Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

22.09.2014

Geschäftszahl

U2082/2013 ua

Leitsatz

Verletzung der in Österreich geborenen, minderjährigen Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin (Mutter) im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung in die Russischen Föderation wegen verfassungswidriger Interessenabwägung angesichts des fast zehnjährigen Aufenthalts in Österreich

Rechtssatz

Wenn der AsylGH annimmt, dass die Erstbeschwerdeführerin über Kenntnisse der russischen Sprache verfüge und somit eine Integration in der Russischen Föderation möglich und zumutbar sei, so ist dies nicht nachvollziehbar. Dem Protokoll der am 17.12.2012 durchgeführten mündlichen Verhandlung ist folgende Aussage der Mutter der Erstbeschwerdeführerin zu entnehmen: "[Meine Tochter] hat auch Probleme mit der russischen Sprache. Sie ist hier [in Österreich] geboren und aufgewachsen. Sie spricht nur deutsch und konnte früher noch ein bisschen georgisch." Bei der Beurteilung der Gefährdung des Kindeswohles im Falle einer Ausweisung erwähnt der AsylGH zwar, dies jedoch ohne nähere Auseinandersetzung und Konsequenz, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich geboren wurde, deutsch als Muttersprache spricht, Zeit ihres Lebens nie außerhalb Österreichs gelebt hat, mit Erfolg am Unterricht teilnimmt und in die Klassengemeinschaft bestens integriert ist.

Der AsylGH rückt zur Integration der Zweitbeschwerdeführerin ihre mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit und eine fehlende Ausbildung in Österreich in den Vordergrund und stellt diesen Aspekten keinerlei für die Integration sprechende Gründe gegenüber. Dass derartige Gründe nach einem fast zehnjährigen Aufenthalt hervorkommen könnten, ist zumindest anzunehmen. Auch werden die wesentlichen Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2012 nicht gewürdigt, wie etwa die sozialen Kontakte, die seit Oktober 2009 bestehende Erwerbstätigkeit und das Bemühen der Zweitbeschwerdeführerin um stetige Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse.

Im Übrigen Ablehnung der Beschwerde und Abweisung des Verfahrenshilfeantrags des Einschreiters (Vater der Erstbeschwerdeführerin).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:VFGH:2014:U2082.2013