Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

22.06.2002

Geschäftszahl

V53/01 - V73/01

Sammlungsnummer

16567 - 16579

Leitsatz

Abweisung des Antrags von Bürgerinitiativen und Grundeigentümern auf Aufhebung der Trassenverordnung der B 301 Wiener Südrand Straße im Bereich Vösendorf-Schwechat; keine normative Qualität der Projektunterlagen und Entscheidungsgründe; Festsetzung begleitender Maßnahmen außerhalb der Verordnung zur Vermeidung schwerwiegender Umweltbelastungen notwendig; ausreichende Berücksichtigung des Ergebnisses der Umweltverträglichkeitsprüfung bei Erlassung der Verordnung; keine isolierte Betrachtung der verordneten Trasse;

vertretbare Verkehrsprognose; keine Verletzung der Verfahrensgarantien der Menschenrechtskonvention; keine Befangenheit der mit der Erstellung des Gutachtens betrauten Sachverständigen; keine Verfahrensfehler

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags des Bürgerforums Transit und weiterer Bürgerinitiativen sowie von Grundeigentümerinnen auf Aufhebung der TrassenV der B 301 Wiener Südrand Straße.

Der Verfassungsgerichtshof geht - auch mangels gegenteiliger Behauptungen im Verfahren - davon aus, daß die Behörde vor Entgegennahme der jeweiligen Stellungnahme gemäß §9 Abs4 UVP-G die Unterschriftenlisten entsprechend den Kriterien des §19 Abs4 UVP-G gehörig geprüft und aufgrund dieser Überprüfung die Parteistellung gemäß dieser Bestimmung zu Recht bejaht hat.

Da die weiteren Antragstellerinnen Eigentümer von Grundstücken sind, über die die durch die bekämpfte Verordnung festgelegte Trasse der B 301 verläuft, ist ihr Antrag im Sinne der mit VfSlg 9823/1983 beginnenden Rechtsprechung zur Anfechtung von Trassenverordnungen nach dem BStG 1971 zulässig.

Einstellung des Verfahrens in Ansehung der Vierzehntantragstellerin infolge Zurückziehung des Antrags.

Vorbehaltlich anderslautender Sonderregelungen ist für die verfahrensrechtliche Beurteilung der Erlassung einer Verordnung die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung geltende Rechtslage maßgeblich, während für die Beurteilung der inhaltlichen Gesetzmäßigkeit die Rechtslage zum Zeitpunkt der Fällung des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses zugrunde zu legen ist.

Da das UVP-G in Ansehung der Erlassung einer Trassenverordnung gemäß §4 Abs1 BStG 1971 verfahrensrechtlichen Charakter besitzt, ist die angefochtene Verordnung anhand des zum Zeitpunkt ihrer Erlassung geltenden UVP-G, d.i. die Fassung Bundesgesetzblatt 697 aus 1993, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 89 aus 2000, (UVP-G 2000), zu überprüfen.

Das BStG 1971 und das UVP-G 2000 sind von unterschiedlichen Regelungskonzepten getragen: Während jenes auf die Erlassung einer (Trassen-)Verordnung gerichtet ist, stellt das UVP-G 2000 im wesentlichen seinem verfahrensrechtlichen Gehalt zufolge auf die Erlassung projektbezogener Bescheide ab, soll aber gleichwohl, wenn auch mit Modifikationen, im Zuge des Trassenverordnungsverfahrens Anwendung finden. Dies führt zu Problemen, die aber durch eine harmonisierende Interpretation der beiden Gesetze bereinigt werden können.

Dem zuständigen Bundesminister kam keine Befugnis zu, andere Verkehrslösungen anstelle der B 301 Wiener Südrand Straße zu planen und zu verwirklichen, "da nach dem einen Teil des BStG bildenden Verzeichnis ... die [zu errichtende] Verbindung vorgeschrieben ist und die Festlegung einer Trasse nach §4 Abs1 BStG 'im Rahmen der Verzeichnisse' zu erfolgen hat" (so VfSlg 12084/1989).

Keine Bedenken gegen die Aufnahme der B 301 in das Verzeichnis 3 des BStG 1971.

Weder die (sonstigen) Projektunterlagen, mit denen Bedingungen, Maßnahmen und Vorschreibungen für ein konkretes Projekt spezifiziert werden, noch die Darlegung der wesentlichen Entscheidungsgründe besitzen eine aus der Trassenverordnung ableitbare normative Qualität.

Die Umweltverträglichkeitsprüfung bildet einen gesonderten, den Vorschriften des UVP-G 2000 unterworfenen Verfahrensabschnitt im Zuge der Erlassung der Trassenverordnung.

Erst wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung mit der Erstellung des Umweltverträglichkeitsgutachtens und der öffentlichen Erörterung des diesem zugrundeliegenden Vorhabens - wenn auch ohne besonderen formellen Rechtsakt - abgeschlossen ist, erfolgt gemäß §24h UVP-G 2000 die "Entscheidung" über die Erlassung der Verordnung gemäß §4 Abs1 BStG 1971. In der "Entscheidung" über die Erlassung der Verordnung sind "die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung ... zu berücksichtigen". Diese Berücksichtigungspflicht bedeutet, daß sich der zuständige Bundesminister vor Erlassung der Trassenverordnung mit dem Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung im Zuge der ihm auferlegten Interessenabwägung gemäß §4 Abs1 BStG 1971 auseinanderzusetzen hat, ohne daß er verpflichtet ist, sämtliche Empfehlungen, die im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung - etwa auch im Gutachten - ausgesprochen werden, bei Erlassung der Trassenverordnung umzusetzen.

Es ist in einem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren als Voraussetzung zur Erlassung einer Trassenverordnung im Regelfall ausgeschlossen, "Auflagen, Bedingungen, Befristungen, sonstige Vorschreibungen, Ausgleichsmaßnahmen oder Projektmodifikationen" nach dem Muster des §17 Abs5 UVP-G 2000 in Gestalt von Nebenbestimmungen zu einem Genehmigungsbescheid rechtsverbindlich festzusetzen.

Der Gesetzgeber rechnete damit, als Ergebnis des Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahrens Maßnahmen, Vorschreibungen und Auflagen außerhalb der Trassenverordnung in verschiedenen Rechtsformen festsetzen zu lassen, deren Verwirklichung schwerwiegende Umweltbelastungen vermeiden läßt und kraft derer sich damit die - vorweg - erlassene Trassenverordnung als gesetzmäßig erweist.

Die der Trassenverordnung vorangehende Umweltverträglichkeitsprüfung erübrigt ferner nicht die Erwirkung spezialgesetzlich vorgesehener Genehmigungen.

Für die Verfahrensgestaltung bei der Erlassung der Trassenverordnung nach vorangehender Umweltverträglichkeitsprüfung kommt eine Anwendung der bei Erlassung individueller Verwaltungsakte (Bescheide) vorgesehenen Verfahrensvorschriften, insbesondere jener des AVG, nicht in Betracht. Insbesondere scheidet im Verordnungserlassungsverfahren die Einräumung einer Parteistellung für wen auch immer sowie dementsprechend die Inanspruchnahme von Parteirechten aus.

Der für die Trassenverordnungserlassung zuständige Bundesminister besitzt die jedem verordnungserlassenden Verwaltungsorgan eingeräumte Gestaltungsfreiheit bei der Durchführung der für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erlassung der Verordnung notwendigen Ermittlungen und Sachverhaltsfeststellungen. Diese Gestaltungsfreiheit wird begrenzt durch die für die "bescheidsubstituierende" Trassenverordnung nach §4 BStG 1971 sowie dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 angeordneten, speziellen verfahrensrechtlichen Obliegenheiten des Bundesministers. Auch deren gebotene Einhaltung steht jedoch unter dem Vorbehalt der Unbeachtlichkeit geringfügiger Abweichungen, sodaß von einer Gesetzwidrigkeit der Trassenverordnung erst die Rede sein kann, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt wurden, die im Ergebnis eine Verkürzung der Anhörungs- oder Informationsrechte Planbetroffener (insbesondere hinsichtlich der Schutzziele des §24h Abs1 UVP-G 2000) bewirken können.

Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der B 301 Wiener Südrand Straße im Bereich der Gemeinden Vösendorf, Hennersdorf, Lanzendorf, Leopoldsdorf, Schwechat und Wien, Bundesgesetzblatt Teil 2, 352 aus 2000,.

Es ist dem zuständigen Bundesminister nicht entgegenzutreten, wenn er als Aufgabe des Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahrens lediglich die sachverständige Erörterung der Umweltauswirkungen des eingereichten Projekts und die Vermeidung schwerwiegender Umweltbelastungen ansah und davon getrennt die sonstigen Kriterien für die Erlassung einer Straßentrassenverordnung gemäß §4 Abs1 BStG 1971 beurteilte. Es besteht kein Einwand dagegen, daß im Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren bestimmte, auf die Kriterien des §4 und §7 BStG 1971 bezogene Einwendungen, etwa hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit des geplanten Verkehrsvorhabens, nicht berücksichtigt wurden und diese erst den Gegenstand des Verfahrens nach §4 BStG 1971 bildeten.

Keine Bedenken gegen die Abgrenzung des von der Trassenverordnung erfaßten Straßenprojektes im Hinblick auf die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung.

Das verordnete Projekt der B 301 wurde im Rahmen des "Verkehrskonzepts Südraum Wien" entwickelt, sodaß die Zusammenhänge jenes Straßenprojektes mit der gesamten Verkehrsstruktur in einem weitreichenden Untersuchungsraum begutachtet und aufgezeigt wurden. Eine isolierte Betrachtung der verordneten Trasse liegt sohin nicht vor.

Die der Beurteilung der Umweltverträglichkeit zugrundegelegten Verkehrsprognosen wurden auch nicht zu niedrig angesetzt.

Daß eine Berücksichtigung überörtlicher Bundesstraßenplanungen durch die landesgesetzlich geregelte örtliche Raumplanung geradezu geboten ist, zeigt die Judikatur zu der der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern wesenseigenen verfassungsrechtlichen wechselseitigen Rücksichtnahmepflicht (VfSlg 10292/1984, 15552/1999).

Ausreichende Auseinandersetzung der Behörde mit von den Antragstellern vorgelegten Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen. Entsprechende Fragestellungen wurden in das dem Umweltverträglichkeitsgutachten zugrundeliegende Prüfbuch aufgenommen und im Gutachten auch behandelt.

Bei der detaillierten Festlegung wurden die Begleitmaßnahmen zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs hinlänglich berücksichtigt. Die Realisierung des 1994 beschlossenen Südraumkonzeptes wurde insgesamt in Angriff genommen und ein Gutteil der für seine Wirksamkeit wesentlichen Maßnahmen wird bis 2005 verwirklicht sein.

Der Verfassungsgerichtshof hält die im Umweltverträglichkeitsgutachten abgegebenen humanmedizinischen Stellungnahmen für vollständig und schlüssig. Die angenommenen Grenzwerte erscheinen jedenfalls aufgrund der wiedergegebenen wissenschaftlichen Diskussion als plausibel und vertretbar.

Ein von den Antragstellern "aus dem Recht auf Parteiengehör und aus Art6 EMRK" in Anspruch genommenes Recht auf Ablehnung von der Behörde ausgewählter Sachverständiger besteht nicht.

Eine Trassenverordnung betrifft weder "civil rights" noch eine strafrechtliche Anklage iSd Art6 EMRK.

Entgegen den Einwänden der Antragsteller hegt der Verfassungsgerichtshof keinen Zweifel, daß die Behörde dem §24c UVP-G 2000 folgend fachlich gehörig ausgewiesene Sachverständige mit der Erstellung des Umweltverträglichkeitsgutachtens betraut hat, denen keine Befangenheit zur Last zu legen war.

Keine Vorschrift gebietet ausdrücklich, daß die Erlassung der Verordnung gemäß §4 BStG 1971 erst erfolgen darf, wenn die vierwöchige Auflagefrist für das Protokoll über die öffentliche Erörterung (gemäß §24f UVP-G 2000) abgelaufen ist.

[Vgl auch V73/01, E v 26.06.02: Abweisung des Antrags der Wiener Umweltanwaltschaft auf Aufhebung der TrassenV, Bundesgesetzblatt Teil 2, 352 aus 2000,.

Die Antragslegitimation nach §24 Abs11 in Verbindung mit §19 Abs3 UVP-G setzt voraus, daß der Gegenstand der angefochtenen Verordnung in den sachlichen und örtlichen Wirkungsbereich einer Umweltanwaltschaft fällt. Da die Wiener Umweltanwaltschaft gemäß §1 in Verbindung mit §3 Abs1 Wr UmweltschutzG, Landesgesetzblatt 25 aus 1993, in der Fassung Landesgesetzblatt 15 aus 2001,, zur Wahrung und Wahrnehmung der Interessen des Umweltschutzes betreffend Wien gesetzlich eingerichtet und berufen ist, die angefochtene Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, 352 aus 2000, die Trasse der B 301 Wiener Südrand Straße aber zumindest teilweise auf Wiener Landesgebiet festlegt, erweist sich der Antrag der Wiener Umweltanwaltschaft als zulässig. Da die verordnete Trasse sowohl normativ als auch der Sache nach eine Einheit bildet, ist die Anfechtung der Verordnung zur Gänze zulässig.

Das für die angefochtene Trassenverordnung maßgebliche Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beruht auf einer im Ergebnis ausreichenden Gesamtschau (§24c Abs5 Z1 UVP-G 2000).

Allfällige Unzulänglichkeiten vermögen die Gesetzmäßigkeit der Trassenverordnung nicht zu beeinträchtigen, zumal sämtliche Teilgutachter - auch aus den Teilbereichen "Ökologie und Naturschutz mit Wildbiologie, Amphibien, Gewässerökologie/Fischerei" - dem Straßenbauvorhaben die Umweltverträglichkeit unter der Voraussetzung bestätigen, daß die aufgelisteten Begleitmaßnahmen berücksichtigt und umgesetzt werden.

Auch über den Flächenbedarf und die Beanspruchung landwirtschaftlich genutzter Flächen während der Bauphase finden sich diesbezügliche Ausführungen in der Umweltverträglichkeitserklärung.

Die dokumentierten Wirtschaftlichkeitsüberlegungen reichen aus, um die gemäß §4 Abs1 BStG 1971 gebotene Bedachtnahme auf die Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens sicherzustellen.]