Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

12.06.2017

Geschäftszahl

17Os5/17i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Stefan P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach Paragraph 302, Absatz eins und 2 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Oktober 2016, GZ 20 Hv 43/16z-16, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Neger zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch römisch II, in der zu römisch eins und römisch II gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Stefan P***** wird gemäß Paragraph 259, Ziffer 3, StPO vom Vorwurf freigesprochen, er habe als Bürgermeister der Gemeinde G*****, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, nachgenannte Geschädigte an ihren Vermögensrechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde G***** als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, wobei er einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte, indem er es in den Jahren 2013 und 2014 unterließ, die gemäß Paragraph 21, Absatz 15, Stmk SozialhilfeG vorgeschriebene Sozialhilfeumlage an den Sozialhilfeverband V***** im vollen Umfang zur Bezahlung anzuweisen, wodurch dieser bzw die Gemeinde K***** in einem Betrag von 118.671 Euro am Vermögen geschädigt wurde.

Für das ihm nach dem unberührt bleibenden Schuldspruch römisch eins (unter Neubildung der Subsumtionseinheit) weiterhin zur Last liegende Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt wird Stefan P***** nach Paragraph 302, Absatz eins, StGB zu einer Freiheitsstrafe von

zehn Monaten

verurteilt.

Gemäß Paragraph 43, Absatz eins, StGB wird die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Stefan P***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach Paragraph 302, Absatz eins und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in G***** als Bürgermeister der gleichnamigen Gemeinde, mithin als Beamter (im strafrechtlichen Sinn), mit dem Vorsatz, dadurch andere an ihren Vermögensrechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde G***** als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, wobei er dadurch einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden von insgesamt rund 123.000 Euro herbeiführte, und zwar

I/ indem er es von 18. Dezember 2013 bis 19. Dezember 2014 in sieben, im Urteil einzeln angeführten Fällen entgegen Paragraph 15, Absatz eins, Stmk BauG unterließ, namentlich genannten Bauwerbern (unter anderem sich selbst [Pkt 7]) anlässlich der Erteilung der Baubewilligung eine Bauabgabe vorzuschreiben, wodurch die Gemeinde G***** um 4.828,82 Euro am Vermögen geschädigt wurde;

II/ indem er es in den Jahren 2013/2014 unterließ, die gemäß Paragraph 21, Absatz 15, Stmk SozialhilfeG vorgeschriebene Sozialhilfeumlage dem Sozialhilfeverband V***** in vollem Umfang zu zahlen, „wodurch dieser bzw die Gemeinde K*****“ um 118.671 Euro am Vermögen geschädigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Paragraph 281, Absatz eins, Ziffer 9, Litera a und 10a StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Ziffer 9, Litera a,) zum Schuldspruch römisch II einen Rechtsfehler mangels Feststellungen auf:

Der Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt setzt Fehlgebrauch der Befugnis „in Vollziehung der Gesetze“, also im Rahmen der Hoheitsverwaltung voraus (RIS-Justiz RS0105870). Die Einordnung von Verwaltungshandeln als Akt der Hoheitsverwaltung – nicht der Privatwirtschaftsverwaltung – erfolgt primär danach, ob der Staat (das für ihn handelnde Organ) zur Erreichung seiner Ziele die ihm auf Grund seiner spezifischen Macht gegebene einseitige Anordnungsbefugnis gebraucht, demnach als Träger dieser besonderen Befehls- und Zwangsgewalt (imperium) auftritt. Hoheitliches Verwaltungshandeln kommt insbesondere im Einsatz bestimmter Rechtsformen (Verordnung, Bescheid, Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt) zum Ausdruck. Darüber hinaus ist auch Verwaltungshandeln, das selbst nicht normativer Art ist, sondern entweder in tatsächlichen Verrichtungen („Realakten“) oder auch Privaten zur Verfügung stehenden (also nicht typisch hoheitlichen) Rechtsformen in Erscheinung tritt, hoheitlicher Natur, wenn es im Zusammenhang mit Hoheitsakten steht, diese also vorbereitet, begleitet oder umsetzt, (schlichte) Hoheitsverwaltung (zum Ganzen RIS-Justiz RS0130809; 17 Os 45/14t, EvBl 2015/109, 760 = JBl 2016, 341 [Wessely] mwN; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 Rz 684 ff; Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht – Allgemeines Verwaltungsrecht2 Rz 736 ff, 953 f und 1016; zur ständigen Rechtsprechung des VfGH grundlegend VfSlg 3.262).

Bei Sozialhilfeverbänden im Sinn des Paragraph 21, Stmk SozialhilfeG handelt es sich um durch Gesetz aus den Gemeinden eines politischen Bezirks gebildete Gemeindeverbände vergleiche Artikel 116 a, Absatz 2, B-VG). Sie haben als Sozialhilfeträger 40 % der Kosten der Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs zu tragen vergleiche dazu näher Paragraphen 17,, 19 und 22 f Stmk SozialhilfeG). Über die Gewährung von Sozialhilfe (und damit zusammenhängende Fragen) entscheidet die Bezirksverwaltungsbehörde (mit Bescheid); die Gemeinden wirken an diesen Verfahren mit (Paragraphen 35, f Stmk SozialhilfeG). Sozialhilfeverbände sind berechtigt, ihren durch die eigenen Einnahmen nicht gedeckten Finanzbedarf auf die verbandsangehörigen Gemeinden nach einem im Gesetz festgelegten Schlüssel umzulegen (Sozialhilfeumlage). Die Sozialhilfeumlage ist von den Gemeinden in monatlichen Teilbeträgen bis zum 15. des darauffolgenden Monats zu entrichten (Paragraph 21, Absatz 15, Stmk SozialhilfeG).

Gemeindeverbände besorgen die ihnen zugewiesenen Angelegenheiten als Körperschaften des öffentlichen Rechts im eigenen Namen und durch eigene Organe anstelle der verbandsangehörigen Gemeinden (Kemptner/Sturm, 3. Teil, Interkommunale Zusammenarbeit durch Gemeindeverbände, Verwaltungsgemeinschaften und Vereinbarungen nach Artikel 116 b, B-VG Rz 2 und 104, in Pabel [Hrsg], Gemeinderecht; Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht Artikel 116 a, Rz 2 f).

Über Streitigkeiten aus dem Verbandsverhältnis zwischen dem Gemeindeverband und den verbandsangehörigen Gemeinden sowie zwischen diesen entscheidet die Landesregierung mit Bescheid (Paragraph 23, Stmk GemeindeverbandsorganisationsG [GVOG] 1997; vergleiche 2 Ob 203/10g).

Zu Punkt römisch II des Schuldspruchs liegt dem Angeklagten nach den Feststellungen nicht die (unterlassene) Setzung eines Hoheitsakts zur Last. Überhaupt kommt der Gemeinde im Verhältnis zum Sozialhilfeverband eine einseitige Anordnungsbefugnis (im obigen Sinn) nicht zu vergleiche zu diesem Verhältnis Kemptner/Sturm, 3. Teil, Interkommunale Zusammenarbeit durch Gemeindeverbände, Verwaltungsgemeinschaften und Vereinbarungen nach Artikel 116 b, B-VG Rz 108, in Pabel [Hrsg], Gemeinderecht; Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht Artikel 116 a, Rz 5). Davon abgesehen könnte die (nicht fristgerechte) Entrichtung der Sozialhilfeumlage als schlichte Hoheitsverwaltung nur dann tatbildlich im Sinn des Paragraph 302, Absatz eins, StGB sein, wenn sie in einem spezifischen funktionalen Zusammenhang zu einem Hoheitsakt (der Gemeinde) stünde. Auch dies ist jedoch nach dem Urteilssachverhalt nicht der Fall.

Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs römisch II und der zu römisch eins und römisch II gebildeten Subsumtionseinheit. Da nach der Aktenlage Konstatierungen, die einen Schuldspruch (auch wegen einer anderen strafbaren Handlung) tragen könnten, in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs römisch II mit Freispruch in der Sache selbst zu erkennen (RIS-Justiz RS0118545; Ratz, WK-StPO Paragraph 288, Rz 24).

Hingegen vermag die Diversionsrüge (Ziffer 10 a,) nicht aufzuzeigen, dass die Feststellungen zum verbleibenden Schuldspruch römisch eins bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen vergleiche RIS-Justiz RS0119091). Insbesondere wird nicht erklärt, weshalb – trotz der innerhalb des von Paragraph 198, Absatz 2, Ziffer eins, StPO gesteckten Rahmens hohen Strafdrohung vergleiche RIS-Justiz RS0116021 [T17] – nicht schwere Schuld (Paragraph 198, Absatz 2, Ziffer 2, StPO) des Angeklagten vorliegen soll, obwohl dieser das strafbare Verhalten in sieben Fällen über einen Zeitraum von etwa einem Jahr (teils auch zum eigenen persönlichen Vorteil) setzte. Überdies hat er dadurch nach dem Urteilssachverhalt (US 3 f) einen Einnahmenausfall der Gemeinde G***** von 4.828,82 Euro, also keineswegs eine bloß geringfügige oder unbedeutende Schädigung an Rechten im Sinn des Paragraph 198, Absatz 3, StPO, herbeigeführt vergleiche RIS-Justiz RS0120079 [T4 und T5]).

Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof die Tatwiederholung über einen längeren Zeitraum (Paragraph 33, Absatz eins, Ziffer eins, StGB) erschwerend, den bisher ordentlichen Lebenswandel (Paragraph 34, Absatz eins, Ziffer 2, StGB) als mildernd. Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungs-erwägungen (Paragraph 32, Absatz 3, StGB) schlagen die – vom Tatbestand nicht vorausgesetzte – Herbeiführung eines nicht unbeträchtlichen Vermögensnachteils für die Gemeinde und die (teilweise [zu Punkt I/7]) durch das deliktische Verhalten eingetretene persönliche Bereicherung des Angeklagten zu dessen Nachteil aus.

Davon ausgehend erweist sich die ausgemessene Strafe als tat- und schuldangemessen sowie der Täterpersönlichkeit entsprechend.

Die Gewährung bedingter Strafnachsicht war Folge des Verschlechterungsverbots (Paragraphen 16,, 290 Absatz 2, StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf Paragraph 390 a, Absatz eins, StPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2017:0170OS00005.17I.0612.000