Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

20.04.2017

Geschäftszahl

9Ob17/17s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. C* T*, vertreten durch Dr. Reinhard Schäfer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* K*, vertreten durch Dr. Manfred Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2017, GZ 38 R 271/16h-27, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. August 2016, GZ 95 C 292/14i-22, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 489,05 EUR (darin 81,51 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 581,50 EUR (darin 62,92 EUR USt und 204 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Mieter einer Wohnung im Haus der Klägerin.

Im Sommer/Herbst 2014 stellte der Beklagte in dieser Wohnung einmalig 4 g Suchtgift (Methamphetamin) her. Er wurde deshalb am 20. 8. 2015 wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins,, 1., 2., 3., 5., 6. und 8. Fall, Absatz 2, SMG gemäß Paragraph 27, Absatz 2, SMG (Begehung der Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Der Verurteilung war eine Hausdurchsuchung vorangegangen, im Zuge derer die Wohnungseingangstüre zerstört worden war. Der Beklagte hatte die Wohnungseingangstüre auf eigene Kosten wieder reparieren lassen. Dass durch die Lagerung der für die Suchtgiftgewinnung erforderlichen Mittel die Bausubstanz des Hauses gefährdet wäre, kann nicht festgestellt werden.

Es kann weder festgestellt werden, dass die Klägerin durch die Handlung des Klägers finanzielle oder sonstige Nachteile erlitten hat noch dass aus diesem Grund ein potentieller Mieter nicht in das Haus eingezogen ist. Die Klägerin wurde lediglich von anderen Mietern auf diesen Vorfall angesprochen. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass sich im Haus Vorfälle, wie zB das häufige Anläuten an der Gegensprechanlage in der Nacht, die Beschädigung der Gegensprechanlage bzw des Schlosses der Haustüre, das Auffinden von Spritzen oder Tabletten im Stiegenhaus, Schreiereien im Haus durch hausfremde Personen oder ähnliches ereignet haben, die dem Beklagten zuzurechnen sind oder durch Besucher des Beklagten oder vom Beklagten selbst verursacht wurden. Zwei Mieter teilten der Klägerin mit, dass sie das Haus verlassen möchten, weil sie Angst vor dem Beklagten und „seinem Gefolge“ hätten.

Die Klägerin stützt die vorliegende Räumungsklage darauf, dass der Beklagte vom Mietgegenstand einen erheblich nachteiligen Gebrauch mache, weil er in der Wohnung ein auf Dauer eingerichtetes Drogenlabor zur Herstellung und zum Vertrieb illegaler Drogen betreibe. Dadurch würden ihr Ruf als Vermieter und finanzielle Interessen geschädigt. Andere Mieter hätten sich beschwert und die Sicherheit im Haus sei gefährdet.

Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass er die Wohnung im Rahmen des Mietvertrags nutze. Er habe nur einmal Suchtgift, und dies auch nur für den Eigengebrauch, hergestellt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Auflösungstatbestand des Paragraph 1118, erster Fall ABGB liege nicht vor, weil ein erheblich nachteiliger Gebrauch des Mietgegenstands im Sinne einer erheblichen Verletzung wichtiger ideeller oder wirtschaftlicher Interessen nicht nachgewiesen habe werden können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und dem Klagebegehren statt. Ein erheblich nachteiliger Gebrauch des Bestandgegenstands könne auch in einem den Ruf oder die Interessen des Bestandgebers schädigenden oder gefährdenden Verhalten des Bestandnehmers liegen. Auch wenn der Beklagte das Suchtgift im Wesentlichen nur für den Eigenbedarf hergestellt habe, ändere dies nichts an der Verwerflichkeit seines Verhaltens und an der potentiellen Gefährdung der übrigen Hausbewohner. Keinem Mieter könne es zugemutet werden, mit seiner Familie in einem solchen Haus zu wohnen, zumal die Suchtgiften anhaftende Anziehung allgemein bekannt sei. Zwei Mieter hätten der Klägerin bereits erklärt, das Haus verlassen zu wollen, weil sie vor dem Beklagten Angst hätten. Zu den Interessen des Vermieters gehöre es schließlich auch, Ruhe und Ordnung im Haus zu halten und unleidlichem Verhalten eines Mieters gegenüber anderen Hausbewohnern wirksam entgegenzuwirken. Der Aufhebungstatbestand des erheblich nachteiligen Gebrauchs nach Paragraph 1118, erster Fall ABGB durch den Beklagten sei daher verwirklicht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung nicht zu lösen gewesen sei.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.

Die Klägerin hat von sich aus noch vor der in Paragraph 508, Absatz 2, Satz 1 ZPO vorgesehenen Mitteilung eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Da es daher keiner gesonderten Beschlussfassung der Freistellung der Revisionsbeantwortung nach dieser Gesetzesstelle mehr bedarf (RIS-Justiz RS0104882), kann bereits in der Sache selbst erkannt werden.

Der vom Berufungsgericht herangezogene Auflösungstatbestand des erheblich nachteiligen Gebrauchs ist im vorliegenden Fall nicht verwirklicht.

Das Berufungsgericht hat insofern zutreffend ausgeführt, dass ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Bestandgegenstand im Sinn des Paragraph 1118, erster Fall ABGB nicht nur dann vorliegt, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RIS-Justiz RS0067832), sondern nach ständiger Rechtsprechung auch dann gegeben ist, wenn das Verhalten des Mieters geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Vermieters oder der Mitmieter zu schädigen oder zu gefährden (RIS-Justiz RS0020940; 8 ObA 67/14g mwN).

Ein nachteiliger Gebrauch des Bestandgegenstands durch das einmalige Herstellen des Suchtgifts des Beklagten im Sinne einer Beschädigung oder Gefahr der Beschädigung der körperlichen Substanz der Wohnung oder des Hauses der Klägerin konnte nicht festgestellt werden. Ebenso war im Verfahren nicht erweislich, dass der Klägerin dadurch finanzielle oder sonstige Nachteile entstanden sind. Worin konkret die von der Klägerin – trotz Belehrung des Gerichts nur unsubstantiiert – behauptete Rufschädigung der Klägerin durch das Verhalten des Beklagten gelegen sein soll, ist nicht erkennbar und lässt sich dem festgestellten Sachverhalt auch nicht entnehmen. Dazu lässt sich auch aus der Revisionsbeantwortung der Klägerin nichts gewinnen.

Auch ein „unleidliches Verhalten“ des Mieters im Sinn des Kündigungsgrundes nach Paragraph 30, Absatz 2, Ziffer 3, zweiter Fall MRG ist unter den Tatbestand des Paragraph 1118, erster Fall ABGB zu subsumieren (RIS-Justiz RS0020956). Ein unleidliches Verhalten liegt dann vor, wenn das friedliche Zusammenleben durch längere Zeit oder durch häufige Wiederholungen gestört wird (RIS-Justiz RS0067678). Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur dann, wenn sie schwerwiegend sind (RIS-Justiz RS0070303 [T1, T9]). Schwerwiegend ist ein Vorfall, wenn er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (RIS-Justiz RS0070303 [T2, T5]).

Davon kann aber hier – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – noch nicht ausgegangen werden. Das einmalige Herstellen einer geringen Menge von Suchtgift für den Eigengebrauch und die Überlassung zum persönlichen Gebrauch eines Dritten ist zwar keineswegs zu verharmlosen und führte auch zu einer strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten, ist aber nach der Lage des Falls objektiv (noch) nicht geeignet, anderen Mitbewohnern des Hauses das Zusammenleben zu verleiden. Die Ausführungen der Revisionsbeantwortung, der Beklagte habe andauernd über einen längeren Zeitraum Suchtgift hergestellt und vertrieben, gehen am festgestellten Sachverhalt vorbei. Konkrete Gründe, die übrigen Hausbewohner seien durch das einmalige Fehlverhalten des Beklagten (in der Zukunft) gefährdet, sind nicht ersichtlich. Die subjektive Besorgnis einzelner Hausbewohner gründet auf Vorfälle, die nicht dem Beklagten zugerechnet werden konnten.

Der Revision des Beklagten war daher Folge zu geben und das klageabweisende Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den Paragraphen 41,, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2018:E117993