Bundesministerium

Bundesministerium für Justiz

Abteilung

BMJ - römisch IV 1 (Materielles Strafrecht)

Geschäftszahl

2022-0.359.645

Genehmigungsdatum

31.08.2022

Inkrafttretensdatum

31.08.2022

Titel

Erlass vom 31. August 2022 über die Schädigung des Tier- und Pflanzenbestandes: Erheblichkeitsschwelle iZm Paragraph 181 f und Paragraph 181 g, StGB

Text

Gemäß Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB ist, wer Exemplare einer geschützten wildlebenden Tierart entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag tötet, besitzt oder deren Entwicklungsformen zerstört oder aus der Natur entnimmt oder Exemplare einer geschützten wildlebenden Pflanzenart zerstört, besitzt oder aus der Natur entnimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen, es sei denn, dass die Handlung eine nur unerhebliche Menge der Exemplare betrifft und auf den Erhaltungszustand der Art nur unerhebliche Auswirkungen hat.

Gemäß Paragraph 181 g, StGB ist, wer grob fahrlässig (Paragraph 6, Absatz 3,) entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag eine der im Paragraph 181 f, mit Strafe bedrohten Handlungen begeht, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Paragraph 181 f, Absatz 2, StGB definiert die geschützten wildlebenden Tier- und Pflanzenarten durch Verweis auf die Anhänge zu folgenden EU-Richtlinien:

-             Richtlinie 92/43/EWG (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, FFH-RL), Anhang römisch IV Litera a,  („Tiere“) und Anhang römisch IV Litera b, („Pflanzen“);

-             Richtlinie 2009/147/EG (Vogelschutzrichtlinie), Anhang römisch eins (Vogelarten) (vgl. Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Paragraph 181 g, [Stand 27.4.2020, rdb.at] Rz 2).

I.    Zur Genese der §§ 181f und 181g StGB idgF

Paragraphen 181 f und 181g StGB wurden mit dem Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch zur Verhinderung von Terrorismus sowie das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der Umwelt geändert wurden, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 103 aus 2011,, in Umsetzung der Verpflichtungen aus Artikel 3, Litera f, der Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt1 (im Folgenden „RL Umweltstrafrecht“) neu geschaffen. Sie sind am 1.1.2012 in Kraft getreten.

Nach Artikel 3, Litera f, der RL Umweltstrafrecht stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Tötung, die Zerstörung, der Besitz oder die Entnahme von Exemplaren geschützter, wildlebender Tier- oder Pflanzenarten, mit Ausnahme der Fälle, in denen die Handlung eine unerhebliche Menge dieser Exemplare betrifft und unerhebliche Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art hat, unter Strafe gestellt werden, wenn sie rechtswidrig sind und vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig begangen werden.

Durch das Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 106 aus 2014,, wurde – in Folge von seitens der Europäischen Kommission geäußerten Bedenken an der Richtlinienkonformität – der letzte Halbsatz des Paragraph 181 f, StGB geändert (siehe dazu auch sogleich unter Punkt römisch II.). Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015, Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 112 aus 2015, ist die Alternative der Verhängung einer Geldstrafe in Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB entfallen, in Paragraph 181 g, StGB wurde der Verweis auf die Definition der groben Fahrlässigkeit (Paragraph 6, Absatz 3, StGB) eingefügt.

II.  Zur Verwaltungsakzessorietät

Die Tatbestände des Paragraph 181 f, Absatz eins und Paragraph 181 g, StGB sind verwaltungsakzessorisch ausgestaltet („entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag“). Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz jener Ansicht der Vorzug zu geben ist, die in Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB im Rahmen einer teleologischen Reduktion Verwaltungsakzessorietät auch für den Fall der Pflanzenart für erforderlich erachtet, obgleich sich die Wortfolge „entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag“ sprachlich-grammatikalisch nur auf Exemplare einer geschützten wildlebenden Tierart bezieht und nicht auf Exemplare einer geschützten wildlebenden Pflanzenart (Salimi, Das neue gerichtliche Umweltstrafrecht - eine verfassungsrechtliche Gratwanderung, RdU-UT 2017, 51; Reindl-Krauskopf/Salimi, Umweltstrafrecht [2013] Rz 178; Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Paragraph 181 g, Rz 4; Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 Paragraph 181 f, Rz 1; aA Hinterhofer/Rosbaud, BT II6 [2016] Paragraphen 181, f–181i Rz 4; Manhart, Sbg Kommentar zum StGB Paragraph 181 f, Rz 33). Auch Artikel 3, der RL Umweltstrafrecht unterscheidet nicht zwischen Tier- und Pflanzenarten, das korrespondierende Fahrlässigkeitsdelikt in Paragraph 181 g, StGB verlangt nach seinem Wortlaut für Tier- und Pflanzenarten gleichermaßen Verwaltungsakzessorietät.

Die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung der Paragraphen 181 f und 181g StGB bedingt, dass Strafbarkeit nur bei einem Verstoß gegen vorwiegend verwaltungsrechtliche Bestimmungen eintritt (Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Vor Paragraphen 180 –, 183 b, Rz 5). Die Formulierung „entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag“ umfasst Gesetze, Verordnungen, Bescheide (Auflagen), Akte unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie unmittelbar anwendbare EU-Bestimmungen. Für tatbestandsmäßiges Handeln ist das Übertreten einer bzw. Zuwiderhandeln gegen eine generelle(n) oder individuelle(n) Verwaltungsvorschrift Voraussetzung, deren Regelung auf den Schutz der Rechtsgüter abzielt (Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Vor Paragraphen 180 –, 183 b, Rz 6 mwN).

Im Bereich der Paragraphen 181 f und 181g StGB ist in jedem Fall in zweifacher Hinsicht zu prüfen, ob (i) eine Tier- oder Pflanzenart gemäß Paragraph 181 f, Absatz 2, StGB vorliegt und (ii) diese auch in einer (innerstaatlichen) Rechtsvorschrift erfasst wird, sodass deren Beeinträchtigung einem verwaltungsbehördlichen Verbot zuwiderläuft (Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Paragraph 181 g, Rz 6). Da naturschutzrechtliche Maßnahmen Landessache in Gesetzgebung und Vollziehung sind, kommen hier in erster Linie Gesetze und Verordnungen der Länder in Betracht vergleiche die Beispiele bei Koller in Höpfel/Ratz, WK2 StGB Paragraph 181 g, Rz 4ff), aber auch eine Anknüpfung an das Tierschutzgesetz ist denkbar vergleiche Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 Paragraph 181 f, Rz 5, der auf Paragraph 6, Tierschutzgesetz verweist). Im Einzelfall können verwaltungsrechtlich auch Ausnahmen von allgemeinen Schutzvorschriften in Betracht kommen.

III. Zur Auslegung der Wendung „eine nur unerhebliche Menge der Exemplare“ in § 181f Abs. 1 letzter Halbsatz StGB2

Die RL Umweltstrafrecht selbst enthält keine Definition oder begriffliche Klarstellung, was unter einer unerheblichen Menge oder unerheblichen Auswirkungen zu verstehen ist. In den Erläuternden Bemerkungen zu BGBl. römisch eins Nr. 103/20113 wird festgehalten (1392 BlgNR 24. GP, S 7, Hervorhebung hinzugefügt, Anm.):

„Die in den einzelnen Landesgesetzen enthaltenen verwaltungsrechtlichen Vorschriften zum Schutz dieser geschützten Tier- oder Pflanzenarten sollen daher durch die vorgeschlagenen Bestimmungen der Paragraphen 181 f bis 181g ergänzt werden, wobei hinsichtlich der Einschränkung darauf verwiesen wird, dass je nach Gefährdungsgrad bereits ein Exemplar eine „erhebliche Menge“ darstellen kann.“

In den Erläuternden Bemerkungen zu Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 106 aus 2014,, wird ergänzend ausgeführt, dass die Europäische Kommission in der bislang geltenden Fassung von Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB ein Strafbarkeitsdefizit in Fällen erblickt hat, in denen von den Kriterien der erheblichen Menge und der erheblichen Auswirkungen eines erfüllt ist, das andere aber nicht. Die noch näher am Richtlinientext orientierte Neufassung sollte diesen Bedenken begegnen vergleiche EBRV 348 BlgNR 25. GP, Sitzung 3).

Nach dem Schrifttum ist die Wendung „nur unerhebliche Menge der Exemplare“ in Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB in Relation zum gesamten Bestand der jeweiligen Tier- und Pflanzenart auszulegen (Schwaighofer in Birklbauer et. al., StGB: Praxiskommentar [2017], Paragraph 181 f, StGB Rz 3; Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 [2016] Paragraph 181 f, Rz 4). Zur Rechtslage in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 103 aus 2011,, wurde vertreten, dass je seltener eine Art ist, desto weniger Exemplare betroffen sein müssen, um von einer „erheblichen Menge“ zu sprechen (Malecky, Die strafrechtlichen Änderungen ab dem 1.1.2012, JAP 2011/2012, 196; Manhart in Sbg Kommentar zum StGB Paragraph 181 f, Rz 11). Zur Rechtslage seit dem 1.1.2015 wird zudem vertreten, dass von der Strafbarkeit auch Mengen und Auswirkungen erfasst sein können, die zwar nicht erheblich sind (und damit nicht das Tatbild der Bestimmung alter Fassung erfüllt hätten), aber auch nicht unerheblich, und damit nicht unter die Ausnahmeregelung der Bestimmung subsumierbar sind („durchschnittliche“ Mengen und Auswirkungen, Salimi, Umweltstrafrecht in Ennöckl/Niederhuber [Hrsg.], Jahrbuch Umweltrecht 2016 [2016] 249 [251]).

Unterschiedliche Ansichten gibt es zur Frage, ob es sich schon bei einem Tier oder einer Pflanze um eine nicht nur unerhebliche Menge der Exemplare handeln kann:

Ein Teil der Lehre geht davon aus, dass es sich jedenfalls um mehrere Exemplare handeln muss (Schwaighofer in Birklbauer et. al., StGB: Praxiskommentar [2017], Paragraph 181 f, StGB Rz 3, der von „zumindest drei“ spricht; zur alten Rechtslage Manhart in Sbg Kommentar zum StGB Paragraph 181 f, Rz 11). Auch bei einer sehr seltenen Art müsse es immer mehr als ein einziges Exemplar sein, denn bei einem Exemplar liege keine Menge vor (Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4 [2016] Paragraph 181 f, Rz 4). Andere Kommentatoren vertreten dagegen, dass auch schon ein Exemplar das Tatbild erfüllen kann (Koller in Höpfel/Ratz, WK² StGB zu Paragraph 181 g, StGB Rz 7; Salimi, Umweltstrafrecht in Ennöckl/Niederhuber [Hrsg.], Jahrbuch Umweltrecht 2016 [2016] 249 [251]; zur alten Rechtslage schon Reindl-Krauskopf/Salimi, Umweltstrafrecht [2013] Rz 179; Aicher-Hadler in WK StGB Paragraph 181 f, Rz 7).

Die Generalprokuratur hat festgehalten, dass sich der Mehrzahlbegriff „Exemplare“ in Artikel 3, Litera f, der RL Umweltstrafrecht auf den Plural der jeweils Gattungen benennenden Referenzbegriffe, nämlich (geschützte, wildlebende) Tier- oder Pflanzenarten bezieht, also nicht ausschließlich eine Mehrzahl an Einzelexemplaren der jeweiligen Tier- oder Pflanzenart meint. Diesem somit auch Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB zugrundeliegenden semantischen Begriffsverständnis entspricht auch das Ergebnis einer Begriffsinterpretation im Gesamtzusammenhang der in Rede stehenden Bestimmung. Schutzobjekt des Paragraph 181 f, StGB ist – wie die Überschrift („Vorsätzliche Schädigung des Tier- oder Pflanzenbestandes“) und der Ausschlusstatbestand („nur unerhebliche Menge der Exemplare“, „nur unerhebliche Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art“) verdeutlichen – der Tier- oder Pflanzenbestand als solcher, nicht aber ein jeweiliges Einzelexemplar als Individuum. Der Begriff „Exemplare“ meint daher nicht ausschließlich eine Mehrheit an individuellen Einzeltieren oder Einzelpflanzen, sondern kann auch bereits bei Betroffenheit von nur einem Exemplar verwirklicht sein. Die Generalprokuratur verwies ferner auf die oben dargestellten Erläuternden Bemerkungen zu BGBl. römisch eins Nr. 103/2011/103; 1392 BlgNR 24. Gesetzgebungsperiode 7 (Rechtssatz der Generalprokuratur, 27.10.2016, Gw 147/16, JSt 2017, 69; vergleiche dazu auch Salimi, Umweltstrafrecht in Ennöckl (Hrsg.), Jahrbuch Umweltrecht [2018] 229, 231f).

Entgegen anderer Ansicht in Teilen des Schrifttums kann demnach aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz - unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung - je nach Tier- oder Pflanzenart bereits bei einem Exemplar eine nicht nur unerhebliche Menge der Exemplare iSd Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB vorliegen.

IV.  Erheblichkeitsschwelle in Bezug auf konkrete Tierarten

Wie unter Punkt römisch II. dargestellt, ist die Erheblichkeitsschwelle in Relation zum gesamten Bestand der jeweiligen Tier- und Pflanzenart auszulegen.

Seitens des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (in Folge BMK) wurden das Umweltbundesamt und BirdLife Österreich beauftragt, Grundlagen für die „Schädigung des Tier- und Pflanzenbestandes, Erheblichkeitsschwelle iZm Paragraph 181 f, StGB“ zu erarbeiten. Die Studien legen jeweils besonderen Wert auf die Erklärung der zwischen den beiden Studien abgestimmten Herleitung der Ergebnisse. Unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung stellen nach übereinstimmender Ansicht des Bundesministeriums für Justiz und des BMK die in den Studien angeführten Schwellenwerte hinsichtlich der genannten Arten eine fundierte Richtlinie für die Beurteilung der nicht nur unerheblichen Menge der Exemplare iSd Paragraph 181 f, Absatz eins, StGB dar. Wie unter Punkt römisch III. dargestellt, gebietet die Verwaltungsakzessorietät jedoch auch die Prüfung des Übertretens einer bzw. Zuwiderhandelns gegen eine generelle(n) oder individuelle(n) Verwaltungsvorschrift im Einzelfall.

Das Schreiben des BMK ist diesem Erlass als Beilage ./A, der Bericht des Umweltbundesamts als Beilage ./B sowie jener von BirdLife Österreich als Beilage ./C angeschlossen.

Aufgrund der Vielzahl der potentiellen Tatobjekte vergleiche Paragraph 181 f, Absatz 2, StGB) kann nur eine Darstellung zu ausgewählten Tierarten erfolgen, in den übrigen Fällen wird die Beurteilung der Erheblichkeitsschwelle, die im Sinne der vorstehenden Ausführungen auch bei schon einem Exemplar vorliegen kann, im Einzelfall vorzunehmen sein.

1  ABl. L 328 vom 6.12.2008, S. 28ff.

2  „…es sei denn, dass die Handlung eine nur unerhebliche Menge der Exemplare betrifft und auf den Erhaltungszustand der Art nur unerhebliche Auswirkungen hat.“

3  § 181f Abs. 1 idF BGBl. I Nr. 103/2011 lautete: „Wer eine erhebliche Menge von Exemplaren einer geschützten wildlebenden Tierart entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag tötet, besitzt oder deren Entwicklungsformen zerstört oder aus der Natur entnimmt oder eine erhebliche Menge von Exemplaren einer geschützten wildlebenden Pflanzenart zerstört, besitzt oder aus der Natur entnimmt und dadurch eine erhebliche Auswirkung auf den Erhaltungszustand der Art bewirkt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.