Gericht

Landesverwaltungsgericht Wien

Entscheidungsdatum

21.12.2023

Geschäftszahl

VGW-101/032/9044/2023

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Pühringer über die Beschwerde des A. B., vertreten durch die C. Gem. GmbH, gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 31. Mai 2023, Zl. ..., betreffend eine Angelegenheit nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz, nach mündlicher Verhandlung am 15. Dezember 2023

zu Recht e r k a n n t:

römisch eins. 1. Gem. Paragraph eins, Absatz eins und Paragraph 2, Absatz eins, Wiener Grundversorgungsgesetz, Landesgesetzblatt 46 aus 2004,, wird dem Beschwerdeführer auf Grund seines Antrags vom 5. Dezember 2022 für den Zeitraum vom 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 Geldersatz für Leistungen aus der Grundversorgung

gegenüber dem Land Wien binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zuerkannt.

2. Diese Höhe dieses Geldersatzes wird mit € 567,84 bemessen.

römisch II. Der angefochtene Bescheid vom 31. Mai 2023 wird in seinen Spruchpunkten "I." und "III." ersatzlos behoben.

römisch III. Gegen Spruchpunkt römisch eins.2. dieses Erkenntnisses ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig, im Übrigen ist die Revision unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.           Verfahrensgang

1.           Mit dem angefochtenen Bescheid wurde ein Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Dezember 2022 auf Aufnahme in die Wiener Grundversorgung abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.), der Antrag auf Geldersatz in Höhe der Mindestsicherung abgewiesen (Spruchpunkt römisch II.) und der Antrag auf unverzügliche Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht zur vorläufigen Aufnahme in die Grundversorgung abgewiesen (Spruchpunkt römisch III.).

2.           Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitige und zulässige Beschwerde.

3.           Die belangte Behörde traf keine Beschwerdevorentscheidung und legte die Beschwerde dem Verwaltungsgericht Wien samt dem bezughabenden Verwaltungsakt vor.

4.           Das Verwaltungsgericht Wien holte weitere Stellungnahmen der Verfahrensparteien ein und führte am 15. Dezember 2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer und die belangte Behörde erschienen, und in welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde. Die Verfahrensparteien verzichteten auf die Verkündung der Entscheidung.

II.         Sachverhalt

1.           Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:

Der am ...2003 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsbürger. Er hat am 16. November 2022 im Burgenland erstmals das Bundesgebiet betreten und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; am selben Tag wurde der Beschwerdeführer zum Asylverfahren zugelassen. Er reiste in weiterer Folge zu verschiedenen Flüchtlingsquartieren unter anderem in Wels, Traiskirchen und Klagenfurt, wo er jedoch wegen Platzmangels nicht in die Betreuung aufgenommen wurde. In der Folge fuhr er Ende November 2022 nach Wien, wo er im Dezember 2022 teilweise am Hauptbahnhof oder auf der Straße, wenige Tage bei einem entfernten Verwandten, einige wenige Nächte in einer Obdachlosenunterkunft in der D.-gasse, in einzelnen Nächten in anderen Obdachlosenunterkünften und schließlich einige Tage in zwei Notschlafstellen für Jugendliche schlief. Teilweise wurde der Beschwerdeführer in den Obdachlosenunterkünften bzw. Notschlafstellen mit Nahrung versorgt, teilweise musste der Beschwerdeführer bei Bekannten Schulden aufnehmen, um seine Verpflegung zu gewährleisten. Zu welchem genauen Datum der Beschwerdeführer im Dezember 2022 an welchem genauen Ort nächtigte, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Beschwerdeführer verfügte im Dezember 2022 über kein Vermögen und kein Einkommen. Er hatte im Dezember 2022 abgesehen von der vorübergehenden Unterkunft bei einem entfernten Verwandten für wenige Tage keine weiteren Unterbringungsoptionen bei Verwandten oder Bekannten. Der Beschwerdeführer war von 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 in Wien als obdachlos gemeldet.

Dem Beschwerdeführer wurde vonseiten des Bundes oder der Stadt Wien vom 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 keine Unterkunft oder sonstige Unterstützung angeboten, die er ablehnte. Der Beschwerdeführer war in diesem Zeitraum von der Koordinationsstelle des Bundes keinem Bundesland zur Grundversorgung zugeteilt.

Am 22. Dezember 2022 wurde der Beschwerdeführer in die Grundversorgung des Bundes, später in die Grundversorgung des Landes Steiermark aufgenommen.

2.           Diese Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

Das Verwaltungsgericht Wien hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, Einholung eines Auszugs aus dem zentralen Fremdenregister, Einholung von Stellungnahmen der Verfahrensparteien sowie Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers seit seiner Ankunft im Bundesgebiet und zu seiner Versorgungssituation im Dezember 2022 ergeben sich aus dessen eigenen glaubhaften Angaben. Die Angaben des Beschwerdeführers zur Zulassung seines Asylverfahrens und zur Aufnahme in die Grundversorgung des Bundes am 22. Dezember 2022 decken sich mit dem eingeholten Fremdenregisterauszug bzw. dem im Behördenakt erliegenden Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Die behördliche Meldung als obdachlos in Wien im Dezember 2022 ergibt sich aus einem im Behördenakt erliegenden Auszug aus dem zentralen Melderegister. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt war im verwaltungsbehördlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht weiter strittig.

III.       Rechtliche Beurteilung:

1.           Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Grundversorgungsgesetzes – WGVG, Landesgesetzblatt 46 aus 2004, in der Fassung Landesgesetzblatt 49 aus 2018,, lauten:

"§ 1. (1) Leistungen nach diesem Gesetz werden an hilfs- und schutzbedürftige Fremde erbracht.

(2) Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

(3) Schutzbedürftig sind:

1. Fremde, die nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 – AsylG), Bundesgesetzblatt römisch eins Nr. 76, einen Asylantrag gestellt haben (Asylwerber) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens,

[…]

(5) Die Unterstützung für einen Fremden kann unter Berücksichtigung von Artikel eins, Absatz 2, der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Artikel 15 a, B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung – Artikel 15 a, B-VG), LGBl. für Wien Nr. 13/2004, eingeschränkt oder abgelehnt werden, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden ist, die einen Ausschlussgrund gemäß Paragraph 13, Asylgesetz 1997 darstellen kann.

[…]

Paragraph 2, (1) Leistungen der Grundversorgung nach diesem Gesetz können einem hilfs- und schutzbedürftigen Fremden gewährt werden, der seinen Hauptwohnsitz oder mangels eines solchen seinen Aufenthalt in Wien hat.

(2) Bei der Versorgung der in die Betreuung nach diesem Gesetz aufgenommenen Fremden und der Schaffung und Erhaltung der nötigen Infrastruktur kann das Land Wien humanitäre, kirchliche oder private Einrichtungen oder Institutionen der freien Wohlfahrtspflege zur Mitarbeit heranziehen.

Paragraph 3, (1) Die Grundversorgung umfasst:

1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit (einschließlich der eingetragenen Partnerschaft),

2. Versorgung mit angemessener Verpflegung,

3. Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung,

4. Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,

5. Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), Bundesgesetzblatt Nr. 189 aus 1955,, durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,

6. Gewährung allenfalls über die Krankenversorgung gemäß Ziffer 5, hinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,

7. Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,

8. Information, Beratung und soziale Betreuung des Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu dessen Orientierung in Österreich und zur Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr,

9. Übernahme von Beförderungskosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,

10. Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,

11. Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,

12. Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,

13. Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und

14. Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.

[…]"

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Artikel 15 a, B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung - Artikel 15 a, B-VG) – GVV, Bundesgesetzblatt Teil eins, 80 aus 2004,, lauten:

"Artikel 1

Zielsetzung

(1) Ziel der Vereinbarung ist die bundesweite Vereinheitlichung der Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die im Bundesgebiet sind, im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche. Die Grundversorgung soll bundesweit einheitlich sein, partnerschaftlich durchgeführt werden, eine regionale Überbelastung vermeiden und Rechtssicherheit für die betroffenen Fremden schaffen.

(2) Bei der Erreichung des Ziels gemäß Absatz eins, ist auf die europarechtlichen Normen, insbesondere auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten und die Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, Bedacht zu nehmen.

[…]

(5) Diese Vereinbarung begründet keinen Rechtsanspruch für Fremde gemäß Artikel 2.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen/Zielgruppe

(1) Zielgruppe dieser Vereinbarung sind – unbeschadet der Bestimmungen des Bundesbetreuungsgesetzes, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 101 aus 2003, – hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die unterstützungswürdig sind. Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Schutzbedürftig sind

1. Fremde, die einen Asylantrag gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist,

[…]

Artikel 3

Aufgaben des Bundes

(1) Der Bund führt Betreuungseinrichtungen (Betreuungsstellen, Erstaufnahmestellen) für Asylwerber. Der Bund stellt vor Neuerrichtung oder Schließung von Bundesbetreuungsstellen das Einvernehmen mit dem jeweiligen Bundesland her. Der Bund sorgt für die Erstaufnahme der Asylwerber.

(2) Der Bund richtet eine Koordinationsstelle ein. Deren Aufgaben sind:

1. Zuteilung der Asylwerber auf die Länder unter Bedachtnahme auf den Aufteilungsschlüssel (Artikel eins, Absatz 4,),

[…]

Artikel 4

Aufgaben der Länder

(1) Die Aufgaben der Länder sind:

1. Versorgung der von der Koordinationsstelle zugewiesenen Asylwerber,

[…]"

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Grundversorgungsgesetzes – Bund 2005 – GVG-B 2005, Bundesgesetzblatt 405 aus 1991, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, 53 aus 2019,, lauten:

"Gewährung der Versorgung

Paragraph 2, (1) Der Bund leistet Asylwerbern im Zulassungsverfahren Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes (Paragraph eins, Ziffer 5,), wobei im Rahmen der Aufnahme in die Grundversorgung etwaige besondere Bedürfnisse von schutzbedürftigen Personen – so weit als möglich – berücksichtigt werden. Darüber hinaus sorgt der Bund im gleichen Ausmaß für Fremde, deren Asylantrag im Zulassungsverfahren

1. zurückgewiesen oder

2. abgewiesen wurde, wenn der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, solange ihr diese nicht wieder zuerkannt wird,

bis diese das Bundesgebiet verlassen, solange sie in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht sind. Bei Führung von Konsultationen gemäß der Dublin – Verordnung oder bei zurückweisenden Entscheidungen gemäß Paragraph 5, AsylG 2005 können im Einvernehmen mit der jeweils zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes, Fremde in Betreuungseinrichtungen des betroffenen Bundeslandes untergebracht werden und von diesen versorgt werden. Paragraph 6, Absatz eins, gilt sinngemäß.

(1a) Es besteht kein Anspruch auf Versorgung in einer bestimmten Betreuungseinrichtung des Bundes oder in einem bestimmten Bundesland. Bei Bedarf ist eine Verlegung von Asylwerbern und sonstigen Fremden nach Absatz eins,, die bereits in einer Betreuungseinrichtung des Bundes versorgt werden, in eine andere Betreuungseinrichtung des Bundes zulässig. Dem Asylwerber ist formlos mitzuteilen, in welcher Betreuungseinrichtung des Bundes (Paragraph eins, Ziffer 5,) ihm künftig die Grundversorgung gewährt wird und es ist ihm die kostenlose Anreise zu dieser zu ermöglichen. Diesfalls ist der Asylwerber nicht mehr zum Aufenthalt in der Betreuungseinrichtung, in der ihm bisher Versorgung geleistet wurde, berechtigt.

[…]

Versorgung nach erfolgter Zulassung

Paragraph 6, (1) Über erstmalige Unterbringung in einer Betreuungsstelle eines Bundeslandes entscheidet der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit der zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes. Dem Asylwerber ist formlos mitzuteilen, in welcher Betreuungsstelle (Paragraph eins, Ziffer 4,) ihm künftig die Grundversorgung gewährt wird und es ist ihm die kostenlose Anreise zu dieser zu ermöglichen.

(2) Bis zur Herstellung des Einvernehmens mit der zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes kann der Asylwerber im unbedingt erforderlichen Ausmaß in der Betreuungsstelle des Bundes (Paragraph eins, Ziffer 4,) weiter versorgt werden, jedoch nicht für einen 14 Tage übersteigenden Zeitraum."

Artikel 17, der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung) – Aufnahme-RL lautet (auszugsweise):

"Artikel 17

Allgemeine Bestimmungen zu materiellen Leistungen im Rahmen der Aufnahme und zur medizinischen Versorgung

(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Antragsteller ab Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Anspruch nehmen können.

(2) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass dieser Lebensstandard gewährleistet ist, wenn es sich um schutzbedürftige Personen im Sinne von Artikel 21 und um in Haft befindliche

Personen handelt.

[…]

(5) Wenn die Mitgliedstaaten im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen gewähren, bemisst sich deren Umfang auf Grundlage des Leistungsniveaus, das der betreffende Mitgliedstaat nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder nach den Gepflogenheiten anwendet, um eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten können Antragstellern in dieser Hinsicht eine weniger günstige Behandlung im Vergleich mit eigenen Staatsangehörigen zuteil werden lassen, insbesondere wenn materielle Unterstützung teilweise in Form von Sachleistungen gewährt wird oder wenn das, auf eigene Staatsangehörige anzuwendende, Leistungsniveau darauf abzielt, einen Lebensstandard zu gewährleisten, der über dem nach dieser Richtlinie für Antragsteller vorgeschriebenen Lebensstandard liegt."

2.           Zum Verfahrensgegenstand:

2.1.       In seinem verfahrenseinleitenden Antrag vom 5. Dezember 2022 hat der Beschwerdeführer neben "Geldersatz in Höhe der Mindestsicherung für rechtswidrig vorenthaltene Grundversorgung" die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht und eine "bescheidmäßige Entscheidung über das Bestehen [s]eines Grundversorgungsanspruchs" begehrt. Aus der Begründung seines Antrags ist zu ersehen, dass der Beschwerdeführer mit letzterem der Sache nach die unverzügliche Aufnahme in die Wiener Grundversorgung begehrte. Auch die belangte Behörde hat den verfahrenseinleitenden Antrag offensichtlich in diesem Sinne verstanden und hat in Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheids den "Antrag auf Aufnahme in die Wiener Grundversorgung" abgewiesen. Weiters wurde in Spruchpunkt römisch II. der "Antrag auf Geldersatz in Höhe der Mindestsicherung" abgewiesen und in Spruchpunkt römisch III. der "Antrag auf unverzügliche Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht zur vorläufigen Aufnahme in die Grundversorgung" abgewiesen. Das Verwaltungsgericht Wien geht davon aus, dass mit dem angefochtenen Bescheid der Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Dezember 2022 vollumfänglich in der Sache erledigt wurde.

In der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Stellungnahme vom 5. September 2023 zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Aufnahme in die Wiener Grundversorgung ausdrücklich zurück. Auch der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht wurde ausdrücklich zurückgezogen. Der Beschwerdeführer hat dabei dem klaren Wortlaut seiner Erklärung nach nicht die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid in diesem Umfang eingeschränkt, sondern den verfahrenseinleitenden Antrag vom 5. Dezember 2022 zurückgezogen, soweit sich dieser auf die Aufnahme in die Wiener Grundversorgung und die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht bezog.

Gemäß Paragraph 13, Absatz 7, AVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Die Zurückziehung ist so lange zulässig, als der Antrag noch unerledigt ist. Dies bedeutet für Fälle, in denen der Antrag auf Einleitung eines mit Bescheid abzuschließenden Verfahrens gerichtet ist, dass eine Antragszurückziehung bis zur Bescheiderlassung, im Fall einer Berufung bis zum Berufungsbescheid, möglich ist. Diese zum Berufungsverfahren vor den Verwaltungsbehörden ergangene Rechtsprechung ist auf das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten zu übertragen vergleiche aus der ständigen Rechtsprechung VwGH 20.9.2023, Ra 2022/04/0158). Die Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrags während des anhängigen Beschwerdeverfahrens bewirkt den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheids und damit nachträglich die Rechtswidrigkeit des Bescheids. Das Verwaltungsgericht hat in einem solchen Fall den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos zu beheben (VwGH 24.2.2022, Ra 2020/06/0051).

Hinsichtlich der Spruchpunkte römisch eins. und römisch III. des angefochtenen Bescheids besteht daher infolge der teilweisen Antragszurückziehung im Beschwerdeverfahren zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts Wien keine Zuständigkeit der belangten Behörde (mehr), über einen solchen Antrag abzusprechen. Diese Spruchpunkte sind ersatzlos zu beheben.

2.2.       Im Beschwerdefall ist nicht zu übersehen, dass der Beschwerdeführer der Aktenlage nach am 19. Dezember 2022 (und damit zwei Wochen nach Antragstellung) bei der belangten Behörde eine Säumnisbeschwerde einbrachte, die auf die inhaltliche Erledigung seines Antrags vom 5. Dezember 2022, insbesondere auf die unverzügliche Aufnahme in die Grundversorgung, gerichtet war.

Gem. Paragraph 8, Absatz eins, VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer 3, B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Artikel 130, Absatz eins, Ziffer 3, B-VG kann die Behörde gem. Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten den Bescheid erlassen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, ist das Verfahren einzustellen.

Holt die Behörde den Bescheid nicht nach, hat sie gem. Paragraph 16, Absatz 2, VwGVG dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Gleichzeitig hat die Behörde den Parteien eine Mitteilung über die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht zuzustellen; diese Mitteilung hat den Hinweis zu enthalten, dass Schriftsätze ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht unmittelbar bei diesem einzubringen sind.

Infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde geht nach Vorlage derselben oder ungenütztem Ablauf der Nachfrist des Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht über. Gleichzeitig erlischt die Zuständigkeit der Behörde spätestens mit Ablauf der dreimonatigen Nachfrist, die mit dem Einbringungszeitpunkt der – zulässigen und berechtigten – Säumnisbeschwerde zu laufen begonnen hat (VwGH 27.6.2023, Ra 2023/20/0152).

Die Säumnisbeschwerde vom 19. Dezember 2022 wurde dem Verwaltungsgericht Wien innerhalb der Nachfrist des Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG nicht vorgelegt, diese Nachfrist verstrich ungenutzt und es erfolgte keine bescheidmäßige Erledigung durch die belangte Behörde innerhalb der Nachfrist. Der angefochtene Bescheid vom 31. Mai 2023 wurde erst am 5. Juni 2023 durch Zustellung an den Beschwerdeführer und damit nach Ablauf der Nachfrist des Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG erlassen.

Aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien ging dennoch nach Ablauf der dreimonatigen Nachfrist des Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG die Zuständigkeit zur Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrags nicht ex lege auf das Verwaltungsgericht Wien über, weil es sich um keine zulässige und berechtigte Säumnisbeschwerde handelte:

Das Wiener Grundversorgungsgesetz sieht keine von Paragraph 8, Absatz eins, VwGVG abweichende kürzere Entscheidungsfrist vor (siehe zu verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich dieser Frist in Zusammenhang mit der Grundversorgung VwGH 14.4.2016, Ra 2015/21/0190, Rz. 29; VfSlg. 18.525/2008). Die Säumnisbeschwerde wurde daher verfrüht eingebracht, wenngleich die Behörde über einen Antrag auf einstweilige Anordnung mit der Behauptung, die unzureichende Gewährung von Grundversorgung widerspreche der Aufnahme-RL, unverzüglich zu entscheiden hat vergleiche neuerlich VwGH 14.4.2016, Ra 2015/21/0190).

Fallbezogen stellt sich die Frage nicht, ob aus Gründen der Effektivität des unionsrechtlichen Rechtsschutzes eine kürzere als die sechsmonatige Frist für die Erhebung einer Säumnisbeschwerde anzunehmen ist, weil sich die Dringlichkeit der vom Beschwerdeführer gestellten Anträge auf die Aufnahme in die Grundversorgung bzw. auf eine vorläufige Aufnahme in die Grundversorgung bezog und diese infolge der Antragszurückziehung nicht mehr verfahrensgegenständlich ist, weshalb aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien die Frage, ob die sechsmonatige Entscheidungsfrist des Paragraph 8, Absatz eins, VwGVG durch Unionsrecht verdrängt wurde, dahingestellt bleiben kann vergleiche zur Säumnisbeschwerde nach Paragraph 27, VwGG aF VwGH 16.9.2010, 2010/12/0126). Zudem erfolgte die Aufnahme in die Grundversorgung am 22. Dezember 2022 und wurde der mit der Säumnisbeschwerde verfolgte Zweck der Herstellung des unionsrechtskonformen Zustands durch Aufnahme in die Grundversorgung damit drei Tage nach Erhebung der Säumnisbeschwerde erreicht.

Hinsichtlich des im Beschwerdeverfahren noch offenen Teils des Antrags vom 5. Dezember 2022 auf Leistung von Geldersatz besteht die vom Beschwerdeführer mit der Säumnisbeschwerde geltend gemachte besondere Dringlichkeit nicht, weil der von Artikel 17, Aufnahme-RL geforderte angemessene Lebensstandard des Beschwerdeführers aktuell durch die Aufnahme in der Grundversorgung ohnehin gewährleistet ist und daher aus unionsrechtlicher Sicht kein akuter Handlungsbedarf besteht, der zu einer allfälligen Verdrängung entgegenstehender nationaler Fristen führen könnte.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Säumnisbeschwerdeverfahren bei Erlassung des Bescheids durch die zuvor säumige Behörde einzustellen ist (selbst wenn die Bescheiderlassung erst nach Ablauf der Frist des Paragraph 16, Absatz eins, VwGVG erfolgte). Die Einstellung hat aber durch die Behörde und nicht durch das Verwaltungsgericht zu erfolgen (VwGH 17.2.2021, Ra 2020/13/0088; 19.9.2017, Ro 2017/20/0001).

3.           In der Sache:

3.1.       Mit Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheids wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Jänner 2022 auf Geldersatz für Leistungen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz in Höhe der Mindestsicherung abgewiesen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren konkretisierte der Beschwerdeführer sein Begehren dahingehend, dass er Geldersatz für die vorenthaltene Grundversorgung für den Zeitraum vom 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 in der Höhe von insgesamt € 567,84 begehre. Die konkrete Summe stützte der Beschwerdeführer auf den Mindeststandard für das Jahr 2022 nach Paragraph 8, Absatz 2, Ziffer 5, Wiener Mindestsicherungsgesetz – WMG.

3.2.       Im Beschwerdeverfahren ist zunächst ist zu klären, ob dem Beschwerdeführer für den geltend gemachten Zeitraum ein Anspruch nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz dem Grunde nach zusteht:

Dem Beschwerdeführer kam im maßgeblichen Zeitraum als Antragsteller auf internationalen Schutz schon unmittelbar auf Grund des Unionsrechts vergleiche Artikel 17, Absatz eins, Aufnahme-RL) ein Anspruch auf materielle Leistungen, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, zu vergleiche nochmals VfSlg. 20.098/2016 mit Verweis auf EuGH 27.2.2014, Rs. C-79/13, Saciri).

In der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes zum Grundversorgungsrecht wurde (unter Verweis auf Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union) klargestellt, dass die faktische Vorenthaltung von Grundversorgungsleistungen, bevor ein verweigernder, einschränkender oder entziehender Bescheid ergeht, rechtswidrig ist. Werden an sich vorgesehene Sachleistungen vorenthalten, lässt das in weiterer Folge das Entstehen von Geldleistungsansprüchen zu. Denn werden die "materiellen Aufnahmebedingungen" nicht als Sachleistung gewährt, so kann das nur so verstanden werden, dass die Behörde von der Option einer Gewährung von Grundversorgung "in Form von Geldleistungen" Gebrauch machen will (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154, Rz. 18).

Die Durchsetzung eines solchen Geldersatzanspruchs hat über die Beantragung eines verwaltungsbehördlichen Bescheids zu erfolgen, mit dem darüber abgesprochen wird, ob für einen bestimmten beanspruchten Zeitraum Grundversorgungsleistungen zustehen vergleiche VfSlg. 20.098/2016; mit dieser Entscheidung wurde von der früheren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg. 18.447/2008, wonach solche Ansprüche mit einer Klage nach Artikel 137, B-VG zu verfolgen seien, abgegangen). Gegen einen solchen Bescheid steht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Verwaltungsgericht erster Instanz und die nachprüfende Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts offen (siehe zum Wiener Grundversorgungsgesetz VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0119; VfSlg. 20.099/2016).

Für das Verwaltungsgericht Wien steht daher zunächst fest, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls ein Anspruch auf Geldersatz für vorenthaltene Grundversorgungsleistungen zukommt und dass darüber im Verwaltungsweg abzusprechen ist.

3.3.       Im Beschwerdefall ist weiters zu klären, ob der Beschwerdeführer seinen Geldersatzanspruch zu Recht gegen das Land Wien gerichtet hat oder ob dieser gegenüber dem Bund bzw. einer anderen Gebietskörperschaft zusteht.

Aus unionsrechtlicher Sicht ist ohne Belang, welche Gebietskörperschaft die nach der Aufnahme-RL gebotenen Leistungen erbringt (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154). Unionsrechtlich ist es jedoch geboten, dass letztlich irgendeine Gebietskörperschaft für die Leistung der Grundversorgung zuständig ist, wobei es unionsrechtlich unerheblich ist, ob die Grundversorgungsleistungen durch Vertrag oder hoheitlichen Verwaltungsakt gewährt werden (VfSlg. 20.099/2016). Schließlich ist es bei Nichtgewährung der Grundversorgung nach dem österreichischen Rechtsschutzsystem erforderlich, dass darüber eine behördliche Entscheidung ergeht, damit die in Artikel 26, Aufnahme-RL enthaltenen Anforderungen an den Rechtsschutz in einer dem Effizienzgebot entsprechenden Weise erfüllt werden vergleiche erneut VfSlg. 20.099/2016).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid unter Verweis auf die Grundversorgungsvereinbarung einen Anspruch auf Grundlage des Wiener Grundversorgungsgesetzes und damit einen Anspruch gegen das Land Wien verneint. Das Wiener Grundversorgungsgesetz sei im Lichte dieser Artikel 15 a, B-VG-Vereinbarung zu lesen und könne nur solche Personen umfassen, die vom Bund der Wiener Grundversorgung zugewiesen worden seien.

Damit nimmt die belangte Behörde der Sache nach Bezug auf das Zuteilungsverfahren von Asylwerbenden durch die Koordinationsstelle des Bundes nach einem bestimmten Schlüssel iSd Artikel 3, Absatz 2, Ziffer eins, in Verbindung mit Artikel 4, Absatz eins, Ziffer eins, GVV. Im Beschwerdefall steht fest, dass der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum nicht von der Koordinationsstelle des Bundes dem Bundesland Wien (oder irgendeinem anderen Bundesland) zur Grundversorgung zugeteilt wurde.

Zu dieser Grundversorgungsvereinbarung hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf frühere Rechtsprechung des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes ausgesprochen, dass Vereinbarungen nach Artikel 15 a, B-VG keine Rechte und Pflichten Dritter begründen können, sondern dazu der Transformation bedürfen. Sie binden vielmehr die Vertragspartner (also Bund bzw. Länder) untereinander, was bedeutet, dass (nur) die Organe der jeweils beteiligten Gebietskörperschaften durch die Vereinbarung gebunden werden. Die Grundversorgungsvereinbarung kann keine Rechte und Pflichten der einzelnen Rechtsunterworfenen begründen. Das findet auch in Artikel eins, Absatz 5, GVV seinen Niederschlag, indem es dort heißt, diese Vereinbarung begründe keine Rechtsansprüche für die in Artikel 2, GVV als Zielgruppe genannten Fremden. Ohne entsprechenden Transformationsakt, der den Normunterworfenen berechtigt und verpflichtet, entfaltet eine Vereinbarung nach Artikel 15 a, B-VG für den Normunterworfenen somit keine Rechtswirkungen. Geltungsgrund der den Normunterworfenen bindenden Vorschrift ist nach einer solchen Transformation nicht die Vereinbarung nach Artikel 15 a, B-VG, sondern das Gesetz oder die Verordnung, selbst wenn diese nur den Text der Vereinbarung wörtlich übernehmen (VwGH 21.12.2021, Ro 2019/21/0015). Die Grundversorgungsvereinbarung kann aber zur Auslegung der sie transformierenden Gesetze herangezogen werden vergleiche zu einer solchen vertragskonformen Auslegung im Mindestsicherungsrecht VwGH 26.6.2014, 2013/10/0220; 24.6.2015, Ra 2015/10/0060; 24.2.2016, Ra 2015/10/0047, oder im Grundverkehrsrecht VwGH 6.12.2022, Ra 2022/11/0154).

In der die Grundversorgungsvereinbarung transformierenden Bestimmung des Paragraph 6, Absatz eins, GVG-B 2005 ist die Versorgung von Asylwerbenden nach erfolgter Zulassung zum Asylverfahren geregelt. Demnach entscheidet über die erstmalige Unterbringung in einer Betreuungsstelle eines Bundeslandes der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit der zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes. Dem Asylwerber ist formlos mitzuteilen, in welcher Betreuungsstelle ihm künftig die Grundversorgung gewährt wird und es ist ihm die kostenlose Anreise zu dieser zu ermöglichen.

Gem. Absatz 2, leg.cit. kann der Asylwerber bis zur Herstellung des Einvernehmens mit der zuständigen Stelle des betroffenen Bundeslandes im unbedingt erforderlichen Ausmaß in der Betreuungsstelle des Bundes weiter versorgt werden, jedoch "nicht für einen 14 Tage übersteigenden Zeitraum".

Unter Verweis auf diese Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass, wenn sich ein klarer innerstaatlicher Anspruch gegenüber einem Bundesland ergibt, dieses Bundesland als zur Tragung der Grundversorgungsleistungen verpflichtet angesehen werden muss, auch wenn es an der nach der Grundversorgungsvereinbarung vorgesehenen Zuteilung an das betroffene Bundesland (noch) fehlt, zumal eine (weitere) Betreuung durch den Bund nach Paragraph 6, Absatz 2, GVG-B von vornherein als Ausnahme konzipiert und zeitlich befristet ist, was seitens des Gesetzgebers mit kompetenzrechtlichen Überlegungen begründet wurde (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154).

Ein Grundversorgungsanspruch gegenüber dem Bund scheidet aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien im Beschwerdefall angesichts der zeitlichen Einschränkung in Paragraph 6, Absatz 2, GVG-B 2005 aus, weil der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum bereits länger als 14 Tage zum Asylverfahren zugelassen war. Entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2023 vertretenen Rechtsansicht lässt sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 20.503/2021 nichts Gegenteiliges ableiten. In diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof gem. Artikel 137, B-VG über einen Kostenersatzanspruch des Landes Wien gegen den Bund für tatsächlich geleistete Grundversorgung nach Artikel 11, GVV entschieden. Dieser Kostenersatzanspruch bezog sich auf hilfsbedürftige Fremde, denen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, über deren Anträge auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten nach zwölf Monaten aber noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren geht es weder darum, welche Gebietskörperschaft letztlich für den geltend gemachten Geldersatzanspruch fiskalisch aufzukommen hat, noch geht es um einen subsidiär Schutzberechtigten, über dessen Antrag auf internationalen Schutz nicht binnen zwölf Monaten rechtskräftig entschieden wurde. Ausführungen darüber, nach welchen grundversorgungsrechtlichen Bestimmungen über einen (aus dem Unionsrecht herrührenden) Geldersatzanspruch für vorenthaltene Grundversorgungsleistungen abzusprechen ist, und welche Behörde dafür zuständig ist, finden sich im Erkenntnis VfSlg. 20.503/2021 nicht, weshalb aus diesem Erkenntnis aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien nicht abzuleiten ist, dass im Beschwerdefall jedenfalls (nur) ein Grundversorgungsanspruch nach dem Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 bestehen kann, über den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abzusprechen hätte vergleiche zu dieser Zuständigkeit VwGH 14.4.2016, Ra 2015/21/0190, Rz. 20). Im Übrigen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid (implizit) selbst ihre Zuständigkeit für den geltend gemachten Anspruch bejaht, indem sie über den Anspruch des Beschwerdeführers in der Sache abgesprochen hat, anstatt den Antrag gem. Paragraph 6, AVG an die dafür vermeintlich zuständige Stelle weiterzuleiten bzw. ihre Unzuständigkeit auszusprechen.

3.4.       Jedenfalls besteht kein Anspruch des Asylwerbers bzw. eine korrespondierende Verpflichtung des Bundes, wenn und soweit schon ein landesgesetzlich begründeter Anspruch auf Grundversorgung besteht (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0154, Rz. 22). Es ist daher zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz zukommt:

Paragraph eins, Absatz eins, WGVG knüpft Leistungen nach diesem Gesetz generell an die Tatbestände der Hilfsbedürftigkeit und der Schutzbedürftigkeit eines Fremden. Der im maßgeblichen Zeitraum einkommens- und vermögenslose Beschwerdeführer, der auf kein familiäres Netz für eine nachhaltige Versorgung zugreifen konnte, und vorübergehend in Obdachlosen- und Notunterkünften bzw. auf der Straße leben musste, erfüllte den Tatbestand der Hilfsbedürftigkeit iSd Paragraph eins, Absatz 2, WGVG, weil er seinen Lebensbedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen konnte und ihn auch nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhielt. Als Asylwerber, dessen Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, war er zudem schutzbedürftig iSd Paragraph eins, Absatz 3, Ziffer eins, WGVG.

Der Beschwerdeführer hat sich im maßgeblichen Zeitraum in Wien aufgehalten und war in Wien als obdachlos gemeldet. Es lagen daher alle Voraussetzungen für Leistungen aus der Grundversorgung nach Paragraph 2, Absatz eins, WGVG vor. Wenngleich diese Bestimmung keinen ausdrücklichen Rechtsanspruch auf Leistungen aus der Grundversorgung einräumt ("können […] gewährt werden"), ist im Lichte des bisher Gesagten schon aus unionsrechtlichen Erwägungen Paragraph 2, Absatz eins, WGVG so zu verstehen, dass dem Beschwerdeführer damit ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Leistungen der Grundversorgung eingeräumt wird, zumal im Beschwerdefall nicht ersichtlich ist, dass eine andere Gebietskörperschaft für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs in Betracht kommt.

Der Anspruch des Beschwerdeführers auf Leistungen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz bestand daher im Zeitraum 5. Dezember 2022 bis 22. Dezember 2022 dem Grunde nach zu Recht. In diesem Zeitraum wurden dem Beschwerdeführer trotz seines Antrags keine Leistungen aus der Grundversorgung erbracht, obwohl kein die Leistungen aus der Grundversorgung verweigernder, einschränkender oder entziehender Bescheid ergangen ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die belangte Behörde von der Option der Gewährung von Grundversorgung in Form von Geldleistungen Gebrauch gemacht hat (siehe dazu schon Pkt. römisch III.3.2.).

3.5.       Zur Höhe des Geldersatzanspruchs:

Paragraph 3, Absatz eins, WGVG legt den Leistungsumfang der Grundversorgung fest. Dieser Leistungsumfang ist im Licht von Artikel 17, Absatz 5, erster Satz Aufnahme-RL so zu verstehen, dass damit ein angemessener Lebensstandard gewährleistet werden soll, der auch österreichischen Staatsbürgern zusteht. Die in Artikel 17, Absatz 5, zweiter Satz Aufnahme-RL eingeräumte Möglichkeit, diesen Lebensstandard zu unterschreiten, wurde im nationalen Recht nicht umgesetzt (VwGH 21.12.2021, Ro 2019/21/0015).

Als sachnächste Norm, die eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard iSd Artikel 17, Absatz 5, erster Satz Aufnahme-RL gewährleistet, kommt im Beschwerdefall das Wiener Mindestsicherungsgesetz in Betracht, das gem. Paragraph 3, Absatz eins, WMG einen Mindeststandard – unter anderem – in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen und Krankheit abdeckt vergleiche zur Heranziehung des Oö. Mindestsicherungsgesetz als sachnächster Norm erneut VwGH 21.12.2021, Ro 2019/21/0015). Diese Mindeststandards werden in Paragraph 8, WMSG entsprechend einzelner Personengruppen der Höhe nach näher definiert. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien sind – wie auch vom Beschwerdeführer angeführt – dabei zeitraumbezogen die Kostensätze für das Kalenderjahr 2022 in der damals geltenden Fassung der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wiener Mindestsicherungsgesetz für das Jahr 2022 – WMG-VO 2022, Landesgesetzblatt 81 aus 2021,, heranzuziehen vergleiche zu zeitraumbezogenen Ansprüchen im Mindestsicherungsrecht VwGH 22.11.2022, Ra 2021/10/0114).

Bei sinngemäßer Anwendung des Paragraph 8, WMSG für die Ermittlung eines angemessenen Lebensstandards ist im Beschwerdefall zu berücksichtigen, dass vom Beschwerdeführer auf Grund seiner damaligen Lebenssituation als Mitte November 2022 erstmals ins Bundesgebiet eingereister Asylwerbender ohne feste Unterkunft nicht erwartet werden konnte, im Zeitraum vom 5. Dezember 2022 bis 22. Dezember 2022 einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder eine Schul- oder Erwerbsausbildung aufzunehmen. Soweit Paragraph 8, WMSG für die Höhe des heranzuziehenden Mindeststandards an diese Voraussetzungen anknüpft, wäre es daher nicht sachgerecht, deren Fehlen im Beschwerdefall zu Lasten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Für den alleinstehenden Beschwerdeführer, der im maßgeblichen Zeitraum das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, kommt als sachnächste Bestimmung daher der Mindeststandard des Paragraph 8, Absatz 2, Ziffer 5, WMG in Betracht. Gem. Paragraph eins, Absatz 6, WMG-VO 2022 betrug dieser Mindeststandard für das Jahr 2022 monatlich € 977,94. Hochgerechnet auf 18 Tage im Dezember 2022 ergibt sich daraus ein (gerundeter) Betrag von € 567,84.

Das Verwaltungsgericht Wien verkennt dabei nicht, dass gem. Paragraph eins, Absatz 3, WMSG die Zuerkennung von Leistungen der Wiener Mindestsicherung subsidiär ist. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.

Im Beschwerdefall nächtigte der Beschwerdeführer im maßgeblichen Zeitraum tageweise in verschiedenen Obdachlosenunterkünften, Notschlafstellen für Jugendliche und für einige Tage bei einem entfernten Verwandten. Teilweise wurde er in diesen Einrichtungen auch verpflegt. In Anbetracht des dem Beschwerdeführer durch die Grundversorgung zustehenden angemessenen Lebensstandards ist für das Verwaltungsgericht Wien jedoch nicht erkennbar, dass durch diese Leistungen Dritter ein solcher Lebensstandard im maßgeblichen Zeitraum (auch nur fallweise) erreicht wurde und der Beschwerdeführer deshalb auf Leistungen aus der Grundversorgung nur eingeschränkt angewiesen war. Die Lebenssituation des Beschwerdeführers im maßgeblichen Zeitraum war geprägt von häufigen Ortswechseln, Unsicherheit über die weitere Unterbringung, mangelnder medizinischer Versorgung und dem Erfordernis, sich finanzielle Mittel bei Bekannten auszuleihen, um die durchgängige Verpflegung zu gewährleisten. In solchen Umständen ist jedenfalls kein angemessener Lebensstandard zu erkennen, auch wenn dem Beschwerdeführer punktuell Unterkunft oder Verpflegung von dritter Seite gewährt wurde, und wurde daher sein Anspruch auf Grundversorgung (bzw. der Geldersatzanspruch für Grundversorgungsleistungen) durch diese punktuellen Hilfsleistungen nicht geschmälert.

4.           Dem Beschwerdeführer ist somit infolge seines Antrags vom 5. Dezember 2022 für den Zeitraum vom 5. Dezember 2022 bis zum 22. Dezember 2022 ein Geldersatz für vorenthaltene Grundversorgungsleistungen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz in der Höhe von € 567,84 zuzusprechen.

5.           Das Bestehen des Anspruchs des Beschwerdeführers gegenüber dem Land Wien dem Grunde nach ergibt sich aus Sicht des Verwaltungsgerichts Wien aus der zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Grundversorgungsansprüchen gegenüber Bundesländern, insbesondere aus den Erkenntnissen vom 20. Dezember 2018, Ra 2018/21/0154, und vom 21. Dezember 2021, Ro 2019/21/0015. Diesbezüglich liegt daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Artikel 133, Absatz 4, B-VG vor, weil das Verwaltungsgericht Wien von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen ist. Auch bei der ersatzlosen Behebung eines behördlichen Abspruchs über einen Antrag, der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zurückgezogen wurde, hat sich das Verwaltungsgericht Wien an der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert und ist daher das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage zu verneinen. Hinsichtlich der Höhe des zuzuerkennenden Geldersatzanspruchs liegt aber – soweit für das Verwaltungsgericht Wien überblickbar – keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Leistungsansprüchen nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz und der Heranziehung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes als sachnächster Norm vor. Infolge der dabei aufgeworfenen Fragen, insbesondere welche Bestimmungen als sachnächste Norm für die Ermittlung der Anspruchshöhe heranzuziehen sind, und angesichts zahlreicher beim Verwaltungsgericht Wien anhängiger Verfahren wegen vergleichbarer Geldersatzansprüche nach dem Wiener Grundversorgungsgesetz ist das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu bejahen und die Revision in diesem Umfang zuzulassen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:LVWGWI:2023:VGW.101.032.9044.2023