Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

11.10.2006

Geschäftszahl

G138/05 ua, V97/05 ua

Sammlungsnummer

17967

Leitsatz

Verstoß einer Bestimmung des Emissionszertifikategesetzes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems durch Einrichtung einer funktionell und organisatorisch gemischten Rechtsquelle zwischen innerstaatlichem und Gemeinschaftsrecht; Aufteilung der Zertifikate gemäß den Vorgaben des Nationalen Zuteilungsplanes, der Zuteilungsverordnung und der Zuteilungsbescheide; abweichende Vorgaben durch die Europäische Kommission zulässig und vorrangig; keine Kontrolle dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts; kein demokratischer Erzeugungszusammenhang; Gesetzwidrigkeit auch der Zuteilungsverordnung nach Wegfall der innerstaatlichen gesetzlichen Grundlage

Rechtssatz

Zulässigkeit des Verfahrens zur Prüfung des gesamten §13 Abs4 EmissionszertifikateG (EZG); untrennbarer Zusammenhang auch des dritten Satzes dieser Bestimmung.

Die sich aus der Bindungswirkung des nationalen Zuteilungsplans ergebenden Bedenken beziehen sich nicht nur auf die Zuteilungsverordnung nach dem ersten Satz des §13 Abs4, sondern auch auf die nach dem letzten Satz dieser Bestimmung zu erlassenden - und in den Anlassfällen auch erlassenen - Zuteilungsbescheide.

Innerstaatliche Rechtsverbindlichkeit des Nationalen Zuteilungsplanes 2005-2007.

Schon die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sind dahin zu verstehen, dass das durch die Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG (EH-RL) vorgezeichnete System des Emissionszertifikatehandels den nationalen Zuteilungsplan als Rechtsgrundlage für die Verteilung der Gesamtmenge von Emissionszertifikaten auf die Mitgliedstaaten sowie weiter die Verteilung von Einzelmengen auf die einzelnen Anlagenbetreiber benutzt. Die Europäische Kommission kann durch die ex ante-Prüfung des ihr vorzulegenden nationalen Zuteilungsplans eine der EH-RL widersprechende Zuteilung von Emissionszertifikaten von vornherein verhindern. Allerdings überlässt das Gemeinschaftsrecht, speziell die EH-RL, die Auswahl der rechtstechnischen Mittel zur Umsetzung des von der Europäischen Kommission nicht abgelehnten oder im Fall der Ablehnung entsprechend abgeänderten nationalen Zuteilungsplans dem betreffenden Mitgliedstaat, sodass auch die innerstaatliche Rechtsform des nationalen Zuteilungsplans jeweils Sache des einzelnen Mitgliedstaates ist.

§13 Abs4 EZG sieht normative Wirkungen in Gestalt einer Mehrzahl aufeinander aufbauender Hoheitsakte vor. Dabei wird dem innerstaatlich erstellten Zuteilungsplan gemeinsam mit möglicherweise von diesem abweichenden oder zu den nationalen Festlegungen hinzutretenden Kommissionsvorgaben die entscheidende rechtliche Stellung eingeräumt.

Wenn die Zuteilungsverordnung zu ihrer Rechtmäßigkeit ein bestimmtes Maß an inhaltlicher Entsprechung mit dem nationalen Zuteilungsplan (und allenfalls mit den "Vorgaben" der Kommission) bedarf, so wird damit nichts anderes als die rechtsverbindliche inhaltliche Determinierung der Zuteilungsverordnung bzw der Zuteilungsbescheide im Wege des nationalen Zuteilungsplans und somit dessen normative Kraft zum Ausdruck gebracht.

Verbindlichkeit des Zuteilungsplanes trotz mangelnden Rechtsanspruchs auf bestimmte Zuteilungen iSd §13 EZG.

Mag auch der Anspruch auf Zuteilung für die Anlageninhaber (noch) nicht im nationalen Zuteilungsplan verankert sein, sondern erst in der Zuteilungsverordnung und den Zuteilungsbescheiden, so bildet doch die gesetzlich gebotene "Entsprechung", also die rechtsverbindliche Umsetzung des nationalen Zuteilungsplans samt Vorgaben der Europäischen Kommission eine Voraussetzung für dessen Rechtmäßigkeit.

Siehe auch Art11 Abs1 EH-RL betreffend die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erlassung des nationalen Zuteilungsplanes in einer verbindlichen Rechtsform; keine bestimmte Rechtsform vorgeschrieben.

Durch §13 Abs4 zweiter Satz EZG wird kraft Anordnung des österreichischen Gesetzgebers der nationale Zuteilungsplan - allenfalls abgeändert oder ergänzt durch davon abweichende Vorgaben der Europäischen Kommission - zur wesentlichen inhaltlichen Determinante der Zuteilungsakte, ohne dass der Gesetzgeber eine der verbindlichen Wirkung entsprechende Rechtsform für den nationalen Zuteilungsplan vorgesehen hätte, die einem Rechtsformentyp des österreichischen Rechtsquellensystems entspricht.

Zuteilungsplan keine gemeinschaftsrechtliche Rechtsquelle.

Der Umstand, dass die Europäische Kommission den nationalen Zuteilungsplan auf seine Übereinstimmung mit den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungsgründen zu kontrollieren, also Fälle von Überallokation aufzugreifen und die Vereinbarkeit mit den weiteren im Anhang römisch III der EH-RL genannten Kriterien und dem nationalen Emissionsreduktionsziel zu überprüfen hat, kann nicht die Qualifikation des nationalen Zuteilungsplans als gemeinschaftsrechtlicher Akt bewirken. Erst wenn die Europäische Kommission aufgrund ihrer eben geschilderten Aufgabe einzelne Bestimmungen des ihr vorgelegten nationalen Zuteilungsplans ablehnt, werden die von der Europäischen Kommission in der Begründung ihrer Ablehnung vorgetragenen gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen zu einem im Verhältnis zum nationalen Zuteilungsplan vorrangigen Faktor. Diese begründeten Überlegungen der Europäischen Kommission gelten als vom nationalen Zuteilungsplan abweichende Vorgaben im Sinne des §13 Abs4 EZG, die beim innerstaatlichen Zuteilungsakt, sei es die Zuteilungsverordnung, seien es die Zuteilungsbescheide, zu vollziehen sind.

Wenn sohin auch der nationale Zuteilungsplan keine gemeinschaftsrechtliche Rechtsquelle darstellt, sondern eine solche des nationalen Rechts bildet, besitzen die von der Europäischen Kommission in Ausübung ihrer Kontrolltätigkeit geäußerten Vorgaben (die im Ergebnis den nationalen Zuteilungsplan abändern lassen oder darin zum Ausdruck gelangende problematische Entscheidungen des nationalen Zuteilungsplans aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen korrigieren) ihren Ursprung im Gemeinschaftsrecht.

Kein Bezug des Art9 Abs2 B-VG zum europäischen Gemeinschaftsrecht;

Übertragung von Rechtsetzungs- bzw Mitwirkungsbefugnissen bei der mitgliedschaftlichen Rechtsetzung aufgrund des EU-BeitrittsBVG;

Grundsatz der doppelten Bedingtheit von gemeinschaftsrechtsausführenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften;

Geltung dieses Grundsatzes auch für Zuteilungsplan, Zuteilungsverordnung, Zuteilungsbescheide.

Wenn der gemäß §13 Abs4 EZG die Rechtsgrundlage für die verbindliche Zuteilung bildende Rechtsakt der nationale Zuteilungsplan in seiner durch die abweichenden Vorgaben der Europäischen Kommission geprägten Gestalt ist, so handelt es sich um einen "gemischten" Akt sowohl was den oder die Rechtsetzer anbelangt als auch die Rechtsgrundlagen (nationales und Gemeinschaftsrecht) betrifft.

Die dargestellte, gemeinschaftsrechtlich keineswegs notwendige Mischform verstößt gegen die - relative - Geschlossenheit des österreichischen verfassungsrechtlichen Rechtsquellensystems. Ein Rechtsquellentypus, der unter Beteiligung eines gemeinschaftsrechtlichen Organs, nämlich der Europäischen Kommission, zustande kommt, lässt sich nicht als Verordnung im Sinne des Art18 Abs2 in Verbindung mit Art139 B-VG verstehen: Es ist schlechthin ausgeschlossen, die den Plan abändernden Vorgaben der Europäischen Kommission der Rechtskontrolle durch den Verfassungsgerichtshof zu unterwerfen. Ein effektiver gerichtsförmiger Schutz des von einer nationalen Zuteilungsentscheidung im Wege eines Zuteilungsbescheides betroffenen Anlageninhabers scheidet damit aus.

§13 Abs4 EZG verstößt in seinem zweiten Satz mit der Einrichtung einer funktionell und organisatorisch gemischten Rechtsquelle gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Geschlossenheit des Rechtsquellensystems. Danach ist für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit neuer Rechtsquellen vorausgesetzt, dass diese nicht nur in einem demokratischen Erzeugungszusammenhang stehen, also von demokratisch gewählten oder zumindest verantwortlichen Organen geschaffen werden, sondern dass sie darüber hinaus der rechtsstaatlich gebotenen Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht entbehren. Diese Kontrolle findet beim nationalen Zuteilungsplan in seiner durch die Vorgaben der Europäischen Kommission korrigierten Gestalt nicht statt. Da sich dieser verfassungsrechtliche Mangel auf die zur Durchsetzung des nationalen Zuteilungsplans vorgesehene Zuteilungsverordnung und auf die Zuteilungsbescheide erstreckt, sind auch der erste und letzte Satz des §13 Abs4 EZG mit derselben Verfassungswidrigkeit behaftet.

§13 Abs4 EZG war daher insgesamt als verfassungswidrig aufzuheben.

Wegfall der gesetzlichen Grundlage der ZuteilungsV Bundesgesetzblatt Teil 2, 18 aus 2005, über die Zuteilung von Emissionszertifikaten und die Handhabung der Reserve nach Aufhebung des §13 Abs4 EZG; keine andere gesetzliche Deckung, zB durch §11 EZG.

Aufhebung der gesamten Verordnung iSd Art139 Abs3 zweiter Satz lita

B-VG.

Anlassfälle B327/05 ua, E v 01.03.07, Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

Quasianlassfälle: B405/05 ua, B408/05, uvm, alle E v 14.03.07; weiters B347/05 ua, B380/05 ua, E v 15.03.07: Zuspruch des mit € 1.800,-- pauschaliert bemessenen (einfachen) Beschwerdeaufwands an die beschwerdeführende Partei, da die Einbringung einer gemeinsamen Beschwerde sowohl in zeitlicher als auch in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht möglich gewesen wäre.