Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

17.09.2021

Geschäftszahl

4Ob132/21x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, Dr. Parzmayr sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH & Co KG, *, vertreten durch Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) Y* LLC, *, und 2) G* GmbH, *, beide vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 40.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 31. Jänner 2019, GZ 4 R 119/18a-60, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 4. Juni 2018, GZ 11 Cg 65/14t-56, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

römisch eins. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

römisch II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]           Die Klägerin ist eine Rundfunkveranstalterin und Betreiberin eines österreichischen Fernsehsenders.

[2]           Die Erstbeklagte betreibt unter der Domain www.youtube.com eine Online-Videoplattform (im Folgenden nur: YouTube), auf der von Nutzern der Plattform hochgeladene Videos bereitgehalten werden, die von den Besuchern der Plattform abgespielt werden können. Die Erstbeklagte betreibt ihren Dienst als Host-Service-Provider; sie ist eine Dienstanbieterin, deren Dienstleistungen in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen fremden Inhalten besteht. Bei der Nutzung von YouTube ist es möglich, dass Nutzer Videos hochladen, an denen diesen keine Urheber- oder Verwertungsrechte zustehen. Derzeit sind mehrere hundert Millionen Videos über YouTube abrufbar. Eine elektronische Erkennung von Inhalten von hochgeladenen Videos findet grundsätzlich nicht statt; eine ex ante-Überprüfung auf Urheberrechtsverletzungen erfolgt grundsätzlich nicht.

[3]           Für den Fall der Zustimmung durch den hochladenden Nutzer werden die hochgeladenen Videos mit Werbung versehen; diesen Vorgang bezeichnet die Erstbeklagte als „monetarisieren“. Dabei entscheidet der hochladende Nutzer, ob Werbung im Zusammenhang mit dem von ihm hochgeladenen Video aufscheinen soll; zu diesem Zweck schließt der Nutzer eine Vereinbarung mit einem Konzernunternehmen der Erstbeklagten, das Werbevermarktungsleistungen für die Nutzer erbringt. Aufgrund dieser Vereinbarung liefert das Konzernunternehmen die vom Nutzer in Auftrag gegebene Werbung; der gesamte Vorgang erfolgt rein technisch und automatisch. Will der Nutzer von ihm hochgeladene Videos monetarisieren, so muss er bestätigen, die Copyright-Lernmaterialien gelesen zu haben und über die Urheber- oder Nutzungsrechte an den Videos zu verfügen. Der Nutzer kann auswählen, welche Anzeigenformate er mit seinen Videos verbinden will und welche Zielgruppen erreicht werden sollen; die konkrete Anzeige wird in vollautomatisierter Weise vom Konzernunternehmen der Erstbeklagten ausgewählt.

[4]           Außer dem Monetarisieren bietet die Erstbeklagte dem Nutzer folgende Begleittätigkeiten an: Ruft man die österreichische Startseite der Erstbeklagten auf, so werden nach Themenkomplexen geordnete Videos vorgeschlagen. Die hochladenden Nutzer haben die Möglichkeit, die Videos mit Titel- und Inhaltsangaben zu versehen; nach diesen Angaben wird ein elektronisches Inhaltsverzeichnis erstellt, das für die Besucher von YouTube ein erleichtertes Auffinden von Videos ermöglicht. Die Erstbeklagte bietet auch eine Suchfunktion und diverse Hilfestellungen an, mit denen den Nutzern erklärt wird, wie sie die Dienste der Erstbeklagten in Anspruch nehmen können.

[5]           Die Erstbeklagte wird lediglich für die Zurverfügungstellung von YouTube und damit nur für die Erbringung ihrer Dienste als Host-Service-Provider vergütet; sie handelt ausschließlich über Aufforderung ihrer Nutzer, die bestätigen müssen, über die erforderlichen Urheber- bzw Nutzungsrechte zu verfügen. Die Erstbeklagte verfügt über einen automatisierten Überprüfungs-Prozess, der aufgrund einer ausreichend substanziierten Benachrichtigung („Take-Down-Notice“) unverzüglich zu einer Sperre der reklamierten Videos führt. Kommt in einem solchen Verfahren eine Rechtsverletzung zutage, so blockiert die Erstbeklagte die betroffenen Inhalte oder sperrt das gesamte Konto des betroffenen Nutzers.

[6]           Im Anlassfall hat die Erstbeklagte die von der Klägerin beanstandeten Videos nach Kenntniserlangung von deren Urheberrechten durch Abmahnung jeweils unverzüglich entfernt.

[7]           Das Verfahren gegen die Zweitbeklagte ruht.

[8]           Mit ihrer Unterlassungsklage begehrte die Klägerin, der Erstbeklagten – gestützt auf Paragraph 18 a, Absatz eins, UrhG – zu verbieten, unter der Domain www.youtube.com Videos zur Verfügung zu stellen, die von der Klägerin hergestellte Filmwerke oder Laufbilder oder Teile davon enthalten und von dazu nicht berechtigten Personen auf YouTube hochgeladen wurden. Dazu erhob sie ein Eventualbegehren, das das Unterlassungsgebot an die Bedingung knüpft, dass mit den Videos Werbeleistungen, insbesondere Werbespots, verbunden werden. Zudem erhob die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.

[9]           Die Klägerin brachte vor, dass ihr an den beanstandeten Videos die Urheberrechte als Eigenproduzentin, als Auftragsproduzentin oder als Rundfunkunternehmerin zustünden. Sie habe weder der Erstbeklagten noch den die Videos hochladenden Nutzern Verwertungsrechte an den Sendungen eingeräumt. Die Erstbeklagte nehme durch das öffentliche Zurverfügungstellen der Videos eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Artikel 3, Absatz eins, Richtlinie 2001/29/EG (Info-RL) vor. Ihre Tätigkeit als Plattformbetreiberin, die eine zentrale Rolle bei den von den Nutzern begangenen Urheberrechtsverletzungen spiele und diese technisch ermögliche, sei mit jener eines Linksetzers gleichzusetzen. Für die Ausübung einer zentralen Rolle genüge die allgemeine Kenntnis der Verletzungsgeneigtheit des eigenen Handelns, weshalb die Voraussetzungen für eine öffentliche Wiedergabe gegeben seien. Außerdem habe die Erstbeklagte ihre neutrale Rolle als Vermittlerin verlassen und eine aktive Rolle übernommen, die ihr Kenntnis von den rechtswidrigen Inhalten oder eine Kontrolle über diese verschaffen konnte. Hosting-Plattformen wie jene der Erstbeklagten gingen weit über die Stellung eines Host-Service-Providers hinaus. Dies müsse umso mehr für das Geschäftsmodell der Erstbeklagten gelten, weil sie die Videos mit Werbung verknüpfe. Die Erstbeklagte sei daher nicht als privilegierter Host-Service-Provider, sondern als Content-Provider zu qualifizieren.

[10]       Die Erstbeklagte entgegnete, dass sie keine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Artikel 3, Absatz eins, Richtlinie 2001/29/EG vornehme. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei dafür vorausgesetzt, dass der Plattformbetreiber in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens, also vorsätzlich tätig werde, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen. Die Rechtsverletzungen begehe der Nutzer, nicht aber der Plattformbetreiber. Die Erstbeklagte sei auch nicht als Gehilfin zu qualifizieren, weil dafür vorausgesetzt sei, dass der unmittelbare Täter bewusst gefördert werde. Für den Anlassfall sei allerdings entscheidend, dass der Erstbeklagten das Haftungsprivileg als Host-Service-Provider zugute komme. Das Haftungsprivileg gelte auch für das Urheberrecht und damit selbst für den Fall, dass die Tätigkeit des Plattformbetreibers als öffentliche Wiedergabe zu qualifizieren sei. Die Erstbeklagte erbringe einen klassischen Host-Provider-Dienst und nehme keine aktive Rolle wahr. Sie sei für die Rechtsverletzungen durch die Nutzer von YouTube daher nur dann verantwortlich, wenn sie nach hinreichend substanziierter Abmahnung trotz tatsächlicher Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten den Zugang zu solchen Videos nicht unverzüglich sperre oder entferne. Diese Verpflichtungen habe die Erstbeklagte im Rahmen ihres „Notice-Take-Down-Verfahrens“ erfüllt.

[11]       Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Haftungsprivileg des Host-Service-Providers falle weg, wenn der Vermittler seine neutrale Position verlasse und eine aktive Rolle übernehme. Insbesondere durch das Erstellen von Inhaltsverzeichnissen und von Videovorschlägen mache die Erstbeklagte den Upload für Nutzer interessant. Damit sei die Erstbeklagte als Gehilfin der Urheberrechtsverletzungen der Nutzer anzusehen, ohne dass sie sich auf das Haftungsprivileg berufen könne.

[12]       Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstbeklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern die Erstbeklagte über das typische Verhalten eines privilegierten Host-Service-Providers hinausgehe. Die Erstbeklagte habe sich daher zu Recht auf das Haftungsprivileg als Vermittler berufen. Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zum Haftungsprivileg für den Betreiber einer Videoplattform fehle.

[13]       Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[14]       Die Klägerin wiederholt im Rechtsmittel ihren Standpunkt zum einen darin, dass die Erstbeklagte eine eigene öffentliche Wiedergabe zu verantworten habe. Das Recht des Zurverfügungstellens im Sinne des Paragraph 18 a, Absatz eins, UrhG falle unter den Überbegriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von Artikel 3, Absatz eins, Richtlinie 2001/29/EG. Zum anderen macht sie geltend, dass die Erstbeklagte kein privilegierter Host-Provider sei, der sich auf die Haftungsbeschränkung in Artikel 14, Richtlinie 2000/31/EG (RL über den elektronischen Geschäftsverkehr) berufen könne. Im Revisionsverfahren stützt die Klägerin ihren Anspruch ausschließlich auf das Urheberrecht, nicht mehr auf Lauterkeitsrecht.

[15]       Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Erstbeklagte dem Rechtsmittel der Klägerin den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[16]       Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[17]       1.1 Der Senat hat das Revisionsverfahren zu 4 Ob 74/19i mit Beschluss vom 28. Mai 2019 bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das gestellte Vorabentscheidungsersuchen (C-500/19 des Gerichtshofs der Europäischen Union) unterbrochen.

[18]       1.2 Der Europäische Gerichtshof fasste am 22. Juni 2021 in einer – aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs (BGH römisch eins ZR 140/15) – ebenfalls die Erstbeklagte betreffenden Rechtssache zu C-682/18 und C-683/18 (Parallelverfahren) ein Urteil. Die Umstände beider Ausgangsverfahren sind ident.

[19]                1.3 Aufgrund dieser Entscheidung zog der Senat mit Beschluss vom 27. Juli 2021 sein Vorabentscheidungsersuchen zurück. Eine weitere Klärung des EuGH zu den im Vorabentscheidungsersuchen gestellten Fragen ist nicht mehr erforderlich.

[20]                1.4 Das Revisionsverfahren ist hiermit fortzusetzen.

[21]                2. Der EuGH hat im Urteil vom 22. Juni 2021 die im Parallelverfahren gestellten Fragen wie folgt beantwortet:

 

1. Artikel 3, Absatz eins, der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass seitens des Betreibers einer Video-Sharing- oder Sharehosting-Plattform, auf der Nutzer geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich machen können, keine „öffentliche Wiedergabe“ dieser Inhalte im Sinne dieser Bestimmung erfolgt, es sei denn, er trägt über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu bei, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Betreiber von der rechtsverletzenden Zugänglichmachung eines geschützten Inhalts auf seiner Plattform konkret Kenntnis hat und diesen Inhalt nicht unverzüglich löscht oder den Zugang zu ihm sperrt, oder wenn er, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, oder auch, wenn er an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu verleitet, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.

2. Artikel 14, Absatz eins, der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbe-sondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass die Tätigkeit des Betreibers einer Video-Sharing- oder Sharehosting-Plattform in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, sofern dieser Betreiber keine aktive Rolle spielt, die ihm Kenntnis von den auf seine Plattform hochgeladenen Inhalten oder Kontrolle über sie verschafft.

Artikel 14, Absatz eins, Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG ist dahin auszulegen, dass ein solcher Betreiber nur dann gemäß dieser Vorschrift von der in Artikel 14, Absatz eins, vorgesehenen Haftungsbefreiung ausgeschlossen ist, wenn er Kenntnis von den konkreten rechtswidrigen Handlungen seiner Nutzer hat, die damit zusammenhängen, dass geschützte Inhalte auf seine Plattform hochgeladen wurden.

3. Artikel 8, Absatz 3, der Richtlinie 2001/29/EG ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass der Inhaber eines Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts nach nationalem Recht eine gerichtliche Anordnung gegen den Vermittler, dessen Dienst von einem Dritten zur Verletzung seines Rechts genutzt wurde, ohne dass der Vermittler hiervon Kenntnis im Sinne von Artikel 14, Absatz eins, Buchst. a der Richtlinie 2000/31/EG gehabt hätte, erst erlangen kann, wenn diese Rechtsverletzung vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zunächst dem Vermittler gemeldet wurde und wenn dieser nicht unverzüglich tätig geworden ist, um den fraglichen Inhalt zu entfernen oder den Zugang zu diesem zu sperren und dafür zu sorgen, dass sich derartige Rechtsverletzungen nicht wiederholen. Es obliegt jedoch den nationalen Gerichten, sich bei der Anwendung einer solchen Voraussetzung zu vergewissern, dass diese nicht dazu führt, dass die tatsächliche Beendigung der Rechtsverletzung derart verzögert wird, dass dem Rechtsinhaber unverhältnismäßige Schäden entstehen.

[22]       3. Aufgrund des referierten Urteils sind die im Rechtsmittel aufgeworfenen Rechtsfragen im Sinne der angefochtenen Entscheidung geklärt.

[23]       4. Zentrale Problematik des Verfahrens ist, ob die Erstbeklagte mit YouTube eine öffentliche Wiedergabe im Sinne des Artikel 3, Absatz eins, Richtlinie 2001/29/EG (bzw Paragraph 18 a, UrhG) zu verantworten hat, wenn es von Nutzern eingestellte, rechtsverletzende Inhalte zum Abruf bereitstellt. Diese Frage wird vom EuGH im Sinne der angefochtenen Entscheidung entschieden vergleiche Rn 102).

[24]       4.1 Eine öffentliche Wiedergabe ist im Anlassfall deshalb auszuschließen, weil ein aktiver Beitrag der Erstbeklagten dahingehend, dass der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten verschafft wird, nicht vorliegt. Die Erstbeklagte hat die von der Klägerin beanstandeten Videos nach Kenntniserlangung von deren Urheberrechten durch Abmahnung jeweils unverzüglich entfernt. Es liegen auch keine sonstigen Umstände im Sinne der Entscheidung des EuGH vor, wonach die Erstbeklagte über die bloße Bereitstellung der Plattform hinaus dazu beiträgt, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen.

[25]       4.2.1 Der EuGH führte in seiner Entscheidung dazu aus, dass der Plattformbetreiber bei der Zugänglichmachung von durch Nutzer eingestellte Inhalte (Rn 75) zwar eine zentrale Rolle spielt (Rn 77), dies alleine jedoch nicht ausreicht, eine öffentliche Wiedergabe anzunehmen (arg Rn 78: „jedoch nicht das einzige Kriterium“). Vielmehr sind andere Kriterien, insbesondere die der Vorsätzlichkeit des Handelns eines solchen Betreibers zu berücksichtigen (Rn 78). Entsprechend der Entscheidung C-610/15, Stichting Brein, Rn 36, 45 und 48, sei zu prüfen, ob der Betreiber „in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens“ tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen (Rn 83). Zu den maßgeblichen Gesichtspunkten zählen namentlich die Tatsache, dass ein solcher Betreiber, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer derselben geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen ergreift, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf dieser Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen, sowie die Tatsache, dass dieser Betreiber an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist, auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind, oder ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass der Betreiber ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen (Rn 84). Der bloße Umstand, dass der Betreiber allgemein Kenntnis von der rechtsverletzenden Verfügbarkeit geschützter Inhalte auf seiner Plattform hat, genügt hingegen nicht, um anzunehmen, dass er mit dem Ziel handelt, den Internetnutzern Zugang zu diesen Inhalten zu verschaffen. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um den Zugang zu diesem Inhalt zu verhindern (Rn 85). Der Umstand, dass YouTube in Gewinnerzielungsabsicht handelt, ändert daran nichts (Rn 86 ff).

[26]       4.2.2 Bei der Prüfung der maßgeblichen Gesichtspunkte ist zu berücksichtigen, dass die Betreiberin von YouTube die eingestellten Inhalte weder erstellt noch auswählt und auch beim Hochladen nicht vorab sichtet oder kontrolliert (Rn 92). Ferner informiert sie ihre Nutzer sowohl in den AGB als auch bei jedem Upload über das Verbot, rechtsverletzende Inhalte einzustellen, und sperrt Accounts, die wiederholt dagegen verstoßen (Rn 93). Die von der Erstbeklagten eingerichteten technischen Maßnahmen (Meldebutton, Benachrichtigungsverfahren) lassen den Schluss zu, dass sie Urheberrechtsverletzung „glaubwürdig“ und wirksam bekämpft (Rn 94). Das Ranglistensystem ist nicht darauf ausgelegt, das Teilen von rechtsverletzenden Inhalten zu erleichtern (Rn 95). Es ist nicht ersichtlich, dass das Ziel oder die hauptsächliche Nutzung von YouTube im unerlaubten Teilen geschützter Inhalte besteht (Rn 96).

[27]       4.3 Damit wurde vom EuGH klar zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte keine öffentliche Wiedergabe und damit auch keinen Eingriff in Paragraph 18 a, UrhG zu verantworten hat.

[28]       4.4 An diese Rechtsansicht ist bei der Prüfung der Revision anzuknüpfen. Demnach hat die Erstbeklagte keine eigene öffentliche Wiedergabe im Sinne von Artikel 3, Absatz eins, Richtlinie 2001/29/EG zu verantworten.

[29]       5.1 Insoweit in der Revision die Rechtsansicht vertreten wird, dass die Erstbeklagte für die von den Nutzern eingestellten Inhalte hafte und sich damit für fremde Verstöße auf die Haftungsbeschränkung des Artikel 14, Absatz eins, Richtlinie 2000/31/EG (Paragraph 16, ECG [Ausschluss der Verantwortlichkeit bei Speicherung fremder Inhalte]) nicht berufen könne, ist das Berufungsurteil ebenfalls nicht zu beanstanden.

[30]       5.2 Der EuGH hat diese Problematik im Parallelverfahren dahingehend beantwortet, dass der Betrieb einer Videoplattform in den Anwendungsbereich von Artikel 14, Absatz eins, Richtlinie 2000/31/EG fällt, sofern der Betreiber keine aktive Rolle spielt, die ihm Kenntnis von den auf seine Plattform hochgeladenen Inhalten oder Kontrolle über sie verschafft (Rn 117). Von dieser Haftungsbefreiung sei er nur dann ausgeschlossen, wenn er Kenntnis von den konkreten rechtswidrigen Handlungen seiner Nutzer hat, die damit zusammenhängen, dass geschützte Inhalte auf seine Plattform hochgeladen wurden (Rn 118). Der EuGH erachtet dafür dieselben Kriterien wie bei der Prüfung einer öffentlichen Wiedergabe für relevant (Rn 107 ff, insb Rn 108).

[31]       5.3 Die Erstbeklagte kann sich daher auf die Haftungsbefreiung des Artikel 14, Absatz eins, Richtlinie 2000/31/EG (Paragraph 16, ECG) berufen.

[32]       Der Umstand, dass die Rechtslage mittlerweile verschärft wurde (Stichwort Upload-Filter nach Artikel 17, der Richtlinie [EU] 2019/790 vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG), kann dahinstehen, weil eine Parallelprüfung stattzufinden hat (RIS-Justiz RS0123158). Demnach ist ein Unterlassungsanspruch nur dann zu bejahen, wenn das beanstandete Verhalten sowohl gegen das alte als auch gegen das neue Recht verstößt. Abgesehen davon ist die RL in Österreich noch nicht umgesetzt.

[33]                6. Mangels einer Haftung der Erstbeklagten wegen der der Öffentlichkeit auf YouTube rechtswidrig zugänglich gemachter Inhalte ist der Unterlassungsanspruch unberechtigt, weshalb das Berufungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

[34]                7. Der Kostenvorbehalt beruht infolge des Kostenvorbehalts des Berufungsgerichts auf Paragraph 52, Absatz 3, ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2021:E132804