Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

11.03.2015

Geschäftszahl

E133/2014; E134/2014 ua

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe infolge bewilligungsloser Benützung einer Straße zu verkehrsfremden Zwecken wegen Durchführung einer Mitgliederwerbung für einen Verein; Unterlassung der Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der mit der Sondernutzung verbundenen Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs

Rechtssatz

Für die Frage, ob eine Tätigkeit unter die Ausnahmebestimmung des §82 Abs3 lita StVO fällt, kommt es nicht auf eine diffizile Abgrenzung zwischen "gewerblicher Tätigkeit" und "Werbung" an, sondern auf die Eignung der - schon in §82 Abs1 StVO als typische Sondernutzungen herausgegriffenen - Tätigkeit, den in §82 Abs5 StVO umschriebenen Schutzzweck der Bewilligungspflicht zu beeinträchtigen.

Demgegenüber stellt das Landesverwaltungsgericht Steiermark in der angefochtenen Entscheidung nicht auf diesen Schutzzweck, sondern auf eine Abgrenzung zwischen "Werbung" und einer "bloß gewerbsmäßigen Tätigkeit ohne Werbung" ab. Wenn das Landesverwaltungsgericht schließlich eine Unterscheidung dahingehend vornimmt, dass für das "bloße Verteilen von Eintrittskarten oder Druckschriften politischen Inhalts" eine konkrete Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs vorliegen müsse, um die Bewilligungspflicht auszulösen, während bei "Werbung" schon die "abstrakte Eignung zu einer solchen Beeinträchtigung" dafür genüge, unterstellt das Landesverwaltungsgericht dem Regelungssystem des §82 StVO einen verfassungswidrigen Inhalt. Nicht der Inhalt der mit der Sondernutzung beabsichtigten Kommunikation oder der damit verbundenen gewerblichen Tätigkeit als solche, ist Gegenstand der verwaltungsbehördlichen Beurteilung nach §82 Abs1 und Abs3 lita StVO, sondern in jedem Fall (nur) die mit einer derartigen Sondernutzung verbundene Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, respektive die damit verbundene Lärmentwicklung.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat daher nicht nur jegliche Ermittlungstätigkeit in entscheidungswesentlichen Punkten unterlassen, sondern auch im Hinblick auf die, beispielsweise durch die Erwerbsfreiheit des Art6 StGG oder die Kommunikationsfreiheit des Art10 EMRK geschützte Möglichkeit, öffentliche Verkehrsflächen zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs zu nutzen, der Regelung des §82 StVO einen verfassungswidrigen, weil unsachlichen Inhalt unterstellt.

(Siehe ebenso E134/2014 ua vom selben Tag: Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden Untereinander).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2015:E133.2014