mit Arzneispezialitäten regelt. Es ist nicht erkennbar, dass durch die (möglicherweise) vermehrte Zurücknahme von Bewilligungen für Hausapotheken auf Grund der Erteilung zusätzlicher Konzessionen für öffentliche Apotheken in einer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip widersprechenden Weise in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte der hausapothekenführenden Ärzte eingegriffen wird.

Im Übrigen hat der VfGH im Beschwerdefall mangels Präjudizialität des §62a ApothekenG nicht zu beurteilen, ob diese Bestimmung in sich sachlich ist.

Der VfGH hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die von der Regelung der Rücknahme der Bewilligung zur Haltung einer ärztlichen Hausapotheke in §29 Abs3 und Abs4 ApothekenG abweichende Übergangsregelung für "Zwei-Kassenvertragsarzt-Gemeinden":

Es liegt im Wesen von Übergangsvorschriften, dass sie bestimmte Fälle aus der alten in die neue Rechtslage überführen, um Auswirkungen der neuen Rechtslage abzumildern (VfSlg 19745/2013). Vor dem Hintergrund des mit der Novelle Bundesgesetzblatt Teil eins, 41 aus 2006, erfolgten Systemwechsels, auf Grund dessen - anders als nach der früheren Rechtslage - das Versorgungspotential der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke von zumindest 5.500 Personen nicht mehr Voraussetzung für die Zurücknahme der Bewilligung zur Haltung einer Hausapotheke ist, liegt es im Ermessensspielraum des Gesetzgebers, für die Zurücknahme von Bewilligungen zur Haltung von Hausapotheken (nur) in "Zwei-Kassenvertragsarzt-Gemeinden" eine zeitlich begrenzte Übergangsbestimmung vorzusehen.

Dem Antrag der beteiligten Partei auf Kostenersatz ist nicht stattzugeben, weil es sich bei dem von ihr eingebrachten Schriftsatz, mit dem sie von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Äußerung Gebrauch gemacht hat, nicht um einen abverlangten Schriftsatz handelt und die von ihr erstattete Äußerung nichts zur Rechtsfindung beigetragen hat.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2016:E2091.2015