Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

17.08.2016

Geschäftszahl

8ObA47/16v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** C*****, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagten Parteien 1) A***** KG, *****, 2) N***** I*****, und 3) Q***** I*****, ebendort, alle vertreten durch Kollmann Stegmüller Zauhar, Rechtsanwälte in Graz, wegen 8.897,95 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 2016, GZ 6 Ra 30/16b-31, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, ASGG).

Text

Begründung:

1. Die Klägerin ist aufgrund einer massiven sexuellen Belästigung durch den Zweitbeklagten, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, am 5. 6. 2014 aus dem Arbeitsverhältnis zur Erstbeklagten berechtigt vorzeitig ausgetreten. Der Zweitbeklagte wurde aufgrund der inkriminierten Vorfälle zu einem immateriellen Schadenersatz gemäß Paragraph 12, Absatz 11, GlBG in Höhe von 3.500 EUR verurteilt. Hinzu kam die Zuerkennung eines Schadenersatzteilbetrags von 300 EUR im Strafverfahren.

2.1 Das gegen die Erstbeklagte und den Drittbeklagten (zusätzlich zum Begehren wegen sexueller Belästigung) erhobene Begehren auf immateriellen Schadenersatz wegen „diskriminierender Kündigung“ gemäß Paragraph 12, Absatz 7, GlBG wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Nach Ansicht der Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision ist in diesem Zusammenhang die Rechtsfrage erheblich, ob Schadenersatz aufgrund sexueller Diskriminierung nach Paragraph 12, Absatz 7, in Verbindung mit Paragraph 3, Ziffer 7, GlBG auch bei einer arbeitnehmerseitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, konkret im Falle eines vorzeitigen berechtigten Austritts, zusteht.

Das Berufungsgericht bejahte zwar das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nach Paragraph 3, Ziffer 7, GlBG, verneinte aber die Zuerkennung eines immateriellen Schadenersatzes nach Paragraph 12, Absatz 7, GlBG, weil ein solcher Anspruch nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber voraussetze.

Rechtliche Beurteilung

2.2 Richtig ist, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach der Richtlinie 2006/54/EG bei einer Verletzung des Diskriminierungsverbots wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen müssen. Demnach haben die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen, dass der einer Person durch eine Diskriminierung zugefügte Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen und angemessen ersetzt wird. Diese Vorgaben wurden in Österreich mit dem Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Paragraph 12, Absatz 7, GlBG räumt dem betroffenen Arbeitnehmer ein Wahlrecht ein. Nach dieser Bestimmung kann er eine diskriminierende Kündigung bzw Entlassung entweder gerichtlich anfechten oder aber den Schaden (Vermögensschaden und immateriellen Schaden für die erlittene persönliche Beeinträchtigung) aus der diskriminierenden Beendigung geltend machen. Nach den Gesetzesmaterialien handelt es sich bei der mit einer erfolgreichen Anfechtung verbundenen Wiederherstellung des Arbeitsverhältnisses um die Herstellung des diskriminierungsfreien Zustands im Sinn einer Naturalrestitution gemäß Paragraph 1323, ABGB vergleiche 8 Ob 76/12b).

2.3 Mit Bezug auf den Anlassfall hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des Paragraph 12, Absatz 7, GlBG eindeutig sei. Damit spricht das Berufungsgericht die Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation an. In dieser Hinsicht verweist der Europäische Gerichtshof auf den Methodenkatalog des nationalen Rechts (C-397/01, Pfeiffer; C-212/04, Adeneler). Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation reicht somit grundsätzlich bis zur Grenze der äußersten Wortlautschranke, erstreckt sich aber zudem auf die nach dem innerstaatlichen interpretativen Methodenkatalog zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke (8 ObS 19/11v; 8 ObS 4/14t).

Der eindeutige Wortlaut des Paragraph 12, Absatz 7, GlBG lässt keine Ausweitung des Anspruchs auf immateriellen Schadenersatz auf Fälle einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer zu. Das Berufungsgericht hat in dieser Hinsicht zutreffend auf das vom Gesetz angeordnete Wahlrecht des Arbeitnehmers und darauf hingewiesen, dass die primär vorgesehene Anfechtungsmöglichkeit des Arbeitnehmers zwingend eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber voraussetzt.

Für einen von der Klägerin geforderten Analogieschluss wäre eine planwidrige Gesetzeslücke erforderlich. Eine echte Gesetzeslücke ist eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Das Gesetz ist in einem solchen Fall, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, ergänzungsbedürftig, ohne dass die Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Eine solche Unvollständigkeit liegt jedoch nur dann vor, wenn eine anzuwendende Rechtsvorschrift zwar vorhanden, aber in einer bestimmten Richtung nicht präzisiert ist (8 ObA 57/14m).

Ein Analogieschluss zu Paragraph 12, Absatz 7, GlBG in Bezug auf eine arbeitnehmerseitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist nicht gerechtfertigt, weil aufgrund der im Gesetz hergestellten Beziehung zwischen Anfechtung und alternativem Schadenersatz ein Versehen des Gesetzgebers gerade nicht unterstellt werden kann.

2.4 Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Literaturmeinung von Hopf/Mayr/Eichinger (GlBG Paragraph 3, Rz 139 und Paragraph 12, Rz 76) berufen. Diese Autoren führen aus, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitnehmerkündigung oder vorzeitigen Austritt zwar aufgrund geschlechtlich diskriminierender Verhaltensweisen des Arbeitgebers provoziert werden könne, es insoweit aber an der Zuordnung einer Rechtsfolge in Paragraph 12, Absatz 7, GlBG fehle, zumal diese Bestimmung auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber abstelle. Unter Umständen sei die Arbeitnehmerkündigung oder der vorzeitige Austritt die Folge einer Belästigung im Sinn der Paragraphen 6 und 7 GlBG. Diesfalls käme Paragraph 12, Absatz 11, GlBG zum Tragen. Aufgrund gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung sei unter „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ nicht nur Kündigung oder Entlassung, sondern allgemein die einseitige Beendigung durch den Arbeitgeber, also auch die Beendigung während der Probezeit, zu verstehen.

3. Die Ausführungen der Klägerin zur Darlegung der behaupteten Zulässigkeit der Revision beziehen sich nicht auch auf die Höhe des Schadenersatzes, der vom Zweitbeklagten zu leisten ist. Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Bemessung der Höhe des immateriellen Schadenersatzes typisch den Einzelfall betrifft und im Allgemeinen daher keine erhebliche Rechtsfrage begründet (8 ObA 59/08x; 8 ObA 63/09m).

4. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00047.16V.0817.000