Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

23.10.2018

Geschäftszahl

4Ob72/18v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin mj E* P*, geboren am * 2017, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie – Rechtsvertretung, Bezirk 10, Alfred-Adler-Straße 12, gegen den Antragsgegner Dr. P* M*, sowie der weiteren Verfahrensbeteiligten (Mutter der Antragstellerin) Dr. D* P*, vertreten durch Dr. Andrea Wukovits Rechtsanwältin GmbH in Wien, wegen Abstammung, über den Revisionsrekurs der (insoweit von der Mutter vertretenen) Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 16. Jänner 2018, GZ 44 R 6/18k-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 24. Oktober 2017, GZ 52 FAM 31/17w-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Minderjährige beantragte die Feststellung ihrer Abstammung vom Antragsgegner.

Das Erstgericht bestellte das Amt für Jugend und Familie zum Kollisionskurator für sie, weil ihre Mutter und gesetzliche Vertreterin gemäß Paragraph 82, Absatz 2, AußStrG selbst Partei dieses Abstammungsverfahrens sei und eine materielle Interessenkollision nicht auszuschließen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss, weil divergierende Interessen zwischen Mutter und Kind zumindest möglich seien, und ließ den Revisionsrekurs zu, weil zur vorliegenden Fallkonstellation keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Die durch die Mutter vertretene Minderjährige argumentiert in ihrem auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses gerichteten Revisionsrekurs, dass es hier keinerlei Anhaltspunkte dafür gebe, dass ihre Interessen jenen der Mutter widersprechen würden, zumal sie beide das gleiche Interesse am Verfahrensausgang, nämlich die Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners, hätten. Die bloß theoretisch mögliche Interessenkollision rechtfertige nicht die Bestellung eines Kollisionskurators.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Voraussetzung für die Kuratorbestellung nach Paragraph 271, ABGB ist nach ständiger Rechtsprechung der Widerstreit zwischen den Interessen des Pflegebefohlenen und seines gesetzlichen Vertreters. Ist kein Interessengegensatz zu befürchten, dann ist kein Kollisionskurator zu bestellen. Ein Kollisionsfall setzt eine materielle Kollision, nämlich eine Gefährdung der Interessen des minderjährigen Kindes voraus. Maßgeblich für die Bestellung eines Kollisionskurators ist daher, dass aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Kindes wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist. Der Kuratorbestellung bedarf es nach Paragraph 271, Absatz 2, ABGB nicht, wenn eine Gefährdung der Interessen nicht zu besorgen ist und die Interessen vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können (7 Ob 219/11y mwN).

2. Eine Interessenkollision zwischen dem Kind und seiner Mutter und gesetzlichen Vertreterin wird in der Rechtsprechung generell im Ehelichkeitsbestreitungsprozess (Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter, Paragraph 151, ABGB) und im Zusammenhang mit der Feststellung der Rechtsunwirksamkeit eines Vaterschaftsanerkenntnisses bejaht (RIS-Justiz RS0048187 [T1, T3]; vergleiche auch RS0048115). Dabei wird auf die mögliche Interessenkollision abgestellt. Subjektive Gründe in der Person der Mutter im Einzelfall sind nicht erforderlich, es genügt der objektive Tatbestand einer möglichen Interessenkollision zwischen Kind und Mutter (6 Ob 511/90).

3. Mit der Frage der Bestellung eines Kollisionskurators im Fall eines Vaterschaftsfeststellungsantrags des Kindes hat sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht auseinandergesetzt. In der Entscheidung 9 Ob 73/14x begehrte der Vater die Feststellung seiner Vaterschaft zu einem Kind. Dabei blieb die Frage, ob ein Kollisionskurator zu bestellen ist, offen. Aus den Begründungen der Entscheidungen 2 Ob 3/12y, 2 Ob 74/10m, 7 Ob 513/95 und 6 Ob 522/90 geht zwar hervor, dass dort in vergleichbaren Fällen Kollisionskuratoren bestellt wurden. Ob dies notwendig oder auch nur zulässig war, wird dort nicht ausgeführt. Zu 2 Ob 559/86 wurde nur ausgesprochen, dass die Bestellung einer Bezirksverwaltungsbehörde zum „besonderen Sachwalter“ der Minderjährigen in einem Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft und Festsetzung des Unterhalts nicht offenbar gesetzwidrig sei, wobei als Begründung lediglich kollisionsrechtliche Erwägungen und solche zur Zuständigkeit eines österreichischen Jugendwohlfahrtsträgers für ausländische Kinder angeführt werden. Die Frage, ob überhaupt ein Kollisionskurator zu bestellen ist, wurde in der Entscheidung nicht thematisiert.

4. Einzelne rekursgerichtliche Entscheidungen fordern generell für das „Abstammungsverfahren“ die Bestellung eines Kollisionskurators (LGZ Wien 44 R 558/13d, EFSlg 138.573; 42 R 403/09i, EFSlg 125.482).

Verneint wurde die Notwendigkeit einer Kuratorbestellung dagegen in einigen älteren Entscheidungen zweiter Instanz (LGZ Wien 45 R 89/96p, EFSlg 81.267; 43 R 1123/96g, EFSlg 84.272 [anders nur, wenn eine gesetzmäßige Vertretung der Pflegebefohlenen nicht zu erwarten wäre]; vergleiche auch LGZ Wien 45 R 579/07s, EFSlg 117.090 [obiter]).

5.1. In der Literatur wird die Bestellung eines Kollisionskurators im Vaterschaftsfeststellungsverfahren zum Teil als nicht erforderlich erachtet (Stabentheiner in Rummel/Lukas, ABGB4 Paragraph 272, Rz 7; Pfurtscheller in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKom4 Paragraph 271, Rz 9), zum Teil wird eine Interessenkollision „im Regelfall“ verneint (Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2008] Paragraph 138 b, ABGB Rz 11, Stormann in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2011] Paragraph 138 b, Rz 9), jedoch sei ein Kollisionskurator zu bestellen, wenn sich die Mutter von unsachlichen Motiven leiten lasse (Stormann aaO; vergleiche auch RV 471 BlgNR 22. GP 16). Mondel, Die Kuratoren im österreichischen Recht2 (2013) 6/134, plädiert für eine besonders strenge Prüfung des allfälligen Vorliegens eines Interessenwiderstreits. Als Beispiel nennt er etwa, dass es im Interesse einer Mutter gelegen sein kann, die Abstammung von einem wohlhabenden Vater festzustellen, nicht nur um den Unterhalt ihres Kindes zu sichern, sondern um allenfalls selbst weniger beitragen zu müssen.

5.2. Andererseits wird in der Literatur auch vertreten, dass im Abstammungsverfahren generell für das Kind ein Kurator zu bestellen sei, weil die Mutter dieses wegen der bestehenden Interessenkollision nicht selbst vertreten könne (Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG Paragraph 5, Rz 18, unter Bezugnahme auf LGZ Wien 42 R 403/09i, EFSlg 125.482). Zemanek (Das erfolgreiche Abstammungsverfahren, iFamZ 2009, 337 [338]) geht davon aus, dass eine materielle Interessenkollision „vermutlich höchstens in einem Ehelichkeitsbestreitungsverfahren anzunehmen“ sein werde.

6. Wie schon das Rekursgericht darlegte, geht offenbar auch der Gesetzgeber in Paragraph 149, ABGB davon aus, dass die Interessen der (in solchen Fällen idR mit der alleinigen Obsorge betrauten: Paragraph 177, Absatz 2, Satz 1 ABGB) Mutter und des Kindes nicht notwendigerweise deckungsgleich sein müssen, mag dabei auch eher die Frage im Vordergrund stehen, ob überhaupt die Abstammung von einem Mann festgestellt werden soll, weniger von welchem vergleiche RV 6 BlgNR 12. GP 15).

7. Letztlich ist im Einzelfall zu beurteilen, ob genügend und welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators vorliegen vergleiche RIS-Justiz RS0127193). Diese Beurteilung ist ex-ante vorzunehmen. Dabei ist im Allgemeinen eine mögliche Interessenkollision schon darin zu sehen, dass die Mutter durch die Feststellung eines Vaters für ihr Kind in der Regel – durch Hinzuziehung eines weiteren Unterhaltsschuldners – von ihrer eigenen Unterhaltspflicht entlastet wird. Es läge an der Mutter, dem Gericht darzulegen, dass im konkreten Fall eine Interessenkollision auszuschließen ist. Gelingt ihr das nicht, ist ein Kollisionskurator zu bestellen.

8. Im vorliegenden Fall ist es der Mutter nicht gelungen, eine Interessenkollision zwischen ihr und dem Kind auszuschließen, zumal schon nach dem Antragsvorbringen ein außergerichtlicher – freilich nicht unter kontrollierten Bedingungen abgeführter – Gentest die Vaterschaft des Antragsgegners ausschloss. Bei dieser Ausgangslage besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch ein gerichtliches Gutachten zum selben Ergebnis kommt. Auch wenn in Verfahren über die Abstammung minderjähriger Kinder kein Kostenersatz stattfindet (Paragraph 83, Absatz 4, AußStrG), hat doch das Kind jedenfalls die Kosten seiner eigenen Vertretung zu tragen. Diese Aufwendungen könnten durch die Bestellung eines Kollisionskurators, wenn er von vornherein die Aussichtslosigkeit des Antrags erkennen kann, vermieden werden. Die Mutter müsste demgegenüber, wenn sie von der Verfolgung ihrer Behauptung Abstand nimmt, sich selbst, aber zumindest implizit auch dem Antragsgegner gegenüber eingestehen, dass ihre Vaterschaftsbehauptung unrichtig war. Dies mag zwar nicht dem Interesse einer verheirateten Frau gleichkommen, im Verfahren zur Feststellung der Nichtabstammung nicht des Ehebruchs überführt zu werden vergleiche 8 Ob 646/90), ist aber dennoch ein ausreichender Anhaltspunkt für einen möglichen Interessenkonflikt.

9. Wie schon ausgeführt muss das Erstgericht abstrahierend ex-ante beurteilen, ob Interessenwidersprüche denkbar sind, und darf nicht abwarten, bis eine konkrete materielle Interessenkollision auftritt. Vielmehr ist es (auch im Sinne der bisherigen – oben zitierten – Judikatur) ausreichend, wenn eine Gefährdung der Interessen des Minderjährigen möglich erscheint. Die diesbezügliche Beurteilung der Vorinstanzen ist aufgrund der konkreten Ausgangslage, in der bereits ein privates Abstammungsgutachten mit negativem Ergebnis vorliegt, zu teilen.

              Dem Revisionsrekurs ist somit nicht Folge zu geben.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2020:E123536