Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Entscheidungsdatum

08.03.2005

Geschäftszahl

257.646/0-X/24/05

Spruch

BESCHEID

SPRUCH

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. POLLAK gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz eins, des Asylgesetzes 1997, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 76 aus 1997, (AsylG) in der Fassung BGBI. römisch eins Nr. 101/2003, entschieden:

Der Berufung von M. K. vom 10.02.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.02.2005, Zahl: 04 08.942-BAG, wird stattgegeben und M. K. gemäß Paragraph 7, AsylG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 126 aus 2002, Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, leg.cit. wird festgestellt, dass M. K. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

römisch eins.1. Der Berufungswerber, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am 26.4.2004 die Gewährung von Asyl. Begründend gab er im Wesentlichen an, am 00.00.2003 seien anlässlich einer Durchsuchung seines Hauses Photos seines Bruders und seines Cousins, die als Teilnehmer an den Tschetschenien-Kriegen gefallen seien, gefunden worden. Der Berufungswerber sei deshalb festgenommen, misshandelt und nach dem Bruder bzw. nach Waffen befragt worden.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Berufungswerbers gemäß Paragraph 7, AsylG ab (Spruchpunkt römisch eins), erklärte jedoch zugleich seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG für nicht zulässig (Spruchpunkt römisch II) und erteilte ihm gemäß Paragraph 8, Absatz 3, in Verbindung mit Paragraph 15, Absatz 2, AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt römisch III).

3. Gegen Spruchpunkt römisch eins dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung.

4. In der Begründung des angefochtenen Bescheides traf das Bundesasylamt nach Wiedergabe des Vorbringens des Berufungswerbers umfangreiche Feststellungen zur Situation in Russland und im Besonderen zur Entwicklung der Lage in Tschetschenien. Dabei wurde u.a. festgestellt, dass es zu massiven Menschenrechtsverletzungen durch russische und tschetschenische Sicherheitskräfte kommt.

In der Folge führte das Bundesasylamt aus, es könne "bei fehlendem politischen Einsatz für die tschetschenischen Rebellen und bei Fehlen nachweisbarer Hinweise auf eine (drohende) gezielte individuelle Verfolgung durch russische Staatsorgane aus diesem Grund gegen den einzelnen / die einzelne … eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation auch für ethnische TschetschenInnen vorliegen".

Das Bundesasylamt ging davon aus, dass die Angaben des Berufungswerbers zu seiner Staatsangehörigkeit und der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe zutreffend sind; auch dem Vorbringen des Berufungswerbers zu seinen Fluchtgründen wurde die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen, es wurde jedoch nicht für geeignet gehalten, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft zu machen.

Zu Spruchpunkt römisch eins führte das Bundesasylamt aus, "eine aktuelle individuelle Verfolgung" des Berufungswerbers "vor der Ausreise bzw. die Gefahr einer solchen nach Rückkehr aus Gründen der GFK" habe nicht festgestellt werden können. Es hätten im vorliegenden Fall keine Umstände ermittelt werden können, "dass der Asylwerber aufgrund persönlicher Eigenschaften oder der beruflichen und sozialen Stellung einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt ist bzw. im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre". Soweit der Berufungswerber vorbringe, durch die Bürgerkriegssituation in Tschetschenien betroffen zu sein, sei "dies allein nicht als geeignet anzusehen, das Vorliegen begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention glaubhaft zu machen, weil den aus solchen Verhältnissen resultierenden Benachteiligungen sämtliche dort lebende Bewohner ausgesetzt sind und solche Verhältnisse daher nicht als konkrete, individuell gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgungshandlungen eingestuft werden können vergleiche Erkenntnis d. VwGH v. 14.03.1995, Zl. 94/20/0798)". Überdies stehe dem Asylwerber die Möglichkeit offen, "eine innerstaatliche Fluchtalternative in Russland, außerhalb der autonomen Republik Tschetschenien in Anspruch zu nehmen."

Zur Gewährung von Refoulementschutz (Spruchpunkt römisch II) führte das Bundesasylamt aus:

"Es ist aufgrund der übereinstimmenden und glaubwürdigen Aussagen der mit eingereisten Familienmitglieder erwiesen, dass ein Halbbruder und ein Cousin an Kampfhandlungen Teil genommen haben und es daher zu Erhebungen zwecks Feststellungen des Aufenthaltes dieser Kämpfer kommen kann. Daraus resultierende Gefährdungen im Sinne des Paragraph 57, Absatz eins, FrG können nicht ausgeschlossen werden."

römisch II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

1. Die Berufung gegen die Versagung von Asyl ist berechtigt:

Aus der Gewährung von (auf die gesamte Russische Föderation bezogenem) Refoulementschutz ist abzuleiten, dass das Bundesasylamt (entgegen seinen Ausführungen) davon ausgeht, dem Berufungswerber stehe in den übrigen Teilen der Russischen Föderation keine innerstaatliche Schutzalternative zur Verfügung. Darin ist dem Bundesasylamt im Ergebnis schon aufgrund des Umstandes zu folgen, dass der Berufungswerber nicht zu der im angefochtenen Bescheid umschriebenen Personengruppe gehört, bei der von einem "Fehlen nachweisbarer Hinweise auf eine (drohende) gezielte individuelle Verfolgung durch russische Staatsorgane" wegen des Einsatzes für die Rebellen die Rede sein kann und für die deshalb eine innerstaatliche Fluchtalternative vorliegen kann. Dies ergibt sich schon aus dem vom Berufungswerber geschilderten Vorfall vom 00.00.2003 in Verbindung mit der vom Bundesasylamt selbst geäußerten Annahme, dem Berufungswerber würde aufgrund seiner Verwandtschaft mit tschetschenischen Kämpfern auch in Zukunft eine Gefährdung iSd Paragraph 57, Absatz eins, FrG drohen. Dass diese Annahme des Bundesasylamts inhaltlich auch zutrifft, wird im Übrigen durch den aktuellen Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes bestätigt, in dem es heißt:

Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur "freiwilligen" Aufgabe zu zwingen, eine neue Besorgnis erregende Entwicklung. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des Feldkommandeurs und ehemaligen tschetschenischen Verteidigungsministers Magomed Chambijew, der sich am 08.03.2004 in die Hände der Sicherheitskräfte Ramsan Kadyrows begab, nachdem ca. 20 seiner Angehörigen zuvor festgesetzt worden waren. Ramsan Kadyrow, Erster stv. Ministerpräsident Tschetscheniens, hat sich öffentlich für gesetzliche Regelungen ausgesprochen, die die Strafverfolgung von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen ermöglichen. (Adhoc-Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) vom 13.12.2004, S. 11).

Anders als das Bundesasylamt, ist die Berufungsbehörde daher auch der Ansicht, dass "eine aktuelle individuelle Verfolgung des Berufungswerbers vor der Ausreise bzw. die Gefahr einer solchen nach Rückkehr aus Gründen der GFK" sehr wohl feststellbar ist und "dass der Asylwerber aufgrund persönlicher Eigenschaften oder der beruflichen und sozialen Stellung einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt ist bzw. im Fall der Rückkehr ausgesetzt wäre". Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass es dem Berufungswerber gelungen ist, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK - und zwar aus Gründen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe seiner Familie vergleiche etwa VwGH 24.06.2004, 2002/20/0165; 17.09.2003, 2000/20/0137; jeweils mit Verweis auf 19.12.2001, 98/20/0330) - glaubhaft zu machen.

Da im Verfahren überdies weder Asylausschluss- noch - endigungsgründe hervorgekommen sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

2. Die Durchführung einer Berufungsverhandlung konnte gemäß Paragraph 67 d, AVG, Art. römisch II Absatz 2, Ziffer 43 a, EGVG entfallen.