Landesverwaltungsgericht Niederösterreich
13.09.2022
LVwG-AV-1574/001-2021; LVwG-AV-76/001-2022
Gesetzesprüfungsantrag
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter in den Beschwerdesachen von Herrn A, vertreten durch die C Rechtsanwalts GmbH, ***, ***, gegen 1. den Bescheid des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, vom 10. Februar 2021. Zl. ***, ***, sowie 2. den Bescheid des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, vom 26. Mai 2021, Zl. ***, ***, den
BESCHLUSS:
Gemäß Paragraph 31, Absatz eins, VwGVG in Verbindung mit Artikel 140, B-VG wird an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt,
Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. Nr. 169 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 80 aus 2012,, mit Ausnahme des letzten Wortes („sowie“), Paragraph 120, Ziffer 9, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 80 aus 2013, sowie Paragraph 140, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 80 aus 2013,,
in eventu das Wort „und“ in Paragraph 117 a, Absatz eins, Ziffer 2, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 144 aus 2009,, Paragraph 117 a, Absatz eins, Ziffer 3, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 144 aus 2009, mit Ausnahme des Punktes am Satzende, Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 80 aus 2012, mit Ausnahme des letzten Wortes („sowie“), Paragraph 120, Ziffer 9, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 80 aus 2013,, alle Bestimmungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 25 aus 2017, sowie Paragraph 195 e, ÄrzteG 1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 25 aus 2017,,
in eventu das ÄrzteG1998 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 65 aus 2022, zur Gänze,
als verfassungswidrig aufzuheben.
Begründung:
1. Ausgangsverfahren und maßgeblicher Sachverhalt:
1.1. Mit dem vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich angefochtenen Bescheid vom 10. Februar 2021 (Disziplinarerkenntnis gemäß Paragraph 161, ÄrzteG 1998) wurde der Beschwerdeführer von der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer (belangte Behörde) wie folgt für schuldig befunden:
„1. Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.
1a) ER hat im Zeitraum seit spätestens 8. Mai 2020 zumindest bis Anfang Juni 2020 in sozialen Medien (***) damit geworben, ärztliche Atteste gegen die Zahlung von € 10,- mit Untersuchung und von € 20,- ohne Untersuchung auszustellen, mit denen er entgegen medizinischer Notwendigkeit Patienten vom Tragen des Mund-Nasen-Schutzes befreit.
1b) Der Disziplinarbeschuldigte hat im Zeitraum seit spätestens Mai 2020 bis zumindest 29.12.2020 in zahlreichen Fällen ärztliche Atteste ausgestellt, mit denen er, entgegen medizinischer Notwendigkeit und ohne medizinische Indikation, Patienten vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes oder einer Atemschutzmaske befreit hat.
Er hat dadurch zu 1a) gegen Paragraph 53, Absatz eins, ÄrzteG in Verbindung mit Paragraph eins und Paragraph 2, Absatz 2 und Absatz 3, Ziffer eins, der Verordnung der Österreichischen Ärztekammer über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit (Arzt und Öffentlichkeit 2014 verstoßen
und zu
1b) gegen Paragraph 55, ÄrzteG in Verbindung mit Paragraph 11, Absatz 3 und Paragraph 11 a, Absatz 2, der COVID-19-Maßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung sowie mit Paragraph 15, Absatz 3, Ziffer 2 und Paragraph 16, Absatz 2, der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung sowie mit Paragraph 16, Absatz 3, Ziffer 2 und Paragraph 17, Absatz 2, der 2. und 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung sowie mit Paragraph 15, Absatz 3, Ziffer 2 und Paragraph 16, Absatz 2, der COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung verstoßen.“
Gemäß Paragraph 139, Absatz eins, Ziffer 3, ÄrzteG 1998 wurde der Beschwerdeführer zur Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung für die Dauer von drei Monaten verurteilt.
Vom weiteren Vorwurf, er habe ärztliche Atteste, mit denen er Patienten vom Tragen des Mund-Nasen-Schutzes befreie, ohne körperliche Untersuchung ausgestellt, wurde er freigesprochen.
Dem Beschwerdeführer wurden außerdem die mit 1.000,-- Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens auferlegt.
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsanwalt am 4. Mai 2021 zugestellt.
Mit fristgerechter Beschwerde vom 28. Mai 2021 wird dieser Bescheid vom 10. Februar 2021 zur Gänze angefochten (Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Artikel 132, Absatz eins, Ziffer eins, B-VG).
Die belangte Behörde legte in Folge die Beschwerde samt Verwaltungsakten zur Entscheidung vor.
1.2. Mit dem vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich angefochtenen weiteren Bescheid vom 26. Mai 2021 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde wie folgt für schuldig befunden:
„A) Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.
1. Er hat absichtlich im Zeitraum von 01.05.2020 bis 10.02.2021 in seiner Ordination weder einen Mund-Nasen-Schutz noch eine FFP2-Atemschutzmaske getragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen, und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass die Patienten und Besucher der Ordination einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen. Er hat es auch absichtlich unterlassen, für eine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zwischen den Personen zur räumlichen Trennung, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet, zu sorgen
2. Er hat einen Leserbrief verfasst, der im Leserforum der *** *** veröffentlicht wurde, in dem er das Bestehen des Coronavirus geleugnet hat, indem er behauptete, er habe bislang nur computeranimierte Bilder des Virus gesehen und keinen strukturellen Nachweis und anhand von positiven PCR-Tests könne man nicht von „Neuinfektionen“ sprechen, weiters die Möglichkeit der Diagnose des Coronavirus geleugnet hat, indem er behauptete, der PCR-Test weise weder ein Virus noch eine Infektion nach, weiters behauptet hat, dass kranke Menschen mit positivem PCR-Test nicht am Coronavirus erkrankt seien, weil eine weitere Diagnostik nach positivem PCR-Test nicht durchgeführt werde und es hätte auch in den Jahren 2012, 2015, 2017 und 2018 Grippewellen gegeben, die das Gesundheitssystem gefordert und überfordert hätten.
Der Disziplinarbeschuldigte hat dadurch zu
1. gegen Paragraph 2, Absatz eins a, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz 5, der COVID-19-Lockerungsverordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 197 aus 2020, in der jeweils geltenden Fassung sowie in weiterer Folgen gegen Paragraph 11, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 5, Absatz eins, Ziffer eins, – 3 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 463 aus 2020, in der jeweils geltenden Fassung sowie gegen Paragraph 11, Absatz 3, in Verbindung mit Paragraph 5, Absatz 5, Ziffer eins und 3 – 5 der COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 479 aus 2020, in der jeweils geltenden Fassung, der 2. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 544 aus 2020, und der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 566 aus 2020,, in weiterer Folge gegen Paragraph 11, Absatz 3, in Verbindung mit Paragraph 5, Absatz 6, Ziffer 3, – 6 und Paragraph 5, Absatz 7, der 3. COVID-19-Schutzmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 598 aus 2020, in der jeweils geltenden Fassung sowie der 3. COVID-19-Notmaßnahmen-Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 27 aus 2021, in der jeweils geltenden Fassung und der 4. COVID-19-Notmaßnahmen- Verordnung Bundesgesetzblatt Teil 2, Nr. 49 aus 2021, in der jeweils geltenden Fassung verstoßen.
2. gegen Paragraph 53, Absatz eins, ÄrzteG in Verbindung mit mit Paragraph eins und Paragraph 2, Absatz eins und 2 der Verordnung der Österreichischen Ärztekamme über die Art und Form zulässiger ärztlicher Informationen in der Öffentlichkeit verstoßen.“
Der Beschwerdeführer wurde deshalb gemäß Paragraph 139, Absatz 6, ÄrzteG 1998 in Verbindung mit Paragraph 31, StGB zu einer Zusatzstrafe gemäß Paragraph 139, Absatz eins, Ziffer 3, ÄrzteG 1998 verurteilt und zwar zur Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Berufsausübung für die Dauer von zwei weiteren Monaten.
Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer im Bescheid vom 26. Mai 2021 wie folgt für schuldig erkannt:
„B) der Disziplinarbeschuldigte ist weiters schuldig.
Er hat absichtlich im Zeitraum ab 11.02.2021 bis 18.3.2021 in seiner Ordination weder einen Mund-Nasen-Schutz noch eine FFP2-Atemschutzmaske getragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen und es auch absichtlich unterlassen, dafür zu sorgen, dass die Patienten und Besucher der Ordination einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Atemschutzmaske tragen. Er hat es auch absichtlich unterlassen, für eine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zwischen den Personen zur räumlichen Trennung, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet, zu sorgen.“
Der Beschwerdeführer wurde deshalb gemäß Paragraph 139, Absatz eins, Ziffer 3, ÄrzteG 1998 zur befristeten Untersagung der Berufsausübung für einen Monat verurteilt.
Weiters wurde auf Veröffentlichung des gesamten Disziplinarerkenntnisses in den Mitteilungen der Ärztekammer für Niederösterreich und auch in der Österreichischen Ärztezeitung erkannt (Paragraph 139, Absatz 10, ÄrzteG 1998) und es wurden dem Beschwerdeführer die mit 1.000,-- Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens auferlegt.
Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsanwalt am 12. Oktober 2021 zugestellt.
Mit fristgerechter Beschwerde vom 4. November 2021 wird dieser Bescheid vom 26. Mai 2021 zur Gänze angefochten (Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins, in Verbindung mit Artikel 132, Absatz eins, Ziffer eins,
B-VG).
Die belangte Behörde legte in Folge die Beschwerde samt Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
1.3. Die belangte Behörde bestand jeweils gemäß Paragraph 140, ÄrzteG 1998 aus einem vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen (bzw. einem gemäß Paragraph 17, BMG zuständig gewordenen anderen Bundesminister) bestellten rechtskundigen Vorsitzenden (welcher nicht Arzt und somit weder Mitglied einer Ärztekammer noch der Österreichischen Ärztekammer ist) und zwei weiteren vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellten ärztlichen Beisitzern (die somit Mitglied einer Ärztekammer sind).
1.4. Dieser Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage (Verwaltungsakten, Gerichtsakten).
1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verbindet die beiden Beschwerdeverfahren nunmehr gemäß Paragraph 17, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 39, Absatz 2, zweiter Satz AVG zur gemeinsamen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nach Artikel 140, B-VG wegen des insoweit bestehenden rechtlichen Zusammenhanges und der Identität des Beschwerdeführers in beiden Beschwerdeverfahren.
2. Rechtsvorschriften:
2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 33 aus 2013, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 109 aus 2021,, lauten:
„[…]
Anzuwendendes Recht
Paragraph 17, Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Artikel 130, Absatz eins, B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der Paragraphen eins bis 5 sowie des römisch IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, Bundesgesetzblatt Nr. 194 aus 1961,, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, Bundesgesetzblatt Nr. 173 aus 1950,, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, Bundesgesetzblatt Nr. 29 aus 1984,, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
[…]
Prüfungsumfang
Paragraph 27, Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (Paragraph 9, Absatz eins, Ziffer 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (Paragraph 9, Absatz 3,) zu überprüfen.
[…]
Beschlüsse
Paragraph 31, (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
[…]“
2.2. Die Artikel 120 a, ff des Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), Bundesgesetzblatt Nr. 1 aus 1930, in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 2 aus 2008,, lauten auszugsweise:
„B. Sonstige Selbstverwaltung
Artikel 120a. (1) Personen können zur selbständigen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, die in ihrem ausschließlichen oder überwiegenden gemeinsamen Interesse gelegen und geeignet sind, durch sie gemeinsam besorgt zu werden, durch Gesetz zu Selbstverwaltungskörpern zusammengefasst werden.
[…]
Artikel 120b. (1) Die Selbstverwaltungskörper haben das Recht, ihre Aufgaben in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen und im Rahmen der Gesetze Satzungen zu erlassen. Dem Bund oder dem Land kommt ihnen gegenüber nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsführung ein Aufsichtsrecht zu. Darüber hinaus kann sich das Aufsichtsrecht auch auf die Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung erstrecken, wenn dies auf Grund der Aufgaben des Selbstverwaltungskörpers erforderlich ist.
(2) Den Selbstverwaltungskörpern können Aufgaben staatlicher Verwaltung übertragen werden. Die Gesetze haben derartige Angelegenheiten ausdrücklich als solche des übertragenen Wirkungsbereiches zu bezeichnen und eine Weisungsbindung gegenüber dem zuständigen obersten Verwaltungsorgan vorzusehen.
(3) Durch Gesetz können Formen der Mitwirkung der Selbstverwaltungskörper an der staatlichen Vollziehung vorgesehen werden.
Artikel 120c. (1) Die Organe der Selbstverwaltungskörper sind aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden.
[…]“
2.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. römisch eins Nr. 169 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 65 aus 2022, (die angefochtenen Bestimmungen erhielten ihre Fassung bereits durch die im Spruch angeführten Novellen), lauten:
„[…]
2. Hauptstück
Kammerordnung
[…]
2. Abschnitt
Ärztekammern in den Bundesländern
Einrichtung der Ärztekammern
Paragraph 65, (1) Zur Vertretung des Ärztestandes ist für den räumlichen Bereich eines jeden Bundeslandes eine Ärztekammer eingerichtet. Diese Ärztekammern führen die Bezeichnung „Ärztekammer für ...“ mit einem auf das jeweilige Bundesland hinweisenden Zusatz.
(2) Die Ärztekammern in den Bundesländern sind Körperschaften öffentlichen Rechtes.
[…]
Kammerangehörige
Paragraph 68, (1) Einer Ärztekammer gehört als ordentlicher Kammerangehöriger jeder Arzt an, der
1. in die von der Österreichischen Ärztekammer geführte Ärzteliste gemäß Paragraph 4, eingetragen worden ist und
2. seinen Beruf im Bereich dieser Ärztekammer ausübt und
3. keine Alters- oder ständige Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds bezieht.
Bezieher einer Alters- oder ständigen Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds sind ordentliche Kammerangehörige, wenn sie auf Grund regelmäßiger ärztlicher Tätigkeit fortlaufend Beiträge zum Wohlfahrtsfonds und die Kammerumlage entrichten.
(2) Ordentliche Angehörige einer Ärztekammer sind ferner Ärzte, die gemäß Paragraph 34, in die Ärzteliste eingetragen worden sind und ihren Beruf im Bereich dieser Ärztekammer ausüben.
[…]
4. Abschnitt
Österreichische Ärztekammer
Einrichtung
Paragraph 117, (1) Zur Vertretung der gemeinsamen Interessen aller in Österreich tätigen Ärzte, die Angehörige einer Ärztekammer sind (Paragraph 68, Absatz eins,, 2 und 5), ist die „Österreichische Ärztekammer“ am Sitz der Bundesregierung eingerichtet.
(2) Die Österreichische Ärztekammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts.
[…]
Wirkungskreis
Paragraph 117 a, (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen,
[…]
3. für die Wahrung des ärztlichen Berufs- und Standesansehens und der ärztlichen Berufs- und Standespflichten zu sorgen.
(2) Der Wirkungskreis gemäß Absatz eins, gliedert sich in einen eigenen und einen übertragenen Wirkungsbereich.
Eigener Wirkungsbereich
Paragraph 117 b, (1) Die Österreichische Ärztekammer ist berufen, im eigenen Wirkungsbereich insbesondere folgende Aufgaben wahrzunehmen:
[…]
23. disziplinäre Verfolgung von Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten und von Beeinträchtigungen des Ansehens der Ärzteschaft durch Ärzte einschließlich der Führung eines Disziplinarregisters, in das jede in Rechtskraft erwachsene Disziplinarstrafe unter Angabe der Personaldaten des betroffenen Arztes sowie der Daten des verurteilenden Erkenntnisses einzutragen sind, sowie
[…]
Mitglieder
Paragraph 119, Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer sind die Ärztekammern in den Bundesländern.
Organe
Paragraph 120, Organe der Österreichischen Ärztekammer sind
1. die Vollversammlung (Paragraphen 121 und 122),
2. der Vorstand (Paragraph 123,),
3. der Präsident und drei Vizepräsidenten (Paragraph 125,),
4. die Bundeskurien (Paragraph 126,),
5. die Bundeskurienobmänner und ihre Stellvertreter (Paragraph 127,),
6. das Präsidium (Paragraph 128,),
7. die Ausbildungskommission (Paragraph 128 a,),
8. der Verwaltungsausschuss eines gemeinsamen Wohlfahrtsfonds (Paragraph 134,) sowie
9. der Disziplinarrat (Paragraph 140,).
[…]
Vorstand
Paragraph 123, […]
(3) Dem Vorstand obliegt die Durchführung aller der Österreichischen Ärztekammer gemäß Paragraphen 117 b und 117c dieses Bundesgesetzes oder nach anderen Vorschriften übertragenen Aufgaben, soweit diese nach diesem Bundesgesetz nicht ausdrücklich anderen Organen zugewiesen sind. […]
[…]
3. Hauptstück
Disziplinarrecht
1. Abschnitt
Begriffsbestimmung
Paragraph 135, (1) Ärzte im Sinne dieses Hauptstückes sind alle ordentlichen Kammerangehörigen (Paragraph 68, Absatz eins und 2) sowie alle Ärzte, die über eine Bewilligung gemäß den Paragraphen 32, oder 33 verfügen, unabhängig davon, ob sie ihre ärztliche Tätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausüben, sowie Ärzte gemäß den Paragraphen 35,, 36 und 37.
[…]
5. Abschnitt
Disziplinarrat und Disziplinaranwalt
Paragraph 140, (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.
(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. Die Bestellung mehrerer Disziplinarkommissionen mit örtlich verschiedenem Wirkungsbereich ist zulässig. Überdies sind jeder Disziplinarkommission mehrere vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellende rechtskundige Untersuchungsführer beizugeben, die in einer vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu führenden Liste zu erfassen sind.
(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. Für den Vorsitzenden sind gleichzeitig zwei Stellvertreter, die rechtskundig sein müssen, auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen und für die ärztlichen Beisitzer gleichzeitig vier Stellvertreter vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen. Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat bei der Bestellung eines Richters zum Vorsitzenden oder zum Stellvertreter des Vorsitzenden das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz herzustellen. Mitglieder des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer dürfen einer Disziplinarkommission nicht angehören.
(4) Die ärztlichen Beisitzer haben dem Vorsitzenden vor Antritt ihrer Tätigkeit die gewissenhafte und unparteiische Erfüllung ihrer Pflichten zu geloben.
(5) Die einzelnen Disziplinarkommissionen des Disziplinarrates sind ermächtigt, soweit dies zur Vermeidung unnötiger Kosten und zur rascheren Durchführung des Verfahrens angezeigt ist, ihre Tätigkeit in den Räumlichkeiten jener Ärztekammer auszuüben, der der Beschuldigte angehört.
[…]
Disziplinarrechtliche Aufsicht
Paragraph 195 e, (1) Das disziplinarrechtliche Aufsichtsrecht der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen umfasst die Sorge für die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren. Zu diesem Zweck ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt, sich jederzeit von der Kanzleigeschäftsführung des Disziplinarrats sowie vom Stand der anhängigen Disziplinarverfahren unterrichten zu lassen und die Beseitigung diesbezüglicher Rechtswidrigkeiten zu verlangen.
(2) Der Genehmigung der Bundesministerin/des Bundesministers für Gesundheit und Frauen bedarf die Bestellung
1. der beiden ärztlichen Mitglieder der Disziplinarkommission und deren Stellvertreterinnen/Stellvertreter (Paragraph 140, Absatz 3,) sowie
2. der Disziplinaranwältin/des Disziplinaranwaltes und ihrer/seiner Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat (Paragraph 141,).
Die Bundesministerin/Der Bundesminister für Gesundheit und Frauen hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Bestellung diesem Bundesgesetz nicht widerspricht.
(3) Werden Rechtswidrigkeiten (Absatz eins,) nicht innerhalb angemessener Zeit beseitigt, so ist die Bundesministerin/der Bundesminister für Gesundheit und Frauen berechtigt,
1. den Disziplinarrat oder einzelne Disziplinarkommissionen aufzulösen oder
2. die Disziplinaranwältin/den Disziplinaranwalt oder ihre/seine Stellvertreterinnen/Stellvertreter beim Disziplinarrat abzuberufen,
wenn die gesetzmäßige Führung der Kanzleigeschäfte und die ordnungsgemäße Durchführung von Disziplinarverfahren nicht anders gewährleistet werden kann. In einem solchen Fall ist eine Neubestellung durchzuführen.
(4) Die Österreichische Ärztekammer hat zum Ende eines jeden Jahres der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen ein Verzeichnis der
1. eingegangenen Anzeigen,
2. erledigten Disziplinarverfahren sowie
3. der noch anhängigen Disziplinarverfahren
vorzulegen (disziplinarrechtlicher Jahresbericht). Allfällige strukturelle und inhaltliche Kriterien für die Gestaltung des Jahresberichts sind einvernehmlich zwischen der Bundesministerin/dem Bundesminister für Gesundheit und Frauen und der Österreichischen Ärztekammer festzulegen. Der disziplinarrechtliche Jahresbericht ist erstmals für das Jahr 2017 zu erstellen.
[…]“
2.4. Gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 2, des Bundesministeriengesetzes 1986 (BMG), BGBl. Nr. 76 in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 8 aus 2020,, in Verbindung mit lit. L Ziffer 11, des Teils 2 der Anlage zu diesem Bundesgesetz sind Angelegenheiten der Ärzte vom Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz umfasst.
Gemäß Paragraph 17, BMG gelten Zuständigkeitsvorschriften in besonderen Bundesgesetzen als entsprechend geändert, wenn auf Grund von Änderungen dieses Bundesgesetzes Änderungen im Wirkungsbereich der Bundesministerien vorgesehen sind.
3. Zur Zulässigkeit der Beschwerden:
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erachtet die Beschwerden als fristgerecht erhoben und auch sonst im Lichte der Artikel 130, Absatz eins, Ziffer eins und 132 Absatz eins, Ziffer eins, B-VG als zulässig.
4. Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:
4.1. Mit der B-VG–Novelle Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 2 aus 2008, erfolgte in den Artikel 120 a bis 120c B-VG die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung der nicht-territorialen Selbstverwaltung. Damit wurde auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Einrichtung von Selbstverwaltungskörpern abseits der bereits zuvor in den Artikel 115, ff B-VG geregelten territorialen Selbstverwaltung (Gemeindeselbstverwaltung) klargestellt vergleiche VfSlg 18.731/2009).
4.2. Ein solcher nicht-territorialer Selbstverwaltungskörper ist, wie die Paragraphen 117, ff ÄrzteG 1998 zeigen, auch die Österreichische Ärztekammer, sodass deren gesetzliche Regelung (Organisation) verfassungsrechtlich an den Artikel 120 a bis 120c B-VG zu messen ist.
Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Österreichischen Ärztekammer, wie sich aus Paragraph 119, ÄrzteG 1998 ergibt, um einen „Dachverband“ in dem Sinn handelt, dass die Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer die Ärztekammern in den Bundesländern sind. Letztere sind in den Paragraphen 65, ff ÄrzteG 1998 ebenfalls als Selbstverwaltungskörper organisiert. Gegen die Bildung derartiger Dachverbände bestehen grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken vergleiche etwa VfSlg. 13.460/1993 oder VfSlg. 20.361/2019).
Aus der Konstruktion als Dachverband folgt nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichten Niederösterreich gemäß Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG zunächst allerdings, dass die dort geforderte Bildung der Organe nach demokratischen Grundsätzen durch die Ärztekammern in den Bundesländern zu erfolgen hat. Weiters müssen die Organe „aus dem Kreis ihrer Mitglieder“ bestellt sein. Da die Mitglieder wiederum Selbstverwaltungskörper (und somit juristische Personen, vergleiche Paragraph 65, Absatz 2, ÄrzteG 1998) sind, müssen auch deren Organe aus dem Kreis ihrer Mitglieder, also der in Paragraph 68, Absatz eins und 2 ÄrzteG 1998 genannten Ärzte, bestellt sein. Die demokratische Bestellung der Organe entspricht einem Kerngedanken der Selbstverwaltung (VfSlg. 20.226/2017), ebenso die Befugnis zur Bestellung der Organe aus der Mitte der Verbandsangehörigen (VfSlg. 17.023/2003).
Zusammengefasst entsprechen Organe der Österreichischen Ärztekammer somit jedenfalls nur dann Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG, wenn sie einerseits nur aus Ärzten gemäß Paragraph 68, Absatz eins und ÄrzteG 1998 bestehen (weil ja, was wiederum aus Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG folgt, nur solche die Ärztekammern in den Bundesländern – den Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer – als Organe repräsentieren können) und wenn sie andererseits alleine von Ärzten, die Organe der Ärztekammern in den Bundesländern sind, bestellt sind.
4.3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hegt zunächst das Bedenken, dass die durch Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, ÄrzteG 1998 bewirkte Verweisung des ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer in Verbindung mit der Bestimmung des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer zum Organ der Österreichischen Ärztekammer in Paragraph 120, Ziffer 9, ÄrzteG 1998 sowie den Regelungen des Paragraph 140, leg.cit. über den Disziplinarrat bzw. die Disziplinarkommissionen, durch die dieser zu entscheiden hat, gegen Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG verstößt.
Dieser Verstoß wird konkret dadurch bewirkt, dass den Disziplinarkommissionen gemäß Paragraph 140, Absatz 3, ÄrzteG 1998 jeweils neben zwei vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellten ärztlichen Beisitzern ein rechtskundiger Vorsitzender angehört, der vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen (nunmehr vom gemäß Paragraph 17, BMG in Verbindung mit Punkt L. Ziffer 11, des Teils 2 der Anlage zum BMG zuständig gewordenen Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz, bestellt wird. Hinsichtlich dessen Person kommt dem Vorstand der Österreichischen Ärztekammer lediglich ein Vorschlagsrecht zu. Nach derselben Regelung sind zwei Stellvertreter des Vorsitzenden zu bestellen.
Das Gesetz schreibt einerseits nicht vor, dass der Vorsitzende Repräsentant eines Mitglieds der Österreichischen Ärztekammer (also einer Ärztekammer in einem Bundesland und somit insbesondere selbst Arzt, vergleiche oben 2.) sein muss. Andererseits handelt es sich beim Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, der die Bestellung des Vorsitzenden (allenfalls im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz) vorzunehmen hat, um kein Organ, das eine demokratische Legitimation besitzt, die Interessen der Ärztekammern in den Bundesländern zu vertreten vergleiche in diesem Sinn zur Bestellung der Dienstnehmervertreter in der BVAEB VfGH 13.12.2019, G 211/2019 ua.).
Hinzu kommt noch, dass es nach Paragraph 140, Absatz 4, ÄrzteG 1998 gerade diesem Vorsitzenden obliegt, den ärztlichen Beisitzern (gegen deren Bestellung im Lichte des Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG für sich genommen keine Bedenken bestehen) ein vor dem Dienstantritt zu leistendes Gelöbnis abzunehmen und somit über deren Dienstantritt zu entscheiden.
Somit dürfte die Zusammensetzung der – als Organ der Österreichischen Ärztekammer in deren eigenem Wirkungsbereich tätig werdenden – Disziplinarkommissionen (und damit des Disziplinarrates) nicht Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG entsprechen.
4.4. Darüber hinaus hegt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich das Bedenken, dass die von Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, ÄrzteG 1998 vorgenommene Verweisung des gesamten ärztlichen Disziplinarrechts in den eigenen Wirkungsbereich der Österreichischen Ärztekammer Artikel 120 a, Absatz eins, B-VG widerspricht.
Dies ergibt sich daraus, dass die Vollziehung des ärztlichen Disziplinarrechts (somit des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998 samt den Bestimmungen, auf die darin verwiesen bzw. an die angeknüpft wird; das sind im Wesentlichen Regelungen des 1. Hauptstücks sowie zahlreiche Bestimmungen des StGB, der StPO und des AVG) ein Ausmaß an rechtlicher Komplexität aufweist, die durch ein den Bestimmungen des Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG entsprechendes und somit aus dem Kreis der Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer (bzw. deren Repräsentanten, die wiederum Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG genügen, also Ärzte sein müssen, s. oben 2.) gebildetes Organ im Allgemeinen nicht aufweisen kann. Daran ändert auch die Beigabe rechtskundiger Untersuchungsführer durch den letzten Satz des Paragraph 140, Absatz 2, ÄrzteG 1998 nichts, sind diese doch gemäß Paragraph 146, Absatz 6, ÄrzteG 1998 ausdrücklich von der Teilnahme an der Entscheidung ausgeschlossen.
Genau dieser Gedanke dürfte der durch Paragraph 140, Absatz 3, ÄrzteG 1998 angeordneten, jedoch Artikel 120 c, Absatz eins, B-VG widersprechenden, Einbeziehung eines rechtskundigen Vorsitzenden in die Disziplinarkommissionen zu Grunde liegen.
4.5. Im Hinblick auf die beiden vorgenannten Bedenken übersieht das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nicht, dass der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 13.012/1992 ausgesprochen hat, dass die Disziplinarkommission bei der Kammer der Tierärzte Österreichs in verfassungskonformer Sicht nicht als Organ der Bundeskammer der Tierärzte anzusehen sei, weil dieser Behörde ua. zwei Beamte des zuständigen Bundesministeriums angehören (darauf zurückkommend auch VfSlg. 17.023/2003). Im damaligen Fall ließ sich also eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Problematik mittels verfassungskonformer Interpretation lösen.
Einer verfassungskonformen Interpretation des ÄrzteG 1998 mit diesem Ergebnis steht aber nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich der klare Wortlaut des Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, bzw. des Paragraph 120, Ziffer 9, leg.cit. entgegen.
4.6. Schließlich hegt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gegen Paragraph 140, Absatz 2, ÄrzteG 1998 auch das Bedenken, dass diese Bestimmung gegen das Legalitätsprinzip des Artikel 18, B-VG im Hinblick auf die Regelung der Behördenzuständigkeit in Verbindung mit Artikel 83, Absatz 2, B-VG (Recht auf den gesetzlichen Richter) verstößt.
Paragraph 140, Absatz 2, ÄrzteG 1998 erster Satz bestimmt zunächst, dass für den Bereich jedes Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten ist. Der zweite Satz erklärt sodann auch die Einrichtung mehrerer Disziplinarkommissionen für einen Oberlandesgerichtssprengel für zulässig, lässt jedoch offen, von wem, in welcher Form und nach welchen Determinanten die Entscheidung der Einrichtung mehrerer Disziplinarkommissionen zu treffen ist. Ebenso nicht geregelt ist, wer, in welcher Form und auf Grund welcher Determinanten die örtliche Zuständigkeit der unterschiedlichen Disziplinarkommissionen voneinander abgrenzt.
Die Frage des entscheidungszuständigen Organs ließe sich allenfalls durch die in Paragraph 123, Absatz 3, erster Satz ÄrzteG 1998 vorgesehene subsidiäre Zuständigkeit des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer lösen. Diesfalls bestünde freilich einer Bindung des zur Ernennung des Vorsitzenden zuständigen Bundesministers an eine Willensäußerung des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer, was mit der Stellung des Bundesministers als oberstes Organs der Vollziehung (Artikel 19, Absatz eins, B-VG) in einem Spannungsverhältnis stünde. Die Fragen der Form und der maßgeblichen Determinanten für die Errichtung weiterer Disziplinarkommissionen bzw. die Abgrenzung von deren örtlicher Zuständigkeit bleiben auch bei dieser Auslegung offen.
Damit genügt Paragraph 140, Absatz 2, ÄrzteG 1998 nicht den in der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Hinblick auf Artikel 18, in Verbindung mit Artikel 83, Absatz 2, B-VG aufgestellten Anforderungen nach einer präzisen und eindeutigen Regelung der Behördenzuständigkeit (zuletzt VfGH 10.03.2021, G 380/2020 ua. mwN).
5. Zu Zulässigkeit und Umfang des Antrages sowie zu den Rechtsfolgen der Aufhebung:
5.1. Gemäß Artikel 140, Absatz eins, Ziffer eins, Litera a, B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag eines Gerichtes. Nach Artikel 135, Absatz 4, in Verbindung mit Artikel 89, Absatz 2, B-VG hat ein Verwaltungsgericht den Antrag auf Aufhebung von Gesetzesbestimmungen beim Verfassungsgerichtshofs zu stellen, wenn es gegen deren Anwendung aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat.
5.2. Der Umfang einer aufzuhebenden Gesetzesbestimmung – und damit auch des auf eine Aufhebung gerichteten Gerichtsantrages – ist derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als zur Beseitigung der zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzung erforderlich ist, dass aber andererseits der verbleibende Text keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Es liegt auf der Hand, dass beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können. Der Verfassungsgerichtshof hat daher in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 13.721/1994 mwN).
Weiters hat der Verfassungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung so zu ziehen sind, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf. Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann.
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre, der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde, oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde.
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (zuletzt VfGH 29.04.2022, G 29/2022, mwN).
5.3. Im vorliegenden Fall hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach Paragraph 27, erster Halbsatz VwGVG zunächst – auch ohne entsprechendes Vorbringen in den Beschwerden vergleiche etwa VwGH 27.03.2018, Ra 2015/06/0072, mwN) – die Zuständigkeit der belangten Behörde, konkret also der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrates der österreichischen Ärztekammer, zu prüfen. Teil dieser Prüfung ist auch die Prüfung der gesetzmäßigen Zusammensetzung einer Kollegialbehörde vergleiche etwa VwGH 27.11.2000, 99/17/0312, mwN).
Um diese durchführen zu können, muss das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zunächst Paragraph 140, Absatz eins bis 3 ÄrzteG 1998 anwenden. Mit diesen Absätzen stehen die weiteren Absätze des Paragraph 140, ÄrzteG 1998 im untrennbaren Zusammenhang, weil sie im Falle der Aufhebung der Absatz eins bis 3 unanwendbar würden.
Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, (ausgenommen dessen letztes Wort „sowie“) und Paragraph 120, Ziffer 9, ÄrzteG 1998 sind bei der Zuständigkeitsprüfung gemäß Paragraph 27, erster Halbsatz VwGVG mitanzuwenden bzw. besteht im Lichte der vorgebrachten Bedenken zumindest ebenfalls ein untrennbarer Zusammenhang zu Paragraph 140, Absatz eins bis 3 ÄrzteG 1998 im Sinne der angeführten Rechtsprechung.
Aus diesen Überlegungen erklärt sich die Formulierung des Hauptantrages.
5.4. Es erscheint aber auch vorstellbar, dass der Verfassungsgerichtshof einen darüber hinausgehenden untrennbaren Zusammenhang von Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23, (mit Ausnahme des letzten Wortes), Paragraph 120, Ziffer 9 und Paragraph 140, Absatz eins bis 3 ÄrzteG 1998 mit dem gesamten ärztlichen Disziplinarrecht, also sämtlichen Regelungen des 3. Hauptstücks des ÄrzteG 1998, und darüber hinaus mit dem auf die Wahrnehmung des Disziplinarrechts durch die Österreichische Ärztekammer abzielenden Paragraph 117 a, Absatz eins, Ziffer 3, (ohne den Punkt am Ende, jedoch einschließlich des damit sprachlich zusammenhängenden Wortes „und“ in Paragraph 117 a, Absatz eins, Ziffer 2,) sowie der die disziplinarrechtlichen Aufsicht des zuständigen Bundesministers regelnden Bestimmung des Paragraph 195 e, ÄrzteG 1998 erkennt, weil diese Normen bei Wegfall der die Zusammensetzung des Disziplinarrates bzw. der Disziplinarkommissionen regelnden Bestimmungen unanwendbar würden bzw. – wenn man nach Aufhebung des Paragraph 140, von der Anwendbarkeit der subsidiären Zuständigkeitsbestimmung des Paragraph 123, Absatz 2, ÄrzteG 1998 ausginge – einen völlig veränderten Inhalt bekämen.
Schließlich erscheint es im Hinblick darauf, dass auch mehrere Bestimmungen des ÄrzteG 1998 außerhalb des 3. Hauptstücks an den Bestimmungen dieses Hauptstücks anknüpfen vergleiche etwa Paragraph 59, Absatz eins, Ziffer 4 und 5 ÄrzteG 1998), vorstellbar, dass ein noch weiterer untrennbarer Zusammenhang von Paragraph 117 b, Absatz eins, Ziffer 23,, Paragraph 120, Ziffer 9 und Paragraph 140, Absatz eins bis 3 ÄrzteG 1998 mit Bestimmungen des ÄrzteG 1998, möglicherweise auch allen Bestimmungen des Gesetzes, erkannt wird.
Auf diesen Überlegungen beruht die Formulierung der beiden Eventualanträge.
5.5. Im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen wären die angefochtenen Bescheide vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
6. Ergebnis:
6.1. Gemäß Artikel 140, Absatz eins, Ziffer eins, Litera a, in Verbindung mit 135 Absatz 4 und Artikel 89, Absatz 2, B-VG sieht sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verpflichtet, die Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen zu beantragen. Für den Fall, dass der im Primärantrag umschriebene Anfechtungsumfang vom Verfassungsgerichtshof als zu eng angesehen wird, werden die beiden Eventualanträge gestellt.
6.2. Gemäß Paragraph 62, Absatz 3, des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 dürfen in beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Beschwerdeverfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nunmehr nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder welche die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
6.3. Die wesentlichen Teile der dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten (angefochtene Bescheide und Beschwerden) sind dem Antrag in Kopie angeschlossen.
ECLI:AT:LVWGNI:2022:LVwG.AV.1574.001.2021