OGH
16.12.2010
13Os130/10g (13Os136/10i)
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jahn als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Eduard M***** und andere Beschuldigte wegen Verbrechen nach Paragraph 3 g, VG, Paragraph 12, zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 8 St 49/10m der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, über die gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 3. September 2010, AZ 21 Bs 242/10g (ON 87 des Ermittlungsaktes), von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und den Antrag des Betroffenen Österreichischer Rundfunk auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß Paragraph 363 a, StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Vertreters des Betroffenen Hon.-Prof. Dr. Korn sowie der Beschuldigten Mag. Eduard M*****, Kevin Ma***** und Philipp R***** zu Recht erkannt:
1. In der Strafsache gegen Mag. Eduard M***** und andere Beschuldigte, AZ 8 St 49/10m der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 3. September 2010, AZ 21 Bs 242/10g, Paragraphen 43, Absatz eins, Ziffer eins,, 44 Absatz 2, StPO.
2. In Stattgebung des Erneuerungsantrags wird festgestellt, dass der Österreichische Rundfunk im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10, MRK verletzt wurde. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 3. September 2010, AZ 21 Bs 242/10g, wird aufgehoben. Dem Einspruch des Österreichischen Rundfunks gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 24. März 2010, GZ 8 St 49/10m-29, wegen Rechtsverletzung wird stattgegeben.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt führt zum AZ 8 St 49/10m gegen Mag. Eduard M*****, Kevin Ma***** und Philipp R***** ein Ermittlungsverfahren, und zwar gegen Mag. Eduard M***** wegen des Vergehens der Begünstigung nach Paragraph 299, Absatz eins, StGB, gegen Philipp R***** wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach Paragraph 293, Absatz 2, StGB und gegen sämtliche Beschuldigte wegen Verbrechen nach Paragraph 3 g, VG, Paragraph 12, zweiter Fall StGB.
Am 24. März 2010 ordnete sie an, das „gesamte - bisher noch nicht sichergestellte - für die ORF-Dokumentation ‚Am Schauplatz, Am rechten Rand’ hergestellte Originalrohmaterial (Bild- und sämtliche Tonspuren)“ sicherzustellen (ON 29). Dem vom Österreichischen Rundfunk erhobenen Einspruch wegen Rechtsverletzung (Paragraph 106, Absatz eins, Ziffer 2, StPO) gab das Landesgericht Wiener Neustadt am 16. Juli 2010 mit der Begründung statt, die Anordnung habe mit Bezug auf „noch nicht öffentlich ausgestrahltes Bild- und Tonmaterial“ Paragraph 31, MedienG verletzt (ON 79).
Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 3. September 2010, AZ 21 Bs 242/10g (ON 87), Folge und wies den Einspruch des nunmehrigen Erneuerungswerbers ab.
Nach dem Inhalt dieses Beschlusses besteht der Verdacht, Kevin Ma***** habe am 12. März 2010 in Wiener Neustadt im Zuge von Dreharbeiten für die vom Erneuerungswerber ausgestrahlte Fernsehreportage „Am Schauplatz - Am rechten Rand“ bei einer Wahlkampfveranstaltung der F***** vor laufender Kamera „Sieg Heil“ gerufen. Das Film- und Tonmaterial sei über Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt sichergestellt worden. Weitere Ermittlungen hätten jedoch auch gegen Philipp R***** den Verdacht ergeben, „vor laufender Kamera sowie anwesenden Mitgliedern des Produktionsteams und mehreren Bekannten die rechte Hand zum Hitlergruß erhoben und dazu ‚Sieg Heil’ oder ‚Heil Hitler’“ gerufen zu haben (ON 87 S 2). Mag. Eduard M***** wiederum stehe im Verdacht, er habe „die ‚Protagonisten’ seines Beitrags“ (gemeint: Kevin Ma***** und Philipp R*****) „mehrfach - und zwar keineswegs beschränkt auf den 12. 3. 2010 - zu verbotsgesetzrelevanten Handlungen und Äußerungen vor laufender Kamera zu bestimmen versucht“ (ON 87 S 6).
Gegen diesen Beschluss richtet sich eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes der Generalprokuratur. Der Österreichische Rundfunk wiederum begehrt Erneuerung des auf die Sicherstellung des Film- und Tonmaterials bezogenen Verfahrens unter Berufung auf eine Verletzung des Grundrechts auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10, MRK. Da Zwangsmaßnahmen zur Sicherstellung des Film- und Tonmaterials nicht zu befürchten waren, hat der Oberste Gerichtshof von der Möglichkeit, den Vollzug der Sicherstellungsanordnung aus Anlass des Erneuerungsantrags zu hemmen vergleiche RIS-Justiz RS0125705), keinen Gebrauch gemacht.
Beiden Rechtsbehelfen kommt Berechtigung zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Paragraph 43, StPO („Ausgeschlossenheit von Richtern“) nennt eine Reihe von Umständen, deren Vorliegen zur Mangelhaftigkeit von Verfahrenshandlungen davon betroffener Richter führen kann. Nach Maßgabe des Paragraph 44, Absatz eins, StPO hat sich der betroffene Richter „aller Handlungen zu enthalten“. Darüber hinaus steht allen Beteiligten des Verfahrens der Antrag auf Ablehnung eines Richters mit der Behauptung zu, dieser sei von einem Ausschließungsgrund betroffen (Paragraph 44, Absatz 3, StPO).
„Ein Richter, dem ein Ausschließungsgrund bekannt wird, hat diesen sogleich“ der von Paragraph 44, Absatz 2, StPO benannten Person anzuzeigen. Das gilt bei Bekanntwerden eines allein ein Senatsmitglied betreffenden Ausschließungsgrundes auch für die anderen Mitglieder des Senats.
Nach Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer eins, StPO bildet der Umstand, dass ein Angehöriger (Paragraph 72, StGB) eines Richters „im Verfahren Staatsanwalt ist oder war“, einen Ausschließungsgrund. Unter Angehörigen einer Person versteht Paragraph 72, Absatz eins, StGB unter anderem deren Geschwister.
Vorliegend war Mag. Michaela S***** nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Wien Mitglied des zur Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft berufenen Senats (ON 87 S 1). Sie ist nach dem aufklärenden Bericht des Vorsitzenden (Paragraphen 292, erster Satz, 285 f StPO) die Schwester der Ersten Oberstaatsanwältin Mag. Ilse-Maria V*****, welche für die Oberstaatsanwaltschaft zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Stellung genommen hatte (Paragraph 24, StPO).
Jedes Mitglied des zur Beschwerdeentscheidung berufenen Senats des Oberlandesgerichts, dem neben dieser Verwandtschaft die Tatsache, dass Mag. Ilse-Maria V***** aufgrund ihrer Stellungnahme zur Beschwerde im Sinn des Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer eins, StPO „Staatsanwalt ist oder war“, „bekannt“ wurde, war demnach durch Paragraph 44, Absatz 2, StPO zur Anzeige dieses Mag. Michaela S***** betreffenden Ausschließungsgrundes verhalten vergleiche Lässig, WK-StPO Paragraph 44, Rz 1, 7; bis zur Entscheidung über die Ausschließung [§ 45 StPO] hätte sich Mag. Michaela S***** zudem nach Maßgabe des Paragraph 44, Absatz eins, StPO „aller Handlungen zu enthalten“ gehabt, soweit sie selbst vom Ausschließungsgrund Kenntnis erlangt hätte).
Wer nachträglich einen in Richterausgeschlossenheit bestehenden Verfahrensmangel geltend machen kann, braucht bei gerichtsnotorischem Vorliegen eines Ausschließungsgrundes nach Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer eins, StPO dessen Bekanntwerden (Paragraph 44, Absatz 2, StPO) bloß zu behaupten. Darüber hinausgehendes Vorbringen zum Bekanntwerden dieses Ausschließungsgrundes (anderes gilt für denjenigen nach Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer 3, StPO) zu verlangen, würde die Wirksamkeit der die gerichtliche Unparteilichkeit sichernden Vorschriften der StPO in Frage stellen und wäre rechtsstaatlich unerträglich.
Zwar reklamiert die Nichtigkeitsbeschwerde ausdrücklich bloß das Vorliegen, nicht auch das Bekanntwerden des Ausschlussgrundes (Paragraph 44, Absatz 2, StPO). Indem die Generalprokuratur ihre Anregung, die Feststellung der reklamierten Verletzung des Paragraph 43, Absatz eins, Ziffer eins, StPO (Paragraph 292, fünfter Satz StPO) mit einer Beseitigung des angefochtenen Beschlusses zu verbinden (Paragraph 292, letzter Satz StPO), durch Hinweis auf die Möglichkeit eines konkreten Nachteils für die Beschuldigten begründet, gibt sie jedoch deutlich genug zu erkennen, dass sie von einem Bekanntwerden des Ausschließungsgrundes im Sinn des Paragraph 44, Absatz 2, StPO ausgeht.
Demnach war festzustellen, dass der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 3. September 2010, AZ 21 Bs 242/10g, Paragraphen 43, Absatz eins, Ziffer eins,, 44 Absatz 2, StPO verletzt, weil wenigstens einem Mitglied des Beschwerdesenats bekannt geworden sein könnte, dass mit Mag. Michaela S***** eine Schwester der Staatsanwältin, welche für die Oberstaatsanwaltschaft Wien nach Paragraph 24, StPO Stellung genommen hatte, nach der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts Wien zur Mitwirkung an der Entscheidung über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 16. Juli 2010 berufen war.
Zum Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens:
Da sich die Behandlung von Erneuerungsanträgen auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Grundrechts beschränkt, Grundrechte aber in der Regel auf Verfassungsstufe stehen vergleiche aber 14 Os 60/08t zu Artikel 54, SDÜ), führt der Erfolg einer gleichzeitig erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, welche sich - zumindest auch - gegen die vom Erneuerungswerber behauptete Grundrechtsverletzung richtet, regelmäßig zur Beseitigung der Opfereigenschaft des Erneuerungswerbers vergleiche Artikel 34, MRK).
Dass der Oberste Gerichtshof mit einer Prüfung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes beginnt, folgt aus der damit verbundenen Möglichkeit zu sogenannter Feinprüfung unterhalb der Verfassungsstufe. Soweit der Erneuerungswerber durch die nach Paragraph 292, StPO getroffene Entscheidung unter dem Aspekt des von ihm geltend gemachten Grundrechtsschutzes vollends beschwerdefrei gestellt werden kann, erübrigt sich mithin eine Erledigung auch des Erneuerungsantrags. Der Erneuerungswerber kann daher auf die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen werden.
Anders, wenn sich die Generalprokuratur, wie hier, darauf beschränkt, einen von dem mit Erneuerungsantrag reklamierten Grundrecht unabhängigen Verfahrensmangel geltend zu machen und für den Fall der kassatorischen Entscheidung (Paragraph 292, letzter Satz StPO) dem Gericht, an welches der Oberste Gerichtshof die Sache verweist, (unverbindliche) Vorschläge für die weitere Vorgangsweise macht. Bietet demgegenüber der Erneuerungsantrag dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit, nicht bloß über einen Verfahrensfehler, sondern - verfahrensbeschleunigend - sogleich in der Sache zu entscheiden, ist dessen inhaltliche Erledigung angebracht (Paragraph 9, Absatz eins, StPO).
Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung bedarf es zur Erneuerung des Strafverfahrens nach Paragraph 363 a, StPO keines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (RIS-Justiz RS0122229, RS0122737). Zu einem darauf gerichteten Antrag sind Personen berechtigt, welche vertretbar behaupten, durch die letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts in einem Grundrecht verletzt oder trotz Ausschöpfung des Instanzenzugs gegen eine durch Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht begangene Grundrechtsverletzung weiterhin deren Opfer zu sein (zum Schutz vor Grundrechtseingriffen durch Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft vergleiche 14 Os 60/09v, 63/09k, 64/09g, EvBl 2009/130, 866).
Die von Paragraph 363 b, Absatz 2, Ziffer eins, StPO genannte, in der Unterschrift eines Verteidigers bestehende Zulässigkeitsvoraussetzung hat den Obersten Gerichtshof - mit Blick auf das bloß zwischen Anklägern und Beschuldigten (Paragraph 38, Absatz 3, StPO in der Fassung vor BGBl römisch eins 2004/19) differenzierende Verständnis des (von der Anpassungsgesetzgebung an das StPRefG unberührt gebliebenen) Erneuerungsverfahrens - dazu veranlasst, Grundrechtsschutz nach Paragraph 363 a, StPO unter dem Aspekt als verletzt reklamierter Anklägerinteressen zu verneinen. Ankläger (zu denen neben Privatanklägern, Subsidiaranklägern und Privatbeteiligten etwa auch Antragsteller nach Paragraphen 6 bis 7c und 9 f MedienG zählen) sind nicht antragslegitimiert, weil diese sich selbst nach dem Verständnis des historischen Gesetzgebers (BGBl 1996/762) keines Verteidigers bedienen konnten (Paragraph 39, StPO in der Fassung vor BGBl römisch eins 2004/19). Personen, die als Ankläger von einer Grundrechtsverletzung betroffen sind, sollte unter dem Aspekt innerstaatlicher Umsetzung von Urteilen des EGMR (Artikel 46, MRK; zur nachträglich erkannten Lücke aufgrund veränderter Normsituation vergleiche 13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832) kein Recht auf Neudurchführung von strafgerichtlichen Verfahren eingeräumt werden vergleiche RIS-Justiz RS0123644). Angesichts der vom historischen Gesetzgeber intendierten, weiterhin systemkonformen Schutzrichtung gilt nichts anderes für Opfer (Paragraph 65, StPO) in dieser Eigenschaft. Deren Interesse wird durch die Zulässigkeit von Fortführungsanträgen (Paragraph 195, StPO) ausreichend geschützt vergleiche Weigend, „Die Strafe für das Opfer“? - Zur Renaissance des Genugtuungsgedankens im Straf- und Strafverfahrensrecht, RW 2010, 39).
Für andere von strafgerichtlicher Grundrechtsverletzung im vorstehend definierten Sinn Betroffene gelten diese Überlegungen jedoch nicht. Sie gelten auch nicht in Betreff des hier reklamierten Grundrechtsschutzes Dritter vergleiche bereits 13 Os 162/07h, EvBl-LS 2008/31, 189; 14 Os 160/07x), für welche das Erfordernis der Verteidigerunterschrift demnach mit der Maßgabe gilt, dass von ihnen gestellte Anträge der Unterschrift einer im Sinn des Paragraph 48, Absatz eins, Ziffer 4, StPO zur Verteidigung befähigten Person bedürfen. Da eine solche hier vorliegt, ist der Erneuerungsantrag zulässig (zur Parteifähigkeit der Erneuerungswerberin nach Artikel 34, MRK und zu deren Eigenschaft als Trägerin des geltend gemachten Konventionsrechts: EGMR 7. 12. 2006, Nr 35841/02, Österreichischer Rundfunk gg Österreich; vergleiche dazu allgemein: Rogge IntKomm EMRK Artikel 34, Rz 130 ff). Aus nachstehenden Gründen ist er überdies berechtigt.
Die von Artikel 10, Absatz eins, MRK garantierte Freiheit der Meinungsäußerung ist nach übereinstimmender Auffassung von Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte und Oberstem Gerichtshof eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Unter dem grundrechtlichen Schutz stehen nicht nur „Informationen“ oder „Ideen“, die positiv aufgenommen oder die als harmlos oder indifferent angesehen werden, sondern auch solche, die verletzen, schockieren oder beunruhigen. Dies verlangen Pluralismus, Toleranz und Aufgeschlossenheit, ohne die es keine „demokratische Gesellschaft“ gibt. Nicht nur der Inhalt der Informationen, sondern auch die Form ihrer Darstellung wird geschützt vergleiche schon 11 Os 25/93, SSt 61/138 = EvBl 1993/173; zuvor bereits 9 Os 18, 19/87, EvBl 1987/126).
Sicherstellung von einem Medium recherchierten Materials stellt einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10, Absatz eins, MRK dar, ist doch der Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen eine der Grundbedingungen der Pressefreiheit und bildet somit einen wesentlichen Bestandteil der konventionsrechtlichen Garantie. Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren („chilling effect“). Dies könnte zur Folge haben, dass die lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als „Wachhund“ („public watchdog“) beeinträchtigt und ihre Fähigkeit, präzise und verlässliche Informationen zu bieten, nachteilig berührt werden (EGMR 27. 3. 1996 [Große Kammer], Nr 17488/90, Goodwin gg Vereinigtes Königreich, ÖJZ 1996/28 [MRK]; 15. 12. 2009, Nr 821/03, Financial Times ua gg Vereinigtes Königreich, uva).
Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließt darin enthaltene Informationen nicht von dem durch Artikel 10, Absatz eins, MRK garantierten Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen aus (so schon Kommission 18. 1. 1996, Nr 25794/94, BBC gg Vereinigtes Königreich; jüngst: EGMR 14. 9. 2010 [Große Kammer], Nr 38224/03, Sanoma Uitgevers B.V. gg Niederlande, wo eine Verletzung von Artikel 10, MRK wegen fehlender gesetzlicher Grundlage [in ausreichender Qualität] im Zusammenhang mit der erzwungenen Herausgabe von Fotografien eines öffentlich wahrnehmbaren Geschehens festgestellt und gerade letzterer Aspekt ausdrücklich erörtert wurde [Z 60]).
Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, erlaubt Artikel 10, Absatz 2, MRK bestimmte, vom Gesetz vorgesehene Einschränkungen, soweit diese in einer demokratischen Gesellschaft zur Wahrung bestimmter Interessen (hier: der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung) unentbehrlich sind.
Eine derartige gesetzliche Eingriffsbefugnis findet sich in den Vorschriften der StPO über die Sicherstellung aus Beweisgründen (Paragraph 110, Absatz eins, Ziffer eins, StPO). Sie wird jedoch von dem durch Paragraph 31, MedienG garantierten „Schutz des Redaktionsgeheimnisses“ eingeschränkt. Paragraph 31, MedienG erfasst unter anderem ausnahmslos alles, was Medieninhabern, Herausgebern, Medienmitarbeitern und Arbeitnehmern eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Hinblick auf ihre Tätigkeit mitgeteilt wurde.
Indem die Vorschrift - damit erheblich über das europäische Schutzniveau hinausgehend - auf jede Abwägung gegen Interessen von „Aufrechterhaltung der Ordnung“ und „Verbrechensverhütung“ verzichtet, wird mit der Sicherstellung (Paragraph 110, Absatz eins, Ziffer eins, StPO) von durch Paragraph 31, MedienG geschütztem Material das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung selbst dann verletzt, wenn das Film- oder Tonmaterial Aufschluss über schwere und schwerste Verbrechen geben könnte (zum ganz anderen Zugang des U.S. Supreme Court vergleiche BRANZBURG v. HAYES, 408 U.S. 665). Zwar gilt der Schutz des Redaktionsgeheimnisses nach Paragraph 144, Absatz 3, erster Satz StPO nicht gegenüber Beschuldigten, jedoch nur, soweit diese „der Tat dringend verdächtig“ sind.
Fiel das von der Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 24. März 2010 erfasste Film- und Tonmaterial demnach als Beweismittel unter den Schutz des Paragraph 31, MedienG, ohne dass Mag. Eduard M***** einer der ihm von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt angelasteten Straftaten dringend verdächtig war, wurde durch die den Einspruch des betroffenen Österreichischen Rundfunks wegen Rechtsverletzung abweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 3. September 2010 das Grundrecht des Erneuerungswerbers auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10, MRK verletzt. Die Entscheidung des Gesetzgebers ist zu respektieren (Artikel 18, Absatz eins, B-VG) und erübrigt eine Prüfung zusätzlicher Eingriffsbedingungen des Artikel 10, Absatz 2, MRK.
Im Beschluss vom 3. September 2010 vertrat das Oberlandesgericht Wien unter Berufung auf zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 130/06w, 15 Os 69/03) die Ansicht, nur vertrauliche Mitteilungen seien Gegenstand des Redaktionsgeheimnisses. Zur öffentlichen Ausstrahlung bestimmte Bild- und Tonaufnahmen seien damit ebenso wenig erfasst wie öffentlich wahrnehmbares Verhalten (ON 87 S 4 f).
6 Ob 130/06w enthält allerdings über den Schutz öffentlich wahrnehmbarer Mitteilungen oder Handlungen keine Aussage. 15 Os 69/03 wiederum hat Film- und Tonmaterial über strafbedrohte Handlungen im Zuge einer öffentlichen Demonstration vom Schutz des Paragraph 31, MedienG ausgenommen, jedoch keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Gegenstand der Film- und Tonaufnahme als Mitteilung an eine der von Paragraph 31, Absatz eins, MedienG genannten Personen zu werten war. Im vorliegenden Fall interessiert statt dessen die klare Unterscheidung, welche 15 Os 69/03 zwischen Inhalt einer Mitteilung und deren Verwendung gemacht hat. Sie zeigt, dass beabsichtigte Veröffentlichung der Mitteilung nichts an deren Schutz durch das Redaktionsgeheimnis ändert vergleiche ErläutRV 2 BlgNR 20. GP, 43, wonach dieser unabhängig „von einer beabsichtigten oder bereits erfolgten Veröffentlichung“, also unabhängig von der Vertraulichkeit oder vertraulichen Behandlung der Mitteilung gelten sollte; vergleiche auch Berka, Das Recht der Massenmedien, 180 f).
Der unter Berufung auf die beiden Entscheidungen gezogene Schluss des Oberlandesgerichts, nur vertrauliche Mitteilungen seien Gegenstand des Redaktionsgeheimnisses, wird denn auch vom erkennenden Senat nicht geteilt. Er läuft auf die Annahme einer Ausnahmelücke im Paragraph 31, MedienG hinaus, ohne dass unter diesem Gesichtspunkt Anhaltspunkte für eine Planwidrigkeit der Vorschrift bestehen. Zwar enthält die Überschrift des Paragraph 31, MedienG den Begriff „Geheimnis“, was dazu verleiten kann, den Schutz der Bestimmung auf Umstände beschränkt zu sehen, die nur einem bestimmten, nicht allzu großen Kreis von Personen bekannt und anderen nicht oder nur schwer zugänglich, also „faktisch geheim“ sind vergleiche SSt 9/57; L/St Komm3 Paragraph 121, RN 16). Anders als Vorschriften, welche den Begriff „Geheimnis“ verwenden, ohne ihn zu definieren und so auf einen außerhalb der Vorschrift gelegenen Begriffsinhalt rekurrieren, stellt der Normtext des Paragraph 31, MedienG jedoch eine eigenständige Definition des in der Überschrift verwendeten Begriffs dar.
Ob das von der Sicherstellungsanordnung vom 24. März 2010 betroffene Film- und Tonmaterial von Paragraph 31, Absatz eins, MedienG erfasst ist und daher nicht Gegenstand einer Sicherstellung aus Beweisgründen nach Paragraph 110, Absatz eins, Ziffer eins, StPO sein kann, hängt vielmehr ausschließlich vom Bedeutungsinhalt der aufgenommenen Äußerungen ab.
Nicht als geschützte Mitteilung sind Informationen zu qualifizieren, die eine der in Paragraph 31, Absatz eins, MedienG genannten Personen gewinnt, ohne dass sie dieser im Hinblick auf ihre Tätigkeit von jemandem (bewusst) zugänglich gemacht wurden vergleiche EGMR 8. 12. 2005, Nr 40485/02, Nordisk Film TV A/S gg Dänemark; Berka, Das Recht der Massenmedien, 181; Edinger, Selbst recherchiertes Filmmaterial als Schutzobjekt des Redaktionsgeheimnisses, JSt 2005, 145 [147 ff]; Rami in WK2 Paragraph 31, MedienG Rz 8). Wird die Tatfrage (statt aller: 14 Os 118, 119/97, SSt 62/149) des Bedeutungsinhalts der Äußerung hingegen im umgekehrten Sinn beantwortet, liegt eine von Paragraph 31, Absatz eins, MedienG erfasste Mitteilung vor.
Das Oberlandesgericht Wien ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass Kevin Ma***** und Philipp R***** stets im Bewusstsein handelten, Informationen für eine Fernsehreportage zu liefern (ON 87 S 1 f, 5 und 7). Dringlichkeit eines gegen Mag. Eduard M***** gerichteten Tatverdachts hat es nicht angenommen, sodass auch die von Paragraph 144, Absatz 3, erster Satz StPO genannte Ausnahme vom Schutz des Redaktionsgeheimnisses nicht greift.
Um Dringlichkeit eines gegen Mag. Eduard M***** gerichteten Verdachts, er habe Kevin Ma***** oder Philipp R***** zu einer Betätigung im nationalsozialistischen Sinn bestimmt, bejahen zu können, hätte es übrigens nicht genügt, wenn er die Auftritte der beiden oder eines von ihnen vor der Kamera veranlasst hätte. Vielmehr wäre darzulegen gewesen, welche bestimmten Tatsachen die hohe Wahrscheinlichkeit einer Sachverhaltsannahme des Inhalts rechtfertigen, er habe Kevin Ma***** oder Philipp R***** solcherart zu Äußerungen mit der Eignung, (zumindest) eine der spezifischen Zielsetzungen der NSDAP zu neuem Leben zu erwecken oder zu propagieren (Lässig in WK2 VG Paragraph 3 g, Rz 4), veranlassen wollen, diese zur Erfüllung des Tatbestands nach Paragraph 3 g, VG notwendige Eignung also nicht nur (wertend) erkannt, sondern sich auch damit abgefunden (Paragraphen 5, Absatz eins,, 7 Absatz eins, StGB; Art römisch eins Absatz eins, StRAG). Aus dem vom Oberlandesgericht angenommenen Zweck der Reportage, das Problem des Rechtsradikalismus einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen (ON 87 S 5), kann ein solcher Wille ohne Willkür vergleiche Paragraph 281, Absatz eins, Ziffer 5, StPO) jedenfalls nicht abgeleitet werden vergleiche EGMR 23. 9. 1994, Nr 15890/89, Jersild gg Dänemark [Z 34 ff]).
Soweit das Oberlandesgericht zuletzt „ergänzend“ erwogen hatte, das Filmmaterial könnte unter dem Aspekt des Paragraph 110, Absatz eins, Ziffer 3, StPO als Produkt einer Straftat der Einziehung nach Paragraph 26, StGB unterliegen, wird nicht klar, welche mit Strafe bedrohte Handlung dadurch hätte verhindert werden sollen. Erwägungen zu einer von Paragraph 110, Absatz eins, Ziffer eins, StPO unabhängigen Rechtfertigung der Sicherstellungsanordnung bedarf es daher nicht (RIS-Justiz RS0121298).
Von einer Sicherstellung Betroffene können, was abschließend (wegen eines anderslautenden Hinweises der Generalprokuratur) angemerkt sei, auf das in Paragraph 112, StPO geregelte Verfahren auch zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses zurückgreifen. Zwar stellt der Wortlaut nur auf rechtlich anerkannte „Pflichten“ zur Verschwiegenheit ab. Erfasst werden sollten aber nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte dazu (ErläutRV 25 BlgNR 22. Gesetzgebungsperiode 157; vergleiche auch Fabrizy, StPO10 Paragraph 112, Rz 1), sodass sich die Vorschrift als planwidrig lückenhaft erweist und deren Anwendungsbereich analog auch für das Redaktionsgeheimnis gilt.
Die geschehene Grundrechtsverletzung ist anzuerkennen und durch Aufhebung des mit Erneuerungsantrag bekämpften Beschlusses sowie Stattgebung des Einspruchs gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 24. März 2010, GZ 8 St 49/10m-29, auszugleichen. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei haben den entsprechenden Rechtszustand mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln herzustellen (Paragraph 107, Absatz 4, StPO).