Gericht

Landesverwaltungsgericht Tirol

Entscheidungsdatum

19.10.2021

Geschäftszahl

LVwG-2021/16/2630-1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Mag.a Hofko über die Beschwerde des AA, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y vom 10.11.2020, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz in Verbindung mit der COVID-19-Lockerungsverordnung,

zu Recht:

1.           Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach Paragraph 45, Absatz eins, Ziffer eins, VStG eingestellt.

2.           Die ordentliche Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

römisch eins.           Verfahren:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe als Inhaber des Unternehmens BB in **** römisch zehn, Adresse 2, welches eine Betriebsstätte der Betriebsart des Gastgewerbes darstelle, nicht dafür Sorge getragen, dass die Betriebsstätte nur im Zeitraum zwischen 05:00 Uhr und 01:00 Uhr des folgenden Tages betreten werde. Am 31.07.2020 hätten sich um 01:57 Uhr noch mehr als 15 Personen im Lokal befunden, welche auch mit Getränken bedient worden seien. Der Beschwerdeführer habe daher die Rechtsvorschriften der Paragraphen eins,, 2 Ziffer eins und 3 Absatz 2, COVID-19-Maßnahmengesetz (COVID-19-MG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 12 aus 2020, in der Fassung in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 23 aus 2020,, in Verbindung mit Paragraph 6, Absatz 3, COVID-19-Lockerungsverordnung (COVID-19-LV), Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 332 aus 2020, verletzt, weswegen über ihn nach Paragraph 3, Absatz 2, COVID-19-MG, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 12 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 23 aus 2020,, eine Geldstrafe in Höhe von Euro 3.000,00 bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe in Höhe von 23 Tagen und acht Stunden verhängt wurde. Zusätzlich wurde ihm ein Beitrag zu den Verfahrenskosten in Höhe von Euro 300,00 auferlegt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol, in der er zusammengefasst ausführt, dass er in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Ihm sei zur Rechtfertigung am 03.11.2020 um 11:00 Uhr ein Termin zugewiesen worden, den er nicht habe wahrnehmen können, weil ihm der Zutritt zur Bezirkshauptmannschaft Y mit der Begründung verweigert worden sei, die zuständige Sachbearbeiterin sei nicht anwesend.

Die mit E-Mail vom 23.12.2020 bei der Bezirkshauptmannschaft Y eingelangte Beschwerde wurde dem Landesverwaltungsgericht Tirol mit Schreiben vom 22.09.2021 übermittelt.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 08.06.2021, Zl römisch fünf 21/2021-7, über einen Antrag auf Verordnungsprüfung des Landesverwaltungsgerichtes Tirol zu Recht erkannt, dass Paragraph 6, Absatz 2, der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020,, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020, gesetzwidrig war. Weiters ordnete der Verfassungsgerichtshof an, dass die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

römisch II.         Rechtslage:

1.     COVID-19-Lockerungsverordnung:

Die maßgebliche Bestimmung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung – COVID-19-LV), Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020,, lautet auszugsweise wie folgt:

„Gastgewerbe

Paragraph 6, (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zulässig.

(2) Der Betreiber darf das Betreten der Betriebsstätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 05:00 und 01:00 Uhr des folgenden Tages zulassen. Restriktivere Sperrstunden und Aufsperrstunden aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

[…]“

2.     Bundes-Verfassungsgesetz:

Der entscheidungswesentliche Artikel 139, des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), Bundesgesetzblatt Nr 1 aus 1930, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 114 aus 2013,, lautet auszugsweise wie folgt:

„Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag eines Gerichtes;

[…]

(4) Ist die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob die Verordnung gesetzwidrig war. Absatz 3, gilt sinngemäß.

[…]

(6) Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Absatz 4, ausgesprochen, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Absatz 5, gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.

[…]“

römisch III.       Erwägungen:

Die Bestrafung des Beschwerdeführers im angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Y erfolgte auf Grundlage des Paragraph 6, Absatz 3, der COVID-19-LV Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 332 aus 2020,. Paragraph 6, Absatz 3, der COVID-19-LV verpflichtet den Betreiber einer Betriebsstätte dafür Sorge zu tragen, dass die Konsumation von Speisen und Getränken nicht in unmittelbarer Nähe der Ausgabestelle erfolgt. Sachverhaltsgegenständlich war jedoch nicht die Konsumation von Speisen und Getränken in unmittelbarer Nähe der Ausgabestelle, sondern das Betreten der Betriebsstätte für Kunden nur im Zeitraum zwischen 05:00 Uhr und 01:00 Uhr des folgenden Tages, weshalb die Bestimmung Paragraph 6, Absatz 2, der COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020, anzuwenden gewesen wäre.

Bei Heranziehung einer falschen Vorschrift ist das Verwaltungsgericht zu einer Richtigstellung oder Präzisierung der im Straferkenntnis der Behörde als verletzt bezeichneten Rechtsvorschrift berechtigt und verpflichtet (s VwGH 18.10.2005, Zl 2001/03/0145 oder VwGH vom 17.02.2016, Zl Ra 2016/04/0006). Eine solche Präzisierung kann auch nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist erfolgen, solange dem Beschuldigten kein anderer Sachverhalt zur Last gelegt wird. Daher wäre die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, auf Paragraph 6, Absatz 2, COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020,, zu berichtigen gewesen. Eine Berichtigung kommt im vorliegenden Verfahren deshalb nicht in Betracht, weil das Straferkenntnis zu beheben ist.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 08.06.2021, Zl V21/2021-7, wurde Paragraph 6, Absatz 2, COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020,, als gesetzwidrig aufgehoben. Aufgrund eines entsprechenden Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes nach Artikel 139, Absatz 6, B-VG ist die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden. Die dem Beschwerdeführer im angefochtenen Straferkenntnis zur Last gelegte Verhaltensweise, nämlich als Inhaber des Unternehmens BB in **** römisch zehn, Adresse 2, welches eine Betriebsstätte der Betriebsart des Gastgewerbes darstellt, nicht dafür Sorge getragen zu haben, dass die Betriebsstätte nur im Zeitraum zwischen 5:00 Uhr und 1:00 Uhr des folgenden Tages betreten wird, war daher nicht rechtswidrig. Das angefochtene Straferkenntnis war somit zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß Paragraph 45, Absatz eins, Ziffer eins, VStG einzustellen.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte nach Paragraph 44, Absatz 2, VwGVG abgesehen werden, weil vor dem Hintergrund des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

römisch IV.         Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte im gegenständlichen Fall das angefochtene Straferkenntnis zu beheben, weil der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 08.06.2021, römisch fünf 21/2021-7, den hier anzuwendenden Paragraph 6, Absatz 2, der COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020,, als gesetzwidrig festgestellt hat und diese als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist. Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene, Paragraph 6, Absatz 2, COVID-19-LV, Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 197 aus 2020, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr 287 aus 2020,, widersprechende Verhalten war somit nicht rechtswidrig.

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren als Folge der in Artikel 139, Absatz 6, B-VG verankerten Bindungsverpflichtung der Gerichte an Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes nicht zu erörtern. Dementsprechend wird die ordentliche Revision in Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses für nicht zulässig erklärt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Hinweis:

Rechtskräftig verhängte Geldstrafen (sowie Verfahrenskostenbeiträge) sind bei der Behörde einzubezahlen vergleiche Paragraph 54 b, Absatz eins, VStG).

Landesverwaltungsgericht Tirol

Mag.a Hofko

(Richterin)

European Case Law Identifier

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.16.2630.1