Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

28.11.1996

Geschäftszahl

2Ob2376/96t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 8.Dezember 1988 geborenen Mohamed S*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Salem S*****, vertreten durch Dr.Friedrich Schulz, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 17.September 1996, GZ 44 R 655/96s-147, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 23.Mai 1996, GZ 3 P 2397/95g-142, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß aufgehoben; zugleich wird auch der Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Vater des minderjährigen Mohamed S***** ist auf Grund des Beschlusses vom 28.4.1995 zu monatlichen Unterhaltszahlungen von S 2.200,- auf der Basis einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von S 12.411,- verpflichtet.

Am 30.1.1996 beantragte er die Herabsetzung seiner Unterhaltsleistung auf S 800,- monatlich ab 1.1.1996, da die Firma S***** GmbH, bei der er Geschäftsführer gewesen sei, den Konkurs angemeldet habe. Er habe sich noch nicht früher arbeitslos gemeldet, weil er das Konkursverfahren abwarten habe wollen.

Diesen Antrag wies das Erstgericht mit Beschluß vom 21.2.1996 mit der Begründung ab, daß der Vater zumindest als Hilfsarbeiter monatlich durchschnittlich S 13.000,- verdienen könnte, wenn er sich sofort nach Verlust seines Arbeitsplatzes eine entsprechende Beschäftigung gesucht hätte, wozu er auf Grund seiner Unterhaltspflicht auch verpflichtet gewesen wäre.

Am 29.4. beantragte der Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht auf S 1.200,- monatlich ab 1.3.1996. Er machte geltend, seit Jänner 1996 beim Arbeitsamt gemeldet zu sein und ein Arbeitslosengeld von S 6.821,- netto monatlich zu beziehen. Darüber hinaus sei er bemüht, einen Arbeitsplatz zu finden, doch seien seine Bemühungen angesichts der derzeit schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt bisher ohne Erfolg gewesen. Unter diesen Umständen bestehe kein Raum mehr für die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes. Zum Beweis seines Vorbringens beantragte er auch seine Einvernahme.

Gegen diesen Herabsetzungsantrag sprach sich der Unterhaltssachwalter mit der Begründung aus, daß der Vater fast eineinhalb Jahre Zeit gehabt habe, einen Arbeitsplatz zu finden.

Auch diesen Unterhaltsherabsetzungsantrag wies das Erstgericht ab und führte aus, eine Neubemessung des Unterhalts könne grundsätzlich nur dann erfolgen, wenn sich die der letzten Bemessung zugrundeliegenden Verhältnisse seither wesentlich verändert hätten. Seit der letzten Entscheidung seien nicht einmal vier Monate vergangen und hätten sich die Verhältnisse des Vaters nicht verändert, sodaß sein Herabsetzungsantrag nicht berechtigt sei.

Das dagegen vom Vater angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Das Rekursgericht verwies in rechtlicher Hinsicht auf den Anspannungsgrundsatz und führte dazu aus, daß der Vater verpflichtet sei, auch minderqualifizierte Tätigkeiten auszuüben, um seiner Unterhaltspflicht nachkommen zu können, weil er keine besonders qualifizierte Ausbildung aufzuweisen habe. Da er seinen Arbeitsplatz als Geschäftsführer bereits im Jänner 1995 verloren habe, hätte ihm bis Ende 1995 ohne weiteres möglich sein müssen, einen Arbeitsplatz zu finden, bei dem er monatlich rund 12.200,- verdienen könne. Die nachträgliche Meldung beim Arbeitsmarktservice und die Setzung privater Initiativen zur Auffindung eines Arbeitsplatzes hebe die bereits verwirklichte Pflichtverletzung nicht mehr auf. Eine Vernehmung des Vaters darüber, ob und welche Bemühungen er zur Auffindung eines Arbeitsplatzes unternehme, sei daher nicht erforderlich.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht für zulässig erklärt, weil Rechtsfragen im Sinne des Paragraph 14, Absatz eins, AußStrG nicht zu lösen seien.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß seine Unterhaltsverpflichtung ab 1.3.1996 auf monatlich S 1.200,-

herabgesetzt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgegangen ist, er ist im Sinne seines Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Vater macht in seinem Rechtsmittel geltend, daß das Rekursgericht den Grundsatz, daß jede Unterhaltsregelung der Umstandsklausel unterliege, nicht beachtet habe. Die Ansicht des Rekursgerichtes würde bedeuten, daß bei einmal eingetretenen Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen eine Neubemessung auch bei später geänderten Verhältnissen nicht mehr möglich sei. Es sei daher von einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von netto monatlich S 6.821,-

auszugehen, was einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 1.200,-

rechtfertige.

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Nach einheitlicher Rechtsprechung erlaubt eine wesentliche Änderung entscheidungsrelevanter Umstände auch bei rechtskräftig entschiedenen Unterhaltsansprüchen eine Neufestsetzung des gesetzlichen Unterhaltes im Wege einer Abänderung der bestehenden Entscheidung. Eine Verhältnisänderung liegt auch dann vor, wenn zur Zeit der Vorentscheidung bestehende Tatsachen dem Gericht erst nachträglich bekannt geworden sind (Schwimann, Unterhaltsrecht, 61 mwN). Fallen daher die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen weg, dann haben sich die Verhältnisse geändert und hat die Neubemessung des Unterhalts auf Grund der ab diesem Zeitpunkt tatsächlich gegebenen Umstände zu erfolgen (EFSlg 75.581). Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der hypothetischen Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktsituation zu erzielen in der Lage wäre (ÖA 1994, 101/U 96 = EFSlg 70.898;ÖA 1995, 60/U 110; ÖA 1995, 88/U 117). Selbst bei einem verschuldeten Arbeitsplatz - oder Berufswechsel kann in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes nicht automatisch davon ausgegangen werden, daß dem Unterhaltspflichtigen weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung stünde (EFSlg 70.898; ÖA 1995, 60/U 110; ÖA 1995, 88/U 115; 6 Ob 636, 637/95 uva). Vielmehr kommt es bei einem Verlust des Arbeitsplatzes bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage ganz maßgeblich auf das Verhalten des Unterhaltspflichtigen nach dem Verlust des Arbeitsplatzes an. Zu einer Anspannung auf ein fiktives Einkommen des Unterhaltspflichtigen kommt es insbesondere erst dann, wenn sich der Unterhaltspflichtige überhaupt nicht als arbeitssuchend gemeldet hat, ohne triftige Gründe hiefür angeben zu können, und ihm im Falle einer Meldung tatsächlich eine konkrete Arbeitsstelle hätte vermittelt werden können (Gitschthaler, Die Anspannungstheorie im Unterhaltsrecht - 20 Jahre später, ÖJZ 1996, 553 [561] mwN).Die Bejahung der Arbeitsfähigkeit und der Arbeitswilligkeit eines Arbeitslosen als Voraussetzung für einen Leistungsbezug nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz durch die zuständige Verwaltungsbehörde stellt ein Indiz für das Nichtvorliegen der Anspannungsvoraussetzungen dar. Es hat aber dessenungeachtet der Unterhaltsschuldner darzutun, daß er seiner Verpflichtung, zum Unterhalt nach Kräften beizutragen, auch nachgekommen ist. Eine dem Erfordernis des Paragraph 140, ABGB entsprechende Arbeitssuche kann aber nur für jenen Zeitraum nicht angenommen werden, in dem der Unterhaltspflichtige beim Arbeitsamt nicht als arbeitssuchend vorgemerkt war und für diese Unterlassung auch keine triftigen Gründe angeben kann (EFSlg 67.977; 7 Ob 539/95 uva).

Entscheidend ist daher für den vorliegenden Fall, ob und ab wann der Unterhaltsschuldner als arbeitssuchend gemeldet war und ob und welche eigenen Initiativen er zur Erlangung eines Arbeitsplatzes entwickelt hat (siehe hiezu Gitschthaler, aaO, 561). Der Einwand des Unterhaltsschuldners, man hätte nicht ohne Aufnahme von Beweisen zur Frage, ob und ab wann er als arbeitssuchend gemeldet war und eigene Initiativen zur Arbeitsplatzsuche entwickelt hat, seinen Unterhaltsherabsetzungsantrag abweisen dürfe, ist daher zutreffend, sodaß in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen war.