VORARLBERGER

LANDESGESETZBLATT

Jahrgang 2019

Ausgegeben am 30. August 2019

59. Verordnung: Verordnung über die förderliche Betreuung von Kindern in Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag und durch Tageseltern

Verordnung
der Landesregierung über die förderliche Betreuung von Kindern
in Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag
und durch Tageseltern

Auf Grund der Paragraphen 30, Absatz 3 und 31a Absatz 3, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, LGBl.Nr. 29/2013, in der Fassung LGBl.Nr. 46/2019, wird verordnet:

1. Abschnitt
Allgemeines

Paragraph eins,
Grundsätze der Erziehung und vorschulischen Bildung

  1. Absatz einsKinder sind durch altersgemäße Erziehung und Bildung in ihrer körperlich-motorischen, seelischen, sprachlichen, ethischen und sozialen Entwicklung zu fördern. Dabei ist jedes Kind in seiner Individualität wahrzunehmen. Die Vermittlung eines toleranten und respektvollen Umgangs mit Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Geschlechts, das Vorleben der grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft sowie eines achtsamen Umgangs mit Lebewesen und der Natur gehören zu den Aufgaben von Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag und Tageseltern.
  2. Absatz 2Die Betreuung, Bildung und Erziehung bilden eine untrennbare Einheit und haben auf den Erfahrungen der Erziehungswissenschaft, der Neurowissenschaften und der Kinderpsychologie aufzubauen. Unter Berücksichtigung der frühkindlichen Lernformen wie etwa Spielen, Forschen, Erfinden, Gestalten und Experimentieren sind insbesondere Lernfähigkeit, Lernbereitschaft sowie soziale und emotionale Reife zu fördern und die Kinder in der Erreichung der notwendigen Sprachkompetenz zu unterstützen. Sie sind ohne Zeit- und Leistungsdruck auf den Kindergarten oder die Schule vorzubereiten.
  3. Absatz 3Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag und Tageseltern haben durch geeignete Maßnahmen einen harmonischen Übergang in den Kindergarten oder die Schule anzustreben. Die Arbeit mit den Kindern ist transparent zu gestalten und Erziehungsberechtigte sind in geeigneten Formen, insbesondere durch Elterngespräche und gemeinsame Veranstaltungen, einzubinden.

Paragraph 2,
Pädagogische Grundlagendokumente

  1. Absatz einsDie pädagogische Arbeit in Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag orientiert sich an den folgenden pädagogischen Grundlagendokumenten:
    1. Litera a
      „Bundesländerübergreifender Bildungsrahmenplan“ und „Bildungsplan-Anteil zur sprachlichen Förderung in elementaren Bildungseinrichtungen“,
    2. Litera b
      „Leitfaden zur sprachlichen Förderung am Übergang vom Kindergarten in die Volksschule“,
    3. Litera c
      „Modul für Fünfjährige“,
    4. Litera d
      „Werte- und Orientierungsleitfaden“ und
    5. Litera e
      sonstige Dokumente, die vom Bund im Einvernehmen mit den Ländern zur Verfügung gestellt werden.
  2. Absatz 2Bei der Betreuung von Kindern durch Tageseltern sind der „Leitfaden für die häusliche Betreuung sowie die Betreuung durch Tageseltern“ und der „Werte- und Orientierungsleitfaden“ anzuwenden.

Paragraph 3,
Bildungsbereiche

  1. Absatz einsIm vorschulischen Bildungsprozess sollen die Kinder vielseitige Kompetenzen wie beispielsweise soziale Fähigkeiten, Arbeitshaltungen, Sprache, motorisches Geschick, Wahrnehmung sowie Denk- und Merkfähigkeit erwerben. Das Kind soll lernen Regeln einzuhalten, Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, ein Verantwortungsgefühl für sein eigenes Verhalten und eine positive Kommunikation zu entwickeln.
  2. Absatz 2Bei der Förderung der Kinder in ganzheitlicher, ausgewogener und geschlechtssensibler Weise sind insbesondere folgende Bereiche zu beachten:
    1. Litera a
      Emotionen und soziale Beziehungen: Identität, Vertrauen und Wohlbefinden sowie Kooperation und Konfliktkultur
    2. Litera b
      Ethik und Gesellschaft: Werte, Diversität, Inklusion sowie Partizipation und Demokratie
    3. Litera c
      Sprache und Kommunikation: Sprache und Sprechen, verbale und nonverbale Kommunikation, Literacy sowie Informations- und Kommunikationstechnologien
    4. Litera d
      Bewegung und Gesundheit: Körper und Wahrnehmung, Bewegung sowie Gesundheitsbewusstsein
    5. Litera e
      Ästhetik und Gestaltung: Kultur und Kunst sowie kreativer Ausdruck
    6. Litera f
      Natur und Technik: Natur und Umwelt, Technik sowie mathematisches Denken

2. Abschnitt
Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag

Paragraph 4,
Planung und Dokumentation der pädagogischen Arbeit

  1. Absatz einsDas Betreuungspersonal der Kinderbetreuungseinrichtung mit vorschulischem Bildungsauftrag hat sich täglich auf die pädagogische Arbeit mit den Kindern vorzubereiten und diese zu planen. Die Vorbereitungen haben auf der Basis kontinuierlicher, dokumentierter Beobachtungen der Kinder zu erfolgen. Die Planung und Gestaltung der Bildungsprozesse sowie der individuellen Förderung durch pädagogische Impulse orientieren sich an den Bedürfnissen der Kinder und unterstützen die Entwicklung kindlicher Kompetenzen.
  2. Absatz 2Die Dokumentation der pädagogischen Arbeit ist für jede Gruppe schriftlich zu führen und hat aus Vorbereitungen, Einzel- und Gruppenbeobachtungen, Reflexionen und Anwesenheitslisten zu bestehen.

Paragraph 5,
Gruppengrößen und Betreuungsschlüssel

  1. Absatz einsZur Sicherung der pädagogischen Qualität gelten in Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag folgende Gruppengrößen, wobei das Alter der Kinder zum Stichtag 31. August für das gesamte Betreuungsjahr ausschlaggebend ist:
    1. Litera a
      für Kinder unter zwei Jahren: maximal drei Kinder auf eine Betreuungsperson; in einer Gruppe werden maximal neun Kinder betreut.
    2. Litera b
      für Kinder im Alter von zwei Jahren: maximal fünf Kinder auf eine Betreuungsperson; in einer Gruppe werden maximal neun Kinder betreut.
    3. Litera c
      für Kinder im Alter von drei Jahren: maximal sieben Kinder auf eine Betreuungsperson; in einer Gruppe werden maximal 15 Kinder betreut.
    4. Litera d
      für Kinder im Alter ab vier Jahren: maximal 16 Kinder auf eine Betreuungsperson; in einer Gruppe werden maximal 23 Kinder betreut.
  2. Absatz 2Ergänzend zu Absatz eins, gelten für altersgemischte Gruppen folgende Gruppengrößen:
    1. Litera a
      Bei Kindern im Alter von 0 bis sechs Jahren werden in einer Gruppe nicht mehr als zwölf Kinder von mindestens zwei Betreuungspersonen betreut. Wenn der Anteil der unter dreijährigen Kinder mehr als 50 % der Gruppe beträgt, sind drei Betreuungspersonen einzusetzen.
    2. Litera b
      Bei Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren werden in einer Gruppe nicht mehr als 23 Kinder von mindestens zwei Betreuungspersonen betreut. Wenn der Anteil an Dreijährigen ein Drittel der Gruppengröße übersteigt, sind drei Betreuungspersonen einzusetzen.
  3. Absatz 3Zur Vermeidung eines unzumutbar hohen Aufwands kann die maximale Kinderanzahl nach Absatz eins, Litera a und b aus besonderen Gründen um ein Kind pro Gruppe überschritten werden; die maximale Kinderanzahl nach Absatz eins, Litera c und d sowie Absatz 2, kann um zwei Kinder pro Gruppe überschritten werden. Ein besonderer Grund liegt insbesondere vor, wenn ein Kind aufgrund dringenden Betreuungsbedarfs aufgenommen werden soll.

Paragraph 6,
Qualifikation des Betreuungspersonals

  1. Absatz einsFür die Betreuung von Kindern in Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag sind Personen geeignet, die
    1. Litera a
      das 18. Lebensjahr vollendet oder eine berufsspezifische Ausbildung abgeschlossen haben,
    2. Litera b
      über die für die Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen und
    3. Litera c
      verlässlich sind.
  2. Absatz 2In jeder Kinderbetreuungseinrichtung mit vorschulischem Bildungsauftrag ist eine pädagogische Fachkraft mit der Leitung der Kinderbetreuungseinrichtung zu betrauen. Die pädagogische Fachkraft verfügt zusätzlich zu den in Absatz eins, genannten Voraussetzungen über eine abgeschlossene pädagogische Grundausbildung oder kann nachweisen, dass eine solche Ausbildung innerhalb eines Jahres ab Übernahme der Leitungsfunktion bzw. in begründeten Ausnahmefällen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen wird. Als pädagogische Grundausbildungen gelten
    1. Litera a
      die Ausbildung als pädagogische Fachkraft für Kinderbetreuung,
    2. Litera b
      die Befähigungsprüfung für Kindergartenpädagogik,
    3. Litera c
      die Befähigungsprüfung für Sozialpädagogik,
    4. Litera d
      ein Hochschulstudium im elementarpädagogischen Bereich mit dem Nachweis einer Praxiserfahrung in einer elementarpädagogischen Einrichtung im Ausmaß von mindestens einem Jahr,
    5. Litera e
      das Lehramtsstudium Primarstufe oder
    6. Litera f
      eine nach Litera a bis e gleichwertige Ausbildung.
  3. Absatz 3Zur Sicherung der pädagogischen Qualität haben Betreuungspersonen zwei Tage im Jahr an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen.
  4. Absatz 4Pädagogische Fachkräfte, die im Bereich der frühen sprachlichen Förderung eingesetzt werden, sollen nach Möglichkeit eine Qualifikation entsprechend dem Lehrgang zur Qualifizierung für die frühe sprachliche Förderung nachweisen.
  5. Absatz 5Sonstiges qualifiziertes Personal, das im Bereich der frühen sprachlichen Förderung eingesetzt wird, hat nachzuweisen:
    1. Litera a
      eine Qualifikation entsprechend dem Lehrgang zur Qualifizierung für die frühe sprachliche Förderung und
    2. Litera b
      zumindest Sprachkenntnisse in Deutsch auf dem Referenzniveau C1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, insbesondere durch
      1. Ziffer eins
        ein Sprachdiplom des Niveaus C1 oder höher von „Österreichisches Sprachdiplom Deutsch“, „Goethe-Institut e.V.“ oder „Telc GmbH“,
      2. Ziffer 2
        den Abschluss einer deutschsprachigen Schule, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des Paragraph 64, Absatz eins, Universitätsgesetz 2002 entspricht, oder
      3. Ziffer 3
        einen Hochschulabschluss in einem deutschsprachigen Studienfach in einem deutschsprachigen Land.

Paragraph 7,
Sprachstandsfeststellung

  1. Absatz einsZur Feststellung des Sprachstandes von Kindern haben Kinderbetreuungseinrichtungen mit vorschulischem Bildungsauftrag ein standardisiertes Instrument anzuwenden. Sprachstandsfeststellungen sind durch pädagogische Fachkräfte anhand eines Beobachtungsbogens zur Erfassung der Sprachkompetenz in Deutsch von Kindern mit Deutsch als Erstsprache (BESK kompakt) oder von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (BESK-DaZ kompakt) durchzuführen.
  2. Absatz 2Die Erhebung des Sprachstandes und die Feststellung des Sprachförderbedarfs sind zu dokumentieren und wie folgt durchzuführen:
    1. Litera a
      bei Kindern, die zu Beginn des Betreuungsjahres drei Jahre alt sind und eine Kinderbetreuungseinrichtung mit vorschulischem Bildungsauftrag besuchen, im Zeitraum Mai bis Mitte Juni,
    2. Litera b
      bei Kindern, die im Alter von vier Jahren erstmals eine Kinderbetreuungseinrichtung mit vorschulischem Bildungsauftrag besuchen, bis spätestens 31. Oktober,
    3. Litera c
      bei Kindern, die im Alter von vier Jahren eine Sprachförderung erhalten haben, zum Ende des gleichen Betreuungsjahres erneut,
    4. Litera d
      bei Kindern, die im Alter von fünf Jahren (letztes Betreuungsjahr vor Schulbeginn) erstmals eine Kinderbetreuungseinrichtung mit vorschulischem Bildungsauftrag besuchen, bis spätestens 31. Oktober,
    5. Litera e
      bei Kindern, bei denen die letzte Sprachstandsfeststellung einen Förderbedarf ergeben hat, letztmalig am Ende des Betreuungsjahres,
    6. Litera f
      bei Kindern, bei denen während des Betreuungsjahres die begründete Annahme besteht, dass kein Sprachförderbedarf mehr vorliegt, durch eine fakultativ durchzuführende außerordentliche Sprachstandsfeststellung.
  3. Absatz 3Die Ergebnisse der Sprachstandsfeststellungen, die am Ende des Betreuungsjahres durchgeführt wurden, sind bis 15. Juni des jeweiligen Betreuungsjahres der Landesregierung digital zu übermitteln; jene Ergebnisse der Sprachstandsfeststellungen, die zu Beginn des Betreuungsjahres durchgeführt wurden, sind bis 30. November zu übermitteln.

Paragraph 8,
Frühe sprachliche Förderung

  1. Absatz einsSprachförderung hat als durchgängiges Prinzip während der pädagogischen Arbeit mit den Kindern zu erfolgen. Die Kinder sind von Beginn der Betreuung an in ihren sprachlichen Fähigkeiten zu fördern und bestmöglich in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Eine Förderung der Bildungssprache Deutsch mit Fokus auf die Sprachkompetenzen bei Schuleintritt hat insbesondere in den letzten beiden Betreuungsjahren vor Schuleintritt stattzufinden.
  2. Absatz 2Kinder, die einen Sprachförderbedarf aufweisen, haben an den Fördermaßnahmen teilzunehmen; sie sind jedenfalls durch entsprechende Maßnahmen so zu fördern, dass sie mit Eintritt in die Schule die Bildungssprache Deutsch möglichst beherrschen. Ein Sprachförderbedarf liegt vor, wenn der entsprechende Schwellenwert des Instruments zur Sprachstandsfeststellung als Ergebnis der Beobachtung unterschritten wird. Bei der Förderplanung ist insbesondere der Leitfaden zur sprachlichen Förderung am Übergang vom Kindergarten in die Volksschule anzuwenden.

3. Abschnitt
Inkrafttreten

Paragraph 9,

Die Paragraphen eins bis 6 und 8 treten rückwirkend mit 15. März 2019 in Kraft. Paragraph 7, tritt mit 1. September 2019 in Kraft.

Für die Vorarlberger Landesregierung:
Der Landeshauptmann:

Mag. Markus Wallner