OGH
16.02.2022
7Ob213/21f
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* M*, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei b* Ltd, *, vertreten durch Dr. David Christian Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 35.686 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2021, GZ 2 R 186/21x-26, den
Beschluss
gefasst:
Die außerordentliche Revision wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta. Sie verfügt über keine nationale Glücksspiellizenz in Österreich, bietet aber auf der von ihr betriebenen Homepage Online-Glücksspiele an. Der Kläger beteiligte sich im Zeitraum 12/2017 bis 9/2018 an Online-Pokerspielen und erlitt Verluste in Höhe des Klagsbetrags.
[2] 1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
[3] 2.1.1 Gemäß Artikel 6, Absatz eins, Verordnung (EG) Nr 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I-VO“) kommt auf einen Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, auf die diese Bedingung nicht zutrifft („Unternehmer“), das Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt oder seine Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat ausrichtet vergleiche 3 Ob 11/21w).
[4] 2.1.2 Den Begriff „Ausrichten“ hat der EuGH dahin ausgelegt, dass der Unternehmer seinen Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen. Anhaltspunkte für ein „Ausrichten“ der Tätigkeit sind unter anderem der internationale Charakter der Tätigkeit, die Angabe von Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten aus zu dem Ort, an dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung mit der Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache, die Angabe von Telefonnummern mit internationalen Vorwahlen, die Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern den Zugang zur Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers zu erleichtern, die Verwendung eines anderen Domänennamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden und die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt vergleiche EuGH Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH CoKG [C585/08] und Hotel Alpenhof GesmbH/Heller [C144/09], Rn 75, 93).
[5] 2.1.3 Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, aufgrund des Umstands, dass die Beklagte auf ihrer Homepage, auf der die Inhalte in deutscher Sprache verfügbar sind, OnlineGlücksspiele anbietet und eine direkte Weiterleitung von der Website mit der Adresse * auf die Website mit der Adresse * erfolgt, liege die Ausrichtung der Tätigkeit auf Österreich im Sinn des Artikel 6, Absatz eins, Rom IVO vor, hält sich im Rahmen der Judikatur des EuGH und des Obersten Gerichtshofs vergleiche 3 Ob 11/21w).
[6] 2.2 Eine Dienstleistung wird nur dann im Sinn des Ausnahmetatbestands des Artikel 6, Absatz 4, Litera a, Rom IVO „ausschließlich“ außerhalb des Mitgliedstaats erbracht, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn dieser keine Möglichkeit hat, sie in seinem Aufenthaltsstaat in Anspruch zu nehmen und sich zu diesem Zweck ins Ausland begeben muss (EUGH C272/18, VKI/TVP Treuhand und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH Co KG, Rn 52). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
[7] 2.3 Der EuGH hat auch bereits klargestellt, dass im Verbrauchergeschäft eine nicht im Einzelnen ausgehandelte Rechtswahlklausel, die den Verbraucher – wie hier – nicht über die von Artikel 6, Absatz 2, Rom IVO vorgesehene Weitergeltung der zwingenden Verbraucherschutz-bestimmungen seines Heimatrechts aufklärt, missbräuchlich im Sinn des Artikel 3, Absatz eins, der KlauselRichtlinie ist (EuGH C191/15, VKI/Amazon EU Sàrl, Rn 71, 6 Ob 196/19w).
[8] 3.1 Erst jüngst stellte der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 1 Ob 229/20p (zu Zeitraum Jänner 2013 bis Mai 2019 = RS0130636 [T7]), 5 Ob 30/21d (zu Zeitraum Jänner 2012 bis Dezember 2015), 9 Ob 20/21p (zu Zeitraum 2014 bis 2019 = RS0130636 [T8]) unter Darstellung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs neuerlich klar, dass das im Glücksspielgesetz (GSpG) normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) für den hier gegenständlichen Zeitraum den vom Europäischen Gerichtshof aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht, wogegen die Beklagte keine stichhaltigen Argumente zu bringen vermag.
[9] 3.2 Dass der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur deshalb keine Aussagekraft mehr zukomme, weil sie die aktuelle Werbepraxis der Konzessionsinhaber und das daraus folgende kontinuierliche Wachstum des österreichischen Glücksspielmarkts nicht berücksichtigt habe, überzeugt schon deshalb nicht, weil die Beklagte nicht konkret aufzeigt, inwieweit aus dieser behaupteten Praxis in jüngster Zeit Rückschlüsse gezogen werden können, dass es zu einer maßgeblichen Änderung jenes Sachverhalts gekommen wäre, der den genannten oberstgerichtlichen Entscheidungen zugrunde lag. Vielmehr erfolgten die Spiele des Klägers auf der Internetplattform der Beklagten während eines Zeitraums, für den die konkrete Werbepraxis der Konzessionäre bereits umfassend beurteilt wurde vergleiche auch 7 Ob 163/21b, 1 Ob 174/21a).
[10] 3.3 Zu den bereits wiederholt gebrachten Argumenten zu der Frage, ob die Beschränkungen des Angebots von Glücksspielen durch das Glücksspielgesetz die damit angestrebten Ziele des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, wurde in den genannten oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso schon Stellung genommen, wie zu jenen zur unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspielen, zur restriktiven Behandlung von Online-Glücksspielen im Vergleich zu Offline-Glücksspielen und zum Spielerschutz bei Ausspielungen von Video-Lotterie-Terminals (VLT).
[11] 3.4 Der Verwaltungsgerichtshof (Erk vom 11. 7. 2018, Ra 2018/17/0048) wertete auch die Beschränkung des Paragraph 14, Absatz 3, GSpG ausdrücklich als nicht diskriminierend. Er ging bei der Prüfung der österreichischen Rechtslage davon aus, dass die Erfüllung der Voraussetzungen des Paragraph 14, Absatz 3, GSpG für eine Nachsicht von der Sitzverpflichtung
– nämlich eine vergleichbare Lotteriekonzession und eine vergleichbare staatliche Glücksspielaufsicht – zwar eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, diese jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, den Anforderungen an ihre sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebenden Verhältnismäßigkeit genügt und erkennbar das Ziel verfolgt, eine effiziente Kontrolle der im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer zu ermöglichen, um der Ausnützung der Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen.
[12] 3.5 In der Entscheidung 3 Ob 200/21i, befasste sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der von der Beklagten auch hier thematisierten Verpflichtung zur Notifizierung der Bestimmung des Paragraph 14, GSpG in der Fassung des BudgetbegleitG 2011, BGBl römisch eins 2010/111, nach Maßgabe der Richtlinie 98/34/EG in der Fassung der Richtlinien 98/48/EG und 2006/96/EG und verneinte eine Notifizierungsverpflichtung vergleiche auch 4 Ob 223/21d).
[13] 3.6 Da sich das Berufungsgericht an der übereinstimmenden Judikatur sämtlicher Höchstgerichte orientierte, ist diesem keine „gravierende“ vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung vorzuwerfen.
[14] 4. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des Europäischen Gerichtshofs war nicht aufzugreifen, weil unter Bedachtnahme auf die vom Europäischen Gerichtshof bereits geklärten Fragen in der außerordentlichen Revision keine stichhaltigen Zweifel zur Auslegung des Unionsrechts aufgezeigt werden.
[15] 5.1 Die Durchführung einer Ausspielung ohne Konzession stellt ein verbotenes Glücksspiel dar. Nach der Rechtsprechung sind jene Spiele im Sinn des Paragraph 1174, Absatz 2, ABGB verboten und damit nichtig im Sinn des Paragraph 879, Absatz eins, ABGB, die den in Paragraph 168, Absatz eins, StGB und in Paragraph eins, Absatz eins, GSpG angeführten Charakter haben, bei denen also Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen (7 Ob 225/16b, RS0102178, RS0038378). Verbotene Spiele erzeugen nicht einmal eine Naturalobligation. Der Verlierer kann die gezahlte Wett oder Spielschuld zurückfordern, ohne dass dem die Bestimmung des Paragraph 1174, Absatz eins, Satz 1 ABGB oder Paragraph 1432, ABGB entgegenstünde, weil die Leistung nicht „zur Bewirkung“ der unerlaubten Handlung, sondern als „Einsatz“ erbracht wurde. Den Rückforderungsanspruch zu verweigern widerspräche dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0025607 [T1]). Bereicherungsschuldner ist derjenige, dem der Spieler die Einsätze in Erfüllung mit ihm geschlossener ungültiger Glücksspielverträge geleistet hat (RS0025607 [T4]).
[16] 5.2 Erst jüngst hat der Oberste Gerichtshof klargestellt, dass auch der Vertrag, mit dem die Beklagte
– konzessionslos – dem Kläger die Teilnahme an Online-Pokerspielen auf ihrer Website ermöglichte, nach Paragraph 879, Absatz eins, ABGB nichtig ist und die Spieleinsätze aus dem verbotenen Glücksspiel bereicherungsrechtlich zurückgefordert werden können (6 Ob 229/21a).
[17] 6. Das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen zur Anspruchsverwirkung des Klägers wegen Rechtsmissbrauchs und zum Abzug der Aufwendungen der Beklagten – insbesondere der 40%igen Glücksspielabgabe – verstößt gegen das Neuerungsverbot.
[18] 7. Ein Eingehen auf die Frage, ob eine „analoge Heranziehung der Haftungsbeschränkung nach Paragraph 25, Absatz 3, GSpG“ auf die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung überhaupt denkbar wäre, erübrigt sich schon deshalb, weil die Beklagte sich im erstgerichtlichen Verfahren auf eine solche weder berufen hat, noch Tatsachenvorbringen zu den von ihr nunmehr gebrachten eine „beschränkte Haftung“ begründenden Voraussetzungen erstattet hat.
ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00213.21F.0216.000