Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

30.01.1997

Geschäftszahl

8Ob2350/96p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr. Manfred Thorineg, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei A*****Verband *****, vertreten durch Dr. Hans Kortschak, Rechtsanwalt in Leibnitz, wegen eingeschränkt S 814.983,24 sA (Revisionsinteresse der klagenden Partei S 432.529,38 sA, der beklagten Partei S 382.453,86 sA) infolge außerordentlicher Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 17. Oktober 1996 , GZ 3 R 174/96z-28, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien werden gemäß Paragraph 508, a Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

Der Antrag der klagenden Partei auf Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, Satz 3 ZPO abgewiesen.

Text

Begründung:

Die klagende Partei errichtete über Auftrag der beklagten Partei in den Jahren 1990 und 1991 die Ortskanalisation im Bereich der Gemeinde S*****, bei der auch Arbeiten nahe der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien zu verrichten waren.

Sie begehrt von der beklagten Partei die Zahlung eines restlichen Betrages von S 814.983,24. Dieser Betrag setzt sich aus dem einbehaltenen Haftrücklaß in Höhe von S 382.453,86 sowie aus nicht beglichenen Teilbeträgen der Schlußrechnung von insgesamt S 432.529,38 zusammen; davon entfällt ein Betrag von S 313.775,73 auf angebliche Zusatzleistungen (Abtragung von unerwartet starken Asphaltdecken) und ein Betrag von S 61.684,- auf Entschädigungen für Stehzeiten.

Das Berufungsgericht sprach den Haftrücklaß zu und wies das restliche Klagebegehren ab.

Grundlage und Bestandteil des Auftrages war ein umfangreiches Konvolut verschiedener Vertragsbestimmungen, die für den Fall von Widersprüchen in folgender Reihenfolge gelten sollten:

a) Niederschrift betreffend die Vergabe vom 21.8.1990,

b) die "Besonderen Vertragsbestimmungen" für mit Mitteln des Wasserwirtschaftsfonds geförderte Bauvorhaben,

c) die "Besonderen Bedingnisse für die Ausführung siedlungswasserwirtschaftlicher Bauten" in der geltenden Fassung,

d) das Angebot des Auftragnehmers vom 13.7.1990,

e) das Projekt des Büros DI B***** betreffend das Baulos B, BA 03,

f) die Bestimmungen der in der Vergabeniederschrift angeführten Bescheide und Genehmigungen, soweit sie durch den Auftragnehmer wahrzunehmen sind,

g) ÖNORMEN idgF in der Reihenfolge gemäß ÖNORM B 2110, Pkt 2.2 (Fassung März 1983), sofern nichts anderes vereinbart war.

Rechtliche Beurteilung

Beide Parteien meinen, daß den hier relevanten Rechtsfragen schon deshalb erhebliche Bedeutung iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zuerkannt werden müsse, weil dieses Vertragskonvolut auch anderen nach dem Wasserbautenförderungsgesetz geförderten Projekten zugrundegelegt werde. Dies ist zwar richtig. Zutreffend ist auch, daß sich der Umfang dieses Vertragswerks daraus ergibt, daß den Bauverträgen spezielle Vertragsbedingungen zugrundegelegt wurden, die sich aus den Vergaberichtlinien für Förderungsmittel ergeben.

Dies führt aber nicht dazu, daß der Auslegung dieses Vertragskonvoluts über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zuzuerkennen wäre. Es kann nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes sein, ein derart unklares und widersprüchliches Vertragswerk auszulegen. Es ist nicht seine Sache, die Sorglosigkeit von in derartigen Angelegenheiten versierten Vertragsparteien in eigener Sache zu sanieren. Es wäre vielmehr Aufgabe der am Abschluß derartiger Bauverträge Interessierten, ein einheitliches Vertragswerk zu erstellen.

römisch eins. Zur außerordentlichen Revision der klagenden Partei im einzelnen:

1.) Die klagende Partei macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, daß oberstgerichtliche Rechtsprechung zu Bedeutung und Inhalt der ÖNORMEN, die dem Auftragnehmer Anspruch auf Kostenersatz im Fall von Behinderung (Verzögerung) gewähren, sowie deren Verhältnis zu Regelungen in den Ausschreibungsbedingungen mit widersprechendem bzw einschränkendem Inhalt fehle und diese Fragen vom Berufungsgericht unrichtig gelöst worden seien.

Die hier beanstandete Auslegung der einander widersprechenden und in sich unklar formulierten Bestimmungen über eine allfällige Entschädigung für Stehzeiten betrifft - abgesehen von den allgemeinen Überlegungen hiezu - jedenfalls einen Einzelfall; es handelte sich nämlich um eine vorübergehende Behinderung infolge von Kriegsereignissen im nahegelegenen Ausland; die Arbeiten an der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien mußten aus Sicherheitsgründen kurzfristig unterbrochen werden. Schon deshalb kann dahingestellt bleiben, ob sich die im Vertragswerk enthaltenen widersprechenden Regelungen über Behinderungen überhaupt auf derartige - der höheren Gewalt zuzuordnende - Ereignisse, die mit der Werkausführung an sich nichts zu tun haben, beziehen und welche Konsequenzen hieraus abzuleiten wären.

2.) Im Zusammenhang mit der - nicht zuerkannten - Nachtragsforderung wegen erhöhter Asphaltstärke war keine erhebliche Rechtsfrage zu lösen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen mußte auch mit einer Asphaltstärke von 38 cm und nicht nur einer von 19 cm gerechnet werden. Die einschlägige Position des Leistungsverzeichnisses umfaßt eindeutig das Aufbrechen des Straßenbelages "in jeder Belagstärke"; das Risiko, daß die zu entfernende Asphaltdecke dicker als 19 cm ist, übernahm damit zulässigerweise der Unternehmer, dem auch der Vorteil zukommen sollte, wenn die abzubrechende Schicht dünner als 19 cm ist und der Abbruch daher weniger als die erwarteten Kosten verursacht.

römisch II.) Zur außerordentlichen Revision der beklagten Partei im einzelnen:

Es kann aus den eingangs genannten Gründen auch nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes sein, die unklaren und sich widersprechenden Vertragsregelungen betreffend die förmliche Übernahme, den Lauf der Gewährleistungsfrist und die Fälligkeit des Haftrücklasses auszulegen.

Im übrigen ist auf die erst kürzlich ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 22.11.1995, 1 Ob 573/95, JBl 1996, 392, zu verweisen: Kann nicht einmal die bloße Erhebung von Mängelrügen die Übernahme hintanhalten, wenn der Besteller das Werk bestimmungsgemäß nützt, muß dies umsomehr gelten, wenn - wie hier - Mängel gar nicht geltend gemacht wurden. Hat der Werkbesteller das Werk schlüssig, insbesondere durch dessen Nutzung übernommen, ist mit diesem Zeitpunkt der Beginn des Laufes der Gewährleistungsfrist anzunehmen. Es kann dann ohne weiters davon ausgegangen werden, daß die ursprüngliche Vereinbarung, den Übergabszeitpunkt durch Fertigung eines von bestimmten Förmlichkeiten geprägten Übernahmsprotokolls zu fixieren, einvernehmlich abbedungen wurde. Der Werkbesteller kann sich daher in einem solchen Fall auf die Nichteinhaltung solcher Förmlichkeiten nicht berufen, sodaß sich die Auslegung dieser Bestimmungen schon deshalb erübrigt. Daraus folgt, daß das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum davon ausging, daß die Gewährleistungsfrist bereits vor Jahren zu laufen begonnen hat und zum Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz bereits verstrichen war.

Da der Haftrücklaß der Sicherung der Gewährleistungsansprüche dient (Pkt 2.29.3.3 ÖNORM A 2060 in der Fassung 1983), nicht aber dazu, einen allfälligen Schaden aus der Nicht- oder der verspäteten Gewährung von Förderungsmitteln abzudecken (Schadenersatzansprüche wurden im übrigen von der beklagten Partei ebensowenig wie Gewährleistungsansprüche geltend gemacht), besteht kein Anlaß, den Haftrücklaß zurückzubehalten; es kann daher dahinstehen, ob gewisse vereinbarte Förmlichkeiten, von der der Ablauf der Gewährleistungsfrist vereinbarungsgemäß abhängen sollte, eingehalten wurden, noch ist zu prüfen, ob die Nichteinhaltung dieser Förmlichkeiten die Fälligkeit des Haftrücklasses hinausschieben sollte.

Es waren daher die außerordentlichen Revisionen beider Teile sowie die nicht aufgetragene Revisionsbeantwortung der klagenden Partei zurückzuweisen.