Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Entscheidungsdatum

16.02.2005

Geschäftszahl

235.535/0-III/07/03

Spruch

BESCHEID

SPRUCH

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Huber gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz eins, des Asylgesetzes 1997, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 76 aus 1997, idgF AsylG, entschieden:

Der Berufung von K. M. vom 24.2.2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.2.2003, Zahl 02 31.638-BAS, wird stattgegeben und K. M. gemäß Paragraph 7, AsylG Asyl gewährt. Gemäß Paragraph 12, leg.cit. wird festgestellt, dass K. M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

Der Asylwerber ist Staatsangehöriger des Sudan, Angehöriger des Volksstammes der Nuba und am 29.10.2002 in das Bundesgebiet eingereist. Am 30.10.2002 hat er einen Asylantrag gestellt und wurde hierauf am 29.1.2003 vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

Sein damaliges Vorbringen wurde im Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.2.2003, Zahl 02 31.638-BAS, im Wesentlichen wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben wird.

Das Bundesasylamt hat den Antrag des Asylwerbers mit Bescheid vom 10.2.2003, Zahl 02 31.638-BAS, abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber fristgerecht berufen.

In der Folge wurde am heutigen Tage vor dem unabhängigen Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß Paragraph 67, d AVG durchgeführt, in welcher der Asylwerber auf konkrete Nachfrage sein bisheriges Vorbringen in hoher Detaildichte und in wirklichkeitsnaher Schilderung wiederholte. Unter einem wurden (neben Kartenmaterial zur Verifizierung der vom Asylwerber angegebenen Herkunftsregion und Örtlichkeiten) nachstehende Berichte hinsichtlich des Stammes der Nuba, sowie zur aktuellen Entwicklung und Situation im Sudan, insbesondere in den Nuba-Bergen erörtert:

Länderbericht des Britischen Innenministeriums vom Oktober 2004, (Beilage A),

Länderbericht des Auswärtigen Amtes der BRD vom 15.12.2004, (Beilage B),

Bericht der Sudan Tribune vom 09.02.2005, (Beilage C), APA-Bericht vom 01.02.2005, (Beilage D),

Bericht von Amnestie International vom 18.01.2005, (Beilage E),

"Einzelentscheiderbrief" des Deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom November 2004, (Beilage F), Bericht von Refugees International vom 15.02.2005, (Beilage G),

Bericht über das Volk der Nuba, deren Kultur und Gebräuche, (Beilage H),

Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom Juni 2000, (Beilage römisch eins),

weiteren Bericht der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 15.02.2005, (Beilage J),

Bericht des Weltspiegels ebenfalls vom 15.09.2002, (Beilage K).

Der Asylwerber legte in der Verhandlung einen

Bericht des deutschen Institutes für internationale Politik und Sicherheit vom Jänner 2005 (Beilage 1)

vor.

Hiezu hat die erkennende Behörde erwogen:

Gemäß Paragraph 44, Absatz eins, AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 76 aus 1997, in der Fassung des Bundesgesetzes Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 126 aus 2002, geführt.

Gemäß Paragraph 7, Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel 1, Abschnitt A, Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die " begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn objektiverweise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorherigen Aufenthalts zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende bzw. pro futuro zu erwartende Verfolgungsgefahr dar.

Die vom Antragsteller am 29.1.2003 vor dem Bundesasylamt sowie am 16.2.2005 vor dem unabhängigen Bundesasylsenat erstatteten Angaben werden als entscheidungsrelevanter Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Das Vorbringen des Asylwerbers ist frei von Widersprüchen, beschreibt ein in sich stimmiges Ganzes und kann mit den damaligen objektiven Gegebenheiten in seinem Heimatland, insbesondere mit jenen in seiner konkreten Herkunftsregion, den Nuba Bergen, in Einklang gebracht werden. Zudem schilderte der Asylwerber in der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat die von ihm erlebten Umstände in sehr wirklichkeitsnaher und detaillierter Weise, sodass das entscheidende Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates zur Überzeugung gelangte, dass er wahrheitsgemäße Angaben erstattet hat. Im Übrigen hat bereits auch das Bundesasylamt ausdrücklich festgestellt, dass das Vorbringen des Asylwerbers vor dem Hintergrund der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen "durchaus glaubhaft" ist (Aktenseite 10, 1. Zeile des angefochtenen Bescheides).

Weiters wird zur allgemeinen Lage festgestellt, dass im Sudan seit ca. 21 Jahren Bürgerkrieg, dessen Frontlinie unter anderem durch das Gebiet der Nuba verlief (Beilage K), zwischen dem moslemischen Norden und dem christlichen Süden herrschte, welcher erst durch das jüngste Friedensabkommen vom 9.1.2005 beendet wurde (Beilagen 1 und D). In den Nuba-Bergen bestand bereits seit dem 19. Jänner 2002 ein Waffenstillstandsabkommen (das sog. "Bürgenstockabkommen"), welches in der Praxis im Wesentlichen auch tatsächlich eingehalten wurde (Beilagen B, C, F, J, K), sodass sich in den letzten drei Jahren des Waffenstillstandes das Leben für die dortige Bevölkerung nahezu normalisierte und die Bevölkerungzahl von 720.000 durch die Rückkehr von vormals Vertriebenen auf nunmehr über 1,400.000 anwuchs (Beilage C). Vor dem Waffenstillstandsabkommen vom Jänner 2002 wurden hunderttausende Nuba Opfer des Bürgerkrieges und der daraus resultierenden Hungerkatastrophe, es wurden viele Nuba ermordet, inhaftiert, verschleppt und in so genannten "Friedensdörfern" interniert, in welchen etwa Frauen systematisch vergewaltigt und Kinder von ihren Eltern getrennt und als "Kindersoldaten" verwendet wurden (Beilagen E, römisch eins, J). Das auswärtige Amt der BRD geht in seinem jüngsten Bericht vom 15.12.2004 (Beilage B) davon aus, dass Folter und Misshandlung in sudanesischen Gefängnissen regelmäßig vorkommen, sowie, dass nach wie vor Personen von Sicherheitskräften ohne Angabe von Gründen verhaftet und monatelang festgehalten werden. Sudanesen werden bei längerem Auslandsaufenthalt (mehr als ein Jahr) bei ihrer Einreise in den Sudan einer Befragung unterzogen.

Rechtlich folgt aus dem festgestellten Sachverhalt, dass der Asylwerber Flüchtling im Sinne der GFK ist.

Er ist bereits wiederholt als Person, die mit der südsudanesischen Rebellenbewegung SPLA in Verbindung steht, ins Blickfeld der Regierungskräfte gekommen und nach seiner letzten Festnahme im Februar des Jahres 2002 gefoltert worden, damit er ein diesbezügliches Geständnis unterschreibt, sodass sich eine mit Vernunft begabte Person in der Situation des Asylwerbers sehr wohl davor fürchten würde, im Falle seiner Rückkehr in den Sudan bei der dortigen Einreisekontrolle als Angehöriger der Nuba erkannt, unter einem einer Befragung und sicherheitsdienstlichen Überprüfung unterzogen und letztlich erneut festgenommen zu werden. Es wird nicht verkannt, dass sich die allgemeine Situation in den Nuba Bergen seit dem Waffenstillstandsabkommen aus dem Jahre 2002 im Vergleich zum vorherigen Zeitraum wesentlich in dem Sinne, dass keine offenen Bürgerkriegskämpfe in großem Rahmen mehr stattgefunden haben, verbessert hat. Es wäre jedoch (auch angesichts der notorischen Haltung der Regierung in den Darfur-Provinzen) geradezu naiv anzunehmen, dass durch die positive Entwicklung in den Nuba Bergen und letztlich auch durch das Friedensabkommen vom 9.1.2005 zwischen der Regierung und der SPLA jegliche Feindseligkeiten seitens der Regierungskräfte gegen die afrikanischen Stämme ein Ende gefunden hätten. Die positiven Entwicklungen im Sudan (bezogen auf den Nord-Südkonflikt) sind vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass seit ca. 21 Jahren in dieser Region Bürgerkrieg geherrscht hat, was naturgemäß mit sich bringt, dass der Hass und das Misstrauen der verfeindeten Gruppen sehr tief sitzt und nur langsam ein diesbezüglicher Bewusstseinswandel einsetzen wird. Es ist somit davon auszugehen, dass Sicherheitskräfte nach wie vor ins Blickfeld geratene missliebige Personen afrikanischer Stammeszugehörigkeit - falls sie ihrer Habhaft werden - willkürlich festnehmen, was deren ungewisses Schicksal bishin zur Ermordung der Betreffenden bedeuten kann. Die Furcht des Asylwerbers vor einer Rückkehr in den Sudan scheint demgemäß nach wie vor wohlbegründet, auch wenn sich die allgemeine Situation durch Beendigung der Kampfhandlungen und das Friedensabkommen vom 9.1.2005 - dessen Nachhaltigkeit derzeit noch nicht abgeschätzt werden kann - im Nord-Süd-Konflikt mittlerweile geändert hat.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.