Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

24.09.2015

Geschäftszahl

G176/2015 ua

Sammlungsnummer

20003

Leitsatz

Aufhebung von Bestimmungen des Kärntner Flurverfassungs-Landesgesetzes 1979 betr das Beschwerderecht überstimmter Mitglieder einer Agrargemeinschaft gegen Beschlüsse der Vollversammlung wegen Verstoßes gegen die EMRK infolge des normierten Ausschlusses einer Beschwerdemöglichkeit auch im Fall von Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sowie wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip

Rechtssatz

Aufhebung des §93 Abs2a und der Wortfolge "nach Maßgabe des Abs2a" in §93 Abs2 litd des Krnt FlVfLG 1979 - K-FLG in der Fassung Landesgesetzblatt 60 aus 2013,, sowie der Wortfolge "und des ArtI Z11 (§93 Abs2a)" in ArtII Abs2 des Gesetzes Landesgesetzblatt 60 aus 2013,.

In §51 K-FLG werden der Agrarbehörde Zuständigkeiten bei der Überwachung der Agrargemeinschaften und der Entscheidung von Streitigkeiten zugewiesen.

Ein Agrargemeinschaftsmitglied hat keinen Rechtsanspruch auf die Ausübung des Aufsichtsrechtes und auf die Erlassung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen, sondern lediglich ein Recht auf Wahrung seiner Mitgliedschaftsrechte, das es in einem Streit mit der Agrargemeinschaft auf dem Weg der Minderheitsbeschwerde verfolgen kann.

Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften haben (ua) gemäß §93 Abs2 litd leg cit Bestimmungen über das Recht einer Minderheit zu enthalten, gegen Mehrheitsbeschlüsse nach Maßgabe des §93 Abs2a leg cit eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu erheben. Diese Regelung in den Verwaltungssatzungen bildet die Grundlage für die Erhebung einer Beschwerde gegen Beschlüsse der Vollversammlung. Bestehende Verwaltungssatzungen von Agrargemeinschaften sind gemäß ArtII Abs2 Landesgesetzblatt 60 aus 2013, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten der besagten Novelle ua an die Bestimmung des §93 Abs2a K-FLG anzupassen.

Nach §93 Abs2a K-FLG hat jeder Inhaber eines Anteiles, der gegen einen Beschluss der Vollversammlung gestimmt hat, - im Gegensatz zur Rechtslage vor der Novelle Landesgesetzblatt 60 aus 2013, und zur Bekämpfung von Beschlüssen anderer Agrargemeinschaftsorgane - das Recht, binnen acht Tagen eine Beschwerde an die Agrarbehörde zu richten, wenn sich für diesen Beschluss weniger als 80 % der bei der Vollversammlung anwesenden Anteile ausgesprochen haben.

Aus der Bundesverfassung ist grundsätzlich kein Recht ableitbar, dass im Falle gemeinschaftlicher Nutzungs- und Verwaltungsrechte einem bei einer Abstimmung unterlegenen Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft ein Rechtsweg gegen jeden Mehrheitsbeschluss offen stehen muss. Vielmehr hat der Gesetzgeber hier eine Gestaltungsfreiheit, wobei er bei der Ausgestaltung des Rechtsweges (ua) auf die Einhaltung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte zu achten hat.

Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des VfGH, dass der Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und auf Gesetz beruhenden Gericht entgegen Art6 EMRK auch dann verwehrt sein kann, wenn es sich bei den innerhalb einer Agrargemeinschaft entstehenden Streitigkeiten um zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen iSd Art6 Abs1 EMRK handelt, haben sich daher als zutreffend erwiesen. Die mögliche Anregung der Aufhebung von als rechtswidrig erachteten Beschlüssen der Vollversammlung bei der Agrarbehörde als Aufsichtsbehörde ändert daran nichts, weil derartigen Anregungen kein Erledigungsanspruch korrespondiert und kein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrnehmung der behördlichen Aufsichtsbefugnis besteht.

Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit der Regelung des §93 Abs2a K-FLG, die zur Konsequenz hat, dass für die Einräumung des Beschwerderechtes allein das Stimmverhältnis bei der Beschlussfassung durch die Vollversammlung der Agrargemeinschaft ausschlaggebend ist, womit ein Ausschluss der Beschwerdelegitimation schlechthin auch in jedem Fall von Streitigkeiten, die civil rights betreffen, verbunden sein kann, den ihm eröffneten Spielraum überschritten. Zudem verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip, die Überprüfbarkeit auch jeglicher formalen Richtigkeit eines Beschlusses auszuschließen.

Daher Aufhebung der genannten Bestimmungen (als untrennbare Einheit) wegen Verstoßes gegen Art6 EMRK und das Rechtsstaatsprinzip.

(Anlassfall E1289/2014, E v 07.10.2015, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:G176.2015