Entscheidende Behörde

Bundesvergabeamt

Entscheidungsdatum

23.08.1995

Geschäftszahl

N-8/95-22

Text

BESCHEID:

Der Senat 5 des Bundesvergabeamtes hat durch seinen Vorsitzenden Senatspräsident des OGH Dr. Horst Schlosser und die Beisitzer Mag. Michael Fruhmann als Mitglied der Auftraggeberseite und Mag. Alexander Piekniczek als Mitglied der Auftragnehmerseite über

römisch eins. den am 28. Juli 1995 eingebrachten Antrag der römisch 30 Gesellschaft m.b.H.,*** , vertreten durch ***, auf Nichtigerklärung der vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit Schreiben Zl. 34-87.3/95 vom 7. Juli 1995 der Antragstellerin am 11. Juli 1995 mitgeteilten Entscheidung betreffend den beabsichtigten Abschluß eines Vertrages über die Voraussetzungen und das Entgelt für die Erbringung von Lufttransportleistungen für Versicherte ohne vorangegangenes Vergabeverfahren und römisch II. die am 18. August 1995 eingebrachten Anträge des Auftraggebers Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, Kundmanngasse 21, 1031 Wien, vertreten durch ***, auf

  1. Ziffer eins
    Zurückweisung des Antrages der Antragstellerin wegen Unzuständigkeit des Bundesvergabeamtes;
  2. Ziffer 2
    in eventu Abweisung des Antrages der Antragstellerin;
  3. Ziffer 3
    Einstellung des Nachprüfungsverfahrens N-8/95;
  4. Ziffer 4
    Aufhebung der mit Bescheid des Bundesvergabeamtes Zl. N- 8/95-4 vom 31. Juli 1995 erlassenen einstweiligen Verfügung;
  5. Ziffer 5
    in eventu Einschränkung der o.a. einstweiligen Verfügung auf schriftliche Verträge
wie folgt entschieden:

Spruch:

  1. Ziffer eins
    Der unter römisch II.1. genannte Antrag des Auftraggebers wird abgewiesen.
  2. Ziffer 2
    Der unter römisch II.2. genannte Antrag des Auftraggebers wird abgewiesen.
  3. Ziffer 3
    Der unter römisch II.3. genannte Antrag des Auftraggebers wird abgewiesen.
  4. Ziffer 4
    Dem unter römisch eins. genannten Antrag der Antragstellerin auf Nichtigerklärung der vom Auftraggeber mit Schreiben Zl. 34- 87.3/95 vom 7. Juli 1995 der Antragstellerin mitgeteilten Entscheidung betreffend den beabsichtigten Abschluß eines Vertrages über die Voraussetzungen und das Entgelt für die Erbringung von Lufttransportleistungen für Versicherte ohne vorangegangenes Vergabeverfahren wird stattgegeben.
  5. Ziffer 5
    Die unter römisch II.4. und römisch II.5. genannten Anträge des Auftraggebers werden zurückgewiesen.

Begründung:

  1. Ziffer eins
    Zur Rechtzeitigkeit des Antrages:
    Beilage ./M des Antrages ist der erste Anhaltspunkt nach Ablauf der Geltung des Vertrages zwischen Hauptverband und Bundesminister für Inneres, daß kein formales Vergabeverfahren durchgeführt werden soll. Das Vertreten eines Standpunktes gegenüber Dritten setzt, nach allgemeiner Lebenserfahrung, die Fällung einer Entscheidung - auch über Vorfragen - voraus. Aus diesem Schreiben und eindeutig aus dem Schreiben an die Bundes-Vergabekontrollkommission geht hervor, daß kein Vergabeverfahren im Sinne eines Wettbewerbes durchgeführt werden soll.
Diese Entscheidung des Auftraggebers ist der Antragstellerin am 11. Juli 1995 bekannt geworden.
  1. Ziffer 2
    Zur Qualifizierung der Dienstleistung:
Ausgangspunkt ist der Vertrag vom 19. November 1991 zwischen dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und der Republik Österreich, vertreten durch den Bundesminister für Inneres.
Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, dieses Vertrages werden Flugtransporte wie
folgt definiert:
"Als Flugtransporte im Sinne des Vertrages gelten:
  1. Litera a
    Transporte Versicherter vom Notfallort zur nächsten geeigneten Krankenanstalt, die von einem Hubschrauber angeflogen werden kann,
  2. Litera b
    Transporte Versicherter vom Notfallort zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe,
  3. Litera c
    Transporte von bereits in einer Krankenanstalt versorgten Versicherten in eine andere Krankenanstalt mit nachfolgender stationärer Aufnahme."
Gemäß der Verordnung 3696/93/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 betreffend die statistische Güterklassifikation in Verbindung mit den Wirtschaftszweigen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelten als Dienstleistung der CPC-Referenz-Nr. 73 (Kategorie 3 des Anhanges römisch eins A) Leistungen in der Personenbeförderung im Gelegenheitsflugverkehr. Eine Spezifizierung erfolgt nicht, weshalb grundsätzlich von einem umfassenden Dienstleistungsbegriff in diesem Zusammenhang auszugehen ist. Demgegenüber umfaßt die entsprechende Dienstleistung der Kategorie 25 des Anhanges römisch eins B (CPC-Referenz-Nr. 93) Dienstleistungen beim Krankentransport und Rettungsdienst. Aus dem systematischen Zusammenhang läßt sich erschließen, daß in diesem Zusammenhang lediglich die medizinische Dienstleistung während des Transportes selbst darunter fällt, da auch die restlichen Dienstleistungen des Gesundheitswesens vergleiche etwa Dienstleistungen von Hebammen, CPC Ref. Nr. 931 d; von medizinischen Laboratorien erbrachte Dienstleistungen, CPC Ref. Nr. 93199.1) nur medizinische Dienstleistungen (also der Ärzte und des ärztlichen Hilfspersonals) erfassen.
Die in Rede stehenden Dienstleistungen vergleiche Artikel 3, des Vertrages) sind somit als prioritäre Dienstleistungen des Anhanges römisch eins A der Dienstleistungsrichtlinie zu qualifizieren. Gemäß Artikel 8, der Richtlinie gelten für derartige Dienstleistungen die Abschnitte römisch III und römisch IV der Richtlinie (sohin alle Bestimmungen).
  1. Ziffer 3
    Anzuwendende Rechtsnormen:
Die auf dem Gebiet der öffentlichen Auftragsvergabe erlassenen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft sollen die Vereinheitlichung der nationalen Verfahrensregeln sicherstellen, damit sich in dem für den Binnenmarkt relevanten Teil des öffentlichen Auftragswesens jeder Bieter in gleicher Weise wie nationale oder lokale Bieter an Vergabeverfahren beteiligen können und die Vergabe von öffentlichen Aufträgen nach rationalen Regeln in einer Weise erfolgt, die Bieter nicht benachteiligt. Diesem Ziel der Richtlinien, die Durchführung eines echten Wettbewerbes im Vergabebereich sicherzustellen, dienen die Publizitätsregeln der Richtlinien in besonderem Maße. Die Veröffentlichung von Vorinformationen und Bekanntmachungen über Ausschreibungen von öffentlichen Auftraggebern stellen nämlich sicher, daß interessierte Unternehmer des Mitgliedstaates und auf Gemeinschaftsebene ausreichende Kenntnis von dem Vergabeverfahren als solchem, von den zu erbringenden Leistungen und von den damit verbundenen Bedingungen erhalten. Erst diese Informationen ermöglichen es ihnen zu entscheiden, ob ein bestimmtes Vergabeverfahren für sie von Interesse ist oder nicht vergleiche Rs 31/87, Beentjes, Slg 1988, 4635, 4658 Rz 22). Ausnahmen von diesen Publizitätsregeln bestehen nur in bestimmten Sonderfällen vergleiche etwa Artikel 11, Absatz 3, der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, im folgenden:
Dienstleistungsrichtlinie). Als Ausnahmen von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der durch den EG-Vertrag (EGV) im Bereich der öffentlichen Aufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, sind diese Bestimmungen jedoch "eng auszulegen und der Beweis dafür, daß die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, obliegt demjenigen, der sich auf sie berufen will" (EuGH Rs 199/85, Kommission gegen Italien, Slg 1987, 1039, 1059; Rs C-71/92, Kommission gegen Spanien, Urteil vom 17. 11. 1993, Rz 36; zuletzt Rs C-57/94, Kommission gegen Italienische Republik, Urteil vom 18. 5. 1995). Derartige Beweise wurden vom Auftraggeber nicht angeboten.

3.1. Primäres Gemeinschaftsrecht:

Man kann daher von dem das öffentliche Auftragswesen prägenden Prinzip der Transparenz, das eine öffentliche Ausschreibung erfordert, ausgehen. Die Transparenz des Vergabeverfahrens soll aber auch allfällige Diskriminierungen hintanhalten, indem nämlich der Zugang zu Informationen gemeinschaftsweit in gleichem Maße gesichert werden soll. Die Bestimmungen der Richtlinien über regelmäßige Bekanntmachungen bzw. Vorinformation vergleiche etwa Artikel 15, Absatz eins, in Verbindung mit Artikel 17, Absatz eins und Anhang römisch III A der Dienstleistungsrichtlinie) sind daher auch als Ausformulierung des allgemeinen Diskriminierungsverbotes, wie in Artikel 6, EGV festgelegt, anzusehen vergleiche in diesem Zusammenhang auch die ausdrücklichen Anordnungen in Artikel 3, Absatz 2 und Artikel 27, Absatz 4, der Dienstleistungsrichtlinie). Artikel 6, EGV untersagt jede Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit und erstreckt sich auf alle Formen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierungen, die in ihrer tatsächlichen Wirkung zu einer Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen aus anderen Mitgliedstaaten führen vergleiche EuGH Rs 152/73, Sotgiu, Slg 1974, 153, 164 und Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Artikel 6, EGV, Rz 15ff). Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist Artikel 6, EGV immer dann betroffen, wenn es um Verfahren geht, an denen Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten beteiligt waren. Der Schutzbereich des Artikel 6, EGV ist aber auch dann berührt, wenn es sich um Verfahren handelt, an denen sich Gemeinschaftsunternehmen beteiligen hätten können, falls eine korrekte Vorgangsweise (in concreto: Ausschreibung der Dienstleistung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften) gewählt worden wäre. Ein Ausschluß von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten vom Vergabeverfahren als Ergebnis eines Verstoßes von Grundsätzen des Vergaberechtes (Wettbewerb, Transparenz und Publizität) ist daher eine unzulässige Diskriminierung im Sinne des Artikel 6,

EGV.

Darüber hinaus verwirklichen auch die Bestimmungen der Artikel 52 f, f, EGV (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit) für die von ihnen betroffenen Bereiche das Diskriminierungsverbot des Artikel 6, EGV vergleiche EuGH Rs 63/86, Kommission gegen Italien, Slg 1988, 29, 52). Insbesondere (aber nicht nur) die Dienstleistungsfreiheit ist im gegenständlichen Fall von Relevanz. Sie bezieht sich auf die zeitlich beschränkte und ohne feste Niederlassung im Empfängerstaat ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit. Vom Grundsatz der Gleichbehandlung erfaßt und daher verboten sind offene Diskriminierungen aber auch Maßnahmen (oder nationale Rechtsvorschriften), die in ihrer tatsächlichen Auswirkung (ihrem Anwendungsbereich) allein Ausländer treffen. Wie bereits oben dargelegt wurde, führt die Verletzung der Publikationsvorschriften, die einen gemeinschaftsweiten Wettbewerb sichern sollen, zu einer Diskriminierung von Gemeinschaftsunternehmen, da diese durch die mangelnde Information vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Nach Ablauf der Übergangszeit am 31. Dezember 1969 wurden Artikel 52 und 59 EGV unmittelbar anwendbar vergleiche Rs 41/74, Van Duyn, Slg 1974, 1337, 1347). Dies bedeutet, daß Unternehmer der Mitgliedstaaten das Recht zur Erbringung von Dienstleistungen gegenüber den Mitgliedstaaten (nationalen Behörden, Gerichten), in denen sie eine Dienstleistung erbringen wollen, selber unmittelbar geltend machen können und sich vor allen staatlichen Behörden/Gerichten auf diese Bestimmungen des Vertrages berufen können. Diese sind daher auch verpflichtet, diese Bestimmungen zu beachten und ihren Entscheidungen zugrunde zu legen.

Anzumerken ist auch, daß die Bestimmungen über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zu ihren eigenen Staatsangehörigkeiten gelten (siehe Grabitz/Hilf, aaO, Artikel 59, Rz 21 mwN).

Aus dem oben Gesagten folgt, daß durch das Unterbleiben einer Publikation im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften eine unzulässige Diskriminierung von Gemeinschaftsunternehmen (und Unternehmen aus Österreich) stattfand. Durch die Entscheidung des Auftraggebers zur Durchführung eines Vergabeverfahrens nur mit einem österreichischen Unternehmen (Bundesministerium für Inneres) ohne vorherige Bekanntmachung des Vergabeverfahrens wurden nämlich alle anderen potentiellen Mitbewerber (Gemeinschaftsunternehmen und österreichische Unternehmen) von der Teilnahme am Vergabeverfahren betreffend Transportleistungen ausgeschlossen. Diese Bestimmungen des primären Gemeinschaftsrechts gehen österreichischen Rechtsvorschriften in jedem Fall vor vergleiche insb das Urteil des EuGH in der Rs 6/64 Costa/E.N.F.L., Slg 1964, Sitzung 1141ff). Das Bundesvergabeamt hat daher diesen Verstoß gegen unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht bereits aus diesem Grund zu beseitigen, ohne daß eine allfällige unmittelbare Wirkung von fehlerhaft oder nicht umgesetzten Richtlinien zu prüfen wäre.

3.2. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien:

Unabhängig von den Ausführungen unter Punkt 3.1. kann die Entscheidung auch auf folgende Überlegungen gestützt werden:

Nach ständiger Judikatur des EuGH kann sich ein Gemeinschaftsbürger auf unbedingte und hinreichend genau bestimmte Regelungen einer Richtlinie, die nicht zeitgerecht oder nicht richtig umgesetzt wurde, unmittelbar berufen vergleiche dazu ua Rs 14/83, von Colson/Kamann, Slg 1984, 1891; Rs 8/81, Becker, Slg 1982, 53, 71; Rs 152/84, Marshall, Slg 1986, 723; Rs 188/89, Foster, Slg 1990, 3313; siehe dazu auch Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Artikel 189, Rz 60ff; Fischer, Europarecht in der öffentlichen Verwaltung 1994, 88ff). Eine Richtlinie ist dann bedingt, wenn sie den Mitgliedstaaten einen Entscheidungsspielraum hinsichtlich des Setzens von Rechtsfolgen eröffnet vergleiche Rs C-6 und 9/90, Francovich, Slg 1991, I-5357 mwN). Besteht ein Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Mittel, ist jedoch aber das Ziel einer Richtlinie hinreichend deutlich, so ist sie hinsichtlich desselben unbedingt. Das von der Judikatur statuierte Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit bezieht sich auf den sachlichen Regelungsgegenstand und den erfaßten Personenkreis. Durch die in Artikel 15, der Dienstleistungsrichtlinie normierte Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber (der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist jedenfalls ein solcher) zur Bekanntmachung (sowohl der Vorinformation gem. Absatz eins, als auch der Bekanntmachung gem. Absatz 2,) werden gleichzeitig Rechte der potentiellen Bieter auf Publizität der Verfahren begründet. Dieses Informationsrecht der Unternehmer ist unbestreitbar so hinreichend deutlich und unbedingt formuliert, daß es als unmittelbar anwendbar gilt.

Wie der EuGH bereits im Urteil vom 10. Februar 1982 in der Rs 76/81, Transporoute (Slg 1982, 417) zu Artikel 29, der Richtlinie 71/305/EWG festgestellt hat, sollen die Vorschriften der Richtlinie über die Teilnahme und die Publizität den Bieter vor der Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen. Zu diesem Zweck legen die Richtlinien Anforderungen betreffend die Veröffentlichungen fest. Da die Erfüllung dieser Anforderungen keine besonderen Ausführungsmaßnahmen erfordert, sind die sich daraus für die Mitgliedstaaten ergebenden Verpflichtungen hinreichend genau und unbedingt vergleiche zu dieser Argumentation Rs Beentjes aaO Rz 42ff). Wie aus dem Sitzungsbericht zur Rs Beentjes hervorgeht (Vortrag der Italienischen Regierung zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit der Artikel 20,, 26 und 29 der oz Richtlinie), teilt offensichtlich auch der EuGH die Ansicht, daß die Bedeutung der Bestimmungen der Richtlinie 71/305/EWG über diejenige einer bloßen Harmonisierung von Rechtsvorschriften hinausgehe. Dadurch, daß diese Bestimmungen den Ermessensspielraum bei den Entscheidungen über die Teilnahme an Ausschreibungen einschränken und deren Transparenz gewährleisten, zielen sie darauf ab, den Wirtschaftsteilnehmern der Gemeinschaft gleichen Zugang zu den entsprechenden Tätigkeiten zu sichern und damit offene oder verdeckte Diskriminierungen auszuschließen. Deshalb sei die unmittelbare Anwendbarkeit für den Fall zu bejahen, daß sich ein einzelner auf die Bestimmungen der Richtlinie 71/305/EWG berufe, um sein Recht auf Teilnahme an der Ausschreibung zu wahren.

Wie sich auch aus der Rs 199/85, Kommission gegen Italien, Slg 1987, 1039, ableiten läßt, gehen sowohl die Kommission als auch der EuGH von der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikel 9, der Richtlinie 71/305/EWG aus, da lediglich die Begründetheit der Ausnahmebestimmungen, auf die sich die Beklagte stützte, geprüft wurde, hingegen von der Verpflichtung zur Bekanntmachung als offenbar unbedingte und hinreichend bestimmte Regel ausgegangen wurde.

Erst kürzlich wurde vom EuGH wieder bestätigt, daß die Pflicht zur Bekanntmachung eine unbedingte ist. In der Rs C-79/94, Kommission gegen Griechische Republik, Urteil vom 4. Mai 1995, wurde Griechenland verurteilt, gegen Artikel 9, der Richtlinie 77/62/EWG in der Fassung der Richtlinie 88/295/EWG (Bekanntmachungspflicht bei Abschluß eines Rahmenvertrages über Lieferungen) verstoßen zu haben, da die entsprechende Bekanntmachung nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurde. Diese Richtlinie wurde, soweit ersichtlich, von Griechenland noch nicht umgesetzt, obwohl die Umsetzungsfrist bereits seit 1. März 1992 verstrichen ist vergleiche dazu den Bericht der Europäischen Kommission über nationale Umsetzungsmaßnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens vom 30. April 1994). Unabhängig davon hat der EuGH bereits festgestellt, daß die Vergaberichtlinien nicht ausdrücklich den Grundsatz der Gleichbehandlung der Anbieter erwähnen, doch folge die Pflicht zur Beachtung dieses Grundsatzes aus dem Wesen der Richtlinie (Rs C-243/89, Storebaelt, Rz 32 ff; hinsichtlich besonderer Zuschlagsbedingungen vergleiche Rs 31/87, Beentjes, Slg 1988, 4635, 4659 Rz 30).

Die im wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie über "Gemeinsame Bekanntmachungsvorschriften" ist daher als unmittelbar anwendbar zu qualifizieren. Es sei nur abschließend darauf hingewiesen, daß es kein entscheidendes Argument gegen die unmittelbare Wirkung darstellt, daß eine Richtlinie die Festlegung vieler wichtiger Punkte zur Durchführung einer Maßnahme den Mitgliedstaaten überläßt vergleiche Schlußantrag von Generalanwalt Gulmann in der Rechtssache C-396/92, Bund Naturschutz in Bayern, Sammlung 1994, I-3735 f).

  1. Ziffer 4
    Zur Anwendbarkeit des BVergG:
    Da es sich um eine Dienstleistung des Anhanges römisch eins A der Richtlinie handelt, gelten alle Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere auch die Publikationsvorschriften (vorherige Vergabebekanntmachung). Nach der Judikatur des EuGH sind diese Vorschriften - wie schon weiter oben ausgeführt wurde - hinreichend bestimmt und unbedingt und somit unmittelbar anwendbar.
  2. Ziffer 5
    Zur Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes:
    Das Bundesvergabeamt ist unstreitigermaßen als Gericht im Sinne des Artikel 177, EGV zu qualifizieren (zum Gerichtsbegriff vergleiche Grabitz/Hilf, aaO, Artikel 177, EGV; Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177, EG-Vertrag, 2. Auflage, 1995, 84 ff). Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden haben, die volle Wirkung dieser Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen verleiht vergleiche Rs C-6 und 9/90, Francovich, Slg 1991, I-5357 Rz 32 mwN und Rs 222/84, Johnston, Slg 1986, 1651). Der Begriff "im Rahmen ihrer Zuständigkeit" ist nicht so zu verstehen, daß diese Zuständigkeit durch das nationale Recht exakt festgelegt sein muß. Wäre dies nämlich der Fall, so wäre die Bestimmung des Gemeinschaftsrechtes bereits richtig umgesetzt. In diesem Fall wäre auch die Judikatur des EuGH zur Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit nicht erforderlich. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß der Begriff "im Rahmen ihrer Zuständigkeit" die Zuständigkeit jener Gerichte meint, deren national bereits festgelegte Zuständigkeit der gefragten "am nächsten kommt" (sowohl in sachlicher wie auch in örtlicher Hinsicht). Durch das Gemeinschaftsrecht werden diese Gerichte nunmehr verpflichtet, weitere, im nationalen Recht nicht festgelegte Zuständigkeiten wahrzunehmen (d.h. das Gemeinschaftsrecht begründet insofern innerstaatliche Gerichtszuständigkeiten).
Das Bundesvergabeamt wurde als unabhängige Nachprüfungsinstanz im Sinne der Richtlinie 89/665/EWG zur Überprüfung von Entscheidungen in Vergabeverfahren eingerichtet (siehe die Erläuterungen zum 4. Teil des BVergG, 972 BlgNR römisch XVIII. GP; weiters Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl 1993, 373 f). Artikel 41, der Richtlinie 92/50/EWG erweitert den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/665/EWG auch auf Dienstleistungsaufträge. Somit hat das Bundesvergabeamt, das zur Entscheidung in Angelegenheiten der öffentlichen Auftragsvergabe für die in Paragraph 6, BVergG, Bundesgesetzblatt Nr. 462 aus 1993,, genannten öffentlichen Auftraggeber - also auch für Auftragsvergaben durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, vergleiche Paragraph 6, Absatz eins, Ziffer 4, leg.cit - berufen ist und dessen örtliche Zuständigkeit sich auf das gesamte Gebiet der Republik Österreich erstreckt; auch seine Zuständigkeit im Bereich der Auftragsvergabe von Dienstleistungen wahrzunehmen. Das Bundesvergabeamt ist daher verpflichtet, unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht anzuwenden, um dessen volle Wirksamkeit zu gewährleisten und dem einzelnen verliehene Rechte zu schützen. Da es sich um unmittelbar anwendbares Recht der EG handelt, kann die Beurteilung der Zuständigkeitsfrage nicht nach dem BVergG erfolgen.
  1. Ziffer 6
    Zur unterbliebenen Schlichtung:
Da in diesem Fall die Zuständigkeit durch unmittelbar anwendbares EG-Recht begründet wird, entfallen die Verfahrensvoraussetzungen des BVergG, soweit sie nicht aus der Richtlinie 89/665/EWG selbst unmittelbar ableitbar sind.
  1. Ziffer 7
    Zu den einzelnen Anträgen:
Somit sind der Antrag des Auftraggebers, den Antrag der Antragstellerin wegen Unzuständigkeit des Bundesvergabeamtes zurückzuweisen, der Eventualantrag des Auftraggebers, den Antrag der Antragstellerin abzuweisen, und der Antrag des Auftraggebers, das Nachprüfungsverfahren N-8/95 einzustellen, abzuweisen.
Da das Bundesvergabeamt mit vorliegendem Bescheid in der Hauptsache entscheidet, tritt die am 31. Juli 1995 mit Bescheid des Bundesvergabeamtes, Zl. N-8/95-4 erlassene einstweilige Verfügung außer Kraft. Somit sind alle Anträge des Auftraggebers, die sich gegen diese einstweilige Verfügung gerichtet haben, mangels des Weiterbestehens einer solchen zurückzuweisen.
Somit ist spruchgemäß zu entscheiden.