Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

30.06.2004

Geschäftszahl

G218/03

Sammlungsnummer

17264

Leitsatz

Zulässigkeit eines Drittelantrags von Landtagsabgeordneten auf Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen der Wiener Gemeindewahlordnung betreffend das Wahlrecht von Nichtösterreichern zu den Bezirksvertretungen wegen Verletzung des wahlrechtlichen Homogenitätsprinzips der Bundesverfassung; Bezirksvertretungen als Bestandteil des demokratischen Grundprinzips; Bestellung daher österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern vorbehalten

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags eines Drittels der Abgeordneten zum Wiener Landtag auf Aufhebung der Bestimmungen des "Ausländerwahlrechts" zu den Bezirksvertretungen.

Verfassungswidrigkeit des §16 Abs2 Z2 und des §19a Abs1 Z3 Wr GemeindewahlO 1996, LGBl 16, in der Fassung Landesgesetzblatt 22 aus 2003,.

Verletzung des "wahlrechtlichen Homogenitätsprinzips der österreichischen Bundesverfassung"; in Grundzügen einheitliches Wahlrecht zu allen Vertretungskörpern vom Verfassungsgesetzgeber intendiert; Erfordernis der österreichischen Staatsbürgerschaft (siehe Art26, Art95, Art117 Abs2).

Die Ermächtigung des Wahlordnungsgesetzgebers, die Bedingungen des Wahlrechts allenfalls weiter zu ziehen, ändert daran nichts.

Den Bestimmungen der Art26, 95 und 117 B-VG vergleichbare bundesverfassungsgesetzliche Vorschriften für das Wahlrecht zu den landesgesetzlich geregelten Bezirksvertretungen in Wien bestehen nicht.

Landesgesetzlich eingerichtete Bezirksvertretungen in Wien (siehe insbes §61 ff, §66 f, §103 ff Wr Stadtverfassung) als allgemeine Vertretungskörper im Sinne der Bundesverfassung (siehe hiezu auch die im Erkenntnis ausführlich zitierte Rechtsprechung und Literatur):

Das Wesen "allgemeiner Vertretungskörper" iSd B-VG liegt darin, dass sie durch Gesetz eingerichtet sind und nicht die Interessen bestimmter, etwa nach Stand, Beruf oder Bekenntnis gleichartiger Personen, sondern die Interessen aller innerhalb eines bestimmten Gebietes lebenden Menschen vertreten (VfSlg 1921/Anh.10, 1956/Anh.3; 3193/1957). In diesem Sinne sind sie "Repräsentationsorgane der Gebietskörperschaften".

Auch im Anhang zu Art2 Abs1 der Kommunalwahlrichtlinie 94/80/EG, geändert durch RL 96/30/EG, in Verbindung mit Art19 EG) ist man davon ausgegangen, dass in der Stadt Wien die Bezirke die unterste Stufe der politischen und administrativen Organisation bilden und die Bezirksvertretungen die dafür vorgesehenen Repräsentationsorgane sind.

Der in Art1 B-VG verwendete Begriff des Volkes knüpft - wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg 12023/1989 im Zusammenhang mit dem Begriff des Bundesvolkes iSd Art26 B-VG dargetan hat - an die österreichische Staatsbürgerschaft an.

Die Tätigkeit der allgemeinen Vertretungskörper - wozu nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch die Bezirksvertretungen in Wien zählen - fällt - was sich schon aus ihrer Funktion als "Repräsentationsorgane der Gebietskörperschaften" ergibt - jedenfalls unter Art1 B-VG. Im Hinblick darauf ist aber die Bestellung der Bezirksvertretungen in Wien von Verfassungs wegen den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern im jeweiligen Bezirk vorbehalten.