Gericht

Landesverwaltungsgericht Steiermark

Entscheidungsdatum

09.09.2016

Geschäftszahl

LVwG 20.3-873/2016; LVwG 21.3-874/2016

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch den Richter
Mag. Dr. Kundegraber über die Beschwerden des xx, geb. am x, (Erstbeschwerdeführer) und der xx, geb. am x (Zweitbeschwerdeführerin), vertreten durch xx, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,

z u R e c h t e r k a n n t:

römisch eins. Die Zurückweisung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin beim Grenzübergang x am x war

rechtswidrig.

römisch II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat die Kosten des Verfahrens in der Höhe von € 3.319,20 zu bezahlen.

Rechtsgrundlagen:

Artikel 130, Absatz eins, Ziffer 2, Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)

Paragraphen 7,, 9, 28 Absatz 6 und 35 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

Paragraph eins, VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV)

Paragraph 41, Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 70 aus 2015,

Artikel 13, Absatz eins, der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)

Paragraph 12, Asylgesetz (AsylG) in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 202 aus 2015,

Paragraph 88, Sicherheitspolizeigesetz (SPG)

römisch III. Gegen das Erkenntnis ist gemäß Paragraph 25 a, Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

römisch eins. 1. In der Beschwerde vom x wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführer afghanische Staatsangehörige seien. Sie hätten ihren Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen verlassen und seien über die Balkanroute mit etwa 300 anderen Personen am x an die österreichische Staatsgrenze gekommen, wo sie sich an der Grenzkontrollstelle x dem Registrierungsprozedere unterzogen hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe sich mit einer im Original vorgelegten Tazkira ausgewiesen (Personalausweis). Es wäre zu keiner Befragung über die Herkunft, Fluchtgründe oder Zielland der Beschwerdeführer gekommen, sondern wurde eine erkennungsdienstliche Behandlung angeordnet. In weiterer Folge seien die Beschwerdeführer nach Slowenien zurückgewiesen worden, wo sie einen Asylantrag stellten.

Es folgen noch weitere umfangreiche Ausführungen zur behaupteten Unionsrechtswidrigkeit der Grenzkontrollverordnung.

2. In der am 04. Mai 2016 erstatteten Gegenschrift wurde ausgeführt, dass sowohl der Erst- als auch die Zweitbeschwerdeführerin bei der Einreise weder im Besitz eines gültigen Reisedokumentes noch eines zur Einreise notwendigen Visums gewesen seien. Bei der Befragung der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines Dolmetschers, wurde ihnen Gelegenheit gegeben sich zu ihrem Reisezweck, ihrem Reiseziel und ihren Absichten zu äußern. Da sich pro Tag zu dem Zeitpunkt ca. 1.500 Fremde der Grenz- und Einreisekontrolle gestellt hätten, würde sich das einschreitende Organ Insp. x nicht mehr an die Amtshandlung erinnern. Die Beschwerdeführer hätten weder die Absicht geäußert in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, noch die Absicht einen solchen Antrag in Deutschland zu stellen. Das Zurückweisungsformular sei von den Beschwerdeführern unterschrieben und den Beschwerdeführern eine Abschrift ausgehändigt worden. Danach wurde die Entscheidung unter Beiziehung eines Dolmetschers den Beschwerdeführern mitgeteilt und diese den slowenischen Behörden übergeben.

Zudem wurde die Unionsrechtswidrigkeit der Grenzkontrollverordnung bestritten und dabei auf Artikel 25, Schengener Grenzkodex („einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung und inneren Sicherheit“) verwiesen.

Als Beilage wurde je eine Kopie des Formulars der Einreiseverweigerung der Beschwerdeführer beigegeben.

3. Nach Durchführung einer Verhandlung am x, bei der Obstlt. römisch zehn und Insp. römisch zehn als Zeugen einvernommen wurden sowie unter Heranziehung des Akteninhaltes geht das Gericht von nachfolgendem, entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsbürger und verheiratet. Der Fluchtweg führte über die Balkanroute nach Slowenien, wo die Beschwerdeführer am
15. Februar 2016 beim Grenzübergang Spielfeld in das Bundesgebiet einreisen wollten. Vorerst wurden die Beschwerdeführer von Angehörigen des österreichischen Bundesheeres nach gefährlichen Waffen durchsucht und danach zur Befragungsstelle weitergeleitet. Die Befragungsstelle war besetzt mit Insp. römisch zehn und zwei bis drei weiteren Beamten, wobei Insp. x federführend die Amtshandlung leitete. Als Dolmetsch wurde immer die Person genommen, die gerade nicht mit Dolmetscharbeiten beschäftigt war. Nachdem die Beschwerdeführer nach dem Reisedokument befragt wurden und von wo sie kommen, den Namen und das Geburtsdatum, wurde auch nach dem „Fluchtgrund“ gefragt. Die Beschwerdeführer hatten keine gültigen Reisedokumente mit und hatten auch kein gültiges Visum für die Einreise vorzuweisen.

Im Einreiseverweigerungsformular wurde unter der Rubrik „Bemerkungen“ beim Erstbeschwerdeführer angeführt „Kommt aus Said Pul kein Krieg“ und bei der Zweitbeschwerdeführerin „kein Kriegsgebiet!!“. Es wurde auch der Name des Vaters und der Mutter des jeweiligen Einreisewilligen notiert, nicht vermerkt wurde der Name des beigezogenen Dolmetschers.

Dass bei den Einreiseverweigerungsformularen vermerkt wurde, dass die Beschwerdeführer aus einem Gebiet in Afghanistan kommen, wo kein Krieg herrsche, wurde Insp. x vom Dolmetscher mitgeteilt. Ob diese Tatsache, dass in dem Gebiet kein Krieg herrsche vom Dolmetscher stamme oder von den Beschwerdeführern war für den Beamten nicht klar. Insp. x hat sich bei der Qualifizierung eines Gebietes als Kriegsgebiet auf die Kenntnisse des Dolmetschers verlassen.

Das Einreiseverweigerungsformular wurde unmittelbar im Beisein des Dolmetsch, der dieses Dokument übersetzte, ausgefüllt. In weiterer Folge wurden die Beschwerdeführer einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und nach Slowenien zurückgewiesen.

4. Die Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf die Aussagen des
Insp. x und Obsttlt. x sowie dem vorliegenden Akteninhalt.
Insp. x, der das Einreiseverweigerungsformular ausfüllte, konnte sich an den konkreten Fall nicht mehr erinnern, jedoch gab er bei der Befragung an, dass er sich bei der Qualifizierung eines Gebietes als Kriegsgebiet auf den Dolmetscher verlassen habe.

Der Name des Dolmetschers wurde im Einreiseverweigerungsformular nicht vermerkt und war dies von Seiten des Grenzmanagements nicht vorgesehen. Das Gericht geht davon aus, dass aufgrund der zahlreichen Einreisewilligen sicherlich bei der Verweigerung der Einreise keine umfassende Dokumentation erwartet werden konnte. Dass jedoch der Name der Dolmetscherin bei der jeweiligen Zurückweisung vermerkt hätte werden können (Dokumentationspflicht im Sinne des Paragraph 10, Absatz eins, Richtlinienverordnung) wäre wohl ohne weiteren Aufwand möglich gewesen, um die für das „Einschreiten maßgeblichen Umstände später“ nachvollziehen zu können. Umso mehr in Anbetracht des Umstandes, dass Zurückweisungen ohnehin nur – wie die belangte Behörde einräumt – der Ausnahmefall war. Aufgrund der durchgeführten Verhandlung steht für das Gericht fest, dass der Dolmetscherarbeit gerade bei der Befragung von Einreisewilligen besondere Relevanz zukommt. Zum einen wurden als Sprachdolmetscher sehr gute, aber auch offensichtlich völlig ungeeignete Personen eingesetzt (siehe Einvernahme des Dolmetschers x am
27. Juni 2016, GZ: LVwG 20.3-873/2016, LVwG 21.3-874/2016 und die dazu getroffenen Feststellungen), zum anderen gab es offensichtlich Befragungen, bei denen der Dolmetscher bei der Beurteilung, ob ein Asylgrund vorliegt oder nicht, eigenmächtig agierte (siehe Zeugenaussage Insp. x in der Verhandlung am 27. Juni 2016, GZ: LVwG 20.3-873/2016, LVwG 20.3-874/2016).

Das Gericht geht im konkreten Fall davon aus, dass die Beschwerdeführer zumindest die Absicht hatten aufgrund der Zustände in Afghanistan nach Österreich einreisen wollten, um Asyl anzusuchen. Dass hiebei der Dolmetscher bereits eine Qualifizierung vornahm, ob die Beschwerdeführer in Afghanistan aus einem Kriegsgebiet kamen oder nicht und damit bereits eine präjudizielle Einstufung trafen, ob ein Fluchtgrund vorliegt oder nicht, kann nicht nachvollzogen werden. Der Beamte gab an, dass bei Nichtvorliegen der Reisedokumente bzw. eines gültigen Visums und der Beurteilung des Dolmetschers, dass die Einreisewilligen von keinem Kriegsgebiet kommen würden, es zu keiner weiteren Befragung kam, sondern mit einer Zurückweisung vorgegangen wurde.

römisch II. Rechtliche Beurteilung:

1. Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass bei der rechtlichen Beurteilung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Zurückweisung, Februar 2016, zur Anwendung gelangt (FPG römisch eins Nr. 70/2015 und AsylG römisch II Nr. 202/2015). Die geäußerten Bedenken des Beschwerdeführers zur Unionsrechtswidrigkeit der Grenzkontrollverordnung wird vom Gericht nicht geteilt und sieht das Gericht keine Veranlassung, das Grenzkontrollgesetz als auch die Verordnung der Bundesministerin für Inneres
BGBl. römisch II Nr. 260/2015 beim Verfassungsgerichtshof anzufechten bzw. eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.

Paragraph 12, Absatz eins, AsylG lautet:

3. Hauptstück
Rechte und Pflichten der Asylwerber

1. Abschnitt
Aufenthalt im Bundesgebiet während des Asylverfahrens

Faktischer Abschiebeschutz

(1) Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, kann, außer in den Fällen des Paragraph 12 a,, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß Paragraph 24, Absatz 2, nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz); Paragraph 32, bleibt unberührt. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist zulässig. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. Paragraph 16, Absatz 4, BFA-VG gilt.

Paragraph 41, Absatz eins und Absatz 3, FPG lautet:

6. Hauptstück:
Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung

Hinderung an der Einreise und Zurückweisung

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Fremde, die versuchen, nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einzureisen, an der Einreise zu hindern.

(3) Über die Zulässigkeit der Einreise ist nach Befragen des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden. Die Zurückweisung ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen. Diese Eintragung ist auf Antrag des Betroffenen zu streichen, sofern deren Rechtswidrigkeit durch das Verwaltungsgericht des Landes festgestellt worden ist.

2. Gemäß Artikel 13, der Verordnung EG Nr. 562/2006 vom 15. März 2006 (Schengener Grenzkodex) wird die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einem Drittstaatsangehörigen verweigert, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Artikel 5, Absatz eins, erfüllt und der nicht zu dem in Artikel 5, Absatz 4, genannten Personenkreis (humanitäre Gründe, Gründe des nationalen Interesses, internationale Verpflichtungen) gehört. Davon unberührt bleibt die Anwendung besonderer Bestimmungen zum Asylrecht und zum internationalen Schutz oder zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte.

Das Verfahren hat ergeben, dass die Beschwerdeführer die Absicht hatten, bei der Einreise in Österreich um Asyl anzusuchen, jedoch wegen der getroffenen Feststellung – dass die Beschwerdeführer aus keinem Kriegsgebiet kommen würden – es zu keiner Befragung über Fluchtgründe oder Zielland gekommen ist. Bei einer ordnungsgemäßen Befragung hätten Asylgründe von den Beschwerdeführern vorgebracht werden können. Wegen der präjudiziellen Beurteilung des Dolmetschers („kein Kriegsgebiet“) konnte kein Asylantrag gestellt werden.

Die einreisewilligen Fremden sind gemäß Paragraph 41, Absatz 3, FPG über die Zulässigkeit der Einreise zu befragen. Da die Beschwerdeführer der deutschen Sprache nicht mächtig waren, wurde eine Dolmetscherin beigezogen. Wenn aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder – wie im konkreten Fall – durch eigenmächtige Handlungen des Dolmetschers es zu fehlerhaften Einschätzungen eines vom Beschwerdeführer vorgebrachten Reisezweckes (Beantragung auf internationalen Schutz) kommt, trägt hiefür die belangte Behörde die Verantwortung. Es ist zwar zulässig, dass sich die Behörde bei der Beistellung von Dolmetschern einer privaten Firma (x) bedient, jedoch entbindet dies nicht die belangte Behörde sich zumindest vom Kenntnisstand des jeweils eingesetzten Dolmetschers sich Gewissheit zu verschaffen und die Dolmetscher zumindest in die fundamentalen Grundlagen ihrer Arbeit einzuweisen. Ebenso wären die Beamten für die Arbeit mit Dolmetschern einzuweisen gewesen.

Da somit die Beschwerdeführer bei einer ordnungsgemäßen Befragung bzw. Übersetzung einen Grund bzw. Gründe für ihre Flucht aus Afghanistan glaubhaft gemacht hätten, wäre der faktische Abschiebeschutz zum Tragen gekommen. Alleine die vom Dolmetscher getroffene Feststellung, dass die Beschwerdeführer nicht von einem Kriegsgebiet in Afghanistan kommen würden, lässt eine Zurückweisung noch nicht rechtmäßig erscheinen. Zum einen war es für das Gericht nicht nachvollziehbar, von welcher Ausgangslage die Dolmetscher bei ihrer Beurteilung ausgegangen sind. Der Name des jeweils beigezogenen Dolmetschers wurde nicht vermerkt. Zum anderen kann es nicht sein, dass bei der Beurteilung, ob Asylgründe vorliegen, diese ausschließlich von der Beurteilung eines Dolmetschers abhängig gemacht wird, ohne dass eine nähere Befragung stattfindet, sondern wäre vielmehr dies in einem rechtsstaatlichen Verfahren von den zuständigen Behörden bzw. Gerichten zu beurteilen gewesen. Die Zurückweisungen der Beschwerdeführer am
x durch Organe der Landespolizeidirektion x waren daher rechtswidrig.

3. Als Kosten wurden im Sinne des Paragraph 35, VwGVG in Verbindung mit Paragraph eins, VwG-AufwErsV den Beschwerdeführern jeweils ein Betrag von € 1.659,60 zugesprochen. Der Betrag setzt sich zusammen aus dem Schriftsatzaufwand in der Höhe von € 737,60 und dem Verhandlungsaufwand € 922,00.

römisch III. Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Artikel 133, Absatz 4, B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Frage des Asylantrages wurde im Rahmen der Beweiswürdigung nachvollziehbar entschieden, sodass dem Beschwerdeführer gemäß Paragraph 12, Absatz eins, AsylG ein faktischer Abschiebeschutz zukommt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:LVWGST:2016:LVwG.20.3.873.2016