OLG Wien
29.08.2024
33R10/23t
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und den fachkundigen Laienrichter Hofrat DI Dr. Seyringer in der Patentsache der Antragstellerinnen 1. ***, und 2. ***, und der Nebenintervenientin auf Seiten der Antragstellerinnen ***, gegen die Antragsgegnerin ***, wegen Nichtigkeit eines Patents über die Anträge der Erstantragstellerin und der Antragsgegnerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist, gegen das Urteil des Berufungsgerichts vom [...].2024, 33 R 10/23t-13.1 (ergangen im Verfahren über die Berufungen der Erstantragstellerin und der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 25.8.2022, N 19/2019-8), jeweils eine außerordentliche Revision einzubringen, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die Anträge werden abgewiesen.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die Kosten der Äußerung vom 8.8.2024 von EUR 906 (darin EUR 151 USt) zu ersetzen.
Begründung
1. Da die Revisiosschriften beim Berufungsgericht einzubringen waren, ist dieses auch für die Entscheidung über die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zuständig (Paragraph 148, Absatz eins, ZPO).
2. Die Antragstellerinnen und die Antragsgegnerin (in der Folge „Streitteile“) haben das Urteil des Berufungsgerichts vom [...]2024 jeweils mit einer außerordentlichen Revision bekämpft und sind dabei übereinstimmend von einer zweimonatigen Rechtsmittelfrist ausgegangen. Auch das Berufungsgericht ließ sich von dieser Annahme leiten, als es den Akt dem Obersten Gerichtshof vorgelegt hat.
Mit Beschluss vom 25.6.2024, 4 Ob 111/24p, hat der Oberste Gerichtshof die Rechtsmittel als verspätet zurückgewiesen, weil der Tatbestand des Paragraph 157, Absatz eins, Ziffer 5, PatG erfüllt und die Revisionsfrist auf einen Monat verkürzt war, der beim Einbringen der Rechtsmittelschriften bereits verstrichen war.
3. Dieser Entscheidung liegt der folgende aktenkundige Werdegang des Verfahrens zugrunde:
3.1. Nichtigkeitsverfahren: Der Nichtigkeitsantrag richtet sich gegen den österreichischen Teil des europäischen Patents [...], angemeldet am [...].2002, veröffentlicht am [...].2005, erloschen am [...].2022. Patentinhaberin war die Antragsgegnerin. Der Antrag wurde am 14.11.2019 eingebracht. Mit Beschluss vom 25.8.2022 hat die Nichtigkeitsabteilung über den Antrag entschieden. Am 28.10.2022 und am 31.10.2022 langten die Berufungen gegen diese Entscheidung beim Patentamt ein, am 4.1.2023 die Berufungsbeantwortungen. Am 2.2.2023 (Einlangen) wurde der Akt dem Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht vorgelegt, dessen Berufungsurteil vom [...].2024 stammt.
3.2. Eingriffsverfahren: Daneben ist vor dem Handelsgericht Wien seit 11.11.2019 ein Verfahren anhängig ([...]), in dem die Antragsgegnerin (als Patentinhaberin, dort als Klägerin) gegen eine nicht am Nichtigkeitsverfahren beteiligte Erstbeklagte, gegen die Zweitantragstellerin (als zweite Beklagte) und gegen die Nebenintervenientin (dort als dritte Beklagte) Unterlassungs- und andere Ansprüche geltend machte, weil die Beklagten das Patent verletzt hätten. Die gegen die Zweitantragstellerin (Zweitbeklagte) gerichtete Klage wurde im März 2021 zurückgezogen.
Mit Schriftsatz vom [...].2022 (Erlöschen des Streitpatents) zog die Klägerin den noch offenen Sicherungsantrag zurück, ließ das Unterlassungsbegehren, das akzessorische Veröffentlichungsbegehren und das Beseitigungsbegehren fallen und schränkte darauf bezogen auf Kostenersatz ein; aufrecht blieben das Begehren auf Rechnungslegung und Zahlung.
Danach fand in diesem Verfahren am 11.10.2022 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung statt, in der der Beschluss gefasst und verkündet wurde, dass das Eingriffsverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens unterbrochen wird.
Die dortige Drittbeklagte, die bis dahin am Nichtigkeitsverfahren nicht beteiligt war, legte die (das Datum 8.11.2022 tragende) Ausfertigung dieses Beschlusses des Handelsgerichts Wien der Nichtigkeitsabteilung am 7.12.2022 vor, indem sie mit demselben Schriftsatz dem Nichtigkeitsverfahren als Nebenintervenientin auf Seite der Antragstellerinnen beitrat. Nach Paragraph 112, ZPO wurde dieser Schriftsatz den Streitteilen übermittelt. Am Berufungsverfahren (im Nichtigkeitsverfahren) hat sich die Nebenintervenientin, der die Berufung der Antragsgegnerin (Klägerin im Eingriffsverfahren) zugestellt worden ist, nicht beteiligt; sie konnte sich auch nicht daran beteiligen, weil die der Hauptpartei (Antragstellerin) offenstehende Frist für die Berufungsbeantwortung bereits abgelaufen war, als ihr die Berufung der Antragsgegnerin zugestellt wurde vergleiche Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 Paragraph 19, Rz 3). Der darauf bezogene Beschluss der Nichtigkeitsabteilung, der auch die Zulassung der Nebenintervention aussprach, wurde auch den Streitteilen zugestellt, und zwar gemeinsam mit dem Beitrittsschriftsatz, in dem auch über die Unterbrechung des Eingriffsverfahrens und die Vorlage des Unterbrechungsbeschlusses berichtet wird.
4. Die Streitteile haben als Reaktion auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und ihren Anträgen als versäumte Prozesshandlungen die Revisionsschriften angeschlossen. Wechselseitig haben sie zu den Anträgen der jeweiligen Verfahrensgegnerin nicht Stellung genommen.
Die Nebenintervenientin hat sich zum Antrag der Antragsgegnerin geäußert und beantragt, ihn abzuweisen.
5. Die Anträge auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind im Ergebnis nicht berechtigt.
5.1. Beide Streitteile machen dazu – kurz zusammengefasst (Paragraph 500 a, ZPO) – geltend, das unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis, das zur Fristversäumung geführt habe, sei ein Rechtsirrtum, der auf einem minderen Grad des Versehens beruhe. Irrtümlich seien sie davon ausgegangen, die Frist für die außerordentlichen Revisionen hätte der allgemeinen gesetzlichen Regelung entsprochen, wonach sie im Nichtigkeitsverfahren zwei Monate beträgt. Dieses Vorbringen umfasst auch die Behauptung, nicht nur über die Rechtsfrage geirrt zu haben, wie lang die Rechtsmittelfrist sei, sondern auch irrtümlich jenes Tatbestandselement unbeachtet gelassen zu haben, das die Verkürzung der Rechtsmittelfrist auf einen Monat bewirkt. Somit ist nicht von einem Rechtsirrtum im engeren Sinn auszugehen, sondern von einem irrtümlichen Übersehen eines Vorgangs oder von einem Vergessen eines Vorgangs.
5.2. Dazu hat der Senat – in gleicher Weise zu beiden Anträgen, deren Vortrag im Ergebnis kaum voneinander abweicht – erwogen:
Als „Ereignis“, das zur Wiedereinsetzung berechtigt, sind auch Irrtümer, das Übersehen von Ereignissen und das Vergessen von stattgefundenen Ereignissen anzusehen, also zum Beispiel „Erinnerungsfehler“ sowie die irrtümliche Missachtung von Aktenbestandteilen. Solche Fehler sind in der Regel nach der Natur der Sache „unvorhergesehen“, obwohl im Allgemeinen Irrtümer nie auszuschließen sind, weil aber ein ganz bestimmter Irrtum nicht vorhergesehen wird. Genauso sind Irrtümer grundsätzlich – gerade weil sie der menschlichen Natur entsprechend immer möglich sind – „unabwendbar“.
Daraus folgt, dass es im Ergebnis für die Entscheidung im konkreten Fall ausschließlich darauf ankommt, ob der den Streitteilen und ihren Vertretern unterlaufene Fehler auf einem „minderen Grad des Versehens“ beruht, oder ob der Grad des Versehens darüber hinausgeht – was nach der Rechtsprechung auf die Annahme der groben Fahrlässigkeit (oder theoretisch des Vorsatzes) hinauslaufen würde.
Zutreffend weisen die Streitteile darauf hin, dass nicht nur ihnen und ihren Vertretern (nämlich zwei Patentanwaltskanzleien und zwei Anwaltskanzleien), sondern auch dem Berufungsgericht bei der Vorlage des Aktes an den Obersten Gerichtshof der selbe Fehler unterlaufen ist, nämlich den Umstand unbeachtet zu lassen, dass die Nebenintervenientin den Beschluss zum Akt gegeben hat, mit dem ein Eingriffsverfahren vor dem Handelsgerichts Wien nach Paragraph 156, PatG unterbrochen worden ist. Als Ursache für dieses Versehen liegt anhand der Verfahrenschronologie der Umstand nahe, dass das Thema der „Verfahrensbeschleunigung“ des Eingriffsverfahrens nicht mehr bedeutsam erschien, da das Streitpatent bereits ein halbes Jahr erloschen war, als das Handelsgericht das Eingriffsverfahren unterbrochen hat, dass es bereits neun Monate lang unterbrochen war, als der Akt dem Berufungsgericht vorgelegt wurde, und dass der Unterbrechungsbeschluss bereits fast eineinhalb Jahre dem Akt angeschlossen war, als die verkürzte Frist für die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts vom [...].2024 geendet hätte.
5.3. Dennoch beruht das Versehen der Streitteile nicht auf bloß leichter Fahrlässigkeit. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob die Parteienvertreter, die die Revisionen ausgearbeitetet und eingebracht haben, an den Unterbrechungsbeschluss und die damit verbundene Fristverkürzung gedacht haben, sondern es kommt darauf an, ob die Parteienvertreter den Unterbrechungsbeschluss, als er ihnen bekannt wurde, zum Anlass genommen haben, kanzleiintern durch geeignete Schritte festzuhalten, dass das Nichtigkeitsverfahren ab nun den Regelungen des Paragraph 157, PatG unterliegt. Wäre diese Bestimmung (was aber nicht anzunehmen ist) nicht bekannt gewesen, würde dies allein bereits auf grober Fahrlässigkeit beruhen. Doch auch dass der Umstand, dass der Beschluss über die (ohnedies bekannte) Unterbrechung des Eingriffsverfahrens zum Akt der Nichtigkeitsabteilung genommen worden ist, offenbar nicht zum Anlass genommen worden ist, jede/n, die/der künftig in diesem Verfahren agiert, darauf hinzuweisen, dass Paragraph 157, PatG anzuwenden ist, kann nicht mehr der leichten Fahrlässigkeit eines beruflichen Parteienvertreters zugeordnet werden. Mit Recht weist die Nebenintervenientin darauf hin, dass die Streitteile zumindest bei zwei Gelegenheiten auf die Vorlage dieses Beschlusses hingewiesen worden sind, die Antragsgegnerin überdies ein weiters Mal dadurch, dass ihr auch im Eingriffsverfahren der Schriftsatz zugestellt wurde, mit dem die dort als Beklagte auftretende Nebenintervenientin dem Gericht nachgewiesen hat, sich dem Nichtigkeitsverfahren angeschlossen zu haben.
Die von den Streitteilen vorgetragenen Überlegungen, wonach im konkreten Fall die Wirkungen des Paragraph 157, PatG gar nicht eingetreten wären, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil die Rechtslage insofern klar ist und weil es auch nicht bloß leicht fahrlässig wäre, wenn ein beruflicher Parteienvertreter bei einer allenfalls unklaren Rechtslage ein Risiko eingeht, indem er sein Handeln nicht am Gesetzestext orientiert.
Die Anträge waren daher abzuweisen.
6. Gemäß Paragraph 154, ZPO ersetzt die Antragsgegnerin der Nebenintervenientin die Kosten der Äußerung. Diese sind allerdings nach TP2 (römisch eins.1.e) RATG zu honorieren, weil die Äußerung nicht aufgetragen war, sodass sie nicht – wie verzeichnet – unter TP3A (römisch eins.1.d) RATG fällt (und ebensowenig unter TP1 RATG).
7. Da das Berufungsgericht über die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand funktionell erstinstanzlich entschieden hat, entfallen ein Wert- und ein Zulässigkeitsausspruch.
Die vorliegende Entscheidung ist keine solche über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nach Paragraph 141, Absatz eins, PatG; Paragraph 141, Absatz 2, Ziffer 2, PatG ist daher nicht anzuwenden. Obwohl die Entscheidung ein Beschluss ist, ist sie kein solcher nach Paragraph 138, PatG, sodass auch Paragraph 139, Ziffer 2, PatG nicht anzuwenden ist.
ECLI:AT:OLG0009:2024:03300R00010.23T.0829.000