Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

17.02.2005

Geschäftszahl

6Ob224/04s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Reinhard G*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichischer Rundfunk, 1136 Wien, Würzburggasse 30, vertreten durch Korn Frauenberger Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung kreditschädigender Behauptungen, Widerruf, Veröffentlichung des Widerrufs und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Mai 2004, GZ 2 R 33/04v-20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. November 2003, GZ 24 Cg 80/03p-13, teilweise bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 812,52 EUR (darin enthalten 135,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Hält der Oberste Gerichtshof entgegen dem ihn nach Paragraph 508 a, Absatz eins, ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts die Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO für nicht zulässig, kann sich die Begründung der Entscheidung auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (Paragraph 510, Absatz 3, letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht begründete seinen gemäß Paragraph 508, Absatz 3, ZPO im Sinn einer Zulässigkeit der Revision geänderten Zulässigkeitsausspruchs damit, dass kein Sachverhalt vorliege, der mit einem bereits vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Sachverhalt vergleichbar sei und der Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung sei, ob Veröffentlichungen in anderen Medien bei der Frage der Identifizierung des von einer ehrenrührigen Behauptung Betroffenen außer Betracht zu bleiben hätten oder dem jeweiligen Medien eine Teilidentifikation anzulasten sei.

Es ist zwar richtig, dass in den veröffentlichten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Graz, 9 Bs 479/94 (MR 1995, 91) und des Oberlandesgerichts Wien, 18 Bs 315/95 (MR 1995, 220) in Strafverfahren nach dem Mediengesetz die Ansicht vertreten wurde, dass die Eignung einer Publikation, die zur Identifizierung einer durch Äußerungen im Sinn der Paragraphen 6, ff MedienG betroffenen Person losgelöst von früheren Veröffentlichungen in anderen Medien und grundsätzlich (außer bei „ständig" in Medien präsenten Personen) nur nach dem Kontext der jeweils gegenständlichen Veröffentlichung zu prüfen sei (so auch Brandstetter/Schmid, Kommentar zum Mediengesetz², Paragraph 7 a, Rz 8). Im Schrifttum wurde dieser Grundsatz aber teilweise auch dahin eingeschränkt, dass anderes zu gelten habe, wenn sich die Identifizierung aus einer Berichterstattung in verschiedenen Medien ergebe, die in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stattgefunden und damit das Vorverständnis des Medienkonsumenten geprägt habe (Berka/Höhne/Noll/Polley, Mediengesetz, Vor Paragraphen 6 bis 8a Rz 28; Hager/Zöchbauer, Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht4 51). Eine nähere Erörterung der Frage, ob der Inhaber eines bestimmten Mediums haftet, wenn der Betroffene nur durch eine Zusammenschau verschiedener Medienberichte zu erkennen ist oder vom Medienpublikum aufgrund vorangehender Berichte im Sinn der kreditschädigenden Äußerungen ohnehin bereits „vorverurteilt" wurde, kann hier aber aus folgenden Erwägungen auf sich beruhen:

Für die persönliche Betroffenheit des Einzelnen ist die Namensnennung nicht erforderlich. Es reicht hin, wenn die Identifizierbarkeit nur für einige mit dem Betroffenen in Kontakt stehende Personen besteht. Der Frage, wieviele Personen die Identifizierung vornehmen können, ist die Frage vorgelagert, ob eine Identifizierung überhaupt möglich ist. Bei Bejahung letzterer Frage ist aber die persönliche Betroffenheit und die in Paragraph 1330, ABGB geforderte Öffentlichkeit (Verbreitung) gegeben (SZ 72/39; SZ 73/117). Ob letztere Frage zu bejahen ist, hängt von der Auslegung der Äußerung ab, die nach dem Verständnis des maßgerechten Durchschnittsmenschen vergleiche Paragraph 1297, ABGB) oder, anders formuliert, nach der Auffassung eines nicht unbeträchtlichen Teils des Durchschnittspublikums vorzunehmen ist (SZ 72/39). Entscheidend ist die Möglichkeit, dass die genannten, sich auf eine bestimmte Person beziehenden Merkmale zu dem Bekanntwerden geführt haben. Die abstrakte Gefährdung genügt (Hager/Zöchbauer aaO 51).

Es ist daher im Gegensatz zu den Ausführungen der Revision nicht maßgebend, wieviele Zeugen ein von einer ehrenrührigen Äußerung Betroffener auftreiben kann, die glaubhaft aussagen, sie hätten ihn tatsächlich (nur) aufgrund der Berichterstattung in einem bestimmten Medium identifiziert. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob sich die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe schon vor einer bestimmten Veröffentlichung in dessen sozialem Umfeld herumgesprochen haben. Abgesehen davon, dass nach dem vom Berufungsgericht ausdrücklich auch insoweit übernommenen Feststellungen des Erstgerichts, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, ohnehin zwei der vom Kläger geführten Zeugen (Anna B***** und Wolfgang S*****) nur aufgrund der Gestaltung der Fernsehsendung und nicht im Zusammenhang mit den vorangehenden Zeitungsberichten den Kläger als Betroffenen identifizierten, kann in der schon vom Erstgericht vertretenen Ansicht, dass der Kläger zumindest für Bekannte und Geschäftspartner auch ohne Vorinformation als von den Vorwürfen Betroffener (im aufgezeigten abstrakten Sinn) erkennbar gewesen sei, keine aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden. Deshalb ist auch das Argument des Revisionswerbers verfehlt, ihn treffe kein Verschulden, weil der Verbreiter der Sendung weder wisse noch wissen müsse, ob oder inwieweit der Betroffene infolge der Berichterstattung in anderen Medien erkennbar sei. Zudem entbehrt die Behauptung, der Beklagte habe nichts von den vorangehenden Zeitungsberichten gewusst, im konkreten Fall jeder Aktengrundlage, wurden doch Schlagzeilen dieser Zeitungsberichte auf einer Videowall während der Sendung eingeblendet.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen konnte zwar der Kläger für Zeitungsleser aus seinem privaten und beruflichen Umfeld schon aufgrund der dort jeweils angeführten Identifikationsmerkmale als Betroffener festgestellt werden. Die Berichterstattung in der Fernsehsendung ging aber entscheidend über jene in den Zeitungsartikeln hinaus. Selbst der Umstand, dass allenfalls ein Großteil des die Sendung verfolgenden Fernsehpublikums aus dem Umfeld des Klägers durch Zeitungsberichte „vorinformiert" war, ändert nichts an der Verantwortlichkeit des Beklagten für die Verbreitung der dem Klagebegehren entsprechenden rufschädigenden Äußerungen über den Kläger. Es mag sich zwar aufgrund der plakativen Berichterstattung und des öffentlichen Aufsehens des Falles herumgesprochen haben, dass eine entsprechende Verdachtslage gegen den Kläger bestand. Es steht aber nicht fest, dass die Medienkonsumenten schon aufgrund der der Sendung vorangehenden Medienberichte davon ausgingen, der Kläger habe sich tatsächlich an dem in der Fernsehsendung zu Wort kommenden Jugendlichen vergangen und diesen zudem massiv bedroht („Gewehre, Salzsäure"). Eine solche „Vorverurteilung" durch eine öffentliche Äußerung oder Berichterstattung ist dem Urheber oder Verbreiter auch anzulasten, wenn der Bekanntenkreis des Betroffenen schon aus anderen Quellen von der bestehenden Verdachtslage gegen eine bestimmte, als solche identifizierbare Person wusste, wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung SZ 73/117 zum Ausdruck gebracht hat.

Ein wahrheitsgemäßer und neutraler Bericht über eine bestehende Verdachtslage, die im bezeichneten Umfang im Zeitpunkt der Berichterstattung tatsächlich existierte, ist zwar nicht tatbestandmäßig im Sinn des Paragraph 1330, ABGB vergleiche RIS-Justiz RS0102056). Hier hat der Interviewpartner der Moderatorin nicht bloß einen gegen den Kläger bestehenden Verdacht geäußert, sondern ihn zumindest sinngemäß beschuldigt, konkrete Straftaten tatsächlich verübt zu haben. Unter den Begriff des „Verbreiters" im Sinn des Paragraph 1330, Absatz 2, ABGB fällt jede Mitteilung einer Tatsache, demnach auch die bloße Weitergabe einer kreditschädigenden Behauptung eines Dritten (RIS-Justiz RS0031781). Die Haftung des Medieninhabers für rufschädigende Äußerungen Dritter, die im Wesentlichen kommentarlos und im Rahmen eines sogenannten Meinungsforums verbreitet werden, kann zwar bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen verneint werden (SZ 72/144; SZ 74/204). Die Ansicht der Vorinstanzen, dass hier aber aufgrund der gesamten Aufmachung der Sendung (unter anderem wurde ein Insert mit dem Text, der Interviewte habe „Unvergessliches ertragen" müssen und ein Spendenaufruf für ihn eingeblendet) und die Art der „Fragestellung" der Moderatorin an den als „Opfer" des Klägers dargestellten Interviewten von einer neutralen Weitergabe der Äußerungen eines Dritten keine Rede sein könne, sondern beim Fernsehpublikum trotz des Hinweises der Moderatorin auf die Stellungnahme des Strafverteidigers des Klägers, dass dieser unschuldig sei, der Eindruck vermittelt worden sei, der Kläger habe die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen, ist nicht zu beanstanden. Bei Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung kommt es auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung an; maßgebend ist das Verständnis des durchschnittlichen Medienkonsumenten (RIS-Justiz RS0031883). Eine diese Grundsätze missachtende Fehlbeurteilung der besonderen Umstände dieses Einzelfalls liegt nicht vor.

Gemäß den Paragraphen 41, und 50 Absatz eins, ZPO hat der Beklagte dem Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung, die aufgrund ihrer Ausführungen zur Unzulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, zu ersetzen.