Gericht

OLG Wien

Entscheidungsdatum

25.01.1999

Geschäftszahl

10Ra315/98m

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Schönthal als Vorsitzende, die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Dragostinoff und Dr. Predony sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Pöschmann und Mag.Susanne Dolzer in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Peter E. T*****, *****, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Rechtsanwalt in 3950 Gmünd, wider die beklagte Partei ***** Pressehaus, Druck- und Verlagsges.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Karl Haas und andere, Rechtsanwälte in St.Pölten, wegen Feststellung (Interesse S 30.000,--) und Leistung (S 1,337.767,10 brutto), über die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes Krems/Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 20.7.1998, 8 Cga 118/97s-16, nach mündlicher Berufungsverhandlung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Berufung wird F o l g e gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Arbeitsrechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Urteilsfällung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Das Verfahren vor dem Prozeßgericht ist erst nach eingetretener Rechtskraft dieses Beschlusses aufzunehmen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte die Feststellung, daß seine Tätigkeit (für die beklagte Partei) dem Angestelltengesetz und dem Kollektivvertrag für die bei österreichischen Wochenzeitungen angestellten Redakteure, Redakteursaspiranten und Reporter unterliege und daß die beklagte Partei ihm S 1,337.767,10 brutto an rückständigem Gehalt von September 1994 bis August 1997 zu bezahlen habe. Er brachte vor, er sei für die beklagte Partei seit März 1992 als Reporter tätig. Aufgrund seiner Verpflichtung zum persönlichen Arbeitseinsatz, der Kontrollunterworfenheit, der Fremdbestimmung und der hauptsächlichen Beistellung der erforderlichen Produktionsmittel durch die beklagte Partei liege eine Tätigkeit im Sinne des Angestelltengesetzes vor. Seinen Anspruch auf das restliche Gehalt stützte der Kläger erschließbar auf den oben genannten Kollektivvertrag.

Die beklagte Partei bestritt die Klagebegehren. Sie wandte die mangelnde Klagbarkeit der Ansprüche ein, weil der Kläger die nach dem Paragraph 49, des klagsgegenständlichen Kollektivvertrages zwingend vorgeschriebene Schlichtungsstelle nicht angerufen habe. Sie bestritt das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, weil in Anbetracht der mittlerweile gelösten Geschäftsbeziehung zwischen den Streitteilen und des Vorliegens eines umfassenden Leistungsbegehrens das Feststellungsbegehren entbehrlich sei. Im übrigen bestritt die beklagte Partei das Vorliegen eines unter den klagsgegenständlichen Kollektivvertrag fallenden Angestelltenverhältnisses und brachte vor, es habe sich lediglich um eine Werkvertragsverhältnis gehandelt. Schließlich seien die geltend gemachten Forderungen überhöht und nach dem Paragraph 33, des Kollektivvertrages mangels schriftlicher Geltendmachung bis zu dem der Leistung folgenden vierten Monat verfallen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht sowohl das Feststellungsbegehren als auch das Leistungsbegehren abgewiesen. Es traf die auf den Seiten 4 und 5 wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Daraus ist hervorzuheben, daß der Kläger das Gewerbe "Pressefotograf" angemeldet hat (Beilage ./1). In einem Fragebogen der beklagten Partei bekannte der Kläger ein, "ich besitze keinen Werkvertrag und liefere Beiträge und Fotos als Firma an Sie" (Beilage ./2).

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zur Auffassung, daß der Kläger vor der Klage die Konstituierung einer Schlichtungsstelle gemäß Paragraph 49, des klagsgegenständlichen Kollektivvertrages hätte beantragen müssen, weil es sich um eine Streitigkeit handle, die sich aus der Auslegung des Kollektivvertrages ergibt. Die Ansprüche seien daher (derzeit) nicht klagbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages im Ergebnis berechtigt.

Der Paragraph 49, des Kollektivvertrages für die bei österreichischen Wochenzeitungen angestellte Redakteure, Redakteursaspiranten und Reporter in seiner ab dem 1.5.1994 gültigen Fassung (im folgenden "Kollektivvertrag Wochenzeitungen") lautet:

"1. Alle Streitigkeiten, die sich aus der Auslegung dieses Kollektivvertrages ergeben, unterliegen einer Schlichtungsstelle. Vor Anrufung der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist die Konstituierung dieser Schlichtungsstelle von einem der beiden Streitteile zu beantragen. Der Antrag ist bei einer der beiden Kollektivvertragsparteien schriftlich in dreifacher Ausfertigung zu stellen und hat folgendes zu beinhalten:

Die genaue Bezeichnung der Parteien; ein bestimmtes Begehren mit Darstellung des Sachverhaltes und ausreichender Begründung; Angabe der Beweismittel.

2. Die Schlichtungsstelle wird gebildet aus je zwei vom Verband österreichischer Zeitungsherausgeber und Zeitungsverleger und der Gewerkschaft Kunst, Medien, Freie Berufe/Sektion Journalisten zu entsendenden Beisitzern, die einen rechtskundigen Vorsitzenden hinzuziehen. Jeder der Vertragspartner nominiert einen Kandidaten für den Vorsitz. Die Wahl erfolgt mit Stimmenmehrheit. Falls dies zu keinem Ergebnis führt, entscheidet das Los.

3. Die Schlichtungsstelle entscheidet mit einfacher Stimmenmehrheit.

4. Die Schlichtungsstelle hat sich unverzüglich nach ihrer Anrufung gemäß Absatz 2, zu konstituieren und unverzüglich nach ihrer Konstituierung zusammenzutreten. Konstituierung und Behandlung des anstehenden Falles können in einer Sitzung erfolgen. Jedenfalls darf durch das Schlichtungsverfahren eine allfällige Klagseinbringung beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht nicht ungebührlich verzögert werden."

Im Gegensatz zu den Schiedsvereinbarungen, die nach dem Paragraph 9, Absatz 2, ASGG grundsätzlich nur für bereits entstandene Streitigkeiten wirksam vereinbart werden können, werden Schlichtungsklauseln, welche die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens vor der Anrufung des Gerichtes vorschreiben, von dem Paragraph 9, Absatz 2, ASGG nicht berührt und sind daher grundsätzlich zulässig (Kuderna, ASGG2, Seite 107). Fraglich ist jedoch, ob derartige Schlichtungsklauseln auch durch bloße Aufnahme in Kollektivverträge wirksam sind.

Paragraph 2, Absatz 2, ArbVG lautet:

"(2) Durch Kollektivverträge können geregelt werden:

1. ....;

2. die gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer;

3. ...."

Die ältere Rechtsprechung ließ keinen Zweifel daran, daß Vereinbarungen über eine Schlichtungsklausel zu den normativen Bestimmungen eines Kollektivvertrages gehören und daher in diesem wirksam vereinbart werden können (Arb 5.418, 6.007, 6.528, 8.483 und 9.322).

Jedoch meldete bereits Kuderna, DRdA 1978,11, Zweifel an der Zulässigkeit der Anordnung eines obligatorischen Schlichtungsverfahren in kollektivrechtlichen Normen an. In der E vom 10.5.1983, 4 Ob 42/83 = RdW 1983,116, hat der Oberste Gerichtshof die Frage, ob eine Schlichtungsklausel dem normativen Teil eines Kollektivvertrages überhaupt angehören und eine mit normativer Kraft ausgestattete Inhaltsnorm bilden kann, ausdrücklich offengelassen. In ihren Glossen zu dieser Entscheidung haben sich Binder (RdA 1984,335; ebenso DRdA 1985,259) und Rummel (ZAS 1984,233) für die Zulässigkeit der Vereinbarung von Schlichtungsklauseln durch Kollektivverträge ausgesprochen. Auch die Lehre (Strasser, ArbVG Handkommentar, 27 und Arbeitsrecht2, römisch II, 111; Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht6, 97; Tomandl, Arbeitsrecht2, römisch eins, 107) befürwortet die Möglichkeit kollektivvertraglicher Schlichtungsklauseln.

Hingegen hat sich in jüngerer Zeit Jabornegg, Grenzen kollektivvertraglicher Rechtssetzung und richterlicher Kontrolle, JBl. 1990,205, mit überzeugenden Gründen der umfangreich dargelegten Meinung Kudernas angeschlossen, wonach Schlichtungsklauseln nicht von vornherein im Typus des Arbeitsvertrages angelegt seien und die notwendig eng auszulegende Bestimmung des Paragraph 2, Absatz 2, Ziffer 2, ArbVG keine hinreichende gesetzliche Ermächtigung für die Aufnahme von Schlichtungsklauseln in Kollektivverträge darstelle. In seiner Entscheidung vom 12.7.1995, 9 ObA 117/95, hat der Oberste Gerichtshof die Unzulässigkeit einer Schiedsklausel in kollektivvertraglichen Normen - insbesondere wegen Paragraph 9, Absatz 2, ASGG neuerlich bekräftigt, die Zulässigkeit der kollektivvertraglichen Anordnung eines obligatorischen Schlichtungsverfahren aber wiederum offengelassen.

Das Berufungsgericht schließt sich den oben dargestellten Meinungen Kudernas und Jaborneggs an, erachtet die Bestimmung des Paragraph 49, des Kollektivvertrages Wochenzeitungen für unwirksam und gelangt daher zu dem Ergebnis, daß eine Klagbarkeit der geltend gemachten Ansprüche gegeben ist. Dies betrifft sowohl das Leistungsbegehren, das von einer "Auslegung dieses Kollektivvertrages" (= "Anwendung dieses Kollektivvertrages") abhängig ist, als auch das Feststellungsbegehren, das ja nach dem Inhalt der begehrten Feststellung und nach dem Vorbringen des Klägers die Anwendbarkeit des Kollektivvertrages (und damit die Abhängigkeit des Begehrens von der Auslegung des Kollektivvertrages) voraussetzt.

Im fortzusetzenden Verfahren wird sich das Erstgericht eingehend mit den konkreten Umständen der Tätigkeit des Klägers und einer Geschäfts- bzw. Beschäftigungsbeziehung zur beklagten Partei durch Aufnahme der beantragten Beweise auseinanderzusetzen haben.

In Bezug auf das Feststellungsbegehren wird sich das Erstgericht auch mit dem Einwand der beklagten Partei über den Mangel des erforderlichen rechtlichen Interesses an der Feststellung (Paragraph 228, ZPO) insbesondere in Anbetracht der bereits beendeten Geschäfts- bzw. Beschäftigungsbeziehung auseinanderzusetzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.

Ein Rechtskraftvorbehalt war aufzunehmen, weil der Frage, ob in Kollektivverträgen Schlichtungsklauseln vereinbart werden können, erhebliche Bedeutung zukommt und das Berufungsgericht von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist.

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11