Entscheidende Behörde

Unabhängiger Bundesasylsenat

Entscheidungsdatum

08.07.2002

Geschäftszahl

201.653/24-I/01/02

Spruch

BESCHEID

SPRUCH

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Maga. Eigelsberger gemäß Paragraph 66, Absatz , AVG in Verbindung mit Paragraph 38, Absatz , des Asylgesetzes 1997, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 82 aus 2001, (AsylG) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16. 5. 2000 und am 20. 9. 2000 entschieden:

Der Berufung des T. Y. vom 6. 8. 1991 gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. 5. 1991, Zl IV-81.768-AF/91, wird stattgegeben und T. Y. gemäß Paragraph 7, AsylG Asyl gewährt.

Gemäß Paragraph 12, leg cit wird festgestellt, dass T. Y. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

Der Asylwerber, ein türkischer Staatsbürger, reiste am 27. 2. 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 12. 4. 1991 bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Am 17. 5. 1991 wurde der Asylwerber im Rahmen einer niederschriftlichen Befragung bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien zu seinen Fluchtgründen befragt:

"Ich war im Jahre 1975 Schüler am Gymnasium in Malatya. Damals war ich in MAYÖD Studentenvertreter. Es handelt sich dabei um einen sozialdemokratischen Verein. In der Langform heißt das Malatya-Yüksek-Ögrenci-Dernegi. Ich hatte eine Funktion in diesem Studentenverein. Bis zu meiner Verhaftung am 00.00.1976. Meine Aktivitäten umfassten unter anderem das Verteilen von Flugblättern, Anbringen von Transparenten, meine Funktion war die Registrierung von Mitgliedern, das Anwerben von neuen Mitgliedern. 1976 fand in Malatya eine Schießerei statt. Das war ein Anschlag gegen die Polizisten. Bei dieser Schießerei wur-den ein Polizeibeamter und ein Wächter ermordet. Es wurden auch die Täter ermordet. Sie waren drei an der Zahl. Die Täter wurden erst zwei Tage später bei einem Schuss-wechsel ermordet. Nach diesem Anschlag fanden in Malatya große Suchaktionen statt und wurden auch sehr viele Studentenwohnungen durchsucht. Es wurde auch meine Wohnung durchsucht. In meiner Wohnung wurden Bücher und sonstige Zeitschriften festgestellt und sichergestellt. Ich war nicht zu Hause. Ich wurde am selben Tag von der Polizei vom Gymnasium abgeholt und auf die Polizeistation in Malatya gebracht. Ich wurde dort 14 Tage lang festgehalten, verhört und gefoltert. Ich wurde vor den Augen meines Bruders und meines Cousins verhört und gefoltert. Man wollte von mir ein Ge-ständnis über eine Mitgliedschaft zu illegalen Vereinigungen erzwingen. Man musste der Öffentlichkeit den ganzen Vorfall irgendwie beibringen. Deshalb suchte die Polizei nach Anhaltspunkten, die auf die Existenz eines illegalen Vereines schließen lassen. Befragt, der Name des ermordeten Polizisten war B. A. Die Namen der Täter waren H. B. T., römisch eins. A. und Y. Z. A.

Befragt, gefoltert wurde ich, indem mir die Augen verbunden wurden, ich mich aus-ziehen musste, ich wurde der Bastonade durchzogen, bekam auch Elektroschocks, be-kam auch Schläge mit einem Holzstecken und dem Gummiknüppel. Mit Ausnahme des Kopfes bekam ich die Schläge auf den ganzen Körper. Auf meinen Kopf schlugen sie mit der Faust ein. Ich musste die Polizeibeamten auf dem Rücken tragen. Ich wurde mehrmals bedroht. Ich sollte nach der Entlassung erschossen werden und das Ganze sollte als Unfall getarnt sein. Die Elektroschocks bekam ich nur auf die Zehen. Befragt, gesundheitliche Schäden habe ich insofern, als dass mir der rechte Ellbogen gebrochen wurde, das ist mit Röntgenbild beweisbar. Die rechte Brustwarze trug durch die Schläge Schäden davon und jetzt kommt es manchmal zu Schwellungen der Brustwarze. Nach der 14-tägigen Folter wurde ich dem Staatssicherheitsgericht vorgeführt und anschließend in die geschlossene Strafanstalt überstellt. Ich verblieb dort acht Monate. 1976 wurden sämtliche Staatssicherheitsgerichte abgeschafft. Der Akt wurde an das Schwurgericht Malatya weitergereicht. Ich wurde in die geschlossene Strafanstalt Malatya verlegt. Ich war dort weitere 7 Monate inhaftiert. Nach Bezahlung einer Kaution wurde ich dann auf freien Fuß gesetzt. Am 00.00.1977 wurde ich auf freien Fuß gesetzt. Mein Akt wurde an das 2. Schwurgericht weitergeleitet. Ich wurde von dem Gericht am 00.00.1978 zu fünf Jahren verurteilt. Diese Strafe wurde im Zuge eines Sondererlasses auf vier Jahre und zwei Monate vermindert. Zusätzlich zu dieser Haftstrafe wurde über mich die Verbannung beschlossen. Ich durfte für die Dauer von einem Jahr und sechs Monaten die Grenzen der Provinz MANISSA nicht verlassen. Sie konnten mich damit besser überwachen.

Das Urteil wurde in meiner Abwesenheit gefällt. Ich konnte mich der Festnahme ent-ziehen, da ich immer wieder meinen Aufenthaltsort wechselte.

Befragt, ich bezahlte 3.000 TL Kaution. Belegen kann ich das nicht. Ich versteckte mich nach meiner Flucht andauernd im Untergrund.

(...)

Ich habe mich deshalb nicht der Polizei gestellt, da ich nicht Angst vor der Polizei hatte, sondern nur vor der Folter.

(...)."

Mit  Bescheid  der  Sicherheitsdirektion  für  das Bundesland

Wien  vom  28. 5. 1991, Zl IBV-81.768-AF/91, wurde festgestellt,

dass der Asylwerber gemäß Paragraph eins, des Bundes-gesetzes vom 7. 3. 1968, BGBl Nr 126 in der Fassung vom 27. 11. 1974, BGBl Nr 796 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechts-stellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr 55 aus 1955,, nicht Flüchtling sei.

Dagegen erhob der nunmehrige Berufungswerber mit Schriftsatz vom 6. 8. 1991 Berufung.

In der Folge veranlasste der Bundesminister für Inneres nach erfolgter Vorlage des Ge-richtsurteils eine ergänzende Befragung des Asylwerbers beim Bundesasylamt, welche am 28. 4. 1993 statt gefunden hat:

"F: Sie werden aufgefordert, das als Beweismittel in Kopie vorgelegte Gerichtsurteil voll-ständig und im Original vorzulegen.

A: Das Original kann ich nicht vorlegen, da ich gesucht werde und ich selbst um ein Original nicht vorsprechen kann. Ob dies über eine Intervention eines Rechtsanwaltes möglich ist, weiß ich nicht. Es ist jedenfalls sehr schwer ein Original zu bekommen.

F: Woher haben Sie die Kopie des Gerichtsurteils?

A: Mein Bruder Y. S. hat eine Kopie des Gerichtsurteils vom beschuldigten K. A. erhalten und diese mir nach Wien nachgesandt. Ob K. ein Original oder eine Kopie hatte, weiß ich nicht.

F: Sie werden aufgefordert, fachärztliche Atteste bezüglich der behaupteten Folter-spuren, insbesondere des Bruches des Ellbogens beizubringen.

A: Ich habe diesbezüglich noch nichts unternommen, bin aber bereit, fachärztliche Atteste beizubringen. Da ich in der Türkei nicht behandelt wurde, muss ich diese Unter-suchungen in Österreich durchführen lassen. Die Befunde werde ich in etwa 4 Wochen beibringen.

Ich werde von meiner RA-Vertreterin gefragt, wie ich zu einem Original des Gerichts-urteils kommen könnte. Ich kann dazu nur angeben, dass dies nur über eine Anfor-derung beim zuständigen Gericht möglich ist. In meinem Fall könnte dies nur durch einen Rechtsanwalt geschehen, da es für mich zu gefährlich ist, da ich gesucht werde. Meine Verletzungen wurden vom Gefängnisarzt nur kurz untersucht, es wurde aber nichts weiteres unternommen und auch nicht behandelt.

F: Wo haben Sie sich im Zeitraum nach der Verurteilung bis zur Einreise nach Öster-reich aufgehalten, und was haben Sie in diesem Zeitraum (fast dreizehn Jahre) unter-nommen?

A: Ich wurde im Jahre 1976 festgenommen, und 1977 nach Erlegung einer Kaution von 3.000,-TL freigelassen. Bei der Gerichtsverhandlung war ich nicht anwe-send. Da ich zu einer unbedingten Haftstrafe verurteilt wurde, wurde auch nach mir gesucht, um meine Strafe anzutreten. Ich werde noch immer gesucht. Ich habe mich seit meiner Verurteilung im Heimatdorf aufgehalten. Ich war zu Hause, und auch bei Ver-wandten und Freunden versteckt. Da an meine Schuldlosigkeit geglaubt wurde, hat mich auch niemand gewarnt, wenn die Gendarmen ins Dorf kamen, um mich zu suchen. Dies war monatlich ein- bis zweimal der Fall. Die meiste Zeit habe ich im Freien übernachtet, dass man mich bei einer überraschenden Suche im Haus nicht findet.

Einige Male war ich im Winter in Istanbul und in Ankara. Auf den Inlandsfahrten habe ich den Personalausweis meines Bruders S. benützt, auf den ich ein Foto von mir klebte. Mit diesem Ausweis wurde ich zweimal kontrolliert, und fiel der Schwindel nicht auf. Das war einmal in Kayseri auf der Fahrt nach Ankara, und einmal in Istanbul. In Ankara und Istanbul habe ich Gelegenheitsarbeiten auf Baustellen durchgeführt. In Istanbul war ich glaublich 1984 oder 1985 ca 2-3 Monate, in Ankara zwei oder dreimal jeweils einige Wochen, jedenfalls vor 1990.

Wenn ich nicht gesucht würde, hätte ich einen Personalausweis und auch einen Reise-pass. Noch muss ich angeben, dass ich meinen Militärdienst nicht abgeleistet habe, und deshalb auch von den Militärbehörden gesucht werde. Vor ca 1 ½ Monaten wurde ich von meiner Mutter, die ich angerufen habe, verständigt, dass ich noch immer gesucht werde. Ich habe bei meinem Bruder in Malatya angerufen. Es war ausgemacht, dass auch meine Mutter dort anwesend war.

F: Aus welchen Gründen wurden Ihr Bruder und Ihr Cousin gefoltert und warum und auf welche Weise wurde Ihre Familie unter Druck gesetzt?

A: (Nach der Fragestellung zeigte der Asylwerber psychische Schwierigkeiten, sodass die Einvernahme für 5 Minuten unterbrochen werden musste).

A: Mein Bruder M. und mein Cousin M. H. wurden vor meinen Augen vor der Gerichtsverhandlung bei der Polizei in Malatya eineinhalb Tage lang ver-hört. Dabei wurden sie geschlagen, auch die Bastonade wurde angewendet. Man wollte von ihnen ein Geständnis erpressen, dass ich mit den anderen 17 Mitbeschuldigten und den drei Attentätern zusammengearbeitet hätte. Die beiden sollten zugeben, dass ich einer verbotenen Organisation angehöre, zu der auch die Attentäter gehörten, und dass ich mit dem Anschlag dieser drei auf eine Polizeieinheit in Malatya zu tun hätte. Da dies nicht der Fall war, konnte von meinem Bruder und von meinem Cousin auch keine ent-sprechende Aussage erpresst werden. Meine Familie wurde unter Druck gesetzt, weil mich die Behörden nicht gefunden hatten, um mich festzunehmen. Meine Eltern wurden mehrmals beschimpft, weil sie meinen Aufenthaltsort nicht verraten haben. Mein Vater wurde einmal bei einer dieser Hausdurchsuchungen geschlagen. Einmal wurde mein Vater festgenommen, und wurde eine Nacht bei der Gendarmerie eingesperrt. Dabei wurde er verhört und nach meinem Aufenthalt gefragt. Das auslösende Moment für meine Flucht war die beginnende Krise am Golf, verstärkte Aktivitäten der PKK, und vermehrte und verstärkte Kontrollen durch die Behörden."

Am 21. 10. 1996 wurde der Berufungswerber nach Vorlage eines Fragenkataloges des Bundesministers für Inneres beim

Bundesasylamt neuerlich ergänzend befragt:

F: Waren Sie in Ihrer Heimat politisch tätig?

A: Ich habe mich in der Schule politisch betätigt. Ich war Funktionär der Schüler-vereinigung (Mayöd - Malatya-Studentenverein-, linksgerichteter Verein).

F: In welcher Art und Weise waren Sie tätig?

A: Ich habe Schüler und Studenten bei ihren Problemen beraten, so zB protestierten wir für das Nichtvorhandensein eines Englischlehrers an unserer Schule.

F: Hatten die türkischen Behörden Kenntnis von Ihrer Tätigkeit?

A: Ja, es war ein eingetragener zugelassener Verein, meine Tätigkeit war daher den Behörden bekannt.

F: Weshalb und wo wurden Sie 1976 festgenommen?

A: In Malatya war ein Zwischenfall, eine Schießerei zwischen unbekannten Personen und der Polizei, dabei wurden ein Polizist und drei von den unbekannten Personen ge-tötet. Im Anschluss daran gab es in der ganzen Stadt Razzien und Hausdurch-suchungen, es wurden mehrere Personen festgenommen, meine Festnahme erfolgte in der Schule.

F: Hatten Sie Kontakt mit jenen drei Personen, welche von der Polizei wegen der Tötung von zwei Polizisten verdächtigt und später erschossen worden sind?

A: Ich hatte keinen Kontakt mit diesen Personen, ich kannte Sie nicht.

F: Stimmen die im Beschluss des Strafgerichtes für Kapitalverbrechen vom 00.00.1978 angeführten, Sie betreffenden Strafvorwürfe?

A: Mir wurde die Mitgliedschaft bei einer illegalen Organisation vorgeworfen, dieser Vor-wurf stimmt nicht, ich habe bei den Einvernahmen alles abgestritten, mein jüngerer Bruder machte seine Angabe unter Folter.

F: Wann und wo wurden Sie aus der Haft entlassen?

A: In Malatya, das war 00., das genaue Datum kann ich nicht mehr

nennen, es war 1977.

F: Wer hat die Kaution für Sie hinterlegt?

A: Das hat mein Vater getan.

F: Woher hatte Ihr Vater die Geldmittel hiefür?

A: Die Kaution war nicht sehr hoch, mein Vater hatte das Geld.

Vorhalt: Es erscheint keinesfalls glaubwürdig und plausibel, dass die türkischen Behör-den bzw Gerichte eine Person, gegen die ein Strafverfahren mit dem Ihnen vorgewor-fenen strafbaren Handlungen anhängig ist, so ohne weiteres gegen Kaution freilässt. Eine derartige Vorgangsweise erscheint nicht plausibel, zumal der angebliche "Verfol-gerstaat" jedenfalls annehmen musste, dass sich eine Person, insbesondere wenn Sie die von Ihnen genannten behaupteten Misshandlungen erleiden habe müssen, mit größter Wahrscheinlichkeit der Strafverfolgung zu entziehen suchen. Sie können jetzt Stellung nehmen und angeben, weshalb und unter welchen Bedingungen Sie überhaupt entlassen wurden.

A: Die politische Lage war damals sehr kompliziert, es gab viele Arbeiteraufstände, es wurden damals die Staatssicherheitsgerichte aufgelöst, es gab damals gegen mich kei-ne handfesten Beweise, sondern nur ein erzwungenes Geständnis, ich wurde zusam-men mit mehreren anderen gegen Kaution freigelassen. Am Anfang erfolgten Vorladun-gen zum Gericht, ich befolgte diese, bei der ersten Verhandlung und bei der zweiten in Malatya war ich anwesend, die dritte und vierte Verhandlung fanden statt, auch dabei war ich anwesend, wir teilten aber dem Richter mit, dass eine Anreise sehr beschwerlich ist und wurde uns vom Richter mitgeteilt, dass die Verhandlung in unserer Abwesenheit weitergeführt wird. Damals wurden zB auch Personen freigelassen, über die der Staatsanwalt die Ver-hängung der Todesstrafe forderte.

F: Wohin begaben Sie sich nach Ihrer Haftentlassung und wo haben Sie sich danach aufgehalten?

A: Ich begab mich in mein Heimatdorf, das liegt in der Provinz Malatya, hauptsächlich hielt ich mich dort auf.

F: Haben Sie sich vom 00.00. 1976 bis zur Beschlussfassung des Strafgerichtes am 00.00.1978 versteckt gehalten?

A: Nein, nach meiner Haftentlassung 1977 bis zur Beschlussfassung hielt ich mich nicht versteckt. Ich habe die Vorladungen zum Gericht befolgt.

F: Haben Sie sich nach dem Urteil versteckt gehalten?

A: Ja, ich wollte auf keinen Fall die Strafe antreten.

F: Weshalb wurde Ihnen dann mit Datum vom 00.00.1991 eine Wohnsitzbestätigung ausgestellt?

A: Diese Bescheinigung wird vom Dorfvorsteher problemlos ausgestellt, ich befand mich zu diesem Zeitpunkt bereits in Österreich, in Traiskirchen wurde ein Ausweis von mir verlangt, mein Bruder besorgte mir die Bescheinigung, von Traiskirchen wurde ich dann nach Wien verwiesen, von Dr. H. wurde mir dann bei der Stellung des schrift-lichen Antrages geholfen, ich verfasste mein Vorbringen schriftlich und Dr. H. ließ dies übersetzen.

F: Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt einen Rechtsanwalt in der Türkei, und wie hatten (Sie) Kontakt zu diesem?

A: Bis zur Urteilsverkündung hatte ich mehrere Anwälte, dann hatte ich keinen mehr. Bis zur Urteilsverkündung hatte ich keine Probleme.

F: Wann haben Sie vom Urteil erfahren?

A: Ich habe aus der Zeitung vom Urteil erfahren, mir wurde kein Urteil zugestellt, möglich erging eines an meinen Anwalt, mit diesem hatte ich keinen Kontakt mehr. Ich habe dem BMI 1993 auch ein Schreiben meines früheren Rechtsanwaltes vorgelegt und darin ist ausgeführt, dass mein Anwalt, nachdem ich ihn kontaktiert hatte, in seinen Unterlagen Nachschau hielt und konnte er dabei feststellen, dass ich verurteilt wurde.

F: Wann und wo hätten Sie Ihre Haftstrafe antreten sollen?

A: Ich nehme an, dass ich die Haftstrafe nach der Urteilsverkündung hätte antreten sollen.

F: Wurden Sie schriftlich zum Antritt aufgefordert?

A: Ich war bei der Urteilsverkündung nicht dabei, mein Anwalt war über alles in Kennt-nis, ich hatte dann mit meinem Anwalt keinen Kontakt mehr, ich habe keine Auf-forderung erhalten.

F: Wo haben Sie sich nach dem 00.00.1978 in der Türkei aufgehalten und welchen Tätigkeiten gingen Sie zu diesem Zeitpunkt nach?

A: Hauptsächlich hielt ich mich in meinem Heimatdorf auf, ich arbeitete auf unserer Landwirtschaft, insbesondere im Winter hielt ich mich in größeren Städten auf, zB Istan-bul und Ankara, dort verübte ich zB Bauarbeiten, im Sommer übernachtete ich in mei-nem Heimatdorf im Freien, im Winter wäre dies aufgrund der Kälte nicht möglich und hätte mich im Haus aufhalten müssen, dabei wäre eine Verhaftung sehr wahrscheinlich gewesen.

F: Wann genau und wie oft war dies der Fall?

A: Genau kann ich das nicht angeben, es war fast immer im Winter aus den oben ange-führten Gründen.

F: Wie reisten Sie in diese Städte und wo waren Sie dort wohnhaft?

A: Ich reiste mit dem Bus, ich wohnte bei Bekannten oder

nächtigte gleich auf der Bau-stelle.

F: Hatten Sie dabei keine Furcht vor Verfolgung?

A: Ich hatte Angst, ich musste aber weiterleben und arbeiten.

F: Warum dachten Sie damals noch nicht an eine Flucht?

A: Ich hoffte auf eine Amnestie.

F: Gab es in den Städten irgendwelche Beeinträchtigungen?

A: Nein.

Vorhalt: Aufgrund Ihres jahrelangen Verbleibens in der Türkei, nach Ihrer Verurteilung und Ihrer regen Reisetätigkeit im angeblichen "Verfolgerstaat", ist die von Ihnen be-hauptete Furcht vor Verfolgung nicht als glaubwürdig anzusehen. Nehmen Sie dazu Stellung.

A: Im Dorf wurde (ich) von der Bevölkerung nicht verraten und eigentlich beschützt, bei meiner Reisetätigkeit und Aufenthalt in den Städten hatte ich Glück, ich wurde nicht betreten, ich war aber vorsichtig.

F: Wann genau und weshalb haben Sie sich im Jahre 1991 entschlossen, Ihre Heimat zu verlassen?

A: 1990 und 1991 wurden verstärkt Straßenkontrollen durchgeführt, ich fasste meinen Entschluss bereits 1990 und begann mit den Vorbereitungen.

F: Woher hatten Sie die Geldmittel für Ihre Flucht?

A: Ich erhielt vom Vater das Geld, mein Vater wollte schon immer, dass ich die Türkei verlasse.

F. Hatten Sie bei Ihrer Ausreise irgendwelche Schwierigkeiten?

A: Nein, es war alles organisiert.

F: Stehen Sie noch im Kontakt mit Ihren Verwandten in der Türkei?

A: Ja, ich stehe im regelmäßigen telefonischen Kontakt mit meinen Eltern.

F: Werden Ihre Verwandten Ihretwegen noch immer bedroht, misshandelt und fest-genommen?

A: Nein, nicht mehr, mein Vater gab nach meiner Flucht der Polizei bekannt, dass ich mich im Ausland aufhalte, mir wurde von meinen Eltern diesbezüglich nichts mitgeteilt.

F: Warum hatten Sie bis 1976 keinen Militärdienst abgeleistet?

A: Ich hatte meine Zurückstellung wegen meines Schulbesuches beantragt. Es ist in der Türkei üblich, dass die Gendarmerie im Dorf die Namen der Wehrpflichtigen angibt, worauf man sich beim Wehrdienstamt meldet, ich tat dies und beantragte meine Zurückstellung.

Vorhalt: Aus Ihrer niederschriftlichen Einvernahme vom 17.05.1991 geht hervor, dass Sie am 27.02.1991 über den Grenzübergang Spielfeld nach Österreich einreisten. Die erkennende Behörde hält es für erwiesen, dass es Ihnen während Ihres Aufenthaltes im damaligen Jugoslawien möglich war, bei den jugoslawischen Behörden um Asyl anzu-suchen, und dort auch keinerlei Verfolgung ausgesetzt waren und nicht Gefahr liefen, ohne Prüfung Ihrer Fluchtgründe in Ihr Heimatland abgeschoben zu werden - Jugoslawien war damals ein Mitgliedsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention und spricht auch nichts dafür, dass es seine aus dieser Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen (insbesondere das im Artikel 33 statuierte Refoulementverbot) etwa vernachlässigte - und Sie somit bereits in diesem Staat Verfolgungssicherheit erlangten. Nehmen Sie dazu Stellung.

A: Ich wusste nicht, dass ich in Jugoslawien Verfolgungssicherheit erlangte und war ich der Meinung, dass Österreich als demokratisches Land mir Sicherheit bietet.

F: Mein Bruder M. hat das in die Wege geleitet, mein damaliger Rechtsanwalt er-ledigte die Formalitäten. Sein Name ist K. K. Der Anwalt hat wahrschein-lich bei der Staatsanwaltschaft oder bei anderen Stellen vorgesprochen und die Unter-lagen besorgt.

Vorhalt: Sie haben bei der niederschriftlichen Einvernahme am 28.04.1993 angegeben, dass Ihr Bruder S. eine Kopie des Gerichtsurteils vom Mitbeschuldigten K. A. erhalten hat.

A: K. besorgte für S. eine Kopie, diese habe ich hier vorgelegt, sie wurde nicht anerkannt.

F: Haben Sie somit zweimal eine Kopie vorgelegt?

A: Ja, bei der zweiten Kopie ist der Stempel der Staatsanwaltschaft angebracht. Ich lege hier diese Kopie und das Originaldokument neuerlich vor.

Mit Bescheid vom 21. 11. 1996, Zl 4.316.754/2-III/13/91, wies das Bundesministerium für Inneres die Berufung gemäß Paragraph 66, Absatz 4, AVG ab.

Die gegen diesen Bescheid an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde von diesem in Anwendung des Paragraph 44, AsylG 1997 mit Beschluss vom 10. 9. 1998, Zl 97/20/0750-8, zurückgewiesen.

Der unabhängige Bundesasylsenat als nach dem AsylG 1997 nunmehr zuständige Be-rufungsbehörde führte am 20. 5. 2000 und am 20. 9. 2000 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei das Bundesasylamt als Partei des Verfahrens an der Verhandlung nicht teilgenommen hat.

Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

Folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt wird festgestellt:

Der Berufungswerber ist Kurde und stammt aus einem Dorf im Bezirk Akcadag in der Provinz Malatya. Er besuchte in der Provinzhauptstadt Malatya das Gymnasium und war von 1975 bis 1976 im Studentenverein MAYÖD (Ma-latya-Yüksek-Ögrenci-Dernegi) tätig. Die Tätigkeit des Berufungswerbers bestand im Verteilen von Flugblättern, der Registrierung und im Anwerben von Mitgliedern. Als im Jahre 1976 bei einer Schießerei in Malatya zwei Polizisten getötet worden waren, wurde der Berufungswerber festgenommen und auf die Polizeistation von Malatya gebracht. Dort wurde er vierzehn Tage festgehalten, verhört und gefoltert. Obwohl der Berufungs-werber kein Mitglied einer illegalen Organisation gewesen war, wurde ihm eine solche Mitgliedschaft zur THKP/C von den Polizeibehörden unterstellt. Nach der vierzehn-tägigen Inhaftierung wurde er in das Gefangenenhaus überstellt. Nach weiteren acht Monaten wurde er nach Malatya verlegt. Nach sieben Monaten wurde er 1977 gegen Bezahlung einer Kaution von 3.000,-

TL auf freien Fuß gesetzt. Nachdem der Strafakt des Berufungswerbers an das Strafgericht für Kapitalverbrechen weitergeleitet wurde, verurteilte dieses Gericht den Berufungswerber am 00.00.1978 wegen des Versuchs der Teilnahme an Aktivitäten der THKP/C zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten, wobei er für die Dauer von einem Jahr und sechs Monaten in der Provinz Manisa unter allgemeine Sicherheitsbeobachtung gestellt wur-de. Das Urteil wurde in Abwesenheit des Berufungswerbers gefällt. Um die Haftstrafe nicht antreten zu müssen, hielt sich der Berufungswerber bis zu seiner Ausreise aus der Türkei bei Bekannten und Freunden versteckt. In dieser Zeit wurden die Eltern des Berufungswerbers von den Sicherheitsbehörde häufig zum Aufenthaltsort ihres Sohnes befragt, wobei der Vater des Berufungswerbers auch für eine Nacht festgenommen wurde.

Seit seinem Aufenthalt in Österreich im Jahre 1991 betätigt sich der Berufungswerber für den Verein Feykom. Dort übte er zwei Jahre die Funktion eines Vorstandsmitgliedes aus.

Der Heimatort des Berufungswerbers ist eine Bezirksstadt der Provinz Malatya und liegt im Osten der Türkei.

Akcadag war von 1926 bis 1980 für die Ausbildung von Lehrern ein bedeutender Ort. Im Jahre 1926 wurde per Gesetzeserlass eine Bildungsanstalt zur Ausbildung von Dorf-lehrern gegründet. Die Schulen wurden als Internat geführt und die Ausbildung selbst dauerte drei Jahre und wurde der fünfjährigen Grundschule im Bildungsweg ange-schlossen. In Akcadag wurde eine dieser Schulen errichtet, die zudem für einen Groß-teil der zukünftigen Dorflehrer in Ostanatolien zuständig war. Diese Schulen wurden im Jahr 1933 in sogenannte Dorfinstitute umgewandelt. Im Jahr 1951 wurden diese Insti-tute in Lehrergymnasien umgewandelt, dh in Gymnasien mit pädagogischem Lehran-gebot, welche zur allgemeinen Hochschulreife führten. In den späten 70er Jahren (78/79) wurden diese mit der Begründung abgeschafft, die SchülerInnen würden mit linken Ideologien ausgebildet werden.

In Malatya gab es und gibt es viele aktive politische Gruppierungen. In den 70er Jahren gab es in dieser Gegend sowohl linksradikale Parteien (THKO, THKP/C, TKP/ML-TIKKO) als auch rechtsradikale Gruppierungen wie die grauen Wölfe und die MHP (Nationalistische Aktionspartei) und die MSP (Nationale Heilspartei). Vor dem Militär-putsch (12. 9. 1980) kam es zu sehr kritischen und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den rechten und den linken Organisationen und den Staatssicherheitskräften. Die Bildungseinrichtungen waren zum großen Teil auch aus diesem Grund geschlos-sen. Die Nationalistische Front wurde unter der Führung des konservativen Demirel 1975 gebildet. Gleich nach der Regierungsbildung dieser drei Parteien (MHP, AP und MSP) starteten die Grauen Wölfe in Akcadag einen Angriff auf die oben erwähnten Bildungsinstitute. Viele Schüler und Mitglieder von linken Organisationen mussten flüch-ten. Danach erlangten die Nationalisten und Fundamentalisten der Stadt die politische Kontrolle über die Stadt.

Der Verein MAYÖD war in den 70er Jahren einer von vielen legalen Hochschul-vereinigungen, der zugleich für "politisch kritische Tätigkeiten" in Hochschulen, in Gymnasien und in den Mittelschulen stand. Diese Vereinigungen wiesen viele verschiedene Strömungen auf, die vom Staat als illegale Gruppierungen angesehen wurden.

Unter der sogenannten Nationalen Front (MHP, MSP und AP) wurden viele dieser Hochschulvereinigungen mit der Begründung verboten, dass diese staatsfeindliche Akti-vitäten verfolgen würden. In Malatya war die vom Staat als besonders gefährlich einge-stufte illegale Organisation THKP-C besonders stark organisiert und unter den verschie-densten Hochschulvereinen als besonders aktiv einzustufen.

Die THKP-C war bis 1980 vor allem unter den Jugendlichen an den Hochschulen und Universitäten eine sehr gut organisierte Jugendbewegung. Ende 1977 wurde diese Partei in zwei Organisationen gespalten, nämlich in die Untergrundorganisationen Dev-Genc und Dev Yol.

Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen den Streitkräften bzw Polizisten und den Mitgliedern der THKP-C sind daher nicht auszuschließen. Für den türkischen Staat wurde diese Organisation für die Tötung vieler Sicherheitskräfte und Mitgliedern der rechten Szene verantwortlich gemacht. Mitglieder bzw Sympathisanten dieser Partei gelten damit in der Türkei als besonders gefährlich und müssen diese im Falle einer Festnahme mit schweren Folterungen rechnen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Personen registriert sind, die bereits einmal in ein poli-tisches Verfahren involviert waren, ist überdurchschnittlich hoch. Solche Personen sind beim Innenministerium registriert, selbst wenn ihr Verfahren mit einem Freispruch ge-endet hat. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, muss davon ausgegangen werden, dass sie bei der politischen Polizei bekannt sind. Der Türkei-Spezialist H. O. hat in einem Gutachten vom 20. 10. 1998 zu Handen des Verwaltungsgerichtes Sigma-ringen hervorgehoben, dass er verschiedentlich habe feststellen können, dass aus Deutschland ausgewiesene Kurden die Grenze zwar problemlos passieren konnten, da sie anscheinend nicht im zentralen Register des Innenministeriums registriert waren. Später jedoch, zum Beispiel am Busbahnhof, wurden sie von der politischen Polizei aufgegriffen, die offensichtlich einschlägige Informationen über diese Rückkehrer be-saß.

Es muss davon ausgegangen werden, dass solche in ein Verfahren verwickelte Per-sonen, bei der politischen Polizei systematisch registriert werden. Dadurch sind sie bei der Rückschaffung aus dem Ausland gefährdet, da die türkische Polizei Kenntnis erlangen will, ob sich diese auch im Ausland politisch betätigt haben.

Im Jahre 1992 haben sich die meisten der in Österreich existierenden kurdischen Ver-eine zum Dachverband Feykom zusammengeschlossen. Ziel des Verbandes ist es, die sozialen und kulturellen Probleme der Kurden in Österreich zu erfassen, gemeinsame Lösungsmodelle zu finden und anzubieten. Kurdische Vereinigungen in Europa werden vom türkischen Staat als separatistisch, terroristisch und staatsfeindlich betrachtet und gelten als Nebenorganisationen der PKK. Damit ist davon auszugehen, dass diese Organisation vom türkischen Staat als "gefährlich" eingestuft wird. Es besteht daher der dringende Verdacht und die Gefahr, dass Mitglieder dieser Organisationen im Falle ihrer Rückkehr bereits auf dem Flughafen über diese Aktivitäten befragt werden und bei Verhärtung dieser Verdachtsmomente eine Überstellung in Polizeigewahrsam zu weiteren Verhören erfolgt, und - vor allem, Folterungen nicht ausgeschlossen sind.

Bei Ausübung einer solchen exilpolitischen Betätigung verfügt die

türkische Polizei - lo-kale Polizei - über zahlreiche

Informationen bezüglich der exilpolitischen Tätigkeiten der

kurdischen Diaspora, Einzelheiten von Vereinstätigkeiten und

verantwortlichen politi-schen Persönlichkeiten. In einem

Gutachten (zitiert in der Schweizer Flüchtlings-hilfe.........)

hielt O. fest, "dass es nicht nur (nicht einmal vorrangig)

exponierte exilpolitische Tätigkeiten sein müssen, die bei einer

zwangsweisen Rückkehr in die Türkei zu Schwierigkeiten

führen..... . In vielen dieser Fälle war es auch nicht die

Polizei am Flughafen, die durch die Abfrage im Zentralregister auf mögliche strafbare Hand-lungen im Ausland aufmerksam wurde, sondern die politische Polizei, die entweder vor der Wache am Flughafen, am Busbahnhof in Istanbul oder gar erst am Heimatort "zugriff".... . Die "Rückkehrgefährdung" existiert nicht nur zum Zeitpunkt der Einreise, wenn die "Schüblinge" mit Passersatz auf ihre Identität und mögliche gegen sie angestrengte Strafermittlungen und -verfahren überprüft werden. Polizeiliche Ermitt-lungen, die sich sowohl auf Aktivitäten im In- als auch im Ausland beziehen können, werden im Zentralregister anscheinend nicht geführt, so dass viele Abgeschobene ungehindert einreisen können und erst in der Heimat (auch hier nicht selten an einem Busbahnhof oder wenn sie als "Fremde" in einem Ort als "verdächtige Personen") aufgegriffen werden." Das Interesse der türkischen Polizei an diesen Informationen wird auch dadurch geweckt, dass die in der Türkei in der Illegalität tätigen Organisationen viele ihrer Aktivitäten über Freunde im Ausland koordinieren. Es sind Polizeikontrollen aus PKK-, TKP-ML- und TDKP-Verfahren bekannt, in denen des langen und breiten erklärt wird, wie die in der Türkei aktiven Organisationsmitglieder ihre politischen Tätig-keiten über Telefonate mit Freunden in Europa koordinierten.

Diese Feststellungen resultieren aus

der Einvernahme des Berufungswerbers bei der Sicherheitsdirektion für das Bundes-land Wien, beim Bundesasylamt am 28. 4. 1993 und am 12. 10. 1996 und beim unab-hängigen Bundesasylsenat, dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen für die aktuelle politische Lage vom 21. 8. 2000, einem Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe "Türkei Lageanalyse - November 1998 bis April 1999", der Kopie des Urteiles des Strafgerichtes vom 00.00.1978, und einem klinischen Befundbericht des Allgemeinen Krankenhauses vom 00.00.1993, aus dem zu ersehen ist, dass der Berufungswerber Folterungen über sich ergehen lassen musste.

Die vom Berufungswerber sowohl im erstinstanzlichen als auch im zweitinstanzlichen Verfahren dokumentierten Geschehnisse haben sich nach Gesamtbetrachtung der Ge-schehnisse als auch auf Grund der herangezogenen Materialien und den vom Sach-verständigen für die aktuelle politische Situation in der Türkei erstatteten Gutachten durchaus in Einklang bringen lassen und stellen sich als in sich schlüssig und glaub-würdig dar. Es handelt sich beim Berufungswerber um einen politischen Menschen, der sich auch in den öffentlichen mündlichen Verhandlungen sehr sicher über den Kurdenkonflikt äußerte und es entsprechen die von ihm aufgezeigten - die Flucht aus-lösenden - Ereignisse, welche durch seine ihm vom türkischen Staat unterstellten staatsfeindlichen Aktivitäten hervorgerufen wurden bzw in weiterer Folge seine exilpolitischen Aktivitäten für die "kurdische Sache" im Ausland, der Realität in der Türkei.

Rechtlich ergibt sich daraus folgendes:

Gem Paragraph 7, AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaub-haft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel eins, Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der (Genfer) Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtstellung der Flücht-linge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (GFK), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Natio-nalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Es ist im gegenständlichen Fall bei der Beurteilung der Frage einer gegebenen begründeten Furcht vor Verfolgung darauf abzustellen, dass beim Berufungswerber durch seine Aktivitäten für eine vom türkischen Staat als "illegal" eingestufte Schülervereinigung, wobei ihm in weiterer Folge eine Mitgliedschaft bei der THKP-C unterstellt wurde, er deswegen festgenommen, inhaftiert, gefoltert und letztendlich zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, eine begründete Furcht vor Verfolgung als gegeben anzusehen ist. Erschwerend tritt hinzu, dass der Berufungswerber in Österreich in exponierter Position exilpolitisch tätig ist.

Es ist für den unabhängigen Bundesasylsenat auf Grund der vorgelegten Unterlagen, der Dar-legungen des Sachverständigen in dem schriftlichen Gutachten, den Ausführungen des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung und dem gesamten glaubwürdigen Vorbringen, in welchem er seine Probleme wegen seiner staatsfeindlichen Gesinnung, welche letztendlich auch in ein Strafverfahren mündete, geschildert hat, klar gestellt, dass beim Berufungswerber im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat eine Verfolgungsgefahr in der Türkei gegeben ist. Bei solchen "Kritikern" der Verhältnisse in der Türkei ist es als wahrscheinlich zu erachten, dass diese bereits auf dem Flughafen über ihre Tätigkeiten befragt werden und bei einer Verhärtung der Verdachtsmomente eine Überstellung in Gewahrsam zu weiteren Verhören erfolgen kann, wobei Folterungen nicht ausgeschlossen sind.

Zu einer möglichen inländischen Fluchtalternative ist festzuhalten, dass sich die wohl-begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss vergleiche VwGH vom 8. 10. 1980, Slg Nr 10.255/A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatlandes offen, in denen er frei vor Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht. Es ist im gesamten Verfahren hervor-gekommen, dass dem Berufungswerber insoweit eine besondere Position zukommt, als er trotz Verurteilung seine Haftstrafe nicht angetreten hat und aus der Türkei nach Österreich geflüchtet ist. Daraus folgt, dass der Berufungswerber - auch wenn er nach einer Kontrolle an der Grenze freikommen sollte - von der politischen Polizei, welche alle Personen, die in ihrer Vergangenheit in eine Untersuchung oder in ein Verfahren verwickelt waren, registriert worden ist, sodass bei einer Kontrolle durch die politische Polizei eine Festnahme als wahrscheinlich zu erachten ist. Im Lichte dessen ist eine inländische Fluchtalternative auf Grund der obigen Ausführungen ausgeschlossen.

Aus all diesem Gesagten ist festzuhalten, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehe-nen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Berufungswerbers Verfolgungshandlungen durch die Behörden und mögliche Vergeltungsmaßnahmen durchaus nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden können.

Der Bescheid wurde im Anschluss an die mündliche Verhandlung am 20. 9. 2000 öffentlich verkündet.