Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

24.10.1978

Geschäftszahl

4Ob91/78

Norm

ABGB §16 Abs1;

ABGB §16 Abs2;

ABGB §16 Abs3;

ABGB §16 Abs4;

ABGB §1295 Abs2;

ABGB §1295 Abs3;

ABGB §1295 Abs4;

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §460a Abs1;

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §460a Abs2;

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §460a Abs3;

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §460a Abs4;

Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz §45 Abs4;

Arbeits-Verfassungsgesetz §115 Abs3;

Arbeits-Verfassungsgesetz §115 Abs4;

Arbeits-Verfassungsgesetz §157 Abs3;

Arbeits-Verfassungsgesetz §157 Abs4;

Menschenrechtskonvention Art8 Abs1;

Menschenrechtskonvention Art8 Abs2;

Menschenrechtskonvention Art8 Abs3;

Menschenrechtskonvention Art8 Abs4;

Kopf

SZ 51/146

Spruch

Das Recht auf Achtung der Geheimsphäre ist ein "angeborenes Recht" im Sinne des Paragraph 16, ABGB

Die sogenannten Persönlichkeitsrechte sind absolute Rechte und genießen als solche Schutz gegen Eingriffe Dritter; dabei bedarf es aber stets einer genauen Abwägung zwischen dem Interesse an dem gefährdeten Gut auf der einen und den Interessen des Handelnden und der Allgemeinheit auf der anderen Seite

Umfang der - gegenüber jedermann bestehenden - Geheimhaltungspflicht der Betriebsratsmitglieder nach Paragraph 115, Absatz 4, ArbVG

Der durch eine Verletzung dieser Geheimhaltungspflicht betroffene Dienstnehmer hat das Recht, das Einigungsamt anzurufen und sich dort der ihm zur Durchsetzung seines Anspruches oder zur Abwehr eines Angriffes auf seine Rechte vom Gesetz zur Verfügung gestellten Mittel zu bedienen

OGH 24. Oktober 1978, 4 Ob 91/78 (LG Salzburg 31 Cg 22/78; ArbG Salzburg Cr 414/77)

Text

Die Kläger und die Beklagten sind Angestellte der Salzburger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte. Sie haben sich alle - neben anderen Bediensteten - zu Beginn des Jahres 1977 um die ausgeschriebene Stelle eines Leiters der Arbeitsgruppe O 63 (Lohnnachweis) in der Organisationseinheit 06 beworben. Bei der Salzburger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte besteht ein Personalausschuß, in welchem die Dienstnehmer durch zwei vom Betriebsrat entsandte Mitglieder vertreten sind. Die Direktion der Salzburger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte übermittelte den Mitgliedern des Personalausschusses eine Aufstellung mit Angaben über die Bewerber (Name, Geburtsdatum, Eintrittsdatum, Schulbildung, berufliche Ausbildung und Tätigkeit bei der Gebietskrankenkasse, Ergebnis der A- und der B-Prüfung, letzte Dienstbeschreibung und derzeitige Verwendung). Der Angestelltenbetriebsrat sandte mit Schreiben vom 12. April 1977 Ablichtungen dieser Aufstellung allen neun Bewerbern um den ausgeschriebenen Posten zu. Darin erblickten die Beklagten eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch Mitglieder des Betriebsrates. Sie riefen deswegen das Einigungsamt Salzburg an und legten bei der öffentlichen Verhandlung vom 13. Mai 1977 zum Beweis für die von ihnen den Mitgliedern des Angestelltenbetriebsrates vorgeworfene Weitergabe vertraulicher Daten das ihnen zukommende Schreiben des Betriebsrates vom 12. April 1977 vor, das zum Akt des Einigungsamtes genommen wurde.

Die Kläger behaupten, die Beklagten hätten durch die Bekanntgabe der persönlichen Daten der Kläger vor dem Einigungsamt Salzburg die sie (die Beklagten) treffende Dienstverschwiegenheitspflicht gemäß Paragraph 8, Absatz 3, DO.A und die Amtsverschwiegenheitspflicht gemäß Paragraph 432, (richtig: Paragraph 460 a,) ASVG verletzt. Die Kläger beantragen daher, die Beklagten schuldig zu erkennen, die Weitergabe der ihnen in ihrer Eigenschaft als Dienstnehmer der Salzburger Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte zugekommenen vertraulichen Informationen und persönlichen Daten der Kläger, wie Schulbildung, berufliche Ausbildung, Tätigkeit im Betrieb, Prüfungsergebnis der A- und B-Prüfung, letzte Dienstbeschreibungen und derzeitige Verwendung, an Personen, die nicht der Dienstverschwiegenheit gemäß Paragraph 8, Absatz 3, DO.A unterliegen, zu unterlassen.

Die Beklagten beantragen Abweisung dieses Begehrens, da sie lediglich im Zuge des Verfahrens die an sie gestellten Fragen des Vorsitzenden des Einigungsamtes in der zur Durchsetzung ihrer Rechte entsprechenden Weise beantwortet hätten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, daß die Beklagten als Antragsteller vor dem Einigungsamt nach dem Beschluß des Einigungsamtes, die vorgelegte Urkunde (Schreiben des Angestelltenbetriebsrates vom 12. April 1977) zu verlesen, den Ausschluß der Öffentlichkeit beantragt hatten, das Einigungsamt aber diesen Antrag abwies. Das Einigungsamt stellte nach Verlesung dieser Urkunde einen Verstoß gegen Paragraph 115, Absatz 4, ArbVG durch den Angestelltenbetriebsrat fest.

Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, daß die Vorlage des Schreibens vom 12. April 1977 durch die Beklagten an das Einigungsamt nur der Konkretisierung und Aufführung ihrer Rechte vor dem Einigungsamt gedient habe, so daß eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch sie nicht vorliege. Die Bestimmung des Paragraph 8, Absatz 3, DO.A beziehe sich nur auf die aus dem Dienstvertrag der Dienstgeberin gegenüber bestehenden Verpflichtungen; es sei nicht ihr Zweck, das Verhältnis der Streitteile untereinander zu regeln. Es habe auch ein behördliches Interesse von seiten des Einigungsamtes Salzburg zur Ermittlung des für seine Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes bestanden, das der Verschwiegenheitspflicht vorgehe.

Die Berufung der Kläger blieb erfolglos; das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, 30 000 S übersteigt. Es teilte nach Neudurchführung der Verhandlung gemäß Paragraph 25, Absatz eins, Ziffer 3, ArbGG die Auffassung, daß die Beklagten als Antragsteller vor dem Einigungsamt im Rahmen ihrer Beweispflicht berechtigt und sogar verpflichtet waren, die gesamte Urkunde(Schreiben vom 12. April 1977) vorzulegen; durch den Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit während der Verlesung der Urkunde hätten sie das ihnen Mögliche und Zumutbare zur Wahrung der Geheimhaltung getan. Das Klagebegehren sei daher schon aus diesem Grund zu Recht abgewiesen worden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Wenn auch das Recht auf Achtung der Geheimsphäre als Persönlichkeitsrecht hinsichtlich seines Umfanges nicht unbestritten ist (Koziol - Welser[4] römisch eins, 56), so wird es doch überwiegend als ein aus verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen - wie Artikel 8, MRK über den Anspruch auf Achtung der Privatsphäre, die Bestimmungen über den Schutz des Brief- und Fernmeldegeheimnisses, die Verschwiegenheitspflicht von Amtspersonen, Notaren, Rechtsanwälten usw. - hervorgehender Grundsatz als angeborenes Recht im Sinne des Paragraph 16, ABGB anerkannt; davon wird sowohl der Schutz gegen das Eindringen in die Geheimsphäre einer Person als auch der Schutz gegen die Veröffentlichung rechtmäßig erlangter Geheimnisse erfaßt (Koziol, Österr. Haftpflichtrecht römisch II, 14). Bei der Beurteilung über Bestand und Umfang eines Persönlichkeitsrechtes im konkreten Fall muß aber stets ein die Gesamtrechtsordnung berücksichtigendes Werturteil gefällt werden, ob und wie weit ein subjektives Recht bezüglich einzelner Ausstrahlungen der Person besteht (Koziol a. a. O., 5). Die persönlichen Rechte sind absolute Rechte und genießen als solche Schutz gegen Eingriffe Dritter. Aus der Absolutheit folgt aber noch nicht, daß jedes Verhalten rechtswidrig ist, das diese Rechte gefährdet; es bedarf vielmehr in starkem Maße einer genauen Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Bei vielen Persönlichkeitsrechten würde nämlich eine Überspannung des Schutzes zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer oder jener der Allgemeinheit führen (Koziol a. a. O., 6).

Dieser Grundsatz kommt auch in vielen gesetzlichen Einzelregelungen zum Ausdruck. Mit Rücksicht darauf, daß den Beklagten von den Klägern eine Verletzung der "Geheimhaltungspflicht" durch Vorlage einer Urkunde beim Einigungsamt in einem Verfahren wegen Verletzung der den Betriebsratsmitgliedern obliegenden Verschwiegenheitspflicht vorgeworfen wird, war es durchaus angebracht, die Bestimmungen über die Verpflichtung der Betriebsratsmitglieder zur Verschwiegenheit und jene über die Beweisaufnahme in einem Verfahren vor dem Einigungsamt als Richtlinie für die Abwägung der Interessen der Beklagten als Antragsteller vor dem Einigungsamt und des Interesses des Einigungsamtes an der Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes einerseits gegenüber dem Interesse der Kläger an der Geheimhaltung von ihre Geheimsphäre betreffenden Umständen - wozu Angaben über Prüfungsergebnisse, Dienstbeschreibung und ähnliches durchaus gezählt werden können - andererseits heranzuziehen.

Gemäß Paragraph 115, Absatz 4, ArbVG sind die Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrates u. a. verpflichtet, über ihnen im Zuge der Mitwirkung in personellen Angelegenheiten bekanntgewordene persönliche Verhältnisse oder Angelegenheiten der Arbeitnehmer, die ihrer Bedeutung oder ihrem Inhalt nach einer vertraulichen Behandlung bedürfen, Verschwiegenheit zu bewahren. Diese Geheimhaltungspflicht besteht gegenüber jedermann. Hinsichtlich der Ausnahmen folgte das Gesetz der zum Betriebsrätegesetz herrschend gewordenen Lehre, wonach die Geheimhaltungspflicht nicht verletzt wird, wenn ihre Einhaltung mit der Interessenvertretungsaufgabe des Betriebsrates derart kollidieren würde, daß der Nachteil für die Belegschaft schwerwiegender wäre als der Nachteil für den von der Nichteinhaltung der Geheimhaltungspflicht Betroffenen. Dasselbe gilt auch, wenn ein Betriebsratsmitglied als Zeuge oder als Partei vor dem Einigungsamt auftritt. (Floretta - Strasser, HdKomm. z. ArbVG, 778 f.). Dieselbe Interessenabwägung, die bei einem Mitglied des Betriebsrates zum Entfall der Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht führen kann, muß auch für andere Dienstnehmer gelten, die zur Wahrung ihrer Interessen oder zur Abwehr eines Eingriffes in ihre Rechte vor Gericht oder vor das Einigungsamt gehen müssen. Daß der durch eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch ein Mitglied des Betriebsrates betroffene Dienstnehmer das Recht hat, das Einigungsamt anzurufen, kann nicht zweifelhaft sein. Da der Dienstnehmer berechtigt ist, das Einigungsamt anzurufen, müssen ihm auch die Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Anspruches oder zur Abwehr des Angriffes auf seine Rechte im gesetzlich vorgesehenen Maß gewahrt bleiben. Es ist daher der Hinweis der Kläger unrichtig, daß sich die Beklagten auf die Notwendigkeit der Vorlage der Urkunde vor dem Einigungsamt nicht berufen könnten, weil sie nicht gezwungen gewesen wären, das Einigungsamt überhaupt anzurufen. Diese Auffassung würde zu einer der Rechtsordnung widersprechenden Rechtsverweigerung für die durch die Handlungsweise der Mitglieder des Betriebsrates in ihren Rechten verletzten Beklagten führen.

Das Einigungsamt als Verwaltungsbehörde verhandelt grundsätzlich nach den Bestimmungen des AVG (siehe auch Paragraph 50, EAGeo., Bundesgesetzblatt 354 aus 1974,). Die Beklagten hatten als Antragsteller vor dem Einigungsamt trotz des im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatzes der Amtswegigkeit des Verfahrens und der Erforschung der materiellen Wahrheit die Beweislast für die Richtigkeit der Behauptung, daß ihre Rechte durch eine Handlungsweise der Antragsgegner verletzt worden seien (Arb. 7271). Sie hatten daher jedenfalls das Recht, der Behörde die Unterlagen für die Ermittlung des Sachverhaltes, nämlich das Schreiben vom 12. April 1977, zu übergeben, um diese Ermittlung zu ermöglichen. Es war dann Sache des Einigungsamtes zu bestimmen, ob und in welchem Umfang die Urkunde auch verlesen wird.

Der Hinweis auf Paragraph 460 a, ASVG und auf Paragraph 8, Absatz 3, DO.A über die Verschwiegenheitspflicht der Bediensteten der Sozialversicherungsträger versagt schon deswegen, weil die den Beklagten vorgeworfene Verletzung der "Verschwiegenheitspflicht" keine der dort angeführten Angelegenheiten betraf.

Da somit das Klagebegehren schon mangels einer rechtswidrigen Verletzung der Verpflichtung zur Achtung der Privatsphäre der Kläger durch die Beklagten abzuweisen war, bedarf es keiner näheren Erörterung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer derartigen Unterlassungsklage.