Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

13.08.2024

Geschäftszahl

10ObS83/23p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Katharina Sedlazeck-Gschaider, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, über die ordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Mai 2023, GZ 11 Rs 34/23h-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Dezember 2022, GZ 18 Cgs 197/22m-9, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]                  Der am 19. 12. 1958 geborene Kläger erwarb bis zum Stichtag 1. 4. 2022 in Österreich 246 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, in Deutschland 294 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit zuzüglich 28 Monaten einer Anrechnungszeit für Fachschulausbildung. Von den in Deutschland erworbenen 294 Beitragsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit liegen 37 vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten.

[2]           Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Frühstarterbonus gemäß Paragraph 262 a, ASVG.

[3]                  Mit Bescheid vom 6. 7. 2022 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer und sprach aus, dass die Pension ab 1. 4. 2022 zuzüglich Höherversicherung 1.799,29 EUR betrage. Bei der Berechnung wurde ein Frühstarterbonus nicht berücksichtigt.

[4]                  Dagegen richtete sich die auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer einschließlich des Frühstarterbonus im gesetzlichen Umfang gerichtete Klage.

[5]                  Die Beklagte hielt dem entgegen, nach der unionsrechtlichen Koordinierung des Sozialrechts gebühre dem Kläger aus den in Deutschland erworbenen Beitragsmonaten kein Frühstarterbonus.

[6]                  Das Erstgericht wies die Klage ab.

[7]                  Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge. Es verpflichtete die Beklagte, dem Kläger ab 1. 4. 2022 zusätzlich zur vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer in (unstrittiger) Höhe von 1.799,29 EUR monatlich den Frühstarterbonus in Höhe von 16,02 EUR monatlich zu gewähren. Das Mehrbegehren auf Leistung eines höheren Frühstarterbonus wies es ab.

[8]           Es ließ die Revision zu, weil zur Koordinierung des Frühstarterbonus keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[9]                  Rechtlich erörterte es, der Frühstarterbonus sei Bestandteil der Pensionsleistung nach dem APG und nach den Regeln für Altersrenten nach Artikel 50, ff VO (EG) 883/2004 zu koordinieren. Artikel 52, Absatz eins, VO (EG) 883/2004 sehe in Fällen, in denen ein Leistungsanspruch allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften bestehe, eine doppelte Berechnung vor. Zunächst sei die „autonome“ Leistung anhand der ausschließlich im Mitgliedstaat erworbenen Versicherungszeiten nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu ermitteln, danach sei eine anteilige Leistung zu ermitteln. Dazu sei der „theoretische Betrag“ der Leistung zu berechnen, der zustünde, wenn sämtliche in den Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- und Wohnzeiten nur nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des Trägers erworben worden wären. Davon ausgehend errechne der Träger den „tatsächlichen Betrag“, der dem Verhältnis der Versicherungs- und Wohnzeiten in diesem Staat zur Gesamtdauer der in allen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten entspreche. Als Leistung gebühre nach Artikel 52, Absatz 3, VO (EG) 883/2004 der höhere der beiden Beträge. Bestehe nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften kein Leistungsanspruch, sei ausschließlich die anteilige Leistung zu ermitteln.

[10]                Die Voraussetzungen für das Unterbleiben der anteiligen Berechnung nach Artikel 52, Absatz 5, VO (EG) 883/2004 lägen für den Frühstarterbonus nicht vor, weil dafür konkrete Zeiträume, nämlich der Erwerb von Beitragsmonaten vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres, maßgeblich seien.

[11]                Trotz des Gebots der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten nach Artikel 6, VO (EG) 883/2004 sei die Leistungshöhe im Regelfall – eine Ausnahme liege nicht vor –von jedem Träger aufgrund von nach seinem Recht zurückgelegten Zeiten, im vorliegenden Fall daher ausschließlich nach österreichischen Versicherungszeiten, zu ermitteln.

[12]                Da der Kläger in Österreich keine für die Berechnung des Frühstarterbonus heranzuziehenden Versicherungszeiten aufweise, gebühre ihm keine innerstaatliche („autonome“) Leistung. In Durchführung der doppelten Berechnung errechne sich für die vom Kläger in Deutschland erworbenen 37 Beitragsmonate einer Erwerbstätigkeit vor Vollendung des 20. Lebensjahres ein „theoretischer Betrag“ von 37 EUR. Der „tatsächliche Betrag“ ergebe sich aus dem Verhältnis der in Österreich erworbenen 246 Versicherungsmonate zur Gesamtdauer der in allen Mitgliedstaaten zurückgelegten 568 Versicherungsmonate. Daraus ergebe sich ein monatlicher Frühstarterbonus von 16,02 EUR monatlich.

[13]                Dagegen richten sich die Revisionen des Klägers und der Beklagten, mit denen der Kläger die Gewährung des Frühstarterbonus im gesetzlichen Höchstausmaß, die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils beantragt. Hilfsweise stellen sie Aufhebungsanträge.

[14]                Der Kläger führt für seinen Standpunkt, es habe keine anteilige Berechnung stattzufinden, den Zweck des Frühstarterbonus, die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie die Anwendbarkeit von entweder Artikel 52, Absatz 4, oder Absatz 5, VO (EG) 883/2004 ins Treffen.

[15]                Die Beklagte konzediert in ihrer Revision, dass für die Berechnung des Frühstarterbonus konkrete Zeiträume relevant seien. Allerdings sei in Anwendung der „pro rata temporis“-Methode nur auf das Verhältnis der in Österreich zu den in allen Mitgliedstaaten vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten erworbenen Beitragsmonate abzustellen. Das führe dazu, dass dem Kläger kein Frühstarterbonus zustehe.

[16]       Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben. Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[17]                Die Revisionen des Klägers und der Beklagten sind aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig. Die Revision der Beklagten ist auch berechtigt, jene des Klägers ist nicht berechtigt.

[18]                1. Mit dem Sozialversicherungsänderungsgesetz 2020 (SVÄG 2020, BGBl römisch eins 2021/28) wurde in Paragraph 262 a, ASVG vergleiche Paragraph 286 a, ASVG im Bereich der knappschaftlichen Pensionsversicherung) der Frühstarterbonus eingeführt, der die Bestimmungen über die Abschlagsfreiheit von Pensionsleistungen für Langzeitversicherte gemäß Paragraph 236, Absatz 4 b, ASVG ersetzen sollte vergleiche Begründung Abänderungsantrag AA-83 27. Gesetzgebungsperiode 8, 10; Kadlec, Der Frühstarterbonus in der Pensionsversicherung ab 1. 1. 2022, SozSi 2021, 170 ff; Kadlec/Zwinger, Von der Abschlagsfreiheit zu Frühstarterbonus, ZAS 2022/11, 70 f; Sonntag in Sonntag, ASVG15 [2023] Paragraph 262 a, Rz 1; Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil, Der SVKomm [292. Lfg 2021] Paragraph 262 a, ASVG Rz 1).

[19]                Nach Paragraph 262 a, Absatz eins, ASVG gebührt zu den Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters und zur Invaliditätspension für jeden Beitragsmonat aufgrund einer Erwerbstätigkeit, der vor dem Monatsersten nach der Vollendung des 20. Lebensjahres erworben wurde, ein Frühstarterbonus in (gemäß Paragraph 262 a, Absatz 3, ASVG aufzuwertender) Höhe von 1 EUR. Der Frühstarterbonus ist ab Zuerkennung der Pension Bestandteil der Pensionsleistung und mit dem (aufzuwertenden) Höchstausmaß von 60 EUR begrenzt (Paragraph 262 a, Absatz eins, Satz 2 ASVG).

[20]                Nach Paragraph 262 a, Absatz 2, ASVG gebührt der Frühstarterbonus nur dann, wenn der Pensionsleistung insgesamt mindestens 300 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit zugrunde liegen, von denen mindestens 12 vor dem Monatsersten nach der Vollendung des 20. Lebensjahres erworben wurden.

[21]                Der Bonus ist auf die nach Berücksichtigung allfälliger Zu- oder Abschläge vergleiche Paragraph 261, ASVG) berechnete Pension aufzuschlagen (Sonntag in Sonntag, ASVG15 Paragraph 262 a, Rz 2).

[22]                Mit dieser Leistung sollten Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit, die vor Vollendung des 20. Lebensjahres erworben wurden, besonders gewürdigt werden. Die Materialien führen dazu aus, dass sich diese frühen Zeiten der Erwerbstätigkeit in aller Regel nicht allzu positiv im Pensionskonto auswirken, da sie ein noch geringes Einkommen widerspiegeln und damit nur in geringer Weise zum Aufbau einer soliden Alterspension beitragen. (Begründung Abänderungsantrag AA-83 27. Gesetzgebungsperiode 10).

[23]                2. Auf die Ansprüche des Klägers als Wanderarbeitnehmer sind die Vorschriften der VO (EG) 883/2004 anzuwenden.

[24]                2.1. Bei der vom Kläger bezogenen Alterspension bei langer Versicherungsdauer handelt es sich um eine Leistung bei Alter im Sinn des Artikel 3, Absatz eins, Litera d, VO (EG) 883/2004, weil sie den Zweck hat, den Lebensunterhalt von Versicherten sicherzustellen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters ihre Beschäftigung aufgegeben haben und nicht mehr verpflichtet sind, der Arbeitsmarktverwaltung zur Verfügung zu stehen vergleiche EuGH C171/82, Valentini, Rz 14; 10 ObS 21/20s [ErwGr 2.2.]).

[25]                Ein Frühstarterbonus, der – wie im vorliegenden Fall – zu einer Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters erhöhend hinzutritt und einen Bestandteil dieser Pensionsleistung bildet vergleiche Paragraph 262 a, Absatz eins, ASVG), dient dem selben Zweck, indem er ebenfalls zur Sicherung des bei Erreichen eines bestimmten Alters aus dem Arbeitsleben ausgeschiedenen Versicherten beiträgt. Er ist daher ebenfalls als Leistung bei Alter im Sinn des Artikel 3, Absatz eins, Litera d, VO (EG) 883/2004 zu qualifizieren. Das Revisionsvorbringen des Klägers, beim Frühstarterbonus handle es sich „weniger“ um eine „klassische Pensionsleistung“ als um eine „Sozialleistung“, geht nicht auf die in Artikel 3, VO (EG) 883/2004 aufgezählten Zweige der sozialen Sicherheit ein und zeigt auch keine auf einen anderen Zweig als die Leistungen bei Alter hindeutenden Anhaltspunkte auf.

[26]                Aus der Zuordnung zu den Leistungen bei Alter im Sinn des Artikel 3, Absatz eins, Litera d, VO (EG) 883/2004 folgt, dass der Anspruch auf den Frühstarterbonus nach Paragraph 262 a, ASVG nach den Koordinierungsregeln für Versicherungsfälle der (unter anderem) Altersrenten nach Artikel 50, ff VO (EG) 883/2004 zu koordinieren ist.

[27]                2.2. Soweit der Erwerb des Anspruchs auf Frühstarterbonus nach Paragraph 262 a, ASVG von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängt, also insofern, als dafür insgesamt 300 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit, davon mindestens 12 vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten, erforderlich sind, kommt die allgemeine Zusammenrechnungsregel des Artikel 6, VO (EG) 883/2004 zur Anwendung. Artikel 51, Absatz eins und 2 VO (EG) 883/2004 enthalten lediglich ergänzende Zusammenrechnungsregeln in Bezug auf Sondersysteme (Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [106. Lfg 2023] Artikel 51, VO [EG] 883/2004 Rz 2), die im vorliegenden Fall nicht gegenständlich sind.

[28]                2.3. Die Berechnung des konkreten Leistungsbetrags hat nach Artikel 52, VO (EG) 883/2004 zu erfolgen (Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 1). Dabei richtet sich die Berechnung danach, ob die Anspruchsvoraussetzungen allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften erfüllt sind oder nur unter Anwendung der Zusammenrechnungsregelung des Artikel 6, VO (EG) 883/2004 (Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 2).

[29]       Besteht ein Leistungsanspruch allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften, ist nach Artikel 52, Absatz eins, VO (EG) 883/2004 eine doppelte Berechnung durchzuführen:

[30]                In einem ersten Schritt ist nach Artikel 52, Absatz eins, Litera a, VO (EG) 883/2004 nur mit den im eigenen Staat erworbenen Versicherungszeiten und nach den Berechnungsregeln dieses Staates eine innerstaatliche („autonome“) Leistung zu ermitteln.

[31]                In einem zweiten Schritt ist nach Artikel 52, Absatz eins, Litera b, VO (EG) 883/2004 eine anteilige Leistung zu ermitteln, und zwar unter Anwendung der Pro-Rata-Temporis-Methode. Zu diesem Zweck ist zunächst der „theoretische Betrag“ der Leistung zu berechnen, das ist der Betrag, der zustehen würde, wenn sämtliche in den Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten nur nach den Rechtsvorschriften des zusammenrechnenden Mitgliedstaats (Trägers) zurückgelegt worden wären. Der Träger wendet auch dabei die Berechnungsregeln nach seinem nationalen Recht an. Auf der Grundlage dieses „theoretischen Betrags“ berechnet der Träger den „tatsächlichen Betrag“, der dem Verhältnis der Versicherungs- oder Wohnzeiten dieses Staates zur Gesamtdauer der in allen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten entspricht.

[32]       Als Leistung gebührt nach Artikel 52, Absatz 3, VO (EG) 883/2004 der höhere der beiden Beträge.

[33]                Besteht allein nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften kein Leistungsanspruch, insbesondere weil nur mit den eigenen Zeiten die Mindestversicherungszeit bzw Wartezeit nicht erfüllt ist, so ist ausschließlich die anteilige Leistung unter Anwendung der Pro-Rata-Temporis-Methode zu ermitteln (zu all dem: Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 4 f; vergleiche 10 ObS 155/16s [ErwGr 3.3. ff]).

[34]                2.4. Die VO (EG) 883/2004 ermöglicht es unter den in Artikel 52, Absatz 4 und 5 normierten Voraussetzungen, von einer anteiligen Berechnung abzusehen:

[35]                Erste Voraussetzung für den Verzicht des zuständigen Trägers auf die Berechnung der anteiligen Leistung nach Artikel 52, Absatz 4, VO (EG) 883/2004 ist, dass die Berechnung der „autonomen“ Leistung nach Artikel 52, Absatz eins, Litera a, VO (EG) 883/2004 immer eine autonome Leistung ergibt, die gleich hoch oder höher als die nach Litera b, dieser Bestimmung berechnete anteilige Leistung ist (zu den zusätzlichen Voraussetzungen siehe Artikel 52, Absatz 4, VO [EG] 883/2004).

[36]                Nach Artikel 52, Absatz 5, VO (EG) 883/2004 wird die anteilige Berechnung unbeschadet der Absätze 1 bis 3 dieser Bestimmung nicht auf Systeme angewandt, die Leistungen vorsehen, bei denen Zeiträume für die Berechnung keine Rolle spielen, sofern solche Systeme in Anhang römisch VIII Teil 2 der VO (EG) 883/2004 angeführt sind. In diesen Fällen hat die Person Anspruch auf die gemäß den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats berechnete Leistung.

[37]                3.1. Im vorliegenden Fall ist zunächst nach Artikel 52, Absatz eins, Litera a, VO (EG) 883/2004 der geschuldete Leistungsbetrag allein nach den österreichischen Rechtsvorschriften zu prüfen.

[38]                § 262a ASVG verlangt das Vorliegen von mindestens 300 Beitragmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit, mindestens 12 davon vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten.

[39]                Zur Beantwortung der Frage, ob auch ausländische Versicherungszeiten als Beitragszeiten aufgrund von Erwerbstätigkeit im Sinn dieser Bestimmung zu werten sind, ist davon auszugehen, dass die österreichischen Rechtsvorschriften in der Regel nur auf das Vorliegen von Versicherungszeiten in Österreich abstellen und die Berücksichtigung ausländischer Zeiten erst im unionsrechtlichen Kontext nach der VO (EG) 883/2004 erfolgt vergleiche 10 ObS 155/16s [ErwGr 3.1. f]). Unter dem Begriff der Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit gemäß Paragraph 262 a, ASVG sind daher – ohne Anwendung der Koordinierungsregeln – zunächst nur nach österreichischen Rechtsvorschriften erworbene Versicherungszeiten zu verstehen.

[40]                3.2. In der Revision des Klägers wird argumentiert, die in Deutschland erworbenen Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit des Kläger seien nach Artikel 5, VO (EG) 883/2004 zu behandeln, als seien sie aufgrund österreichischer Rechtsvorschriften erworben worden. Dies trifft nicht zu:

[41]                Nach der Intention der VO (EG) 883/2004 sollen Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind, nur durch die Anwendung des Grundsatzes der Zusammenrechnung der Zeiten berücksichtigt werden (ErwGr 10 VO [EG] 883/2004; vergleiche 10 ObS 21/20s [ErwGr 3.5.]; vergleiche Spiegel in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht [57. Lfg 2017] Artikel 5, VO [EG] 883/2004 Rz 2). Artikel 6, kommt daher als lex specialis gegenüber Artikel 5, der VO (EG) 883/2004 der Vorrang zu (10 ObS 155/16s [ErwGr 3.2.2.]; Schuler in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 [2022] Artikel 5, VO [EG] 883/2004 Rz 13). Dabei erfolgt die Zusammenrechnung der in den Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungszeiten nach Artikel 6, VO (EG) 883/2004 nur in den in der Vorschrift genannten eingeschränkten Funktionen, nämlich einerseits im Rahmen anspruchsbegründender und anspruchserhaltender Normen, die bestimmte Mindestzeiten voraussetzen, und andererseits im Hinblick auf Zugangs- und Beendigungsbarrieren bei der Pflichtversicherung (10 ObS 155/16s [ErwGr 3.2.2.]; Schuler in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Artikel 6, Rz 1 ff).

[42]                Lediglich soweit das inländische Recht besondere Anforderung an bestimmte Zeiten stellt (sogenannte qualifizierte Zeiten), werden fremdmitgliedstaatliche Zeiten über die Sachverhaltsgleichstellung des Artikel 5, Litera b, VO (EG) 883/2004 berücksichtigt (Schuler in Fuchs/Janda, Europäisches Sozialrecht8 Artikel 5, VO [EG] 883/2004 Rz 14). Letzteres betrifft die Frage, ob die vom Kläger vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten nach deutschen Rechtsvorschriften erworbenen Versicherungszeiten für die Anwendung des Paragraph 262 a, ASVG als Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu beurteilen sind, wovon die Vorinstanzen ohnehin ausgegangen sind.

[43]                Aus Artikel 5, VO (EG) 883/2004 kann hingegen nicht abgeleitet werden, dass der Umstand, dass der Kläger bestimmte Versicherungszeiten nicht nach österreichischen, sondern nach deutschen Rechtsvorschriften erworben hat, schlechthin ohne rechtliche Konsequenzen zu bleiben hätte.

[44]                3.3. Im vorliegenden Fall enthält Paragraph 262 a, ASVG zwei auf das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Versicherungszeiten – konkret von Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit – abstellende Voraussetzungen, nämlich das Erfordernis des Vorliegens einer Gesamtzahl von mindestens 300 Beitragsmonaten sowie zusätzlich die Lage von mindestens 12 dieser Beitragsmonate vor dem in Paragraph 262 a, Absatz 2, ASVG normierten Zeitpunkt (dem Monatsersten nach der Vollendung des 20. Lebensjahres).

[45]                Beide Voraussetzungen erfüllt der Kläger unter ausschließlicher Anwendung österreichischer Rechtsvorschriften nicht, sodass nach innerstaatlichen Rechtsvorschriften kein Leistungsanspruch besteht.

[46]       Aus diesem Grund sind die in Artikel 52, Absatz 4, VO (EG) 883/2004 normierten Voraussetzungen für ein Absehen von der anteiligen Berechnung nicht erfüllt, ohne dass die weiteren Voraussetzungen dieser Norm geprüft werden müssen.

[47]                3.4. Auch die Voraussetzungen für ein Unterbleiben der anteiligen Berechnung nach Artikel 52, Absatz 5, VO (EG) 883/2004 liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann eine anteilige Berechnung unterbleiben, wenn Zeiträume für die Berechnung einer Leistung an sich keine Rolle spielen. Dies wurde für die Alterspension nach dem APG in der Rechtsprechung bejaht, weil sie nicht auf Versicherungszeiten beruht, sondern durch Division der Gesamtgutschrift durch 14 ermittelt wird (10 ObS 155/16s [ErwGr 3.3.3.]; 10 ObS 21/20s [ErwGr 2.5.]; vergleiche 10 ObS 140/23w Rz 9; RS0131277).

[48]                Im Gegensatz dazu ist für den Frühstarterbonus das Vorliegen von insgesamt mindestens 300 Beitragsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit, davon mindestens 12 vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten, maßgeblich.

[49]                Der Anspruch auf Frühstarterbonus nach Paragraph 262 a, ASVG erfüllt daher nicht die Voraussetzung des Artikel 52, Absatz 5, VO (EG) 883/2004, der verlangt, dass Zeiträume für die Berechnung der Leistung keine Rolle spielen (Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 23).

[50]                Darüber hinaus wäre für den Kläger aus dem Unterbleiben einer anteiligen Berechnung gemäß Artikel 52, Absatz 5, VO (EG) 883/2004 nichts zu gewinnen, da diesfalls ausschließlich die österreichischen Rechtsvorschriften zur Anwendung kämen (10 ObS 155/16s [ErwGr 3.3.4.]; 10 ObS 140/23w [Rz 9]). Dass der Kläger nach den österreichischen Rechtsvorschriften keinen Anspruch auf Frühstarterbonus hat, wurde bereits dargelegt.

[51]                3.5. Da die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch ausschließlich nach nationalem Recht nicht erfüllt sind und die Voraussetzungen für ein Absehen von der anteiligen Berechnung nach Artikel 52, Absatz 4, oder 5 VO (EG) 883/2004 nicht vorliegen, ist eine anteilige Berechnung nach Artikel 52, Absatz eins, Litera b, VO (EG) 883/2004 vorzunehmen.

[52]                Das Berufungsgericht zog dafür das Verhältnis zwischen allen in Österreich erworbenen Versicherungsmonaten (246 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit) zur Gesamtzahl der vom Kläger in allen Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten (568 Versicherungsmonate) heran. Für die Berechnung des Leistungsbetrags des Frühstarterbonus nach Artikel 52, Absatz eins bis 3 VO (EG) 883/2004 ist aber aber nicht das Verhältnis dieser beiden Größen ausschlaggebend:

[53]                Da nach den österreichischen Rechtsvorschriften für die Berechnung der Höhe des Frühstarterbonus gemäß Paragraph 262 a, ASVG der Zeitraum vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres heranzuziehen ist, sind bei Anwendung der Pro-Rata-Temporis-Methode nur die Versicherungszeiten der Berechnung zugrunde zu legen, die innerhalb dieses Zeitraums vorhanden sind. Das bedeutet, dass die Gesamtzahl der Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres sowie die Anzahl der anteiligen Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres der Berechnung zugrunde zu legen sind (Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 23). Diese Berechnung führt im Ergebnis dazu, dass der Bonus in zwischenstaatlichen, dem Unionsrecht unterliegenden Fällen stets in jenem (mit dem Aufwertungsfaktor multiplizierten) Betrag gebührt, der den in Österreich vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres erworbenen Beitragsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit entspricht vergleiche Sonntag in Sonntag, ASVG15 Paragraph 262 a, Rz 2; Kadlec/Zwinger, ZAS 2022/11, 71 [72]; Kadlec, SozSi 2022/170 [174] sowie das Berechnungsbeispiel bei Kapuy in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Artikel 52, VO [EG] 883/2004 Rz 24).

[54]                3.6. Der für den Pensionsbonus zunächst zu berechnende „theoretische Betrag“ entspricht daher der Leistung, auf die der Kläger Anspruch hätte, wenn alle von ihm vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten zurückgelegten Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach österreichischen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Artikel 52, Absatz eins, Litera b, Sub-Litera, i, VO [EG] 883/2004). Daraus würde sich zum Stichtag 1. 4. 2022 ein Frühstarterbonus von 37 EUR ergeben.

[55]                Im nächsten Schritt ist der „tatsächliche Betrag“ der anteiligen Leistung auf Grundlage des theoretischen Betrags nach der Pro-Rata-Temporis-Methode zu ermitteln (Artikel 52, Absatz eins, Litera b, Sub-Litera, i, i, VO [EG] 883/2004), wofür die in Österreich im relevanten Zeitraum (vor dem auf die Vollendung des 20. Lebensjahres folgenden Monatsersten) erworbenen Beitragsmonate – das sind null Beitragsmonate – zu den insgesamt im relevanten Zeitraum erworbenen Beitragsmonaten (37) in Relation zu setzen sind. Da der Kläger im relevanten Zeitraum keine Beitragsmonate in Österreich erworben hat, beträgt die nach Artikel 52, Absatz eins bis 3 VO (EG) 883/2004 ermittelte anteilige Leistung null.

[56]       Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Frühstarterbonus nach Paragraph 262 a, ASVG.

[57]       4. Zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer normiert Artikel 48, Litera a, AEUV die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen. Artikel 48, AEUV bildet als Ermächtigungsnorm eine Rechtsgrundlage für die Schaffung der VO (EG) 883/2004. Durch diese wird kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen, sie lässt vielmehr unterschiedliche nationale Systeme bestehen und soll diese nur koordinieren, um die wirksame Ausübung der Freizügigkeit (Artikel 45, ff AEUV) sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten sind daher nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig (10 ObS 21/20s [ErwGr 3.1. ff] unter Hw auf EuGH C-29/19, Bundesagentur für Arbeit, Rz 39 mwN).

[58]       Die sinngemäße Argumentation des Klägers, aus dem Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Artikel 45, AEUV sei abzuleiten, dass seine inländische Teilpension nicht niedriger sein dürfe, als wenn er sämtliche vor dem Monatsersten nach Vollendung des 20. Lebensjahres erworbenen Beitragszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach österreichischen Rechtsvorschriften erworben hätte, trifft daher nicht zu. Sie beruht auf dem Gedanken, dass Wanderarbeitnehmer unabhängig von der Zahl und der Lagerung der in den einzelnen Mitgliedstaaten erworbenen Versicherungszeiten immer eine gleich hohe Pension erhalten müssten.

[59]       Diese Argumentation übersieht, dass das bloß koordinierende Sozialrecht der Europäischen Union kein einheitliches, harmonisiertes „Europäisches Sozialversicherungssystem“ schafft, sondern das Sozialrecht der Mitgliedstaaten grundsätzlich unberührt lässt (10 ObS 188/10k [ErwGr 2.3.]; 10 ObS 133/01h; vergleiche 10 ObS 21/20s). Einem Erwerbstätigen ist nicht garantiert, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehr als einen Mitgliedstaat oder deren Verlagerung in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist (10 ObS 21/20s ErwGr 3.3. unter Hinweis auf EuGH C-134/18, Vester, Rn 32).

[60]                5. Ausgehend von der dargestellten Rechtslage sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, zum behaupteten Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder zur Anwendung der VO (EG) 883/2004 auf den vorliegenden Fall ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 267, AEUV zu stellen.

[61]                6. Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera b, ASGG. Umstände für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00083.23P.0813.000