Gericht

AUSL EGMR

Entscheidungsdatum

09.01.2001

Geschäftszahl

Bsw29271/95

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Hans Dichand, Krone-Verlag GmbH & Co KG und Krone-Verlag GmbH gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 9.1.2001, Bsw. 29271/95.

Spruch

Paragraph 1330, ABGB, Artikel 10, EMRK - Kritik an einem Politiker wegen seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Freiheit der Meinungsäußerung. Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der ErstBf. ist Chefredakteur und Herausgeber der „Neuen Kronen-Zeitung". Die ZweitBf., eine Kommanditgesellschaft, ist die Medieninhaberin dieser Zeitung. Die DrittBf. ist Komplementär der ZweitBf. Die Bf. gehören zu einer großen Mediengruppe, die in starkem Wettbewerb mit einer anderen Gruppe steht. Letztere wird von Rechtsanwalt M.G. vertreten. M.G. war von 1982 bis 1987 Generalsekretär der ÖVP und von 1983 bis 1995 Abgeordneter zum Nationalrat. Zwischen 1987 und 1995 war er Vorsitzender des Justizausschusses. Von 1989 bis Juli 1995 vertrat er den Konkurrenten der Bf. in einigen Verfahren über unlauteren Wettbewerb gegen Gesellschaften, die zur Mediengruppe der Bf. gehören. Im Juni 1993 schrieb der ErstBf. unter dem Pseudonym „Cato" folgendes in der „Neuen-Kronen Zeitung":

"Moral 93

Roland Dumas war, bevor er Frankreichs Außenminister wurde, einer der bekanntesten und erfolgreichsten Rechtsanwälte Europas. Er verwaltete zum Beispiel das gigantische Erbe Picassos, vertrat Kreisky und einen österreichischen Außenminister, als dieser in eine arge Affäre geraten war. Für Dumas war es ganz selbstverständlich, dass er sein Rechtsanwaltsbüro aufgeben musste, als er in die Regierung eintrat. Überall in der Welt wird dies in Demokratien so gehalten. Nur der offenbar mit einer Büffelhaut ausgestattete Rechtsanwalt Dr. M.G. denkt nicht daran, sich nach solchen Moralbegriffen zu richten. So kam es, während er im Justizausschuss des Parlaments den Vorsitz hatte, zur Veränderung eines Gesetzes, wodurch der Zeitungsverlag, den M.G. rechtsanwaltlich vertritt, große Vorteile hatte. Damit in solchen Fällen nicht ein bestimmter Verdacht entstehen kann, der keineswegs begründet sein muss, gibt es eben die weise Regel der Unvereinbarkeit; ein Anwalt darf nicht an der Entstehung von Gesetzen beteiligt sein, die seinen Mandanten Vorteile bringen. Das dachte man auch in der ÖVP, und man entschloss sich, M.G. ins Gewissen zu reden. Vergeblich! Es sagt einiges über den Zustand der ÖVP aus, dass sie sich gegen M.G. nicht durchsetzen konnte. Den anderen Parteien kann es nur recht sein, wenn sich in so brutaler Offenheit zeigt, wie ohnmächtig die Volkspartei gegenüber einem Funktionär ist, der seine eigene Moral hat. Sogar in unserem Monopol-Fernsehen durfte er seine anrüchige Haltung vertreten. M.G. meinte, es würde nur Angst vor der 'Kronen Zeitung' signalisieren, berufe man ihn im Justizausschuss ab. Nicht vor der 'Krone' braucht die ÖVP Angst zu haben, sondern vor ihren Wählern, die sich weiter von ihr abwenden werden, wenn sie sich als unfähig erweist, in der eigenen Partei Ordnung zu machen; wie sollte man da das Vertrauen haben, es könne ihr im Staat gelingen ... Cato."

M.G. brachte daraufhin beim Handelsgericht Wien eine Klage nach Paragraph 1330, ABGB ein. Er beantragte, dass die Bf. die Behauptung zu unterlassen hätten, der M.G. denke nicht daran sich nach Moralbegriffen zu richten, wie sie in Demokratien auf der ganzen Welt gelten, nämlich eine Rechtsanwaltskanzlei aufzugeben, falls man Mitglied der Regierung wird[1]. Des weiteren hätten die Bf. die Behauptung zu unterlassen, M.G. sei an der Entstehung von Gesetzen beteiligt, die seine Mandanten bevorzugen würden und dass er seine anrüchige Haltung sogar im Fernsehen vertreten durfte. Am 9.7.1993 erließ das Handelsgericht Wien eine einstweilige Verfügung und am 9.9.1994 schließlich ein Urteil zugunsten von M.G. Eine Berufung an das OLG Wien wurde von diesem am 15.12.1994 abgewiesen. Eine außerordentliche Revision wurde vom OGH am 9.3.1995 zurückgewiesen. Der OGH führte aus, dass solche Vorwürfe jedenfalls (auch) Ehrenbeleidigungen iSd. Paragraph 1330, (1) ABGB sind, verletzen sie doch die Personenwürde von M.G., indem sie diesen nicht nur in die Nähe eines kriminellen Amtsmissbrauches rücken, sondern ihm auch unterstellen, dass er sich über die weltweit gültigen demokratischen Moralbegriffe durch Weiterführung seines Rechtsanwaltsbüros trotz Übernahme einer staatspolitischen Funktion hinwegsetze. Es komme bei der Beurteilung der Frage, ob „Tatsachen" verbreitet werden, auf den Gesamtzusammenhang und den damit vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung an. Ist aber die kreditschädigende Tatsachenbehauptung zugleich eine Ehrenbeleidigung, dann hatte der betroffene Kläger nur die Tatsachenverbreitung zu beweisen. Der Wahrheitsbeweis ist der Beklagten aber nicht gelungen. Der OGH hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen, auch wenn sie im Zuge eines (politischen) Meinungsstreites begangen wird, das Maß einer zulässigen (politischen) Kritik überschreitet und auch im Wege einer umfassenden Interessenabwägung oder mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertig werden kann.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Die Bf. behaupten eine Verletzung von Artikel 10, EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung).

Die Reg. räumt ein, dass ein Eingriff in das Recht der Bf. auf Meinungsäußerungsfreiheit vorliegt. Dieser Eingriff sei aber nach Artikel 10, (2) EMRK gerechtfertigt. Er war gesetzlich vorgesehen (Paragraph 1330, ABGB) und verfolgte einen legitimen Zweck, nämlich den Schutz des Rufes oder der Rechte anderer.

Dies wird von den Bf. bestritten. Erstens sei der Eingriff nicht gesetzlich vorgesehen, da er wegen der kasuistischen und verwirrenden Rechtsprechung zu Paragraph 1330, ABGB nicht vorhersehbar war. Die beanstandeten Äußerungen wurden von den Gerichten als Tatsachenäußerungen qualifiziert, obwohl sie nach der Rechtsprechung des GH Werturteile seien. Auch verfolgte der Eingriff keinen legitimen Zweck, da Herr M.G. ein Politiker sei und daher die Grenzen akzeptabler Kritik weiter gesteckt seien. Auch sei der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen. Der GH stellt fest, dass der Fall komplexe Sach- und Rechtsfragen aufwirft und erklärt die Bsw. gemäß Artikel 35, (3) EMRK für zulässig (einstimmig).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 9.1.2001, Bsw. 29271/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 2001, 13) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/01_1/Krone.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.