Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

18.01.2007

Geschäftszahl

2Ob265/06v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elfriede H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Linien GmbH & Co KG, Erdbergstraße 202, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 14.304,36 sA und Feststellung (Streitwert EUR 5.000), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 7.002,50 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2006, GZ 15 R 155/05g-35, mit dem das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Juli 2005, GZ 25 Cg 151/04s-26, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Abweisung von EUR 7.301,86 sA als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleiben, werden hinsichtlich des Klagebegehrens von EUR 7.002,50 samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2004 aufgehoben. In diesem Umfang wird die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin stürzte am 12. 6. 2003 gegen 14:40 Uhr in der U-Bahn Station Hietzing beim versuchten Einsteigen in die U4 Richtung Karlsplatz, geriet mit dem linken Fuß in den Spalt zwischen Waggon und Bahnsteig und zog sich dabei einen Knöchelbruch zu. Der Unfall ereignete sich bei geringem Fahrgastaufkommen und schönem Wetter; der Bahnsteig und das Innere des Waggons waren trocken. Die Klägerin trug Schuhe der Größe 37 (Länge 23,5 cm) mit Gummisohle und einem 4 cm hohen Absatz; eine Gehbehinderung bestand nicht.

Der Zug der U4 blieb in dieser Station nach dem Einfahren so stehen, dass sich sein Ende vom Beginn des Stiegenaufganges in einem Abstand 3,8 bis 4,2 m befand. Der Abstand zwischen der Bahnsteigkante und einem Waggon der damaligen Garnitur der Bauart „Silberpfeile" betrug auf Höhe der hinteren Türe 20 cm, bei der mittleren Türe 24 cm und bei der vorderen der drei Türen wieder 20 cm. Der größere Abstand bei der mittleren Türe ergibt sich aus der bauartbedingten Krümmung des Bahnsteiges. Der Boden des Waggons befand sich etwa 8,3 cm über der Bahnsteigkante. Bei den alten Stationen der früheren Stadtbahn wie in Hietzing sind die Spaltbreiten jedenfalls größer als bei erst später neu gebauten Stationen; bei diesen liegt die Spaltbreite zwischen 8 und 14 cm. Zum Unfallszeitpunkt war am Bahnsteig verlaufend kurz vor dessen Ende mit gelber Farbe ein Signalstreifen angebracht. Der unmittelbare Einstiegsbereich in den Waggon war noch nicht zusätzlich mit gelber Farbe oder aufgeklebten Leuchtstreifen markiert.

Die Klägerin, die damals eine Jahreskarte der Beklagten hatte und etwa alle 2 bis 3 Monate einmal die Linie U4 benutzte, wartete in der Station auf das Einfahren eines Zuges. Als der Zug anhielt, wollte sie bei der mittleren der drei Türen in den letzten Waggon einsteigen. Sie ging etwa in einer geraden Linie von ihrer Warteposition nach vorne in Richtung der sich öffnenden Türe und hatte das Aussteigen von maximal ein bis zwei Personen abzuwarten, bevor sie einsteigen wollte. Beim Eintreten in den Waggon mit dem linken Fuß zuerst trat sie allerdings aus Unachtsamkeit mit dem Fuß bzw Schuh nicht voll in das Wageninnere, sondern erwischte nur mit der Fuß- bzw Schuhspitze den Beginn des Waggonbodens und rutschte dadurch ab. Sie stürzte und rutschte jedenfalls mit dem linken Bein in den ca 24 cm breiten Spalt zwischen Bahnsteig und Waggonkante, während die Türe des Waggons noch geöffnet war. Es gelang ihr noch vor Schließen der Türen ihr linkes Bein wieder aus dem Zwischenraum herauszuziehen.

Nicht festgestellt werden kann, ob sich der Unfall der Klägerin bei zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen genau in der gleichen Art oder überhaupt ereignet hätte.

Die Klägerin begehrt Schadenersatz von EUR 14.304,36 (Schmerzengeld EUR 11.500, Pflegekosten von EUR 2.205, sonstige Aufwendungen EUR 599,36) und erhebt ein Feststellungsbegehren. Sie stützt ihre Ansprüche auf die verschuldete Verletzung von Sorgfaltspflichten aus dem Beförderungsvertrag, von Verkehrssicherungspflichten und auf EKHG. Bereits vor ihrem Unfall seien mehrmals Fahrgäste wegen des großen, im Vergleich zu anderen U-Bahnstationen gefährlicheren Abstandes in den Zwischenraum geraten. In anderen U-Bahnstationen mit einem derart großen Abstand zwischen Waggon und Bahnsteig seien an der Unterseite des Bahnsteiges zusätzlich Leuchtstreifen angebracht, was in der Station Hietzing erst nach dem Unfall der Klägerin erfolgt sei. Diese der Beklagten leicht zumutbare Maßnahme hätte das Sicherheitsrisiko erheblich vermindert.

Die Beklagte bestritt und wendete ein, die Station Hietzing sei noch in der Monarchie gebaut worden. Der Bahnsteig verlaufe - im Gegensatz zu modernen U-Bahnstationen - nicht geradlinig, weshalb der Abstand zwischen der Bahnsteigkante und dem U-Bahnwagen bei den mittleren Türen des Waggons geringer sei als bei jenen am Beginn oder Ende des Waggons. Ein gewisser Abstand zwischen Waggon und Bahnsteigkante sei notwendig. Dieser sei bei U-Bahnen jedenfalls weit geringer als bei Eisenbahnzügen und wesentlich gefahrloser zu überwinden, zumal Waggonboden und Bahnsteig niveaugleich seien. Der Spalt sei bei halbwegs durchschnittlicher Aufmerksamkeit gefahrlos passierbar. Die Beklagte befördere in U-Bahnen pro Jahr über 409 Millionen Fahrgäste. Bei diesem Fahrgastaufkommen sei die Zahl der Unfälle nahezu verschwindend gering. Der Unfall sei allein auf das Versehen der Klägerin zurückzuführen und stelle ein unabwendbares Ereignis für die Beklagte dar.

Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Teilurteil ausgehend von einem gleichteiligen Verschulden EUR 7.002,50 sA zu und wies das Mehrbegehren von EUR 7.301,86 ab. Der Beklagten seien unterlassene, zumutbare Sicherungsmaßnahmen wie Warnschilder, zusätzliche Leuchtstreifen oder Lautsprecherdurchsagen und damit eine schuldhafte Verletzung ihrer Sicherungspflichten aus dem Beförderungsvertrag anzulasten. Da die Aufmerksamkeit der Klägerin weder durch großes Gedränge noch sonstige Umstände beeinträchtigt worden sei, könne ihre eigene Unaufmerksamkeit nicht vernachlässigt werden.

Zusätzlich zu dem eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt traf das Erstgericht noch folgende Feststellungen:

„In anderen europäischen Städten, die 'alte' Stationen mit solchen Spaltbreiten von 20 cm und mehr haben, gibt es - wie beispielsweise in London - regelmäßige akustische Durchsagen und eigens in den Stationsbereichen aufgestellte Warnschilder mit dem Hinweis 'MIND THE GAP'. Dieser Vorfall war auch nicht der erste oder einzige in einer vergleichbaren Art, wo Fahrgäste auf Stationen der Linie U4 in diese Spalten gerieten, solches geschah bereits im Jahr 1998, 2001 und 2002."

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Teilurteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Zahlungsbegehrens ab. Es übernahm den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt mit Ausnahme der Feststellungen über Sicherungsmaßnahmen in ausländischen U-Bahnstationen und vergleichbare Unfälle in Stationen der U4. In der rechtlichen Beurteilung verneinte es sowohl eine schuldhafte Verletzung von (vertraglichen) Verkehrssicherungspflichten als auch eine Haftung nach EKHG. Der deutlich sichtbare Spalt sei für die Klägerin, welche die Station schon oft frequentiert hatte, nicht unerwartet gekommen, zumal grundsätzlich bei jedem Einsteigen in die U-Bahn oder in Züge derartige Spalte (bei einer Schnellbahngarnitur: 24-28 cm) zu überwinden seien. Von einem durchschnittlich sorgfältigen Fußgänger könne die problemlose Bewältigung des Ein- und Aussteigens in solchen Fällen erwartet werden. Ein derartiger Aufmerksamkeitsfehler eines Fahrgastes sei für den Betriebsunternehmer auch bei Einhaltung der in Paragraph 9, Absatz 2, EKHG gebotenen Sorgfalt nicht abzuwenden.

Über Antrag der Klägerin änderte das Berufungsgericht den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision ab und begründete dies mit der Bedeutung des Wiener U-Bahnnetzes für den Massenverkehr.

Die Klägerin bekämpft in ihrer Revision dieses Urteil in der Abweisung von EUR 7.002,50 sA, dies mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren mit diesem Betrag stattzugeben, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Revisionsbeantwortung der Beklagten ist verspätet und daher zurückzuweisen. Gemäß Paragraph 507 a, Absatz eins, ZPO steht es dem Revisionsgegner frei, binnen vier Wochen ab Zustellung der Revisionsschrift eine Revisionsbeantwortung zu überreichen. Nach Paragraph 507 a, Absatz 2, Ziffer 2, ZPO beginnt diese Frist im Fall eines Antrags nach Paragraph 508, Absatz eins, ZPO, verbunden mit einer ordentlichen Revision, mit der Zustellung der Mitteilung des Berufungsgerichtes, dass dem Revisionsgegner die Beantwortung der Revision freigestellt wird. In einem solchen Fall ist die Revisionsbeantwortung gemäß Paragraph 507 a, Absatz 3, Ziffer eins, ZPO beim Berufungsgericht einzubringen. Die Mitteilung, dass der beklagten Partei die Beantwortung der Revision freistehe, wurde dieser am 13. 10. 2006 zugestellt. Die Revisionsbeantwortung wurde zwar am 10. 11. 2006 und daher fristgerecht zur Post gegeben, war jedoch an das Erstgericht adressiert und langte erst am 15. 11. 2006 beim Berufungsgericht ein. Die Tage des Postlaufes sind in einem solchen Fall nicht in die Frist einzurechnen (1 Ob 71/01z; Kodek in Rechberger ZPO³ vor Paragraph 461, Rz 7), weshalb die außerhalb der Frist beim zuständigen Gericht eingelangte Revisionsbeantwortung als verspätet zurückzuweisen war (MGA JN-ZPO16 Paragraph 507 a, ZPO E 2).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Der Abschluss eines Beförderungsvertrages mit der Klägerin löste die vertragliche Nebenpflicht der Beklagten aus, die Sicherheit ihres Fahrgastes zu gewährleisten und ihr körperliches Wohlbefinden nicht zu verletzen (RIS-Justiz RS0021735; vergleiche RS0013999; RS0017049; 2 Ob 35/97d = ZVR 2000/29; 2 Ob 193/03a = EvBl 2004/49). Ebenso wie die deliktische ist auch die vertragliche Verkehrssicherungspflicht nicht zu überspannen vergleiche RIS-Justiz RS0023950; RS0023487); sie soll keine vom Verschulden unabhängige Haftung des Sicherungspflichtigen zur Folge haben (RIS-Justiz RS0023950). Die Verkehrssicherungspflicht findet ihre Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (RIS-Justiz RS0023397). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RIS-Justiz RS0023726; vergleiche Wellner in Geigel Haftpflichtprozess24 Kapitel 14 Rn 11 f).

2. Der Begriff „Beim Betrieb einer Eisenbahn" iSd Paragraph eins, EKHG ist dahin zu verstehen, dass sich jeweils eine dem Eisenbahnbetrieb eigentümliche Gefahr verwirklicht haben muss (RIS-Justiz RS0058156 [T1]; Schauer in Schwimann ABGB³ römisch VII Paragraph eins, EKHG Rz 18) bzw ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder mit Betriebseinrichtungen besteht (RIS-Justiz RS0058156; vergleiche RS0022569; RS0022592). In diesem Sinn erfasst die Gefährdungshaftung des EKHG den beim Einsteigen geschehenen Unfall der Klägerin (Schauer aaO Rz 23 mwN; Danzl, EKHG7 Paragraph eins, E 23a; vergleiche Apathy, EKHG Paragraph eins, Rz 12; vergleiche Kunschert in Geigel aaO Kapitel 22 Rn 25).

Die Beklagte kann sich daher von ihrer Haftung nach EKHG nur dann befreien, wenn sie ein unabwendbares Ereignis nachweist vergleiche RIS-Justiz RS0058926; 2 Ob 260/04f = ZVR 2006/90; 2 Ob 262/06b). Ein Ereignis ist iSd Paragraph 9, EKHG dann unabwendbar, wenn es ungeachtet der nach Paragraph 9, Absatz 2, EKHG einzuhaltenden äußerst möglichen Sorgfalt (RIS-Justiz RS0058317; Apathy aaO Paragraph 9, Rz 16; Schauer aaO Paragraph 9, EKHG Rz 21; vergleiche Danzl EKHG7 Paragraph 9, E 62) für den Betriebsunternehmer nicht zu vermeiden war (RIS-Justiz RS0058206).

3. Ein Fehler in der Beschaffenheit im Sinn von ungenügenden technischen Einrichtungen der U-Bahn (RIS-Justiz RS0058235; vergleiche RS0114049), der nach Paragraph 9, Absatz eins, EKHG einer Haftungsbefreiung des Betriebsunternehmers durch Nachweis eines unabwendbaren Ereignisses entgegensteht (RIS-Justiz RS0058244), wurde nie behauptet (und ist auch kein Thema des Revisionsverfahrens). Es steht nicht fest, dass die zum Unfallszeitpunkt gegebene Ausstattung der U-Bahngarnitur bzw des Bahnsteiges den damals geltenden Zulassungs- bzw Ausstattungsvorschriften nicht entsprochen hat (RIS-Justiz RS0114049; Apathy aaO Paragraph 9, Rz 23).

4. Nach den dargelegten Kriterien zur Verletzung von vertraglichen Verkehrssicherungspflichten und zur Haftung nach EKHG ist der Auffassung des Berufungsgerichtes insoweit zu folgen, als die Tatsache der bauartbedingten, im Vergleich zu anderen U-Bahnstationen größeren Spaltbreite von 24 cm für sich alleine nicht ausreicht, um eine Verschuldenshaftung oder die (strengere) Gefährdungshaftung nach EKHG zu begründen. Grundsätzlich kann von jedem Fußgänger verlangt werden, dass er beim Gehen auch „vor die Füße schaut" und der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwendet (4 Ob 124/98h = RIS-Justiz RS0023787 [T3]). Da Verkehrsteilnehmer sich auf erkennbare Gefahren auch ohne Sicherung einstellen müssen vergleiche Wellner aaO Rn 12 und 37; vergleiche RIS-Justiz RS0114360), konnte die Beklagte an sich mit dem problemlosen Überwinden des deutlich erkennbaren Spaltes zwischen Waggon und Bahnsteigkante rechnen. Auch bei anderen Stationen gibt es (zumindest bei den damals in Verwendung stehenden Waggons des Typs „Silberpfeil") keinen nahtlosen Anschluss des Waggoneinstieges an die Bahnsteigkante; ebenso wenig kann die Rede von ungewöhnlichen und an dieser Stelle nicht zu vermutenden Niveaudifferenzen sein, die eine besondere Kennzeichnung oder Warnpflicht auslösen (RIS-Justiz RS0023607). Von einem durchschnittlichen sorgfältigen Fußgänger könnte daher auch bei der Benutzung von ebenfalls der Massenbeförderung im innerstädtischen Bereich dienenden Schnellbahnen erwartet werden, dass er beim Ein- und Aussteigen die (bei Garnituren des alten Typus) vorhandenen Spaltbreiten von 24-28 cm problemlos bewältigt vergleiche OLG Wien 14 R 233/00p; vergleiche Kunschert aaO Rn 49 unter Hinweis auf die Entscheidung des OLG Hamm, NZV 99, 467: Der infolge Unaufmerksamkeit erfolgte Sturz eines Fahrgastes in den 31 cm breiten Spalt zwischen Tür und Bahnsteigkante begründete keine Gefährdungshaftung).

Der Unfall der Klägerin ist auch nicht mit dem zu 2 Ob 262/06b entschiedenen Fall vergleichbar; dieser betraf zwar ebenfalls das Abrutschen eines Fahrgastes in den Freiraum zwischen Waggon und Bahnsteig, allerdings betrug der Abstand zwischen einem Wagen der Linie U6 und der Bahnsteigkante 50 bis 60 cm, weshalb schon der geringste Fehltritt beim Ein- und Aussteigen den Sturz eines Fahrgastes in den Gleistrog zur Folge haben konnte und auch hatte.

5. Dieses Ergebnis wäre aber nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich tatsächlich - wie von der Klägerin behauptet - schon in der Vergangenheit in älteren U-Bahnstationen mit bauartbedingten größeren Spaltbreiten ähnliche Vorfälle ereignet haben vergleiche 2 Ob 262/03y = ZVR 2005/34). War nämlich die Gefahr des Abrutschens aufgrund vergleichbarer Vorfälle in der Vergangenheit für die verkehrssicherungspflichtige Betriebsunternehmerin erkennbar, wären zusätzliche Sicherungsmaßnahmen in zumutbarem Ausmaß (wie sie auch in der Folge veranlasst wurden) indiziert gewesen. Zu diesem Thema hat das Erstgericht aber keine ausreichend konkreten Feststellungen getroffen, welche eine rechtliche Wertung, ob es sich dabei um vergleichbare oder ähnliche, zu weiteren Sicherungsmaßnahmen verpflichtende Vorfälle handelte, zuließen. Wirft die Revision in diesem Zusammenhang dem Berufungsgericht einen Verfahrensmangel durch Nichtübernahme erstinstanzlicher Feststellungen vor, sind diese Ausführungen als Geltendmachung sekundärer Verfahrensmängel inhaltlich der rechtlichen Beurteilung und nicht dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit zuzuordnen. Die vorinstanzlichen Entscheidungen waren somit im spruchgemäßen Umfang aufzuheben.

Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren jene Vorfälle, die sich nach dem Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit dem Abrutschen von Fahrgästen in derartige Spaltbreiten ereignet haben, konkret zu beschreiben haben. Um das Kriterium der „Vergleichbarkeit" oder „Ähnlichkeit" derartiger Ereignisse mit dem Unfall der Klägerin zu erfüllen, kann es entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht auf die Übereinstimmung sämtlicher Details des Unfallherganges ankommen, etwa ob Kinder oder von Statur und Alter her mit der Klägerin vergleichbare Erwachsene betroffen waren oder sich der Unfall beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraph 52, ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2007:0020OB00265.06V.0118.000