Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

13.03.1979

Geschäftszahl

2Ob5/79

Norm

ABGB §1313a;

ABGB §1315;

ABGB §1319;

ABGB §1319a;

Kopf

SZ 52/33

Spruch

Das Wort "Zustand" in Paragraph 1319 a, ABGB bedeutet, daß nicht nur für den Weg selbst, sondern für dessen Verkehrssicherheit gehaftet werden soll

Begriff der "Leute" des Wegehalters

Werden die Aufgaben des Wegehalters durch jemanden besorgt, der wie ein selbständiger Unternehmer einen eigenen Organisations- und Verantwortungsbereich begrundet, könnte der Wegehalter selbst dann nur bei eigenem Verschulden haften, wenn er etwa den Unternehmer nicht sorgfältig genug ausgewählt oder eine ihn treffende zusätzliche Überwachungspflicht verletzt hätte

OGH 13. März 1979, 2 Ob 5/79 (OLG Innsbruck 5 R 268/78; LG Feldkirch 3 Cg 1121/77)

Text

Am 17. Jänner 1977 lenkte der Kläger seinen mit Schotter beladenen LKW Scania 140 Kennzeichen römisch fünf 3.143 auf eine Straße in A talwärts in Richtung der Baustelle Kraftwerk L. Der Erstbeklagte hatte kurz vor dem Unfall auf dieser Straße mittels einer dem Zweitbeklagten gehörenden Schneeschleuder, die an einem vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Traktor angekuppelt war, Schnee weggefräst, der von der Schneeräumung mittels Schneepfluges an den Schneerändern festgepreßt war. Dabei war er im Bereich der Unfallsstelle über den befestigten Teil der Fahrbahn hinausgeraten. Als dem Kläger auf seiner Talfahrt der Erstbeklagte nun aufwärtsfahrend entgegenkam, wich er nach rechts aus, brach ein und kippte mit dem LKW um. Der Kläger erlitt dadurch einen Schaden von 28 876.50 S.

In erster Instanz bezifferte er seinen Schaden mit 33 130.50 S und begehrte diesen Betrag samt 10% Zinsen seit 1. April 1977 zur ungeteilten Hand von den drei Beklagten. Den Erstbeklagten treffe das Verschulden an diesem Unfall, weil er bei der Schneeräumung unsachgemäß vorgegangen sei. Die zweit- und drittbeklagte Partei hafteten als Halter und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht verurteilte den Erstbeklagten zur Zahlung von 28

876.50 samt 9.25% Zinsen seit 1. April 1977, das Mehrbegehren gegen den Erstbeklagten und die Klage gegen die zweit- und drittbeklagte Partei wurden abgewiesen. Der abweisende Teil dieses Urteiles erwuchs in Rechtskraft.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstbeklagten Folge und hob das Urteil des Erstgerichtes in seinem stattgebenden Teil unter Rechtskraftvorbehalt auf.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Erstgericht hat im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen getroffen:

Eigentümer der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Zufahrtstraße, die von der Bregenzerwald-Bundesstraße über die Parzelle W der Gemeinde A zur Baustelle des Kraftwerkes L und zum R-Stollen führt, ist die Vorarlberger Kraftwerke-AG. Der Kläger war auf Grund eines ihm erteilten Transportauftrages berechtigt, die Straße mit seinem LKW zu befahren. Mit der Schneeräumung auf dieser Straße war die Firma R in A beauftragt. Soweit es erforderlich war, zur Schneeräumung neben einem Schneepflug auch noch eine Schneeschleuder einzusetzen, beauftragte die Firma R die zweitbeklagte Partei, die eine Schneeschleuder besitzt, mit der Vornahme der Schneeräumungsarbeiten. Im Auftrage des Zweitbeklagten erledigte diese Arbeiten oft, so auch am Unfallstag, dessen Schwiegersohn, der Erstbeklagte. Im Bereich der Unfallsstelle war die Fahrbahn auf 3.5 m Breite asphaltiert. In Fahrtrichtung des Klägers befand sich rechts ein etwa 80 cm breites Bankett und rechts davon eine mit etwa 45% abfallende Böschung. Der Erstbeklagte geriet mit der Schneeschleuder, mit der der durch den Schneepflug festgepreßte Schnee in einem Arbeitsgang in einer Breite von höchstens 40 cm weggefräst werden konnte, im Unfallsbereich so weit nach rechts hinaus, daß die rechtsseitige Schneemauer etwa 1.60 m außerhalb des asphaltierten Fahrbahnrandes war. Weil die Fahrbahn aber trotz der Schneeräumung noch mit einer dünnen Schneeschicht bedeckt war, konnte man dies nicht erkennen. Ein PKW wäre zwar auf der 80 cm über dem Bankett hinaus ausgefrästen Fläche auf dem festgefahrenen Schnee noch nicht eingebrochen, wohl aber mußte dies mit dem mit Schotter beladenen LKW des Klägers geschehen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß der Erstbeklagte nicht als Halter der Straße im Sinne des Paragraph 1319 a, ABGB in Betracht komme und daher nach allgemeinen Schadenersatzregeln auch für leichte Fahrlässigkeit hafte. Eine solche sei ihm aber anzulasten, weil er es unterlassen habe, sich bei seiner Tätigkeit am eigentlichen Straßenverlauf zu orientieren und die Straße nur so weit zu räumen, als ihr befestigter Teil reichte.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, ausgenommen die Feststellungen über die Eigentumsverhältnisse an der Straße, gelangte jedoch zu einer teilweise abweichenden rechtlichen Beurteilung. Da der Unfall durch einen mangelhaften Zustand der Straße verursacht worden sei, komme Paragraph 1319 a, ABGB zur Anwendung. Es müsse nachgeprüft werden, ob der Erstbeklagte zu den im Paragraph 1319 a, Absatz 3, ABGB genannten Leuten des haftpflichtigen Halters des Weges zähle, da er dann nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit hafte. Es komme dabei nicht darauf an, ob der Erstbeklagte ein Dienstnehmer des Wegeerhalters oder ein einem solchen Gleichgestellter sei, sondern die Haftungseinschränkung gelte für jeden Gehilfen des Verantwortlichen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liege es nahe, daß der Erstbeklagte zu den "Leuten" des Wegehalters zähle, zu einer verläßlichen Beurteilung dieser Frage bedürfe es aber noch eingehender Feststellungen darüber, in welcher Weise der Erstbeklagte in die Organisation der Schneeräumung durch den Halter des Weges eingebaut gewesen sei (dabei werde sich auch die Beweisrüge hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse an der fraglichen Straße von selbst erledigen). Sollte sich auf Grund dieser ergänzenden Beweisaufnahmen herausstellen, daß der Erstbeklagte nur für grobe Fahrlässigkeit einzustehen habe, müßten weiters ergänzende Feststellungen über die näheren Umstände der vom Eigentumsverhältnisse durchgeführten Arbeit getroffen werden (Intensität seiner Tätigkeit, Kenntnis vom Straßenverlauf).

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die unsachgemäße Vornahme von Schneeräumungsarbeiten zu einem mangelhaften Zustand eines Weges im Sinne des Paragraph 1319 a, Absatz eins und 3 ABGB führen kann. Dem Rekurswerber kann nicht beigepflichtet werden, daß eine Anwendung dieser Gesetzesstelle schon deshalb ausscheidet, weil das Gefahrenmoment außerhalb der eigentlichen Fahrbahn lag. Der Gesetzgeber wollte gerade durch die Verwendung des Wortes "Zustand" statt des ebenfalls erwogenen Ausdruckes "Beschaffenheit" (wie im Paragraph 1319, ABGB) zum Ausdruck bringen, daß nicht nur für den Weg selbst im engeren Sinn, sondern für dessen Verkehrssicherheit im weitesten Sinne gehaftet werden solle (1678 BlgNR, römisch XIII. GP, 5 mit Anführung der Beispiele der Unterlassung der Streuung bei Glatteis, der Säuberung von Schnee oder der Sicherung gegen ein Abstürzen).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kann jedoch der Erstbeklagte nicht zu den "Leuten" des haftpflichtigen Wegehalters gezählt werden. Es ist zwar richtig, daß mit diesem vom Gesetzgeber in Anlehnung an Paragraphen 970, ABGB, 431 HGB und 5 EVO gebrauchten Begriff nicht nur Dienstnehmer im engeren oder weiteren Sinne gemeint sind, andererseits muß aber doch ein gewisses Naheverhältnis zum Wegehalter bestehen. Werden jedoch die Aufgaben des Wegehalters durch jemanden besorgt, der wie ein selbständiger Unternehmer einen eigenen Organisations- und Verantwortungsbereich begrundet, so gehört er nicht mehr zu den "Leuten" des Wegehalters. In einem solchen Fall trifft ja nicht der Wegehalter die an sich in seinen Verantwortungsbereich fallenden Maßnahmen. Es haftet vielmehr der Unternehmer, den er etwa mit Erhaltungsarbeiten oder wie im vorliegenden Fall mit Schneeräumungsarbeiten betraut hat. Der Wegehalter selbst könnte dann nur bei eigenem Verschulden haften, wenn er etwa den Unternehmer nicht sorgfältig genug ausgewählt oder eine ihn treffende zusätzliche Überwachungspflicht verletzt hätte (s. dazu ausführlich und unmißverständlich 1678 BlgNR, römisch XIII. GP, 6).

Der Erstbeklagte haftet damit zwar nicht, wie das Erstgericht meinte, weil er nicht Wegehalter ist, wohl aber, weil er nicht zu den Leuten des Wegehalters zählt, nach allgemeinen Schadenersatzregeln, und die hinsichtlich des von ihm zu vertretenden Verschuldensgrades für ihn günstigere spezielle Norm des Paragraph 1319 a, ABGB kommt nicht zur Anwendung. Zu einer ausdehnenden Auslegung der ohnedies vielfach als problematisch empfundenen Haftungseinschränkung des Paragraph 1319 a, ABGB vergleiche dazu schon Daghofer, ZVR 1971, 1, besonders aber Posch, JBl. 1977, 281) auf alle nur irgendwie an der Betreuung eines Weges beteiligten Personen besteht kein Anlaß, da die hiefür sonst maßgebenden Gründe (s. 1678 BlgNR, römisch XIII. GP. W. 2 und 6 mit Hinweis auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung bezüglich der Bundesstraßen, die Zulässigkeit der allgemeinen Benützung eines Weges und die erweiterte Haftung für Gehilfen) hier nicht mehr zutreffen.

Es bedarf daher nicht der Prüfung der Frage, wer Halter der fraglichen Straße ist, weil schon jetzt klar ist, daß die Schneeräumung einem selbständigen Unternehmer, nämlich der Firma R übertragen war, die wiederum den Zweitbeklagten als Subunternehmer heranzog, für den schließlich der Erstbeklagte tätig wurde, so daß dieser nie zu den Leuten des noch nicht sicher feststehenden Wegehalters zählt. Es ist aber auch nicht nötig, Feststellungen zur Frage zu treffen, ob dem Erstbeklagten grobe Fahrlässigkeit zur Last liegt, denn wenn er überhaupt haftet, haftet auch für leichte Fahrlässigkeit.

Eine solche Haftung des Erstbeklagten kann nur aus dem sogenannten Ingerenzprinzip abgeleitet werden. Die Rechtsprechung hat nämlich aus den Paragraphen 1295,, 1319 u. a. ABGB, 75 ff. StGB (früher 335, 431 StG) den Grundsatz entwickelt, daß jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zur Abwendung der daraus drohenden Gefahren zu treffen hat vergleiche Entscheidungen Nr. 16 e zu Paragraph 1295, ABGB in MGA [30]), soweit eine solche Gefahrenquelle für ihn bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar ist (JBl. 1967, 34).

Ob diese letztere Voraussetzung erfüllt ist, kann nach den derzeitigen Verfahrensergebnissen nicht verläßlich beurteilt werden. Es wurde nämlich nicht geprüft, an Hand welcher Umstände es dem Erstbeklagten überhaupt möglich gewesen wäre zu erkennen, daß er im Unfallsbereich außerhalb der eigentlichen Fahrbahn Schnee wegfräste. Wenn ihm hier eine im Zuge der vorangegangenen Schneepflugräumung entstandene ungewöhnliche Ausbuchtung auffallen hätte müssen oder wenn sich sonst aus dem Gelände oder anderen Umstände ergeben hätte, daß hier nicht mehr eine befestigte Fahrbahn vorhanden sein konnte, dann durfte der Erstbeklagte hier nicht einfach mechanisch 20 oder 40 cm breit weiter ausfräsen. Sobald er erkennen konnte, daß er über die befestigte Fahrbahn hinausgeraten werde, mußte er nämlich an die Einbrechgefahr für die hier regelmäßig fahrenden LKW denken und durfte nicht weiter fräsen, und wenn er die Fahrbahnüberschreitung erst nachträglich erkennen konnte, durfte er zumindest die entstandene Gefahrenstelle nicht einfach im ungesicherten Zustand belassen vergleiche dazu besonders ZVR 1959/177). War aber die Unfallsstelle am Unfallstag so beschaffen, daß der Erstbeklagte berechtigterweise der Ansicht sein konnte, der Schneepflug habe sich an den Verlauf der Fahrbahn gehalten und er habe die befestigte Fahrbahn mit der Schneefräse nicht verlassen, dann könnte ihm auch nicht einmal leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Die Sache ist daher zwar nicht wegen der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfragen, wohl aber aus diesen oben aufgezeigten Gründen noch nicht spruchreif, so daß es bei der Aufhebung des Ersturteils verbleibt.