Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

27.08.2024

Geschäftszahl

6Ob233/23t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Faber, Mag. Pertmayr, MMag. Sloboda und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. J*, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Neues Rathaus, vertreten durch Dr. Andreas Joklik, Rechtsanwalt in Wien, wegen Herausgabe, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2022, GZ 36 R 148/22i-35, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. März 2022, GZ 52 C 873/19x-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

römisch eins. Das mit Beschluss vom 30. August 2023, 6 Ob 201/22k, unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

römisch II. Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass die Beklagte schuldig ist, dem Kläger kostenlos eine Kopie der Krankengeschichte über den stationären Aufenthalt im SMZ-Ost-Donauspital im Zeitraum 17. 5. bis 19. 5. 2019 sowie allfälliger Nachbehandlungen und Kontrollen herauszugeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 912,41 EUR (darin enthalten 152,07 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu römisch eins.:

[1]                  Mit Beschluss vom 30. 8. 2023, 6 Ob 201/22k, wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Bundesgerichtshof (Deutschland) am 29. 3. 2022 gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen. Der EuGH hat darüber mit Urteil vom 26. 10. 2023, C-307/22, FT gegen DW (ECLI:EU:C:2023:811), entschieden. Das Verfahren über die in dritter Instanz erhobenen Rechtsmittel ist daher fortzusetzen.

Zu römisch II.:

[2]           Der Kläger wurde infolge eines Arbeitsunfalls vom 17. 5. bis zum 19. 5. 2019 in einer Krankenanstalt, deren Träger die Beklagte ist, stationär behandelt. Ihm wurde ein Patientenbrief vom 19. 5. 2019 ausgehändigt. Mit Schreiben vom 18. 6. 2019 ersuchte der Klagevertreter das Spital unter Bezugnahme auf die DSGVO um die kostenlose Übermittlung der gesamten Krankengeschichte an seine E-Mail-Adresse. Dieses antwortete darauf mit Schreiben vom 28. 6. 2019, dass die Übermittlung der Krankengeschichte von der Einzahlung eines Kostenbeitrags abhänge. Der Kläger zahlte den Kostenbeitrag nicht; die Beklagte übermittelte dem Kläger die Krankengeschichte bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz nicht.

[3]                  Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm kostenlos „die Krankengeschichte“ über seinen stationären Aufenthalt vom 17. 5. bis zum 19. 5. 2019 sowie allfälliger Nachbehandlungen und Kontrollen herauszugeben. Der Anspruch ergebe sich aus Artikel 15, Absatz 3,, Artikel 12, Absatz 5, DSGVO. Er bewertete das Begehren mit 7.000 EUR, weil er beabsichtige, mit Hilfe der Behandlungsunterlagen Schadenersatzansprüche in dieser Höhe aus seinem Unfall geltend zu machen. Ergänzend brachte er vor, er habe lediglich eine (einzige) Kopie verlangt. Es stehe der Beklagten frei, in welcher Form sie diese übermittle.

[4]                  Die Beklagte hielt dem Klagebegehren entgegen, der Kläger habe gemäß Paragraph 17, Absatz 4,, Paragraph 17 a, Absatz 2, Litera g, WrKAG nur das Recht auf Einsicht in seine Krankengeschichte oder die Herstellung einer Kopie gegen Kostenersatz. Auch nach Artikel 15, Absatz 3, DSGVO müsse ihm die Beklagte bloß eine Kopie zwecks Einsicht in seine verarbeiteten Daten zur Verfügung stellen, sie ihm aber nicht kostenlos überlassen. Für jede weitere Kopie habe er nach Artikel 15, Absatz 3, DSGVO ein angemessenes Entgelt zu zahlen. Artikel 15, Absatz 3, DSGVO solle der betroffenen Person bloß die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung ermöglichen, nicht hingegen die kostenlose Beschaffung von Beweismitteln für einen Schadenersatzprozess.

[5]                  Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht der Klage statt.

[6]                  Das Berufungsgericht änderte das Urteil im klageabweisenden Sinn.

[7]                  Mit Beschluss vom 17. 12. 2020, 6 Ob 138/20t (VbR 2021/39, 68 [Jahnel] = jusIT 2021/50, 132 [Jahnel]; dazu Schmidl, VbR 2021/49, 93; Gabauer, RdM 2021/177, 92; Bergauer/Jahnel, jusIT 2021/62, 164) gab der Oberste Gerichtshof der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die Herstellung von Kopien der Krankengeschichte sei ein Anwendungsfall des Artikel 15, Absatz 3, DSGVO (Rz 37). Aus Artikel 15, Absatz 3,, Artikel 12, Absatz 5, DSGVO ergebe sich grundsätzlich das Recht des Patienten auf Zurverfügungstellung einer Kopie seiner Krankengeschichte, wobei die erste Kopie kostenlos zur Verfügung zu stellen sei (Rz 43). Allerdings könnten die in Artikel 15, DSGVO eingeräumten Betroffenenrechte Einschränkungen unterliegen, die den Anforderungen des Artikel 23, DSGVO genügen müssten. Im konkreten Fall sei daher zu beurteilen, ob das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte durch Paragraph 17 a, Absatz 2, Litera g, WrKAG in einer nach Artikel 23, DSGVO zulässigen Weise eingeschränkt werde oder ob diese Entgeltregelung als der DSGVO entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu bleiben habe (Rz 44 f). Entscheidend sei die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführende Abwägung des Gewichts der verfolgten Interessen der Verantwortlichen (der Krankenanstalten) und der in ihren Rechten beschränkten Personen (der Patienten [Rz 76]), wofür ein Tatsachensubstrat fehle (Rz 77 ff).

[8]                  Im zweiten Rechtsgang brachte der Kläger ergänzend vor, das von der Beklagten verlangte Entgelt entspreche nicht dem tatsächlichen Verwaltungsaufwand, die Entgeltregelung diene keinem geschützten Zweck und halte der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand, zumal die von der Beklagten angesetzten Kosten der Ausfolgung von Kopien nur einen geringen Prozentsatz der gesamten Verwaltungskosten ausmachten.

[9]                  Die Beklagte brachte ergänzend vor, Paragraph 17 a, Absatz 2, Litera g, WrKAG ziele darauf ab, die wirtschaftliche Belastung von Krankenanstalten durch die Herstellung von Kopien der von ihnen verarbeiteten Daten zu verringern. Der von der Beklagten in Rechnung gestellte Kostenbeitrag sei bei weitem nicht kostendeckend, eine Gewinnerzielung der Beklagten durch die Herstellung von Kopien von Krankengeschichten sei auszuschließen. Grundlage des Kostenbeitrags sei eine jährliche Dienstanweisung. Den festgesetzten Tarifen liege eine Berechnung des Echtkostenaufwands für die Vervielfältigung von Krankengeschichten im Jahr 2012 zugrunde, in die die Kosten für Personal, Verbrauchsmaterial, Anlagenkosten und Gemeinkostenzuschläge eingeflossen seien. Es sei dann auf Basis des in den Kliniken je nach ärztlichem Fach und Erkrankung divergierenden Umfangs der Dokumentation ein Durchschnittstarif ermittelt und ein niedrigerer Beitrag zu den Kosten als Pauschalbetrag, nämlich damals 22,20 EUR statt der durchschnittlichen Echtkosten von 57,36 EUR, festgelegt worden. Da der Grundpreis unter den Echtkosten liege, wurde ein Kopierbeitrag pro Seite von 0,40 EUR festgelegt (alles inklusive 10 % USt). Die Kosten der Anfertigung von Duplikaten eines Röntgenbildes bzw anderen Bildes eines bildgebenden Verfahrens hätten im Durchschnitt 13,70 EUR, die Kosten für die Erstellung einer CDROM 22,20 EUR betragen; für die Speicherung auf einen USBStick werde ein Beitrag zum verwendeten Material verrechnet. Die Beklagte erstattete weiters Vorbringen zur Zahl der Anfragen im Wiener Gesundheitsverbund und zu den für die Bearbeitung von Anforderungen von Kopien der Krankengeschichte erforderlichen Arbeitsschritten.

[10]                Bei Wegfall der Kostenbeiträge sei zu erwarten, dass die Zahl der Herausgabebegehren um das Vier- bis Fünffache ansteige. Dadurch hätten die von der Beklagten betriebenen Krankenanstalten mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen, die aus Steuermitteln zu decken seien und die besser in die Betreuung der Patienten investiert wären.

[11]       Über den eingangs vorangestellten Sachverhalt hinaus steht folgender Sachverhalt fest:

Zu den Kosten der Erstellung und Ausfolgung von Kopien der Krankengeschichte:

[12]       Die Beklagte ist Rechtsträgerin von acht Krankenanstalten und neun Pflegehäusern. Der Aufwand für die Erstellung und Ausfolgung von Kopien von Krankengeschichten ist nicht in allen Abteilungen gleich, weshalb im Jahr 2012 für die von der Beklagten betriebenen Kliniken ein Durchschnittstarif von 57,36 EUR ermittelt wurde, der der Grundpreis für die Anfertigung und Übermittlung einer Krankengeschichte war. Innerhalb der Generaldirektion des Wiener Krankenanstaltenverbunds wurde die Entscheidung getroffen, den Patienten, die eine Ausfolgung der Krankengeschichte begehrten, als Beitrag zu den Kosten einen geringeren Pauschalbeitrag zu verrechnen, der im Jahr 2012 22,20 EUR betrug. Dieser Kostenbeitrag wird jährlich valorisiert, er betrug im Jahr 2019 25,10 EUR, im Jahr 2022 26 EUR. Zusätzlich werden für jede begonnene DIN A4-Seite 0,40 EUR bis maximal 50 Seiten verrechnet, ab Seite 51 werden keine Kopierkosten verrechnet. Für die Ausgabe der Krankengeschichte auf USB-Stick werden zusätzlich 10,30 EUR, für die Anfertigung eines Duplikats eines Röntgenbildes 15,90 EUR und für die Erstellung von radiodiagnostischen Aufnahmen auf CD-Rom 25,20 EUR verrechnet.

Zu den anfallenden Arbeitsschritten bei Anforderung einer Kopie der Krankengeschichte:

[13]       In der (beispielhaft) festgestellten Klinik Ottakring muss bei Anforderung einer Krankengeschichte zunächst die Anforderung eingetragen werden; dieser Arbeitsschritt dauert zwischen 10 und 30 Minuten und wird von einem Mitarbeiter der Verwaltungsdirektion erledigt. Diese Anforderungen werden an die jeweilige Abteilung übermittelt, wobei dieser Arbeitsschritt je nach Anzahl der Anforderungen zwischen 5 und 15 Minuten pro Tag in Anspruch nimmt. Für Heraussuchen der Krankengeschichte und Erstellung einer Kopie werden je nach Umfang der Krankengeschichte zwischen 25 und 60 Minuten benötigt; diese Arbeit wird von einem Mitarbeiter der jeweiligen Abteilung erledigt. Vor dem Versenden der Krankengeschichte erstellt ein Mitarbeiter der Verwaltungsdirektion ein Rechnungsblatt und ein Begleitschreiben. Danach ist eine interne Prüfung und Freigabe erforderlich. Je nach Anzahl der Anforderungen werden dafür pro Tag zwischen 20 und 120 Minuten Arbeitszeit benötigt. Befindet sich eine Krankengeschichte nicht in der Abteilung des jeweiligen Krankenhauses, wird die Anforderung an das digitale Krankengeschichtenarchiv weitergeleitet, wo ein Mitarbeiter bis zu einer Stunde pro Tag mit dem Heraussuchen der Krankengeschichte beschäftigt ist. Wenn die Ausfolgung eines Röntgenbildes angefordert ist, benötigt ein Mitarbeiter der Radiologie bis zu einer Stunde Arbeitszeit.

[14]                Bei Anforderung der Krankengeschichte im AKH Wien überprüft zunächst ein Mitarbeiter des medizinischen Dokumentationszentrums, ob der Anspruch auf Anforderung zu Recht besteht, allenfalls wird eine Ausweiskopie angefordert. Sodann wird aus dem elektronischen Gesamtarchiv die Krankendokumentation gesucht. Wenn es mehrere Krankengeschichten gibt, ist festzustellen, welcher Ausschnitt aus der Dokumentation auszufolgen ist. Dieser Ausschnitt wird der Klinik geschickt, die die Liste dem verantwortlichen Arzt zur Unterschrift vorlegt. Danach wird die unterschriebene Krankengeschichte dem medizinischen Dokumentationszentrum des AKH retourniert, die den Postversand durchführt.

Zur Zahl der Patienten und angeforderten Kopien von Krankengeschichten:

[15]       In den Krankenanstalten des Wiener Gesundheitsverbunds wurden im Jahr 2019 knapp 290.000 Patienten stationär betreut.

[16]       Ohne AKH wurden an den Wiener Gesundheitsverbund im Jahr 2017 3.844, im Jahr 2018 3.795, im Jahr 2019 3.853 und im Jahr 2020 3.236 Anfragen um Ausfolgung von Kopien von Krankengeschichten, die über den Patientenbrief hinausgingen, gestellt. Im Jahr 2018 erfolgten an das AKH Wien 12.098 Anfragen, im Jahr 2019 11.590 und im Jahr 2020 9.172 Anfragen.

[17]                Wird eine Krankengeschichte zur Weiterbehandlung angefordert, werden für die Herstellung und Ausfolgung der Kopie keine Kosten verrechnet. Für das AKH Wien wurden im Jahr 2018 von den insgesamt 12.098 Anforderungen 2.085 verrechnet, für das Jahr 2019 von den 11.590 Anforderungen 1.212 und für das Jahr 2020 1.338.

Zur Einsicht in die Krankengeschichte:

[18]       Patienten können auch vor Ort in der Krankenanstalt Einsicht in ihre Krankengeschichte nehmen. Die Einsichtnahme durch den Patienten wird von einem Angehörigen der Gesundheitsberufe begleitet. In der Praxis kommt diese Einsichtnahme in den Krankenanstalten allerdings nicht vor.

[19]       Wenn ein Patient lediglich Einsicht in seine Krankengeschichte haben will, wird diese vom behandelnden Arzt angefordert und der Patient kann beim behandelnden Arzt gemeinsam mit diesem Einsicht in die Krankengeschichte nehmen. Die Anforderung durch den behandelnden Arzt erfolgt in der Regel zur Weiterbehandlung, sodass für die Übermittlung keine Kosten verrechnet werden.

Zum Budget des Wiener Gesundheitsverbunds:

[20]                Das Gesamtbudget des Wiener Gesundheitsverbunds belief sich im Jahr 2019 auf rund 2,920 Milliarden EUR, im Jahr 2020 auf rund 3,018 Milliarden EUR. Auf die Wiener Städtischen Krankenhäuser entfallen davon 1,7 Milliarden EUR, auf das AKH Wien 0,9 Milliarden EUR, auf die Geriatriezentren und Pflegewohnhäuser der Stadt Wien 0,3 Milliarden EUR und auf das Management und die Serviceeinrichtungen, die Zentralwäscherei und die Generaldirektion 0,1 Milliarde EUR. Ein eigener Budgetposten für die Kosten der Erstellung von Kopien der Krankengeschichten ist im Budget des Wiener Gesundheitsverbunds nicht enthalten.

[21]                Die Kosten für die Herstellung der Kopien von Krankengeschichten im Jahr 2020 betrugen für alle von der Beklagten betriebenen Einrichtungen, in denen Krankengeschichten ausgegeben werden, rund 1,3 Millionen EUR, die Einnahmen aus den verrechenbaren Anforderungen auf Herausgabe einer Krankengeschichte rund 0,1 Millionen EUR.

[22]                Die Gesamtkosten der Erstellung und Verwaltung, worin auch das Scannen der Dokumente und die Archivierung enthalten sind, sowie Herausgabe von Kopien der Krankengeschichten beliefen sich auf rund 11,3 Millionen EUR im Jahr 2019, die gesamten Verwaltungskosten im Jahr 2019 auf 494,07 Millionen EUR. Das Verhältnis zwischen der Erstellung der Krankengeschichten und den gesamten Verwaltungskosten beträgt rund 2,3 %. Die Kosten der Herstellung der angeforderten Kopien der Krankengeschichten von 1,3 Millionen EUR betrug 0,26 % der gesamten Verwaltungskosten. Nicht festgestellt werden konnte, wie hoch die gesamten Verwaltungskosten im Jahr 2020 waren.

[23]                Die Beklagte finanziert rund 25 % der jährlichen Betriebsausgaben für die einzelnen Organisationseinheiten aus Steuermitteln, das waren für das Jahr 2020 rund 0,765 Milliarden EUR. Für das Jahr 2020 bezahlte der Fond Soziales Wien, der ebenfalls aus Steuermitteln finanziert ist, eine Abgeltung für die Kostentragung aus den Geriatriezentren und Pflegewohnhäusern von rund 0,275 Milliarden EUR. Beim Fond Soziales Wien beläuft sich das Verhältnis zwischen Steuermitteln und Beiträgen aus Pensionen auf rund 77 % (rund 212 Millionen EUR) zu 23 % (rund 63 Millionen EUR). Insgesamt beläuft sich die Finanzierung der Beklagten für den Betrieb der Kliniken und Pflegeeinrichtungen aus Steuermitteln auf fast 1 Milliarde EUR.

[24]                Das Erstgericht gab nunmehr der Klage statt. Es setzte die festgestellten Kosten des Wiener Gesundheitsverbunds für die Herstellung von Kopien der Krankengeschichte von 1,3 Millionen EUR und den aus kostenpflichtigen Anforderungen erzielten Einnahmen von von 100.000 EUR in Relation zu den gesamten festgestellten Verwaltungskosten von rund 494,07 Millionen EUR. Angesichts der gesamten Verwaltungskosten erblickte es im Verlust der festgestellten Einnahmen keine wirtschaftliche Belastung von einem solchen Gewicht, dass die Einschränkung der Betroffenenrechte gerechtfertigt wäre. Das gelte auch, wenn man die von der Beklagten erwartete Steigerung der Anforderungen auf Ausfolgung von Kopien der Krankengeschichten für den Fall der kostenlosen Zurverfügungsstellung um das Vier- bis Fünffache zugrunde lege.

[25]                Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Es ließ die Revision zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Relevanz wirtschaftlicher Erwägungen bei der Herstellung von Kopien der Krankengeschichte von Patienten im Hinblick auf die Einschränkung ihrer Rechte nach der DSGVO vorliege.

[26]                Das Berufungsgericht lehnte die Rechtsansicht des Erstgerichts, der Eingriff in die Rechte von Patienten durch die Verrechnung eines Kostenbeitrags für die Abschrift der Krankengeschichte sei unverhältnismäßig, ab. Das wirtschaftliche Gewicht der Herstellung der Kopien setze sich aus den Kosten der Herstellung und dem erforderlichen Zeitaufwand zusammen. Die Gegenüberstellung der tatsächlichen Kosten von 1,3 Millionen EUR im Jahr 2020 und der erzielten Einnahmen von 100.000 EUR lasse erkennen, dass die Einnahmen bei weitem nicht kostendeckend seien. Es überzeuge nicht, die Kosten der Herstellung in Relation zu den gesamten Verwaltungskosten zu setzen und daraus abzuleiten, dass daraus keine erhebliche wirtschaftliche Belastung resultiere. Vielmehr sei zusätzlich der festgestellte Zeitaufwand für das Herstellen der Kopien und eines Rechnungsblatts und den Versand zu berücksichtigen. Dieser Zeitaufwand rechtfertige es, der Beklagten ein Steuerungsinstrument zur Hintanhaltung ausufernder Anfragen in die Hand zu geben. Da nach der allgemeinen Lebenserfahrung kostenlose Dienstleistungen häufiger in Anspruch genommen würden als kostenpflichtige, müsse mit einem steigenden Verwaltungsaufwand und Personalbedarf gerechnet werden, der sich negativ auf die für die Patientenversorgung zur Verfügung stehenden Ressourcen auswirken würde. Zu berücksichtigen sei auch, dass kostenfrei der Arztbrief ausgefolgt werde und die Einsicht in die Akte möglich sei. Insgesamt rechtfertige die erhebliche wirtschaftliche Belastung der Beklagten durch eine kostenlose Zurverfügungstellung von Kopien der Krankengeschichte nach Interessenabwägung einen Eingriff in die Rechte nach der DSGVO durch Verrechnung eines nicht einmal kostendeckenden Betrags zur Verhinderung potentieller Massenanfragen.

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers macht im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe der zeitlichen Belastung der von der Beklagten geführten Krankenanstalten durch die Herstellung von Kopien der Krankengeschichten zu Unrecht ein hohes Gewicht beigemessen, weil die zeitliche Belastung nicht mit dem wirtschaftlichen Aufwand gleichzusetzen sei und darüber hinaus auf einer ineffizienten Organisation der beklagten beruhe. Darüber hinaus sei in der Verhältnismäßigkeitsprüfung die „Finanzkraft“ der beklagten Gebietskörperschaft, nicht das den Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen zur Verfügung stehende Verwaltungsbudget zu berücksichtigen, weil es die Beklagte in der Hand habe, dieses Budget zu erhöhen.

Rechtliche Beurteilung

[27]                Die Revision ist zulässig und berechtigt.

1. Zum Urteil EuGH C-307/22, FT gegen DW

[28]       1.1. In seinem Urteil C-307/22 sprach der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aus, Artikel 12, Absatz 5, sowie Artikel 15, Absatz eins und 3 DSGVO seien dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Verantwortlichen, der betroffenen Person unentgeltlich eine erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand einer Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen, auch dann gilt, wenn der betreffende Antrag mit einem anderen als den in Satz 1 des 63. Erwägungsgrundes der DSGVO genannten Zwecken begründet wird (Beantwortung der Frage 1).

[29]                Damit wurde für das Ausgangsverfahren geklärt, dass die Verpflichtung der dortigen Verantwortlichen, der behandelnden Zahnärztin des Klägers des Ausgangsverfahrens, dem Anspruch auf unentgeltliche Herausgabe sämtlicher bei ihr vorhandener, ihn betreffender Krankenunterlagen nicht entgegenhalten konnte, dass er die Herausgabe nicht zu den in Erwägungsgrund 63 genannten Zwecken, sich der Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können, sondern zu einem anderen legitimen Zweck, nämlich der Geltendmachung von Arzthaftungsansprüchen gegen die Zahnärztin, begehrte.

[30]       Im vorliegenden Verfahren steht den Ansprüchen des Klägers daher nicht entgegen, dass er die kostenlose Übermittlung einer Kopie der Krankengeschichte zu dem Zweck forderte, mit Hilfe der Behandlungsunterlagen Ansprüche aus einem Arbeitsunfall geltend zu machen.

[31]                1.2. Der EuGH ging in seinem Urteil C307/22 auch auf die Frage der Beschränkbarkeit des aus Artikel 12, Absatz 5, in Verbindung mit Artikel 15, Absatz 3, DSGVO abgeleiteten Rechts der Betroffenen auf eine unentgeltliche Erstkopie ihrer personenbezogenen Daten ein.

[32]                Einschränkungen bestehen demnach nach Artikel 12, Absatz 5, DSGVO in Fällen des Rechtsmissbrauchs, in denen die Anträge der betroffenen Person offenkundig unbegründet oder – insbesondere im Fall häufiger Wiederholungen – exzessiv sind (Rn 31). Weiters wird auf das Recht des Verantwortlichen nach Artikel 15, Absatz 3, DSGVO hingewiesen, für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, ein angemessenes Entgelt zu verlangen; dies allerdings nur dann, wenn die betroffene Person bereits eine erste Kopie ihrer Daten unentgeltlich erhalten hat und erneut einen Antrag stellt (Rn 34, 58).

[33]                Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass diese Voraussetzungen eines Entgeltanspruchs der Beklagten gegen den Kläger nicht vorliegen: Weder liegt im Begehren des Klägers ein Rechtsmissbrauch noch hat er eine erste kostenlose Kopie seiner Daten erhalten.

[34]                1.3. Allerdings stellte der EuGH zur Beantwortung der zweiten an ihn gerichteten Auslegungsfrage klar, dass das der betroffenen Person gemäß Artikel 12, Absatz 5 und Artikel 15, Absatz 3, DSGVO zuerkannte Recht, eine unentgeltliche erste Kopie ihrer personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten, nicht uneingeschränkt gilt (Rz 62), sondern gemäß Artikel 23, DSGVO – im Vorabentscheidungsverfahren war Artikel 23, Absatz eins, Litera i, DSGVO zu behandeln – beschränkt werden darf (Rn 57 ff).

[35]                Allerdings erkannte der EuGH in einer Kostentragungsregel wie jener des Paragraph 630 g, Absatz 2, BGB, die behauptetermaßen dem Zweck dient, die wirtschaftlichen Interessen der Behandelnden zu schützen, keine Maßnahmen, die die „Rechte und Freiheiten anderer Personen“ iSd Artikel 23, Absatz eins, Litera i, DSGVO sicherstellen (Rn 64 f, 69).

2. Zum Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang

[36]                2.1. Im vorliegenden Verfahren ist allerdings nicht Artikel 23, Abs   Litera i, DSGVO einschlägig. Zu prüfen ist vielmehr, ob die Bestimmung des Paragraph 17, Absatz 2, Litera g, WrKAG, die darauf abzielt, die wirtschaftliche Belastung von Krankenanstalten durch die Herstellung von Kopien der von ihnen verarbeiteten Daten zu verringern, das Recht auf Erhalt einer kostenlosen ersten Kopie der Krankengeschichte nach Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO zulässigerweise einschränkt.

[37]                2.2. Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits in der Entscheidung 6 Ob 138/20t ausgeführt, dass die in Paragraph 17, Absatz 2, Litera g, WrKAG normierte Beschränkung des Rechts auf unentgeltliche Zurverfügungstellung einer Erstkopie entsprechend den Vorgaben des Artikel 23, Absatz eins, DSGVO im Weg einer Rechtsvorschrift erfolgte (Rz 69), dass durch die Auferlegung der in Rede stehenden Kostenersatzpflicht der Wesensgehalt der von der DSGVO und der Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte auf Erhalt einer Datenkopie nicht verletzt wird (Rz 70) und dass das durch Paragraph 17 a, Absatz 2, Litera g, WrKAG verfolgte Ziel, die wirtschaftliche Belastung von Krankenanstalten zu verringern, dem von Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO anerkannten Einschränkungsgrund entspricht, weil die Einschränkung der Unentgeltlichkeit der Erstkopie der Krankengeschichte im Bereich der von der öffentlichen Hand finanzierten Krankenanstalten den finanziellen Interessen der finanzierenden Gebietskörperschaft dient (Rz 72 f). Die Beurteilung, dass auch eine gegenüber der DSGVO ältere Norm – wie im vorliegenden Fall Paragraph 17, Absatz 2, Litera g, WrKAG – als nach Artikel 23, DSGVO zulässige Einschränkung der Betroffenenrechte qualifiziert werden kann (6 Ob 138/20t Rz 75), wurde vom EuGH bestätigt (C307/22 Rn 56).

[38]                2.3. Ausgehend davon, dass im vorliegenden Fall durch die Anordnung einer Kostenersatzpflicht für Kopien der Krankengeschichte ein von Artikel 23, DSGVO anerkanntes Einschränkungsziel – wichtige wirtschaftliche und finanzielle Interessen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit – verfolgt wird, hat der Oberste Gerichtshof die Abwägung des Gewichts der verfolgten Interessen der Verantwortlichen (der Krankenanstalten) und der Betroffenen (der Patienten) im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als entscheidend erachtet (6 Ob 138/20t [Rz 76]). Die Aufhebung erfolgte, um ein Tatsachensubstrat für die Durchführung der Interessenabwägung zu schaffen.

3. Reaktionen in der Literatur

[39]                3.1. An der im Aufhebungsbeschluss 6 Ob 138/20t aufgetragenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Einschränkung der Betroffenenrechte zur Erreichung des Ziels des Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO wurde von manchen Literaturstimmen Kritik geübt (im Hinblick auf diese Frage lediglich darstellend Bergauer/Jahnel, Das Recht auf Erhalt einer Datenkopie im Gefüge des Artikel 15, DSGVO – Anmerkungen zu OGH 17. 12. 2020, 6 Ob 138/20t, jusIT 2021/62, 164 [169]).

[40]                3.2. So erachtet es Gabauer als „fraglich“, ob die Kostenersatzpflicht für die Erstkopie der Krankengeschichte auf Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO gestützt werden kann (Gabauer, Zum Kostenersatz für die Erstkopie der Krankengeschichte, RdM 2021/177, 92 [96]). Sie verweist dazu auf die – nach Fassung des Beschlusses 6 Ob 138/20t veröffentlichten – Leitlinien des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA; zu diesen unten). Sie lehnt es ab, „jegliche“ mit der Erfüllung von Betroffenenrechten einhergehenden Kosten als ein wichtiges öffentliches Interesse iSd Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO anzuerkennen, weil dies dem Verständnis als eng auszulegender Ausnahmetatbestand zuwider laufe und ansonsten alle mit einem Kostenaufwand verbundenen Betroffenenrechte für den öffentlichen Bereich weitgehend eingeschränkt werden könnten.

[41]                Auch Jahnel geht – unter Bezugnahme auf die Leitlinien der EDSA – zu Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO davon aus, dass die durch die Bereitstellung von Informationen entstehenden Kosten und damit die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte eine Beschränkung keinesfalls rechtfertigen können (Jahnel in Knyrim, Der DatKomm [64. Lfg 2022] Artikel 23, DSGVO Rz 17/1; vergleiche Jahnel, Kommentar zur DSGVO [2021] Artikel 15, Rz 61).

[42]                Gabauer ortet darüber hinaus einen verfassungsrechtlich bedenklichen Widerspruch zwischen Paragraph 17, Absatz 2, Litera g, WrKAG und dem in Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 4 a, KAKuG normierten Grundsatz der Herstellung einer Kopie „nach Maßgabe des Artikel 15, Absatz 3 “, DSGVO. Weiters moniert sie, die Verhältnismäßigkeitsprüfung solle nicht auf den konkreten Verantwortlichen für die Datenverarbeitung, also den konkreten öffentlichen Rechtsträger der Krankenanstalt beschränkt werden; vielmehr müsse die gesetzliche Einschränkung als solche einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden (RdM 2021/177, 92 [97]).

[43]                3.3. Schmidl (Gestattet die DSGVO ein kostenloses Einsichtsrecht in Krankengeschichten? VbR 2021/49, 93) vermisst eine Auseinandersetzung mit dem in Artikel 4, Absatz 2, Litera f, PatientenmobilitätsRL (Richtlinie 2011/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 3. 2011 über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung) normierten Recht der Patienten auf Zugang zu einer Kopie der Patientenakte. Seine Ausführungen betreffen allerdings die Frage, ob auf Grundlage von Artikel 12 und Artikel 15, DSGVO eine Kopie ganzer Datenbestände, wie etwa von Krankengeschichten, verlangt werden kann. Dass dem so ist, wurde mittlerweile vom EuGH geklärt (C307/22 [Rn 70 ff]). Zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Kostenersatzpflicht für die Zurverfügungstellung der Erstkopie der Krankengeschichte im Lichte des Artikel 23, DSGVO nimmt Schmidl hingegen nicht Stellung.

4. Literatur zu Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO

[44]       4.1. Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO erlaubt – unter den übrigen in Artikel 23, normierten Voraussetzungen – die Beschränkung von Betroffenenrechten „zum Schutz sonstiger wichtiger Ziele des allgemeinen öffentlichen Interesses der Union oder eines Mitgliedstaats, etwa im Währungs-, Haushalts- und Steuerrecht sowie im Bereich der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Sicherheit“.

Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO ermöglicht die Beschränkung der Betroffenenrechte, wenn ein öffentliches Interesse dadurch beeinträchtigt werden kann, dass eine betroffene Person von diesem Recht Gebrauch macht (Bäcker in Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung/BDSG4 [2024] Artikel 23, Rz 23).

[45]       Beschränkungen nach Artikel 23, DSGVO kommt Ausnahmecharakter zu, dem – auch aufgrund des Merkmals der „wichtigen“ Interessen – durch eine restriktive Auslegung Rechnung zu tragen ist (Dix in Simitis/Hornung/Spieker, Datenschutzrecht [2019] Artikel 23, DSGVO Rz 1, 27; Herbst in Auernhammer, DSGVO, BDSG7 [2020] Artikel 23, Rz 15; Paal in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung³ [2021] Artikel 23, Rz 31; Bertermann in Ehmann/Selmayr, DS-GVO³ [2024] Artikel 23, Rz 8).

[46]                Die Abgrenzung hat durch die Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse und dem datenschutzrechtlichen Interesse der Person im Einzelfall zu erfolgen (Paal in Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung³ Artikel 23, Rz 31; Peuker in Sydow/Marsch, DSGVO/BDSG³ [2022] Artikel 23, Rz 25).

[47]                4.2. Der EDSA (zu diesem vergleiche Artikel 68, ff DSGVO) hat gemäß Artikel 70, Absatz eins, Litera e, DSGVO Leitlinien zur Anwendung des Artikel 23, DSGVO erlassen (Guidelines 10/2020 on restrictions under Article 23 GDPR, Version 2.1. vom 13. 10. 2021).

[48]                Darin ist anerkannt, dass die in Artikel 12 und Artikel 15, DSGVO normierten Rechte grundsätzlich zu den gemäß Artikel 23, DSGVO einschränkbaren Rechten gehören (Guidelines Rz 38).

[49]                Die Leitlinien sehen vor (Rz 27), dass die Kosten, die durch die Zurverfügungstellung von Information entstehen, somit die finanzielle Belastung öffentlicher Haushalte, nicht ausreichen, um ein öffentliches Interesse an der Einschränkung der Betroffenenrechte zu rechtfertigen („However, the costs incurred as a consequence of providing information and thus the financial burden on public budgets are not sufficient to justify a public interest in restricting the rights of the data subjects.“).

[50]                In den in den Leitlinien zu Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO erwähnten Beispielen (Rz 27 f) wird auf die Speicherung von Daten im Zusammenhang mit politischem Verhalten, auf die Einschränkung von Auskünften wegen steuerrechtlicher Ermittlungen und auf die Verarbeitung pseudonymisierter Verfahrensinformationen im Hinblick auf den Zugang zum Recht eingegangen; ein Beispiel zulässiger Einschränkungen im Hinblick auf wichtige wirtschaftliche oder finanzielle Interessen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit ist nicht angeführt.

5. Zum vorliegenden Fall

5.1. Der EuGH stellte in seinem Urteil C307/22 klar, dass die wirtschaftlichen Interessen behandelnder Ärzte, die durch eine Kostentragungsregel für die Zurverfügungstellung einer ersten Kopie der Patientenakte geschützt werden sollen, nicht unter die nach Artikel 23, Absatz eins, Litera i, DSGVO geschützten „Rechte und Freiheiten“ anderer Personen fallen (Rz 64), weil sie nicht über rein administrative oder wirtschaftliche Erwägungen hinausgehen (Rz 66). Diese Aussage ist für Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO nicht unmittelbar einschlägig, weil das Beschränkungsziel der Litera e, ausdrücklich den Schutz wirtschaftlicher und finanzieller Interessen erlaubt.

[51]                Wesentliche Bedeutung kommt allerdings dem in den Leitlinien des EDSA niedergelegten Grundsatz zu, dass allein die durch die Auskunftserteilung verursachten Kosten – und die damit einhergehende finanzielle Belastung öffentlicher Haushalte, wenn die Auskunft durch öffentlich finanzierte Rechtsträger zu erfolgen hat – kein ausreichendes öffentliches Interesse an der Einschränkung der Betroffenenrechte – konkret des Auskunftsrechts – bilden.

[52]                Dieser Leitlinie liegt die Wertung zugrunde, dass ansonsten allein der Umstand, dass eine Auskunfterteilung mit Aufwand verbunden ist, die gesetzgeberische Möglichkeit eröffnet, von der öffentlichen Hand finanzierte Rechtsträger von der Verpflichtung zur unentgeltlichen Auskunfterteilung schlechthin und unter allen Umständen auszunehmen.

[53]                Nach den Leitlinien soll es auf den Umfang des erforderlichen Aufwands nicht ankommen. Ob dies uneingeschränkt gilt, wenn der finanzielle oder wirtschaftliche Aufwand für eine Gebietskörperschaft derart hoch ausfällt, dass dadurch die Umsetzung von Politiken im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit direkt gefährdet ist, muss im vorliegenden Fall aufgrund des in Rede stehenden Aufwands nicht entschieden werden.

[54]                5.2. Im vorliegenden Fall ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass der mit der Erstellung und Archivierung der Krankengeschichten verbundene Aufwand auf der gesetzlichen Verpflichtung nach dem WrKAG beruht, Krankengeschichten anzulegen (Paragraph 17, Absatz eins, Litera b, WrKAG) und diese während der gesetzlich normierten Dauer von 30 bzw 10 Jahren (Paragraph 17, Absatz 2, WrKAG) aufzubewahren.

[55]                Darüber hinaus normiert Paragraph 17, Absatz 4, WrKAG jene Fälle, in denen Abschriften von Krankengeschichten und (zahn)ärztlichen Äußerungen über den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten kostenlos zu übermitteln sind. Dies erfasst die Übermittlung an Gerichte und Verwaltungsbehörden in Angelegenheiten, in denen die Feststellung des Gesundheitszustands für eine Entscheidung oder Verfügung im öffentlichen Interesse von Bedeutung ist, die Übermittlung an Sozialversicherungsträger und Organe des Wiener Gesundheitsfonds und den von diesen beauftragten Sachverständigen, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich ist, sowie die Übermittlung an die einweisenden oder behandelnden (Zahn)Ärztinnen und (Zahn-)Ärzte.

[56]                5.3. Die im vorliegenden Fall festgestellte finanzielle Belastung von rund 1,3 Millionen EUR für die Herstellung von Kopien von Krankengeschichten in allen von der Beklagten betriebenen Einrichtungen entfällt nach den Feststellungen im weit überwiegenden Umfang auf Fälle, in denen die Verrechnung eines Kostenbeitrags nach Paragraph 17, Absatz 4, WrKAG ausgeschlossen ist. In diesem Umfang ist das in Artikel 12, Absatz 5, in Verbindung mit Artikel 15, Absatz 3, DSGVO verankerte Recht auf eine kostenlose erste Datenkopie nicht durch Rechtsvorschriften iSd Artikel 23, DSGVO eingeschränkt. Es handelt sich vielmehr um eine finanzielle Belastung, die die beklagte Gebietskörperschaft unabhängig von der hier zu prüfenden Einschränkung der Unentgeltlichkeit zu tragen hat.

[57]                Der mit der Erstellung von Kopien der Krankengeschichte verbundene Aufwand ist daher in dem Umfang, in dem er der kostenlosen Zur-Verfügung-Stellung gemäß Paragraph 17, Absatz 4, WrKAG dient, kein Aufwand, der durch die Ausübung der hier in Rede stehenden Betroffenenrechte entsteht, sodass er in diesem Umfang auch nicht zur Einschränkung dieser Betroffenenrechte führen kann.

[58]                Der Gesamtaufwand für die Herstellung von Kopien von Krankengeschichten ist vielmehr insofern relevant, als sich zeigt, dass der auf die Erstellung dieser Kopien entfallende (auch personelle) Aufwand zum festgestellten Zeitpunkt weit überwiegend auf kostenlose Übermittlungen entfiel.

[59]                Auch bei der von der Beklagten erwarteten Vervielfachung dieses Aufwands lägen die Kosten für die Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie – unter Zugrundelegung der für die Jahre 2019 und 2020 festgestellten Zahlen und Relationen – noch unter einem Prozent der gesamten Verwaltungskosten.

[60]                Soweit die Beklagte argumentiert, dass der Kostenbeitrag einer Steigerung der Anfragen und damit einer Erhöhung des Aufwands entgegen wirken soll, ist in dieser Zielsetzung kein Wert an sich zu erkennen. Eine Kostenersatzpflicht wirkt nicht nur „unnötigen“ Anfragen entgegen, sondern auch solchen, die von einem rechtlich anerkannten Grund getragen sind vergleiche EuGH C307/22 [Rn 65]), mag er auch nicht von den Fällen erfasst sein, für die Paragraph 17, Absatz 4, WrKAG die kostenlose Übermittlung vorsieht.

[61]                5.4. Dem finanziellen Interesse der Beklagten, die bislang in Rechnung gestellten Kostenbeiträge weiter einheben zu können und nicht mit einer Steigerung der Anfragen konfrontiert zu sein, steht das Interesse der Patienten der unter das WrKAG fallenden Einrichtungen gegenüber, auch außerhalb der in Paragraph 17, Absatz 4, DSGVO geregelten Fälle eine kostenfreie Abschrift ihrer Krankengeschichte zu erlangen. Dieses Interesse ist bereits dann von der Rechtsordnung anerkannt, wenn der Betroffene sich lediglich der Verarbeitung seiner Daten vergewissern will vergleiche ErwGr 63 DSGVO).

[62]                Zwar ist durch die kostenlose Übermittlung an den einweisenden oder weiterbehandelnden Arzt grundsätzlich dafür vorgesorgt, diesem die notwendigen Informationen für die an einen stationären Aufenthalt anschließende Behandlung zu verschaffen. Eine kostenlose Übermittlung an den Patienten selbst sieht Paragraph 17, Absatz 4, WrKAG allerdings gar nicht vor. Es sind aber unschwer Konstellationen denkbar, in denen ein Patient die ihn betreffenden Informationen selbst zur Verfügung haben will, etwa um eine weitere fachliche Meinung einzuholen, nicht auf die Einsichtnahme bei seinem weiterbehandelnden Arzt bzw auf die Erklärung durch diesen beschränkt zu sein, oder um – wie der Kläger im vorliegenden Fall – mit Hilfe der ihm vorliegenden Krankengeschichte Ansprüche gegen Dritte zu prüfen oder geltend zu machen.

[63]                5.5. Ausgehend davon, dass die Einschränkungen der Betroffenenrechte nach Artikel 23, Absatz eins, DSGVO restriktiv anzuwenden sind, was ausgehend von den zitierten Leitlinein des EDSA insbesondere für die Berücksichtigung der Belastung öffentlicher Haushalte durch die (bloßen) Kosten der Auskunftserteilung gilt, sowie unter Berücksichtigung, dass die Anwendung des Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO nicht irgendein, sondern ein wichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse der öffentlichen Hand im Bereich der öffentlichen Gesundheit und sozialen Sicherheit verlangt, verleiht der geringe Anteil an den Verwaltungskosten, der durch Anfragen verursacht wird, denen nicht ohnehin unentgeltlich zu entsprechen ist, dem Interesse der Beklagten an der weiteren Einhebung der Kostenbeiträge für die Zurverfügungstellung einer Erstkopie der Krankengeschichte ein nur geringes Gewicht.

[64]                Dem steht das Interesse der Patienten einer Krankenanstalt gegenüber, auf ihre eigenen Behandlungsunterlagen zur Gänze selbst und nicht vermittelt durch ihren behandelnden (niedergelassenen) Arzt Zugriff zu haben, um in die Lage versetzt zu sein, diese selbst anderen
– etwa weiteren Ärzten oder Ärztinnen oder auch Rechtsvertretern im Rahmen der Geltendmachung von Ansprüchen – zur Verfügung stellen zu können.

[65]                Dass die für Krankenanstalten investierten Mittel alternativ (besser) für die unmittelbare Patientenbetreuung als für die Erstellung von Kopien der Patientendaten eingesetzt werden könnten, ist angesichts des verhältnismäßig geringen Anteils an den Verwaltungsausgaben der Beklagten für die von ihr betriebenen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen nicht geeignet, ein ausreichend gewichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse des Mitgliedstaats iSd Artikel 23, Absatz eins, Litera e, DSGVO zu begründen, das die Einschränkung der Betroffenenrechte (des Rechts der Patienten auf eine kostenlose Erstkopie) iSd Artikel 23, Absatz eins, DSGVO als verhältnismäßig erscheinen ließe.

6. Ergebnis:

[66]                6.1. Da das Recht auf Zurverfügungstellung einer kostenlosen Erstkopie der Krankengeschichte durch Paragraph 17 a, Absatz 2, Litera g, WrKAG in einer nach Artikel 23, DSGVO unverhältnismäßigen und daher unzulässigen Weise eingeschränkt wird, hat die in dieser Bestimmung angeordnete Kostenersatzpflicht als der DSGVO entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu bleiben.

[67]                Das Klagebegehren erweist sich daher als berechtigt, sodass das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wieder herzustellen ist. Die Maßgabebestätigung beruht darauf, dass der Kläger nach seinem Vorbringen nicht die Herausgabe der Krankenakte im Original, sondern die Übermittlung einer Kopie anstrebte (6 Ob 138/20t [Rz 11]).

[68]       6.2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zweiter und dritter Instanz beruht auf Paragraphen 41,, 50 ZPO. Gemäß Paragraph 3, Absatz 5, Ziffer eins, GGG sind die Pauschalgebühren im zweit- und drittinstanzlichen zivilgerichtlichen Verfahren von jedem Rechtsmittelwerber nur einmal zu entrichten; dies gilt vor allem auch dann, wenn die betreffende Instanz im Zuge des Verfahrens vom Rechtsmittelwerber mehrmals angerufen wird.

[69]                Da der Kläger im vorliegenden Verfahren bereits zum zweiten Mal den Obersten Gerichtshof angerufen hat, war er nicht neuerlich zur Zahlung einer Pauschalgebühr verpflichtet. Er hat daher keinen darauf gerichteten Ersatzanspruch gegen die Beklagte.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00233.23T.0827.000