Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

10.12.2015

Geschäftszahl

E709/2015 ua; E1622/2015 ua

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz und Feststellung der Zuständigkeit Ungarns sowie Anordnung der Außerlandesbringung mangels konkreter Ermittlungen zur Versorgungslage besonders schutzwürdiger vulnerabler Personen in Ungarn

Rechtssatz

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Fall wie dem vorliegenden - unter anderem - zu prüfen, ob Gründe vorliegen, aus denen Österreich zum Selbsteintritt gemäß Art3 der Dublin III-VO verpflichtet wäre. Es hat daher auch die notwendigen Ermittlungen zu führen, um eine entsprechende Entscheidung treffen zu können.

Gerade zur Situation vulnerabler Personen hat der VfGH (damals zur Lage in Griechenland) ausgesprochen, dass in Fällen, in denen die Versorgungslage von Asylwerbern notorisch unsicher ist, für besonders schutzwürdige Personen eine individuelle Versorgungszusage einzuholen ist vergleiche VfSlg 19205/2010, 19500/2011).

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern (Drittbeschwerdeführer geb 2009, Viertbeschwerdeführerin geb 2012). Hinzu kommt, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts schwanger war. Die Beschwerdeführer sind daher besonders schutzbedürftige, "vulnerable" Personen.

Die in der angefochtenen Entscheidung zitierten Länderberichte enthalten nur allgemeine Angaben zur Unterbringung und medizinischen Versorgung von Asylwerbern. Laut der herangezogenen Quellen werden vulnerable Personen "nach Möglichkeit" gesondert untergebracht. Es geht daraus aber nicht hervor, welche Möglichkeiten zur entsprechenden Unterbringung vulnerabler Personen tatsächlich bestehen. Etwa, wie relativ junge Kinder wie der Dritt- und die Viertbeschwerdeführer(-in) versorgt werden (können). Ebensowenig geht aus den zitierten Berichten hervor, wie die medizinische Betreuung für schwangere Frauen ausgestaltet ist, um ihren besonderen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat es im vorliegenden Fall in einer vergleichbaren Situation, in der die Versorgungslage für Asylwerber in Ungarn notorisch schwierig ist, unterlassen, für die Beschwerdeführer, die besonders schutzwürdige Personen sind, konkrete Ermittlungen zu tätigen, ob und wie die Beschwerdeführer nach einer Überstellung nach Ungarn versorgt werden.

Aus diesen Gründen ist die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet.

(Ebenso E1622/2015 ua vom selben Tag hins einer Familie mit vier minderjährigen Kindern und schwerwiegenden medizinischen Beschwerden [Epilepsie, "Down-Syndrom", Herzfehler, Harnleitermissbildung, psychische Beschwerden]).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E709.2015