Landesverwaltungsgericht Niederösterreich
20.06.2016
LVwG-AV-1333/001-2015
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Präsidenten Dr. Patrick Segalla als Einzelrichter über die Beschwerde der Frau CMZ, vertreten durch Mag. Oliver Ertl, Rechtsanwalt in ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 12. November 2015, Zl. BNS3-F-152380, betreffend Zurückweisung des Antrages auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und der Beschwerdeführerin wird ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gem. § 8 Abs. 1 Z 8 iVm § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG – mit einer Gültigkeitsdauer von 12 Monaten erteilt.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist die ordentliche Revision zulässig.
Weitere Rechtsgrundlagen:
Paragraphen 27 und 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG
Paragraph 25 a, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
Mit Bescheid vom 12. November 2015 zur Zl. BNS3-F-152380 wies die Bezirkshauptmannschaft Baden im Namen des Landeshauptmannes von Niederösterreich den Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zurück.
Begründend führte sie aus, der beantragte Aufenthaltstitels dürfe wegen Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, in Verbindung mit Paragraph 30, Absatz eins, NAG nicht erteilt werden. Die Beschwerdeführerin habe am 30. Juli 2015 persönlich beim österreichischen Generalkonsulat Los Angeles einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Familienangehöriger eingebracht. Ihr Antrag sei am 21. August 2015 bei der Behörde eingelangt. Sie habe als Familienangehörige ihren Ehegatten, Herrn KH sowie ihre beiden minderjährigen Kinder KaH und MH angegeben.
Sie habe in ihrem Begleitschreiben zum Antrag drauf hingewiesen, dass sie mit ihrem Ehemann zerstritten sei. Ihr Ehegatte habe der Behörde bekannt gegeben, dass sie in Trennung lebten und ein Scheidungsverfahren anhängig sei. Ein gemeinsames Familienleben sei nicht mehr beabsichtigt. Das Sorgerecht für die beiden minderjährigen Kinder komme ihm, dem Ehegatten der Beschwerdeführerin, alleine zu.
Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 12. Oktober 2015 sei die Beschwerdeführerin darüber informiert worden, dass sie sich auf eine Ehe berufe, obwohl sie ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK mit ihrem Gatten nicht führe. Sie sei gem. Paragraph 23, Absatz eins, NAG darüber belehrt worden, dass sie für ihren beabsichtigen Aufenthaltszweck – die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit – einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte“ gemäß Paragraph 41, NAG einzubringen gehabt hätte und sei ihr Gelegenheit gegeben worden, ihren Antrag zu modifizieren.
Gemäß Paragraph 30, Absatz eins, NAG dürften sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK nicht führen, sich für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf diese Ehe berufen. Gemäß Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG dürften Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn eine Aufenthaltsehe iSd Paragraph 30, Absatz eins, NAG vorliegt.
Die Beschwerdeführerin habe zuletzt über einen Aufenthaltstitel verfügt, der bis zum 10. Februar 2015 gültig gewesen sei. Der nunmehr gegenständliche Antrag sei am 30. Juli 2015 eingebracht worden. Die Beschwerdeführerin habe bereits zuvor zweimal die fristgerechte Antragstellung versäumt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 30. Juli 2015 habe sie über keinen Aufenthaltstitel verfügt und auch keine Gründe für eine quasi-Wiedereinsetzung im Sinne des Paragraph 24, Absatz 2, NAG vorgebracht. Es handle sich daher bei ihrem Antrag um einen Erstantrag.
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe der Behörde gegenüber angegeben, mit ihr kein gemeinsames Familienleben mehr zu führen und die Wiederaufnahme eines solchen nicht zu beabsichtigen. Er sei auch bereits eine neue Beziehung eingegangen, aus der ebenfalls ein Kind stamme. Die Beschwerdeführerin habe keine Angaben darüber gemacht, auf welche Weise sie in gemeinsames Familienleben mit ihrem Gatten führe oder zuführen beabsichtige. Ihren Vorbringen könne nicht entnommen werden, dass die Aufnahme eines Familienlebens mit ihrem Gatten beabsichtigt wäre.
2. Zum Beschwerdevorbringen:
In ihrer Beschwerde führte die Beschwerdeführerin aus, die Behörde habe die verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Rechtslage verkannt. Der Bescheid greife auf massive Weise in das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Beschwerdeführerin auf Familiengemeinschaft mit ihren minderjährigen Kindern und bis zur Rechtskraft der Ehescheidung auch mit dem Ehegatten ein. Die Eigenschaft als familienangehöriger Ehegatte gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 9, NAG dauere bis zur Rechtskraft der Scheidung fort. Der Versagungsgrund der Aufenthaltsehe betreffe nur eine Scheinehe. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch keineswegs um eine Scheinehe. Nach der Rechtsprechung des EGMR umfasse das Familienleben auch die Beziehung im zeitlichen Umfeld der Ehe. Umso mehr müsse daher das Familienleben bis zur Rechtskraft der Scheidung anerkannt werden, auch wenn es sich dabei um problematisches, hinsichtlich der Wohngemeinschaft aktuell beendetes Familienleben handle. Im Übrigen sei von Artikel 8, EMRK auch die Beziehung der Mutter zu ihren Kindern umfasst. Eine Fernbeziehung in die USA könne ein derartiges Familienleben und die Anwesenheit der Mutter nicht ersetzen. Wäre ihr vorheriger Aufenthaltstitel nicht ausgelaufen, hätte sie im Grunde des Paragraph 27, NAG die Möglichkeit gehabt, einen Aufenthaltstitel zu erhalten. Sie habe nachgewiesen, dass sie über eine Wohnmöglichkeit, Arbeitseinkommen und dementsprechend auch über eine eigene Versicherung verfüge. Es wäre ihr daher ein Aufenthaltstitel Familienangehöriger, in eventu eine rot-weiß-rot Karte plus zu erteilen.
3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:
Beweis wurde erhoben durch Einvernahme der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten Mag. KH in öffentlicher mündlicher Verhandlung; durch Einsicht in den Verwaltungsakt, auf dessen Verlesung in der Verhandlung verzichtet wurde sowie durch Einsicht in von der Beschwerdeführerin während des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte Unterlagen, insb. über die anhängigen Pflegschafts- und Scheidungsverfahren sowie über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Umstände.
Die belangte Behörde nahm an der öffentlichen mündlichen Verhandlung trotz ausgewiesener Ladung nicht teil.
4. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin, geboren am ***, ist Staatsbürgerin der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie heiratete am 16. Mai 2005 ihren nunmehrigen Ehemann Mag. KH, geboren am ***, österreichischer Staatsbürger. Sie ist nicht vorbestraft. Sie verfügt über einen Reisepass der Vereinigten Staaten von Amerika, N°***, gültig bis 11. Dezember 2018.
Sie stellte am 30. Juli 2015 beim österreichischen Generalkonsulat in Los Angeles einen von ihr selbst als Erstantrag bezeichneten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“, nachdem ihr vorangegangener Aufenthaltstitel am 10. Februar 2015 abgelaufen war. Vorbringen, das auf einen Antrag auf quasi-Wiedereinsetzung nach Paragraph 24, NAG hinaus liefe, erstattete sie dabei nicht.
Sie verfügte zuvor bereits über Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“.
Sie verfügt über ein vertragliches Mietrecht in ***, ***, ***, über ein Objekt mit drei Zimmern und einer Wohnfläche von 73,33 m². Dieser Mietvertrag ist bis 31. Dezember 2018 befristet und es ergeben sich aus der Grundmiete und den Betriebskosten eine monatliche Mietzahlung i.H.v € 600.
Sie hat am 14. Oktober 2015 eine Prüfung der Grundstufe A1 Deutsch des österreichischen Sprachdiploms erfolgreich absolviert.
Ihr wurde von der „***“ in *** schriftlich eine Anstellung ab 1. September 2016 mit einem Bruttomonatsgehalt von € 1.470,90 in Aussicht gestellt. Ein Arbeitsvertrag oder vergleichbares wurde von ihr nicht vorgelegt.
Die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte sind gemeinsame Eltern der KaH, geboren am *** sowie der MH, geboren am ***. Beide sind österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürgerinnen der Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Familie lebte seit der Hochzeit zunächst gemeinsam in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach der Geburt der älteren Tochter übersiedelte sie 2008 (der Vater bereits etwas früher) nach Österreich. Seitdem lebt der Ehegatte der Beschwerdeführerin durchgehend in Österreich, ihre Töchter mit Unterbrechungen auch. Bis Weihnachten 2012 lebte auch die Beschwerdeführerin selbst durchgehend in Österreich.
Zu Weihnachten 2012 reiste die Beschwerdeführerin mit ihren Töchtern in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die Ehe war zu diesem Zeitpunkt bereits zerrüttet. Sie verblieb mit ihren Töchtern dort; aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung verbrachte sie ihre Töchter im Sommer 2013 zurück nach Österreich. Zwischen Juli 2013 und Sommer 2015 war die Beschwerdeführerin nur gelegentlich in Österreich, um ihre Kinder zu sehen. Im selben Zeitraum waren die Töchter mehrmalig in den Vereinigten Staaten von Amerika bei ihrer Mutter zu Besuch. Seit August 2015 hält sich die Beschwerdeführerin durchgehend in Österreich auf; sie verfügt hierfür über keinen gültigen Aufenthaltstitel.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 10. März 2014, 2 PS 208/12 w, wurde dem Kindesvater die alleinige Obsorge über die beiden Töchter dem Vater übertragen. Im Rahmen des Pflegschaftsverfahrens werden regelmäßig zwischen den Elternteile Besuchsrechte vereinbart; derzeit jedes zweite Wochenende sowie gewisse Ferienzeiten (zuletzt mündliche Verhandlung am 10. Mai 2016, wobei Ferienkontaktrechte bis Ostern 2018 festgelegt). Diese Besuchsmöglichkeit wird von der Mutter auch wahrgenommen.
Die Mutter hätte für jede ihrer beiden Töchter Unterhalt in Höhe von monatlich € 117,30 zu entrichten. Da sie derzeit über kein Einkommen verfügt, erfolgt dies zur Zeit im Wege von Unterhaltsvorschüssen.
Am 23. August 2012 erhob die Beschwerdeführerin Scheidungsklage gegen ihren Ehegatten. Dieser erhob am 6. September 2012 Widerklage. Das Scheidungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen; es fanden Verhandlungstermine am 21.11.2012, am 7.3.2013, am 23.4.2013, am 22.5.2013, am 17.4.2014, am 8.6.2015, am 25.6.2015 und am 1.10.2015 statt. Es sind noch zahlreiche Beweisanträge offen, sodass der Zeitpunkt einer Entscheidung über Klage und Widerklage noch nicht absehbar ist.
Der Ehegatte der Beschwerdeführerin lebt nunmehr in einer neuen Lebensgemeinschaft und hat mit seiner Lebensgefährtin ein weiteres Kind.
5. Beweiswürdigung:
Soweit die Feststellungen den Verlauf des Familienlebens betreffen, ergeben sie sich im Wesentlichen aus den Aussagen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten in öffentlicher mündlicher Verhandlung; diese Aussagen stimmen überein. Die weiteren Feststellungen gründen sich auf die von der Beschwerdeführerin im Verwaltungs- und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten, unbedenklichen Urkunden, insb. in das vorgelegte Sprachzertifikat, den Mietvertrag sowie in die Verhandlungsprotokolle des Pflegschafts- und des Scheidungsverfahrens.
6. Rechtlich folgt:
a. Vorbemerkung
Dass es sich bei gegenständlichem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels um einen Erstantrag handelt, ergibt sich bereits aus der Benennung des Antrags als einen solchen durch die Beschwerdeführerin auf dem von ihr ausgefüllten Antragsformular. Wie die Behörde richtig ausgeführt hat, hat es die Beschwerdeführerin unterlassen, für ihren am 10. Februar 2015 ausgelaufenen vormaligen Aufenthaltstitel rechtzeitig einen Verlängerungsantrag zu stellen und hat auch zu keinem Zeitpunkt das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Umstandes im Sinne des Paragraph 24, Absatz 2, NAG behauptet. Der Antrag ist daher in rechtlicher Hinsicht als Erstantrag zu behandeln; dies wurde von keiner Verfahrenspartei bestritten.
b. Zur Entscheidung in der Sache
Die belangte Behörde hat den Antrag auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels wegen dem Erteilungshindernis des Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG zurückgewiesen.
Die Behörde stützt sich dabei offenkundig auf Paragraph 23, Absatz eins, NAG, insbesondere auf die Formulierung „§ 13 Absatz 3, AVG gilt“.
Dieser Rechtsauffassung kann sich das Landesverwaltungsgericht nicht anschließen. Zuzugestehen ist, dass die zitierte Formulierung einen beträchtlichen Interpretationsspielraum lässt. Paragraph 23, Absatz eins, NAG dient generell dazu, den Antragsteller im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels darauf aufmerksam zu machen, dass er für seinen angestrebten Aufenthaltszweck einen anderen Titel als den beantragten ermöglicht, um ihm die Möglichkeit zu geben, gegebenenfalls seinen Antrag zu modifizieren und ihm und der Behörde unnötigen Aufwand zu ersparen. Die zitierte Formulierung deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber das als „Verbesserungsverfahren“ verstanden wissen wollte. Von daher wäre anzunehmen, dass tatsächlich zB in jenem Fall, in dem der Antragsteller auf eine Belehrung gem. Paragraph 23, Absatz eins, gar nicht reagiert, mit Zurückweisung vorzugehen wäre.
Nicht in Betracht kommt dies nach Ansicht des Gerichtes jedoch, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Antragsteller auf der Erteilung des ursprünglich beantragten Aufenthaltstitels beharrt, weil er, anders als die Behörde, der Ansicht ist, er erfülle die diesbezüglichen Erteilungsvoraussetzungen. In einer solchen Konstellation wird die Behörde nach Prüfung und Durchführung entsprechender Ermittlungen inhaltlich zu entscheiden haben, d.h. entweder mit Antragsstattgabe oder mit Antragsabweisung. Würde man dies anders sehen, würde dem Antragsteller eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Antragstellers wären empfindlich eingeschränkt. Insbesondere wäre es dem Verwaltungsgericht verwehrt, im Beschwerdeverfahren in der beantragten Sache selbst zu entscheiden, beschränkt sich seine Kognition bei einer Beschwerde über einen zurückweisenden Bescheid doch darauf, die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung selbst zu überprüfen und den Zurückweisungsbescheid entweder zu bestätigen oder aufzuheben. Den beantragten Aufenthaltstitel dürfte das Verwaltungsgericht selbst dann nicht erteilen, wenn dessen Voraussetzungen entgegen der Auffassung der Behörde doch vorliegen.
Eine solche Lesart ist daher Paragraph 23, Absatz eins, NAG nicht zu unterstellen (in diese Richtung auch VwGH, 3.4.2009, 2008/22/0880: „… einen anderen als den beantragten Aufenthaltstitel benötigt, ist jedenfalls vor einer allfälligen Antragsabweisung auch das in Paragraph 23, Absatz eins, NAG 2005 vorgesehene Verfahren einzuhalten.“). Da der Wortlaut des Paragraph 23, Absatz eins, NAG, insbesondere die Formulierung „§ 23 Absatz eins, AVG gilt“, weiten Auslegungsspielraum ermöglicht, wird diese Formulierung verfassungskonform so auszulegen sein, dass sie in einer Konstellation wie der vorliegenden keine Zurückweisung erlaubt:
Die Behörde hat nämlich ihre Zurückweisung auf das Vorliegen des Versagenstatbestandes des Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG gestützt; bei diesem handelt es sich jedoch zweifellos um eine materiellrechtliche Erfolgsvoraussetzung eines Verfahrens auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ und nicht um eine bloße verfahrensrechtliche Voraussetzung. Dass die Behörde inhaltlich – und nicht beschränkt auf verfahrensrechtliche Voraussetzungen – über den Antrag zu entscheiden beabsichtigt hatte, ergibt sich zweifelsfrei aus der Bescheidbegründung, welche sich nahezu zur Gänze mit der Frage des Vorliegens einer Aufenthaltsehe auseinandersetzt.
Im konkreten Fall muss sich das Landesverwaltungsgericht jedoch nicht auf die bloße Aufhebung des Zurückweisungsbescheides beschränken. Angesichts der dargestellten Sachlage handelt es sich offenkundig bei der „Zurückweisung“ um ein, durch eine unklare Gesetzeslage bedingtes, bloßes Vergreifen im Ausdruck. Die Kognition des Gerichtes ist daher nicht auf die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung beschränkt, sondern es ist berechtigt, inhaltlich über den Antrag und die Beschwerde abzusprechen (VwGH vom 26.4.2012, 2010/07/0129).
c. Zum Vorwurf der Aufenthaltsehe
Gemäß Paragraph 30, Absatz eins, NAG dürfen– unter der Absatzüberschrift „Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft und Aufenthaltsadoption“ – Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK nicht führen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht auf diese Ehe berufen. Eine solche Ehe stellt einen absoluten Versagenstatbestand gem. Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG dar.
Dass die Ehe anfangs keinesfalls eine Aufenthaltsehe war, sondern „echtes“ Familienleben zwischen den Ehegatten bestanden hat, ergibt sich aus den Feststellungen. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist jedoch zu entnehmen, dass auch eine anfangs „echte“ Ehe zu einer Aufenthaltsehe werden kann, wenn ein Familienleben iSd Artikel 8, EMRK nicht mehr existiert (zuletzt VwGH, 10.5.2016, Ra 2016/22/0015).
Die belangte Behörde hat aus der Trennung der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten sowie des von der Beschwerdeführerin angestrengten Scheidungsverfahrens geschlossen, dass ein Familienleben iSd Artikel 8, EMRK nicht mehr existiert und somit eine Aufenthaltsehe und der Versagenstatbestand des Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG vorliegt.
Das erkennende Gericht folgt dieser Ansicht nicht.
Zwar schließt das Vorliegen des Versagenstatbestandes des Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG eine Abwägung gem. Paragraph 11, Absatz 3 und damit nach dem Recht auf Privat- und Familienleben gem. Artikel 8, EMRK aus. Allerdings rekurriert Paragraph 30, Absatz eins, NAG bei der Definition der Aufenthaltsehe selbst auf das Familienleben iSd Artikel 8, EMRK, so dass der Begriff der „Aufenthaltsehe“ selbst nicht nur grundrechtskonform ausgelegt werden kann, sondern sogar so ausgelegt werden muss.
In diesem Sinn geht das erkennende Gericht davon aus, dass das „ordnungsgemäße Auflösen“ einer zuvor funktionierenden Ehe noch als Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK zu werten ist. Dass der Gesetzgeber selbst in diesem Sinne vorgehen wollte, ergibt sich insbesondere aus folgender Überlegung:
Aus Paragraph 27, Absatz eins und 2 NAG ergibt sich, dass ein Familienangehöriger mit einem Aufenthaltstitel gem. Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer 8, – ein solcher käme für die Beschwerdeführerin in Betracht – ein eigenständiges Niederlassungsrecht erwirbt, wenn die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vorliegen.
Wie insbesondere aus Paragraph 27, Absatz 2, Ziffer 2, leg. cit folgt, kann Anlass für ein solches eigenständiges Niederlassungsrecht gerade auch eine Scheidung sein. Unter Umständen kommt gemäß Paragraph 27, Absatz 2, erster Satz ein solches eigenständiges Niederlassungsrecht sogar bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe in Betracht.
Aus dieser Bestimmung ergibt sich zwangsläufig, dass die bloße Trennung und die Einleitung eines Scheidungsverfahrens die Angehörigeneigenschaft im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 9, nicht verhindern und für sich genommen auch keine Aufenthaltsehe konstituieren können.
Dies aus folgender Überlegung: Es ist notorisch, dass insbesondere strittige Scheidungsverfahren lange Zeit in Anspruch nehmen können. Verfügt der Familienangehörige in diesem Zeitraum über einen Aufenthaltstitel, dessen Gültigkeitsdauer endet, wird er einen Verlängerungsantrag zu stellen haben. In einem Verlängerungsverfahren sind gem. Paragraph 24, Absatz 3, NAG die Erteilungsvoraussetzungen dieselben, wie bei einem Erstantrag („arg.: wenn die Voraussetzungen für diesen weiterhin vorliegen“.). Würde die Auffassung der Behörde zutreffen, dürfte in einer solchen Konstellation kein weiterer Aufenthaltstitel mehr erteilt werden, da – in einem Scheidungsverfahren wird der gemeinsame Ehewohnsitz typischerweise aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sein – der Versagenstatbestand der Aufenthaltsehe erfüllt wäre.
Damit hätte der Familienangehörige im Zeitpunkt der Scheidung keinen Aufenthaltstitel mehr. Dadurch verlöre die Bestimmung des Paragraph 27, aber ihren wesentlichen Zweck, weil sie nicht mehr greift, wenn unmittelbar vor dem Wegfall der Voraussetzungen für den Familiennachzug (also zB dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Scheidung) gar kein Aufenthaltstitel besteht.
Eine solche Auslegung des Begriffs der Aufenthaltsehe ist dem Gesetzgeber daher nicht zusinnbar.
Zuzugestehen ist, dass es im vorliegenden Fall nicht um einen Verlängerungsantrag, sondern um einen Erstantrag geht. Das Gesetz enthält aber keinerlei Hinweis, dass der Begriff der Aufenthaltsehe bei einem Erstantrag anders auszulegen wäre, als bei einem Verlängerungsantrag, zumal, wie angeführt, deren rechtliche Voraussetzungen im Grunde des Paragraph 24, Absatz eins, NAG dieselben sind. Dabei ist im vorliegenden Fall besonders zu berücksichtigen, dass es sich nicht um die „erstmalige Erteilung eines Erstaufenthaltstitels“ handelt, sondern die Beschwerdeführerin über mehrere Jahre rechtmäßig in Österreich niedergelassen war und zuletzt im Februar 2015 über einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ verfügte.
Diese vom Landesverwaltungsgericht vertretene Auffassung führt auch nicht zu einer potentiellen Missbrauchskonstellation: Es versteht sich von selbst, dass sowohl im Falle eines Erstantrages als auch eines Verlängerungsantrages während eines Scheidungsverfahrens dennoch von einer Aufenthaltsehe auszugehen wäre, wenn bereits vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8, EMRK niemals oder seit längerer Zeit nicht mehr vorgelegen ist. Diese Konstellation liegt im vorliegenden Fall aber – völlig unstrittig – nicht vor: Vielmehr bestand über lange Zeit ein intaktes Familienleben zwischen den Beteiligten, welches aufenthaltsrechtlich in Österreich rechtskonform abgesichert wurde und aus welchem auch zwei Kinder entstanden sind, welche gemeinsam erzogen wurden.
Dadurch unterscheidet sich die vorliegende Konstellation nach Auffassung des Gerichtes auch entscheidend von jener, die dem zuvor zitierten Erkenntnis zu Ra 2016/22/0015 zu Grunde liegt. In jenem vom Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Fall war das verfahrensgegenständliche Ehepaar zwar noch verheiratet, hatte aber seit mindestens drei Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr. Dem Erkenntnis ist auch zu entnehmen, dass ein Scheidungsverfahren möglicherweise zwar anhängig war, aber jedenfalls nicht aktiv betrieben wurde. Darin unterscheidet sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt im genannten Erkenntnis maßgeblich vom hier zu beurteilenden Sachverhalt, weswegen das dortige Ergebnis des Verwaltungsgerichtshofes, es liege eine Aufenthaltsehe vor, nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden kann.
Angesichts der geschilderten Umstände ist daher Paragraph 30, Absatz eins, NAG – jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, in dem ein gemeinsames Familienleben mit Kindern über mehrere Jahre und basierend auf rechtmäßigem Aufenthalt in Österreich stattgefunden hat (wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde richtig vorgebracht hat, hätte sie, wenn sie die Frist nicht verpasst hätte, jedenfalls im Februar 2015 einen Verlängerungstitel erhalten und niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn ihr zu verweigern, weil sie in Scheidung lebt und somit eine Aufenthaltsehe vorliege) – so auszulegen, dass ein Familienleben zwischen den Eheleuten noch vorliegt, solange in einer Zerüttungsphase die Einleitung eines Scheidungsverfahrens vorbereitet wird (auch hier kann es erfahrungsgemäß längere Zeit in Anspruch nehmen, bis der Entschluss zur Scheidung gefallen ist) oder dieses Verfahren zur Ehescheidung noch läuft. Dies ist im Übrigen auch konsequent im Sinne des Artikel 8, EMRK, auf den Paragraph 30, Absatz eins, NAG ausdrücklich verweist: Die Vorbereitung und Durchführung eines Scheidungsverfahrens dient der Auflösung der rechtlichen Beziehungen der Eheleute – gerade in einem Fall, wo, wie im vorliegenden, gemeinsame unmündige Kinder vorhanden sind – und damit sehr wohl einer vertieften Auseinandersetzung mit den familiären Verhältnissen. Rechtlich beendet ist das Familienleben erst mit der rechtskräftigen Scheidung.
In diesem Sinn hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 6.12.2011, Cengiz Kılıç gg. Türkei (Appl. Nr. 16192/06) ebenfalls angenommen, dass es in einer Scheidungsphase noch ein familiäres Verhältnis im gesamten Familienkreis – dh. umfassend die Eheleute samt den gemeinsamen Kindern – bestehen kann: In dieser Entscheidung hat der EGMR eine Verletzung des Artikel 8, EMRK dadurch festgestellt, dass der Konventionsstaat seine positive Verpflichtung verletzt hat, entsprechende verfahrensrechtliche Instrumente zur Verfügung zu stellen, um während eines Scheidungsverfahrens den Kontakt zu den Kindern aufrechtzuerhalten. Insbesondere habe das Familiengericht es unterlassen, während des Scheidungsverfahrens auf eine Verständigung der beiden Elternteile über Besuchsrechte bzw. eine freiwillige Befolgung der Besuchsrechte seitens des obsorgeberechtigten Elternteils hinzuwirken (Rn 130). Im Sinne dieser Rechtsprechung hat der Staat in einer Konstellation wie der vorliegenden das Familienleben aller Familienmitglieder zu schützen und insbesondere den Kontakt des nicht obsorgeberechtigten Elternteils zu den gemeinsamen Kindern aufrechtzuerhalten. In dem Paragraph 30, Absatz eins, NAG den Begriff „Familienleben iSd Art. EMRK“ verwendet, ermöglicht er nicht bloß die Berücksichtigung dieser Verpflichtung bei der Auslegung, er erzwingt sie nach Ansicht des erkennenden Gerichtes geradezu. Es handelt sich vorliegend daher auch um keinen Fall, wo es erforderlich wäre, die Beschwerdeführerin auf die Möglichkeit eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8, EMRK (Paragraph 55, AsylG) zu verweisen (siehe zu einem solchen Fall aber: VwGH 11.2.2016, Ra 2015/22/0145).
Mit zu berücksichtigen ist dabei im vorliegenden Fall die verfassungsrechtliche Pflicht, das Kindeswohl zu achten (Artikel eins, Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern): Damit wäre es nicht vereinbar, in einer Konstellation, wo noch aktiv an der Auflösung der Ehe gearbeitet wird, einem Elternteil de facto den Kontakt zu den Kindern zu verwehren (wie die Beschwerdeführerin nachvollziehbar dargelegt hat, ist es ihr rein faktisch aus finanziellen Gründen nicht möglich, aus den Vereinigten Staaten regelmäßig zu Besuch zu kommen; umgekehrt können die Töchter aufgrund ihres Alters und ihrer Ausbildung auch nicht häufig in die Vereinigten Staaten zu Besuch fahren).
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob diese Sichtweise auch bei einer mutwilligen Verschleppung eines Scheidungsverfahrens durch den Inhaber des Aufenthaltstitels gerade zur dauernden Sicherung seines Titels (wie sich aus Paragraph 27, Absatz 2, ergibt, ist das selbständige Niederlassungsrecht des Angehörigen nicht in jedem Fall automatisch zu gewähren) zutreffend wäre, ergeben sich doch im konkreten Fall keine Anhaltspunkte dafür. Vielmehr dauert das Scheidungsverfahren zwar bereits lange, dies liegt aber, wie sich aus den Protokollen im Scheidungsverfahren ergibt, aus den umfangreichen Beweisthemen.
Eine Aufenthaltsehe liegt somit nicht vor und ist der Versagenstatbestand des Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG nicht verwirklicht.
Zu den übrigen Erteilungsvoraussetzungen:
Es ist daher vom Verwaltungsgericht das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen zur Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zu prüfen.
Die Beschwerdeführerin ist Drittstaatsangehörige und beantragt die Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehegatten Mag. KH, womit sie die Voraussetzung des Paragraph 47, Absatz 2, NAG erfüllt.
Sie verfügt durch die Prüfung „Deutsch A1“, abgelegt beim ÖSD am 14. Oktober 2015, über einen Nachweis der deutschen Sprache iSd Paragraph 21 a, NAG.
Neben Paragraph 11, Absatz eins, Ziffer 4, NAG ist auch keiner der übrigen Versagenstatbestände des Paragraph 11, Absatz eins, NAG erfüllt. Es besteht weiters kein Hinweis, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels die außenpolitischen Interessen Österreichs im Sinne des Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer 5, beeinträchtigen könnte.
Zwar ist die Beschwerdeführerin nunmehr seit Sommer 2015 unrechtmäßig in Österreich aufhältig, da sie die erlaubte Dauer ihres visumsfreien Aufenthalts deutlich überschritten hat. Doch nicht jeder unrechtmäßige Aufenthalt führt zu einer Gefährdung der öffentlichen Interessen iSd Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer eins, NAG (VwGH 9.9.2013, 2012/22/0164). Im vorliegenden Fall diente ihr unrechtmäßiger Aufenthalt der Aufrechterhaltung ihres Familienlebens zu ihren Kindern bzw. deren Familienleben zu ihr; sie bemüht sich auch, wie aus dieser Entscheidung ersichtlich, um Regularisierung ihres Aufenthaltes. Zudem ist die Dauer ihres bisherigen unrechtmäßigen Aufenthaltes nicht als allzu lang zu beurteilen und muss ihrem deutlich längerem rechtmäßigen Aufenthalt zuvor gegenübergestellt werden. Im Ergebnis liegt daher der Versagenstatbestand des Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer eins, NAG nicht vor.
Die Beschwerdeführerin weist einen Rechtsanspruch auf die Nutzung einer Unterkunft auf, an deren Ortsüblichkeit schon alleine wegen ihrer Größe (73 m2, 3 Zimmer) nicht zu zweifeln ist.
Ihre finanziellen Verhältnisse gestalten sich wie folgt:
Da sie keine gemeinsame Wohnungsnahme mit ihrem Ehegatten anstrebt, hat sie gem. Paragraph 11, Absatz 5, NAG den Einzelpersonenrichtsatz gem. Paragraph 293, Absatz eins, ASVG in Höhe von monatlich € 882,78 nachzuweisen. Als Belastung hinzutreten die Unterhaltszahlungen für ihre beiden Töchter in Höhe von je € 117,30 monatlich sowie die Mietbelastungen inkl. Betriebskosten in Höhe von monatlich € 610. Nur von letzteren Kosten ist einmalig der Wert der „freien Station“ iSd Paragraph 292, ASVG in Höhe von monatlich € 282,06 abzuziehen, treten doch die Unterhaltszahlungen für die Kinder an die Stelle des sonst zu berücksichtigenden Kinder-Richtsatzes, der iSd Paragraph 11, Absatz 5, NAG keine Belastung darstellt, welche durch die „freie Station“ gemindert würde. Nachzuweisen wären daher feste und regelmäßige Einkünfte in Höhe von € 1.117,38.
Die Beschwerdeführerin hat eine Beschäftigung bei der „***“ beginnend mit 1. September 2016 und einem Bruttomonatsgehalt von € 1.470,90 in Aussicht. Würde diese Beschäftigung realisiert werden, würde sie das erforderliche Einkommen erreichen. Eine zugesagte Beschäftigung ergibt sich aus dieser Ankündigung jedoch nicht. Die Erteilungsvoraussetzung des Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer 4, NAG ist somit nicht erfüllt.
Auch ein Krankenversicherungsschutz iSd Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer 3, NAG wurde nicht nachgewiesen.
Allerdings ist von diesen Erteilungsvoraussetzungen im Grunde des Paragraph 11, Absatz 3, NAG abzusehen:
Wie bereits ausgeführt, ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Beschwerdeführerin (auch) zur Aufrechterhaltung des Familienlebens ihrer Kinder zu ihr und vice versa geboten. Angesichts des geringen Alters der beiden Töchter und der Distanz des Heimatstaates der Beschwerdeführerin zu Österreich könnte ein echtes Familienleben durch bloße gegenseitige gelegentliche Besuche auf Dauer nicht aufrechterhalten werden.
Dieses Familienleben ist zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem der Ehegatte der Beschwerdeführerin rechtmäßig in den Vereinigten Staaten von Amerika niedergelassen war. In Folge hat sich die gesamte Familie rechtmäßig in Österreich niedergelassen. Auch wenn die Beschwerdeführerin zuletzt rechtswidrig in Österreich aufhältig war, war sie den Großteil dieses Familienlebens rechtskonform in Österreich niedergelassen. Das Familienleben besteht durchgehend seit der Geburt der jeweiligen Tochter. Auch in der derzeitigen Scheidungsphase, wobei die Obsorge allein dem Kindervater zusteht, ist es insofern intensiv, als die Beschwerdeführerin ihre Kinder regelmäßig an Wochenenden sowie länger in der Ferienzeit betreut. Die Töchter leben darüber hinaus seit 2008 durchgehend in Österreich. Auch wenn zwar kein „de facto-Zwang“ besteht, wonach die beiden Töchter – österreichische Staatsbürgerinnen – im Falle der Nicht-Erteilung eines Aufenthaltstitels Österreich verlassen müssten (zum „de-facto-Zwang“ siehe zB. VwGH 17.4.2013; 2013/22/0062), weil ihr Vater die alleinige Obsorge ausübt und sie durchgehend betreuen könnte, wäre die Fortsetzung des Familienlebens bei Nicht-Erteilung des Aufenthaltstitels realiter ausgeschlossen: Angesichts des geringen Alters der Töchter kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein zB zweimaliger Besuch jährlich geeignet wäre, ein „echtes“ Familienleben aufrechtzuerhalten.
Zwar ist zuzugestehen, dass das Familienleben während zwei Jahren (Sommer 2013 bis 2015) auf diese Weise aufrechterhalten wurde, jedoch handelt es sich dabei um einen beschränkten Zeitraum und es ist dem Gericht nicht erkennbar, dass die Aufrechterhaltung des Familienlebens bis zur Volljährigkeit der Töchter auf diese Weise dauerhaft möglich wäre, zumal davon auszugehen ist, dass eine zunehmende „Entfremdung“ der Kinder von ihrer Mutter eintreten würde, je länger sie sie nur sehr selten und unregelmäßig. Ausschlaggebend ist dabei insbesondere das geringe Alter der Töchter (7 und 9 Jahre).
Indem die Beschwerdeführerin jahrelang in Österreich gelebt hat und hier Kinder hat, ist von einem hohen Ausmaß an Integration auszugehen.
Zwingende Gründe iSd Paragraph 11, Absatz 3, Ziffer 6 und 7, die gegen die Beschwerdeführerin sprechen würden, liegen nicht vor. Insbesondere ist auch ihr unrechtmäßiger Aufenthalt seit Sommer 2015 nicht als solcher Grund zu werten, diente er doch der Aufrechterhaltung des Familienlebens.
Die Feststellungen und Erwägungen zeigen zudem, dass die Beschwerdeführerin reelle Chancen hat, auf dem österreichischen Arbeitsmarkt tätig zu werden und somit den erforderlichen Einkommensrichtsatz zu erreichen und einen Krankenversicherungsschutz zu erlangen, so dass die Beeinträchtigung der von Paragraph 11, Absatz 2, Ziffer 3 und 4 NAG verfolgten Interessen als gering anzusehen ist.
Im Ergebnis ist daher der beantragte Aufenthaltstitel – gem. Paragraph 20, Absatz eins, NAG für eine Dauer von 12 Monaten – zu erteilen.
7. Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, da keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliegt, ob eine Ehe in der Scheidungsphase – wobei die Ehe zerrüttet ist und der gemeinsame Haushalt aufgegeben wurde, das Scheidungsverfahren aber aktiv betrieben wird, zuvor aber über mehrere Jahre und rechtmäßig ein gemeinsames Familienleben in Österreich geführt wurde – als Aufenthaltsehe im Sinn des Paragraph 30, Absatz eins, NAG zu betrachten ist bzw. ob diese Sachverhaltskonstellation sich so ausreichend von jener unterscheidet, die der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ra 2016/22/0015 zu Grunde lag, um vom Nicht-Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgehen zu können.
ECLI:AT:LVWGNI:2016:LVwG.AV.1333.001.2015