Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

16.02.2000

Geschäftszahl

7Ob317/99i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard F*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 162.781,74 sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse S 148.231,74 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 23. Juni 1999, GZ 3 R 5/99a-39, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 29. September 1998, GZ 20 Cg 288/96d-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.370,-- (darin enthalten S 1.395,-- USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erklärte bei Ankauf des Hauses L*****, V*****straße ***** im Jahre 1993 auf eine Aufkündigung der dafür bei der beklagten Partei bestehenden Versicherungsverträge, ua einer noch bis 1. 1. 2002 laufenden Leitungswasserschadenversicherung zu verzichten.

Am 1. 2. 1994 stellte die Klägerin an die Beklagte über den seit 19 Jahren für diese tätigen Versicherungsvermittler Dr. Franz W***** den Antrag auf Abschluss einer ua auch eine Leitungswasserschadenversicherung umfassenden Bündelversicherung, die die bestehende Leitungswasserschadenversicherung ersetzen sollte. Über ausdrückliches Anraten des Versicherungsvermittlers sollte es sich dabei um eine Neuwertversicherung handeln, weil damit im Schadensfall "alles ersetzt würde". Wäre die Klägerin aufgeklärt worden, dass sie (im Schadensfall) lediglich den Zeitwert ersetzt bekomme, hätte sie den Antrag nicht gestellt. Im verwendeten Formular der beklagten Partei wurde darauf hingewiesen, dass der Antrag zu den behördlich genehmigten Versicherungsbedingungen erfolge. Die beklagte Partei nahm den Antrag auf Abschluss der Bündelversicherung an (wobei der Polizze zu entnehmen ist, dass eine Wertanpassung an den Baukostenindex vorzunehmen ist, und dazu der Buchstabe "N" angeführt wird). Der Leitungswasserschadenversicherung wurden die Allgemeinen Bedingungen für Versicherungen gegen Leitungswasserschäden, Fassung 1986 (AWB 1986) zugrundegelegt, deren Artikel 8, auszugsweise wie folgt lautet:

"(1) Der Ermittlung der Ersatzleistung wird unbeschadet der Bestimmung des Artikel 10, ABS der Versicherungswert zur Zeit des Eintritts des Schadenfalles (Ersatzwert) zugrundegelegt, bei beschädigten Sachen der Unterschied zwischen diesem Wert und dem Wert der Reste, bei dessen Ermittlung die Verwendbarkeit der Reste für die Wiederherstellung zu berücksichtigen ist...

(2) Als Ersatzwert gelten

a) bei Gebäuden der ortsübliche Neubauwert; ....

(4) Ist der Zeitwert einer Sache niedriger als 40 vH des Neuwertes, so gilt als Ersatzwert der Zeitwert (siehe Absatz 5,).

(5) Als Zeitwert gelten die Wiederherstellungs- bzw die Wiederbeschaffungskosten unter billiger Berücksichtigung des aus dem Unterschied zwischen alt und neu sich ergebenden Minderwertes.

Auf diesen Artikel der AWB 1986 wurde die Beklagte bei Antragstellung (von Dr. Franz W*****) nicht aufmerksam gemacht.

Im Mai 1994 kam es im ersten Stock des versicherten Objekts, dessen Zeitwert damals 27 % des Neuwerts betrug, zu einem Wasserrohrbruch, der Schäden im Gesamtausmaß von S 200,591,65 verursachte. Die Beklagte zahlte der Klägerin S 49.810,-- und meinte, damit ihrer Verpflichtung aus der Leitungswasserschadenversicherung entsprochen zu haben.

Die Klägerin begehrte mit der Klage den Zuspruch des von ihr mit S 162.781,74 angenommenen Differenzbetrages zum tatsächlich erlittenen Schaden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, für die Ermittlung des Ersatzanspruchs sei der in Artikel 8, Absatz 4, AWB 1986 angegebene Wert maßgeblich. Da der Zeitwert des versicherten Gebäudes unter 40 % des Neuwertes liege, hätte der Klägerin als Ersatzleistung nur ein verhältnismäßiger Teil der Reparaturkosten in Höhe von S

45.133 gebührt. Da S 49.810,-- bezahlt worden seien, habe die Klägerin keine Ansprüche mehr.

Die Klägerin erwiderte, sie habe mit der Beklagten in Ansehung der Leitungswasserschadensversicherung eine Neuwertversicherung abgeschlossen; von der Bestimmung des Artikel 8, Absatz 4, AWB 1986 sei man einvernehmlich abgegangen. Im übrigen wäre der Versicherungsvermittler der Beklagten verpflichtet gewesen, sie auf diese Bestimmung hinzuweisen.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin S 152.581,74 sA zu zahlen. Das Mehrbegehren von S 10.200,-- sA (betreffend einen behaupteten Mietausfall, der nicht verifiziert wurde) wurde rechtskräftig abgewiesen. Das Erstgericht folgerte rechtlich, da zwischen den Streitteilen eine Neuwertversicherung abgeschlossen worden sei, die Beklagte habe der Klägerin ihren Schaden von S 200.591,74 - zuzüglich eines Mietausfalls von S 1.800,-- abzüglich des bereits bezahlten Betrages von S 49.810,-- - zu ersetzen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese nur von der beklagten Partei im Umfang des Zuspruchs von S 148.231,74 sA angefochtene Entscheidung (der Zuspruch von S 4.350,-- erwuchs unbekämpft in Rechtskraft). Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ein bestehender Versicherungsvertrag könne durch nachträgliche Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb der Grenzen des zwingenden Rechts beliebig abgeändert werden, und zwar nach den bei Vertragsabschluss geltenden Regeln. Auch im Zusammenhang mit einer Vertragsänderung bestünden daher vorvertragliche Aufklärungs- und Informationspflichten, deren Verletzung den Versicherer insofern ersatzpflichtig mache, als er dem Versicherungsnehmer die nicht erwartete Deckungslücke auszugleichen habe. Daran zweifle die Beklagte an sich auch gar nicht, sondern wende sich nur gegen die Schadensursächlichkeit des ihr zuzurechnenden Verhaltens ihres Abschlussvertreters und auch gegen die Nichtberücksichtigung eines Eigenverschuldens der Klägerin. Zur Schadensursächlichkeit sei der Beklagten zu entgegnen, dass der Versicherungsnehmer, der sich - entgegen seinen Vorstellungen über den Umfang der Versicherung - plötzlich mit einer unerwarteten Deckungslücke konfrontiert sehe, im Ergebnis so zu stellen sei, als wäre er von Anfang an entsprechend seinen Deckungserwartungen "richtig" versichert. Dies bedeute, dass die Beklagte der Klägerin jenen Mehrbetrag zu ersetzen habe, den sie im Falle des tatsächlichen Abschlusses einer Neuwertversicherung (also unter Vernachlässigung der im Artikel 8, AWB 1986 normierten Ersatzwertberechnung) anstelle des Zeitwertes erhalten hätte. Soweit die Beklagte geltend mache, dass die Klägerin auch auf der Grundlage des von ihr unkündbar übernommenen (bis zum 1. 1. 2002 bindenden) Versicherungsvertrages die Bestimmung des Artikel 8, AWB 1986 gegen sich hätte gelten lassen müssen, dass also das Nichtzustandekommen der Vertragsänderung (wegen mangelnder Willensübereinstimmung) keine Änderung ihrer Deckungslage bewirkt habe, sei dies für die Kausalitätsfrage unbeachtlich. Den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens habe die Beklagte gar nicht erhoben. Wenn aber feststehe, dass die Klägerin auf Grund des rechtswidrigen Verhaltens des Vertreters der Beklagten in der berechtigten Erwartung einer Neuwertversicherung habe sein können, dann reiche dies zum Nachweis der Ursächlichkeit der Fehlinformation für den Entgang des Versicherungsschutzes im Umfange der Differenz zwischen Neuwert und Zeitwert, also das Erfüllungsinteresse, aus. Der möglicherweise zutreffende Einwand eines Eigenverschuldens der Klägerin sei nicht zu beachten, weil ein Mitverschuldenseinwand des hiefür behauptungs- und beweispflichtigen Schädigers schon im Verfahren erster Instanz erfolgen hätte sollen; ein diesbezügliches Tatsachenvorbringen sei von der Beklagten aber nicht erstattet worden.

Zur Begründung seines Zulassungsausspruches führte das Berufungsgericht aus, zur Frage des Kausalitätsbeweises und der Schadensbemessung in einem Fall wie dem vorliegenden fehle eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes.

Die Revision der beklagten Versicherung ist zwar, wie die nachfolgenden Erörterungen zeigen werden, zulässig; sie ist aber - jedenfalls im Ergebnis - nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin hat ihr Begehren in der Klage zunächst auf den (neuen bzw geänderten) Versicherungsvertrag und später auch auf den Titel des Schadenersatzes (erkennbar: auf culpa in contrahendo wegen Verletzung von Aufklärungs- und Informationspflichten durch den der beklagten Partei zuzurechnenden Versicherungsvermittler Dr. W*****) gestützt. Das Erstgericht hat in seiner rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts zwar vorerst die zu 7 Ob 2224/96a (= SZ 70/15) dargelegten Grundsätze zur Schadenersatzpflicht des Versicherers wiedergegeben, der - auch durch Hilfspersonen - seine Aufklärungspflichten gegenüber dem daher im Irrtum über den Deckungsumfang befindlichen Versicherungsnehmer verletzen kann; dann jedoch hat das Erstgericht - ohne dies weiter zu erläutern - das Zustandekommen einer Neuwertversicherung (dh ohne die Einschränkung des Artikel 8, Absatz 4, AWB) angenommen. Das Berufungsgericht hat hingegen, offenbar wegen Dissens vom Nichtzustandekommen eines modifizierten Versicherungsvertrages ausgehend, den vorliegenden Rechtsfall ausschließlich nach schadenersatzrechtlichen Aspekten untersucht. Auf die Ausführungen, mit denen die Revisionswerberin vor allem dartun will, dass sich der Schadenersatzanspruch der Klägerin nur auf das negative Vertragsinteresse beschränke, der Klägerin also nur ihre im Vertrauen auf das Zustandekommen des im Februar 1994 beantragten Versicherungsvertrages erwachsenen Mehraufwendungen zu ersetzen seien, muss nicht mehr eingegangen werden, weil es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes zwischen den Streitteilen zum Abschluss der von der Klägerin beantragten (Neuwert-)Leitungswasserschadenversicherung sohin ohne Zugrundelegung des Artikel 8, Absatz 4, AWB gekommen ist.

Da sowohl die Parteien, als auch die Vorinstanzen den seit 19 Jahren für die Beklagte tätigen (s: Ersturteil S 4 = AS 241) Versicherungsagenten Dr. Franz W***** (der lt Beilage 3 sogar eine Stampiglie mit der Firma der beklagten Partei verwendete) wiederholt als "Abschlussvertreter" bezeichnen, ist vorweg klarzustellen, dass der Genannte nach der Aktenlage (und offenbar ohnehin auch nach dem Verständnis aller Beteiligten) nicht als Abschlussagent iSd Paragraph 45, VersVG, sondern (lediglich) als Vertragsvermittler iSd Paragraph 43, Absatz 2, VersVG anzusehen ist.

Der Oberste Gerichtshof hat sich in seiner Entscheidung zu 7 Ob 270/98a (= EvBl 1999/156) unter Abgehen von seiner bisherigen Rechtsprechung mit eingehender Begründung den Argumenten von Wilhelm (JBl 1986, 179 ff) und Lorenz (Die Haftung des Versicherers für Auskünfte und Wissen seiner Agenten, 196 f) angeschlossen; ausgehend davon, dass der Zugang an den Agenten wegen dessen Empfangsbotenschaft zugleich den Zugang an den Versicherer bewirkt, wurde ausgesprochen, dass ab Zugang des Versicherungsantrags beim Versicherungsagenten und damit beim Versicherer, diesen als Erklärungsempfänger das Risiko falscher oder unvollständiger Übermittlung trifft.

An der, in 7 Ob 270/98a vertretenen Auffassung ist aus den dort dargetanen Gründen festzuhalten. Die dort vorgetragenen Argumente werden auch noch durch die Novellierung (Ergänzung) des Paragraph 44, in der derzeit geltenden Fassung Bundesgesetzblatt Nr 509 aus 1994,) augenfällig unterstützt:

wurde doch ausdrücklich normiert, dass sich der Versicherer die Kenntnisse eines bloßen Vermittlungsagenten (jedenfalls - vergleiche Fenyves, Zum Ministerialentwurf einer VersVG-Novelle 1994, VR 1994, 54 [55 f]) dort zurechnen lassen muss, wo dieser kraft seiner Vollmacht gemäß Paragraph 43, Absatz eins, VersVG zur Entgegennahme von Versicherungsanträgen befugt ist; maW gilt der Ausschluss der Wissenszurechnung nicht für Erklärungen des Versicherungsnehmers, zu deren Entgegennahme der Vermittlungsagent gemäß Paragraph 43, VersVG bevollmächtigt war (Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 103). Zwar ist Paragraph 44, VersVG nF erst am 1. 1. 1995 - und damit nach dem gegenständlichen Antrag bzw Vertragsschluss - in Kraft getreten, nach den Gesetzesmaterialien sollte damit aber lediglich eine bereits bestehende - aber strittige vergleiche Fenyves, der aaO vom "dornigen Problem der Wissenszurechnung bei bloßen Vermittlungsagenten" spricht) - Rechtslage klargestellt werden (RV 1553 NR 18. GP 22; vergleiche Schauer aaO).

Trifft also, wie dargelegt, den Versicherer das Risiko falscher oder unvollständiger Übermittlung von Versicherungsanträgen, so hat dies zur Folge, dass dann, wenn wie hier der Antrag des Versicherungsnehmers auf Abschluss des Versicherungsvertrages gegenüber bzw im Zusammenwirken mit dem Versicherungsagenten mündlich ergänzt wurde, ohne dass die Ergänzung zur Kenntnis des Versicherers gelangt ist, die Absätze 2 und 3 des Paragraph 5, VersVG dennoch gelten bzw anzuwenden sind vergleiche Prölss/Martin VVG26 Rz 15 zu Paragraph 5,). Danach ist, weil in diesen Fällen ein Vorgehen des Versicherers iSd Absatz 2, leg cit ja nicht erfolgen wird bzw nicht erfolgen kann, gemäß Absatz 3, leg cit der - mündlich ergänzte - Inhalt des Versicherungsantrags als vereinbart anzusehen.

Für den vorliegenden Rechtsfall bedeutet dies, dass durch die ausdrücklich festgestellte Annahme des Antrags der Klägerin vom 1. 2. 1994 (die Klägerin hat im übrigen der Behauptung der Beklagten, ihr die Polizze übermittelt zu haben, gar nicht widersprochen, sodass schon deshalb von der Annahme des Antrags der Klägerin auszugehen wäre) ein Leitungswasserschadensversicherungsvertrag iSd mündlich sinngemäß dahin ergänzten Antrags geschlossen wurde, dass Artikel 8, Absatz 4, AWB 1986 nicht anzuwenden sei. Da sich die auf diese Bestimmung der AWB 1986 gestützte Ansicht der Beklagten, der Klägerin stehe als Ersatzwert nur der Zeitwert und nicht der Neuwert des Gebäudes zu, demnach als unberechtigt erweist, muss die Revision erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 41,, 50 ZPO.