Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

18.12.2024

Geschäftszahl

7Ob155/24f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei H* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.132,33 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das mit Beschluss vom 11. September 2024, GZ 1 R 72/24w-27, berichtigte Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. August 2024, GZ 1 R 72/24w-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 21. März 2024, GZ 5 C 256/23t-20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

römisch eins. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel 267, AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind Artikel 185, Absatz eins,, Absatz 3, Buchstabe j und Absatz 5, Buchstabe c sowie Artikel 186, Absatz eins, der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität römisch II) dahin auszulegen, dass dem Versicherungsnehmer das Rücktrittsrecht auch im Fall einer späteren individualvertraglichen Vertragsänderung zu einem Lebensversicherungsvertrag zusteht?

2. Wenn Frage 1 bejaht wird: Steht dem Versicherungsnehmer das Rücktrittsrecht gemäß Artikel 186, Absatz eins, der Richtlinie 2009/138/EG bei jeder späteren individualvertraglichen Vertragsänderung zu oder hängt das Rücktrittsrecht von Umfang und Bedeutung der Vertragsänderung für den Versicherungsnehmer ab?

römisch II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Paragraph 90 a, Absatz eins, GOG ausgesetzt.

Text

Begründung:

Zu römisch eins.:

A. Sachverhalt

[1]                  C* M* (in der Folge Versicherungsnehmerin) schloss als Versicherungsnehmerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahr 2013 einen Lebensversicherungsvertrag („KapitalSparbrief fondsgebundene Lebensversicherung mit jährlich 4 % Wertanpassung“) mit einer Vertragslaufzeit von 25 Jahren und einer Monatsbruttoprämie von 50 EUR samt einer Wertanpassungsklausel (4 % jährlich auf Basis der zuletzt vorgeschriebenen Prämie) ab.

[2]                  Am 15. Juli 2014 langte bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein Änderungsantrag der Versicherungsnehmerin zu dieser Lebensversicherung dahingehend ein, dass ab 1. August 2014 die monatliche Prämie von 50 EUR auf 100 EUR erhöht werden solle. Weiters war im Antrag enthalten: „Indexausschluss für: 2014 möchte Wertanpassung 2015“.

[3]                  Daraufhin übermittelte die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Versicherungsnehmerin zu ihrem Versicherungsvertrag einen mit 24. Juli 2014 datierten Nachtrag wegen „Erhöhung der Versicherungssumme und Prämie, Ausschluss einer Wertanpassungsvereinbarung“. Danach betrug die Nachtragsprämie von 1. August 2014 bis 1. September 2014 50 EUR und die Folgeprämie ab 1. September 2014 monatlich 100 EUR.

[4]                  Auf der letzten Seite des Nachtrags war folgender Hinweis:

RÜCKTRITTSRECHT

Versicherungsnehmer, die als Verbraucher im Sinne des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) gelten, sind bei Vorliegen der im Paragraph 3, KSchG genannten Voraussetzungen berechtigt, innerhalb einer Woche nach Erhalt dieser Polizze in Schriftform vom Vertrag zurückzutreten.

Wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen oder eine Kopie des Antrages nicht erhalten hat, kann er von diesem Vertrag innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung der Polizze in Schriftform zurücktreten. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze.“

[5]                  Weiters übermittelte die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Versicherungsnehmerin aufgrund ihres Änderungsantrags einen mit 12. August 2015 datierten Nachtrag wegen „Einschluss einer Wertanpassungsvereinbarung“ mit Änderungsdatum 1. September 2015, die auszugsweise folgenden Inhalt hat:

WERTANPASSUNGSKLAUSEL:

Die Prämien des bestehenden Versicherungsvertrages werden jeweils zu Beginn eines Versicherungsjahres für die restliche Vertragsdauer nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen erhöht:

(1) Erhöhung des Hauptvertrages

Die Prämie des Hauptvertrages wird jeweils zu Beginn eines Versicherungsjahres um 4 % der zuletzt vorgeschriebenen Prämie erhöht.

[...]

RÜCKTRITTSRECHT

Versicherungsnehmer, die als Verbraucher im Sinne des Konsumentenschutzgesetzes (KSchG) gelten, sind bei Vorliegen der im Paragraph 3, KSchG genannten Voraussetzungen berechtigt, innerhalb einer Woche nach Erhalt dieser Polizze in Schriftform vom Vertrag zurückzutreten.

Wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungsbedingungen oder eine Kopie des Antrages nicht erhalten hat, kann er von diesem Vertrag innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung der Polizze in Schriftform zurücktreten. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens einen Monat nach Zugang der Polizze.“

[6]                  Mit E-Mail vom 27. Juni 2022 erklärte die Versicherungsnehmerin gegenüber der Beklagten den Rücktritt von allen Änderungen des Versicherungsvertrags aus den Jahren 2014 und 2015, weil sie nicht über ihr gesetzliches Rücktrittsrecht belehrt worden sei und forderte die Prämiendifferenz samt Zinsen zurück.

[7]           Die Beklagte lehnte den Rücktritt ab. Die Versicherungsnehmerin trat ihre Ansprüche auf Rückzahlung bezahlter Versicherungsprämien gegen die Beklagte an den klagenden Verbraucherschutz-verband ab.

B. Prozessstandpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren

[8]                  Der Kläger begehrt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – Zahlung von 6.132,33 EUR sA und brachte vor, die Belehrung im Lebensversicherungsvertrag sei intransparent und daher unwirksam. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht nur bei Abschluss des Versicherungsvertrags, sondern auch bei einer Änderung des Vertrags über das Rücktrittsrecht zu belehren. Die Belehrung in den Nachträgen sei unrichtig gewesen, sodass der Versicherungsnehmerin ein unbefristetes Rücktrittsrecht zustehe. Dies führe zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung des Vertrags. Der Kläger sei zur Geltendmachung des Anspruchs der Versicherungsnehmerin legitimiert.

[9]                  Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Die Belehrung im Versicherungsvertrag entspreche den gesetzlichen Vorgaben und sei nicht intransparent. Das Rücktrittsrecht der Versicherungsnehmerin würde entgegen der Ansicht des Klägers an den Vertragsabschluss anknüpfen und stünde bei bloßen Vertragsänderungen nicht zu. Die Klage sei daher abzuweisen.

[10]                Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Belehrung im Versicherungsvertrag entspreche den gesetzlichen Vorgaben und sei nicht intransparent. Das Rücktrittsrecht würde an den Vertragsabschluss bzw die Mitteilung über den Vertragsabschluss anknüpfen und stünde daher bei bloßen Vertragsänderungen nicht zu. Auch die europarechtlichen Vorgaben für das Rücktrittsrecht würden an den Vertragsabschluss und nicht an eine Vertragsänderung anknüpfen. Bei bloßen Vertragsänderungen bedürfe es auch keines Übereilungsschutzes.

[11]                Das Berufungsgericht bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts.

C. Relevante Rechtsvorschriften

Bundesgesetz vom 2. Dezember 1958 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VersVG) in der hier relevanten Fassung BGBl römisch eins 2012/34:

„§ 165a

(1) Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Hat der Versicherer vorläufige Deckung gewährt, so gebührt ihm hiefür die ihrer Dauer entsprechende Prämie.

[…]“

Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität römisch II) (Neufassung)

Erwägungsgrund 79:

„In einem Versicherungsbinnenmarkt steht den Verbrauchern eine größere und vielfältigere Auswahl an Verträgen zur Verfügung. Wenn ihnen diese Vielfalt und der verschärfte Wettbewerb in vollem Umfang zugutekommen sollen, müssen sie vor Vertragsabschluss und während der gesamten Vertragslaufzeit alle erforderlichen Informationen erhalten, um entscheiden zu können, welcher Vertrag ihren Bedürfnissen am besten entspricht.“

„Artikel 185

Informationen für die Versicherungsnehmer

(1) Dem Versicherungsnehmer sind vor Abschluss des Lebensversicherungsvertrags zumindest die in den Absätzen 2, 3 und 4 genannten Informationen mitzuteilen.

[...]

(3) Folgende Informationen sind bezüglich der Versicherungspolicen mitzuteilen:

[…]

j) Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts;

(5) Der Versicherungsnehmer muss während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen folgender Angaben auf dem Laufenden gehalten werden:

[...]

c) alle in Absatz 3 Buchstaben d bis j genannten Angaben im Fall eines Zusatzvertrages oder einer Änderung der für den Vertrag geltenden Rechtsvorschriften;

[...]

Artikel 186

Rücktrittszeitraum

(1) Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügen, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von allen aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.

Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist.“

Rechtliche Beurteilung

D. Begründung der Vorlage

[12]                1. Da der Versicherungsvertrag und die beiden Nachträge in den Jahren 2013, 2014 und 2015 geschlossen wurden, ist Paragraph 165 a, VersVG in der Fassung BGBl römisch eins 2012/34 anzuwenden.

[13]                2.1. Gemäß Paragraph 165 a, Absatz eins, VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten.

[14]                2.2. Wenn der Versicherungsnehmer nicht korrekt und verständlich über das ihm nach Paragraph 165 a, Absatz eins, VersVG zustehende Rücktrittsrecht belehrt wurde, wird ihm die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Dies hat zur Folge, dass die Rücktrittsfrist nach Paragraph 165 a, Absatz eins, VersVG nicht mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Vertrag geschlossen wurde und führt zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers (7 Ob 117/20m zum gleichlautenden Paragraph 165 a, VersVG in der Fassung BGBl römisch eins 2006/95; RS0130376; vergleiche auch EuGH C-355/18 bis C357/18 und C479/18, RustHackner, ECLI:EU:C:2019:1123).

[15]                2.3. Dass die Belehrung im Versicherungsantrag vom 14. August 2013 unrichtig sei, behauptet der Kläger in der Revision nicht mehr. Die Darstellung sämtlicher Rücktrittsrechte im Versicherungsantrag macht die Belehrung aus Gründen, die in der Endentscheidung näher darzulegen sein werden, auch nicht intransparent gemäß Paragraph 6, Absatz 3, KSchG.

[16]                3.1. Allerdings kam es im vorliegenden Fall nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags im Jahr 2013 in den Jahren 2014 und 2015 zu individualvertraglichen (einvernehmlichen) Änderungen des Versicherungsvertrags. Es stellt sich daher die Frage, ob das auf der RL 2009/138/EG beruhende Rücktrittsrecht gemäß Paragraph 165 a, VersVG dahin auszulegen ist, dass das Rücktrittsrecht nicht nur den erstmaligen Abschluss eines Vertrags, sondern auch später vorgenommene individualvertragliche (einvernehmliche) Vertragsänderungen erfasst und damit auch diesfalls eine entsprechende Informationspflicht des Versicherers besteht.

[17]                3.2. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Artikel 186, Absatz eins, RL 2009/138/EG, den Versicherungsnehmern eines individuellen Lebensversicherungsvertrags ein Rücktrittsrecht innerhalb einer bestimmten Frist zu gewähren, knüpft an den Vertragsabschluss an. Nach Artikel 185, Absatz eins, RL 2009/138/EG sind dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Lebensversicherungsvertrags bestimmte Informationen mitzuteilen. Dazu gehören auch die Modalitäten der Ausübung des Widerrufs und Rücktrittsrechts. Auch diese Bestimmung stellt nach ihrem Wortlaut auf den Vertragsschluss ab.

[18]                Demgegenüber müssen Versicherungsnehmer nach Erwägungsgrund 79 nicht nur vor Vertragsabschluss, sondern auch während der gesamten Vertragslaufzeit alle erforderlichen Informationen erhalten, um entscheiden zu können, welcher Vertrag ihren Bedürfnissen am besten entspricht. In diesem Sinn sieht Artikel 185, Absatz 5, Litera c, RL 2009/138/EG vor, dass der Versicherungsnehmer im Fall eines Zusatzvertrags oder einer Änderung der für den Vertrag geltenden Rechtsvorschriften während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in Artikel 185, Absatz 3, Litera d bis Litera j, RL 2009/138/EG genannten Angaben auf dem Laufenden gehalten werden muss. In anderen Sprachfassungen wird deutlich, dass mit dem Begriff „Zusatzvertrag“ die individualvertragliche Änderung eines bestehenden Versicherungsvertrags gemeint ist vergleiche EN: „in the event of a change in the policy“; FR: „en cas de modification des conditions de la police“; IT: „in caso di modifiche alle condizioni di polizza“).

[19]                3.3. In der österreichischen Lehre vergleiche etwa Ramharter in MünchKommVVG³ Kap 16 Österreichisches Versicherungsrecht, K. Lebensversicherung Rn 1256 ff; Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler [April 2023] Paragraph 5 c, VersVG Rz 2 ff) findet sich keine Stellungnahme zur hier strittigen Frage.

[20]                3.4. In Deutschland wird überwiegend gelehrt, dass das Widerrufsrecht (= Rücktrittsrecht) nicht nur den erstmaligen Abschluss eines Vertrags erfasst, sondern auch später vorgenommene einvernehmliche Änderungen unabhängig von ihrem Umfang und ihrer Bedeutung (Eberhard in MünchKommVVG³ Paragraph 8, VVG Rn 21; Knops in Bruck/Möller, VVG10 Paragraph 8, Rn 12, 41; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG7 Paragraph 8, Rn 2; Heinig/Makowsky in Looschelders/Pohlmann, VVG4 Paragraph 8, Rn 27 ff; Ebers in Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, VVG4 Paragraph 8, Rn 24; Reusch in Staudinger/Halm/Wendt, VVG3 Paragraph 8, aF Rn 6; offen lassend BGH römisch IV ZR 258/11 = NJW 2013, 57).

[21]                Teilweise wird jedoch vertreten, dass nur einvernehmliche Änderungen von einigem Gewicht ein neuerliches Widerrufsrecht auszulösen vermögen (Brand in BeckOKVVG24 Paragraph 8, Rn 14 f; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG32 Paragraph 8, Rn 3). Dabei soll es sich typischerweise um solche Änderungen handeln, die auch Gegenstand eines neuen, eigenständigen Versicherungsvertrags sein könnten, etwa Deckungserweiterungen von einigem Gewicht (Armbrüster, Das allgemeine Widerrufsrecht im neuen VVG, r+s 2008, 493 [494]; Schimikowski in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG4 Paragraph 8, Rn 5).

[22]                4.1. Artikel 186, Absatz eins, RL 2009/138/EG gewährt – wie dargelegt – das Rücktrittsrecht seinem Wortlaut nach nur beim Abschluss eines Vertrags und nicht auch bei später vorgenommenen individualvertraglichen (einvernehmlichen) Änderungen. Erwägungsgrund 79 und Artikel 185, Absatz 5, Litera c, RL 2009/138/EG sind hingegen offener formuliert und stellen nicht nur auf den Vertragsabschluss ab.

[23]                4.2. Sinn und Zweck des Rücktrittsrechts ist vor allem der Schutz des Versicherungsnehmers vor Übereilung. Das Rücktrittsrecht soll dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit geben, vom Vertrag ohne Angabe von Gründen zurückzutreten, weil er ihn – nach einer Überlegungsfrist – doch nicht abschließen will, wobei der Grund für den Rücktritt unerheblich ist. Es lässt sich nun argumentieren, dass dieser Übereilungsschutz bei bloßen Vertragsänderungen eines bereits zustande gekommenen Vertrags nicht geboten ist, hat sich der Versicherungsnehmer doch schon vor der Vertragsänderung dazu entschlossen, den Vertrag abzuschließen und damit an das Vertragsverhältnis gebunden zu sein. Gegen diese Auffassung kann ins Treffen geführt werden, dass der dargestellte Sinn und Zweck des Rücktrittsrechts gleichermaßen bei individualvertraglichen (einvernehmlichen) Vertragsänderungen relevant ist, vor allem wenn es sich um wesentliche Änderungen handelt, die in ihrer wirtschaftlichen Tragweite einem Vertragsabschluss gleichkommen.

[24]                4.3. Daher ist der Oberste Gerichtshof als letztinstanzliches Gericht zur Vorlage verpflichtet.

Zu römisch II.:

[25]       Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf Paragraph 90 a, Absatz eins, GOG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00155.24F.1218.000