Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

17.02.2025

Geschäftszahl

W221 2299927-1

Spruch


W221 2299927-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die BBU, gegen Spruchpunkt römisch eins. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2024, Zl. römisch 40 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.01.2025 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 28, Absatz 2, VwGVG in Verbindung mit Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 08.09.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Befragt zu seinen Fluchtgründen, gab dieser an, er habe als Reinigungskraft für die somalische Regierung in Mogadischu gearbeitet und sei deswegen von der Al-Shabaab mit dem Tod bedroht worden. Selbst nachdem der Beschwerdeführer gekündigt worden sei, habe die Al-Shabaab ihn weiterhin töten wollen.

Am 27.08.2024 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, der an die Al-Shabaab zu zahlende Zakat sei immer erhöht worden. Im Juni römisch 40 sei der Zakat der Familie des Beschwerdeführers zu wenig gewesen, weswegen zusätzlich gefordert worden sei, der Beschwerdeführer solle als ältester Sohn der Familie zur Al-Shabaab gehen. Der Beschwerdeführer sei von der Al-Shabaab mitgenommen worden, acht Monate lang in einem Lager in Jilib festgehalten worden und wegen seiner Erkrankung aufgrund von Interventionen seines Stiefvaters schließlich freigelassen worden. Noch am selben Tag seien der Beschwerdeführer und sein Stiefvater nach Kismaayo und anschließend nach Mogadischu gereist.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des BFA vom 31.08.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt römisch eins.) und ihm gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt römisch II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr gemäß Paragraph 8, Absatz 4, AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt römisch III.).

Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia, stellte die Identität des Beschwerdeführers nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer unglaubwürdig sei.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurden im Wesentlichen mangelhafte Ermittlungen, mangelhafte Länderfeststellungen, die mangelhafte Beweiswürdigung und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides geltend gemacht.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 01.10.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.01.2025 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und ihm Gelegenheit gegeben wurde, zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung zu nehmen.

Zugleich wurde dem Beschwerdeführer am Ende der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zum neuen Länderinformationsblatt Somalia der Staatendokumentation vom 16.01.2025 bis zum 30.01.2025 abzugeben. Eine diesbezügliche Stellungnahme langte am 31.01.2025 ein, in der insbesondere auf die Risikoprofile von UNHCR hingewiesen wurde, unter die der Beschwerdeführer als eine Person, die gegen die von Al-Shabaab auferlegten Vorschriften verstoßen habe, indem er die Zakat nicht entrichten habe können, fallen würde.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger, gehört dem Clan der Dir an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer ist in Mogadischu geboren, ist aber in Jilib in der Region Middle Jubba aufgewachsen und lebte dort bis zu seiner Ausreise. Jilib steht unter Kontrolle der Al-Shabaab.

Der Beschwerdeführer hat in Somalia eineinhalb Jahre die Schule besucht, in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet und vor seiner Ausreise zwei Wochen als Reinigungskraft in einem Hotel in Mogadischu gearbeitet.

Der leibliche Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Der Stiefvater, die Mutter, zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in Kismaayo. Mit diesen Angehörigen in Kismaayo hat der Beschwerdeführer Kontakt über die sozialen Medien. Der aktuelle Aufenthalt einer weiteren Schwester und der Ehefrau des Beschwerdeführers kann nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer reiste im März römisch 40 legal mit dem Flugzeug aus Somalia in die Türkei aus, reiste nach einem etwa drei Monate langen Aufenthalt in der Türkei über mehrere Länder unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am 08.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Ausreise hat etwa 1.500 US-Dollar gekostet.

Der Beschwerdeführer wurde wegen der Nichtbezahlung des Zakats nicht von der Al-Shabaab mitgenommen bzw. für acht Monate inhaftiert, anschließend durch Bemühungen seines Stiefvaters aufgrund einer Erkrankung freigelassen, zur Flucht aus Jilib bewogen und mittels eines Anrufes in Mogadischu bedroht.

Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Somalia droht diesem keine Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab und auch generell nicht die Gefahr, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt durch die Al-Shabaab bedroht zu werden.

Der Beschwerdeführer hat in Somalia bisher aufgrund seiner Clanzugehörigkeit keine Diskriminierung erfahren, eine solche droht ihm auch im Falle der Rückkehr nicht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Aus dem Länderinformationsblatt Somalia der Staatendokumentation, Stand: 16.01.2025

„Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

[…]

Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)

[…]

Middle Juba: Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 28.6.2024; vergleiche Sahan/SWT 14.6.2023). Jilib ist de facto die Hauptstadt der Gruppe (C4/Jamal 15.6.2022).

[…]

Al Shabaab

[…]

Gebiete: Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias (BMLV 7.8.2024; vergleiche Rollins/HIR 27.3.2023) und verfügt über ein starkes Hinterland (AQ21 11.2023). Die Gruppe bleibt auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie in vielen Fällen regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete und Städte verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität auf Gebiete unter Kontrolle staatlicher Kräfte Einfluss und Macht aus (BMLV 7.8.2024).

Die Hochburgen von al Shabaab finden sich in den Bundesstaaten Jubaland, SWS, HirShabelle und Galmudug (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023b). Die Gruppe kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und - in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (PGN 28.6.2024; vergleiche BMLV 7.8.2024).

[…]

Rechtsschutz, Justizwesen

[…]

„Steuer“-Wesen bei al Shabaab

In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes "Steuer"-System. Die Einhebung von Abgaben erfolgt systematisch, organisiert und kontrolliert (BS 2024). Al Shabaab führt ein Register über den Besitz "ihrer" Bürger, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen (Williams/ACSS 27.3.2023; vergleiche Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023), den zwei Quellen als "Zwangsspende" bzw. als "Schutzgeld" betiteln (MBZ 6.2023; vergleiche GITOC/Bahadur 8.12.2022). Der Zakat stellt eine der fünf Säulen des Islam dar, eine religiöse Verpflichtung, einen Prozentsatz seines Besitzes an die Armen abzugeben (UNSC 6.10.2021). Diese Abgabe betrifft nicht nur Individuen, sondern auch Betriebe (MBZ 6.2023). Al Shabaab hebt den Zakat zweimal jährlich auf die Agrarwirtschaft und einmal jährlich auf Viehwirtschaft und Wirtschaftstreibende ein. Außerdem erhält al Shabaab mit dem Infaq noch zusätzliche, freiwillige Beiträge zur Unterstützung von Kämpfern (UNSC 6.10.2021). Nach anderen Angaben handelt es sich dabei um eine Sondersteuer, die lokale Beamte al Shabaabs je nach Bedarf einheben können. Einen Teil davon erhalten Älteste, auch die Schulen der Gruppe werden so finanziert (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Zusätzlich lukriert al Shabaab aus Entführungen Lösegelder (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vergleiche UNSC 6.10.2021). Kommt es zu Finanzengpässen, erwartet sich die Gruppe von Clanältesten, Finanzierungslücken zu schließen (Gov Som 2022).

Was wird besteuert? Anders als der somalische Staat "besteuert" al Shabaab alles und jeden in Somalia (SRF 27.12.2021). Clanälteste helfen al Shabaab dabei, die Größe und die Finanzkraft ihres Clans zu bestimmen. Auf dieser Grundlage berechnet die Gruppe dann die fälligen „Steuern“ sowie die Anzahl der vom Clan zu stellenden Rekruten (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Die Haupteinnahmequelle der Gruppe ist die Besteuerung des Transits von Fahrzeugen und Gütern (UNSC 6.10.2021; vergleiche UNSC 10.10.2022). Dazu unterhält die Gruppe Dutzende von Checkpoints, die mit "Steuer"-Beamten besetzt sind (GITOC/Bahadur 8.12.2022). "Besteuert" werden u. a.:

●             Agrarwirtschaft (dalag beeraha): auf Höfe, agrarische Produkte und Land (UNSC 6.10.2021; vergleiche UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024; UNSC 6.10.2021); aus Diinsoor wird berichtet, dass zurückkehrende IDPs eine Landwirtschaftsgenehmigung beantragen und bezahlen müssen, damit sie ihre eigenen Ackerflächen bewirtschaften dürfen (UNSC 10.10.2022);

●             Vieh (xoolo): auf den Verkauf von Vieh, v. a. Rinder, Kamele, Ziegen (UNSC 6.10.2021; vergleiche UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024);

[…]

Wo und wie Abgaben eingehoben werden: Al Shabaab erhebt Abgaben insbesondere in den eigenen Gebieten (HI 10.2020; vergleiche BBC 18.1.2021). Doch auch in umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung von al Shabaab nicht befolgt (HI 10.2020); und selbst in den Gebieten, die sich nicht unter Kontrolle der Gruppe befinden, werden Gelder eingetrieben (MBZ 6.2023). Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen (UNSC 6.10.2021). Die Gruppe hebt in 10 von 18 somalischen Regionen Steuern ein (Williams/ACSS 27.3.2023; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden "Steuern" an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020; vergleiche SRF 27.12.2021) bzw. wurden Schattenverwaltungen aufgebaut (BS 2024). Das Einsammeln der Gelder erfolgt üblicherweise nicht persönlich, sondern über das Mobiltelefon (Landinfo 8.9.2022). Manchmal wird die Einhebung auch an Clanälteste delegiert, diese erhalten auch ein Gehalt aus den eingehobenen Steuern (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Laut einer Quelle verrechnet al Shabaab Abgaben i.d.R. in US-Dollar (AQ21 11.2023). Bezahlt wird entweder mit Bargeld oder aber über mobile Applikationen ("mobile money"). Laut einer anderen Quelle können Abgaben auch durch Sachleistungen bzw. Naturalien gegeben werden (MBZ 6.2023).

Zahlungsmoral: Theoretisch sind Steuerforderungen nicht verhandelbar, in der Praxis ist aber ein gewisses Maß möglich - gerade weil Clanälteste bei der Steuereinhebung eine wichtige Rolle spielen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vergleiche WP 31.8.2019). Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019). Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen (Bryden/TEL 8.11.2021). Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat (Weiss/FDD 11.8.2021). Die Gruppe baut auf ihre Reputation der Omnipräsenz und Einschüchterung - typisch für eine mafiöse Organisation. Der Zakat wird vom Amniyat [Nachrichtendienst von al Shabaab] durchgesetzt – und zwar durch Einschüchterung und Gewalt. Bei Zahlungsverweigerung droht die Ermordung (Williams/ACSS 27.3.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass es al Shabaab in der Vergangenheit diesbezüglich teils zu weit getrieben hat. In manchen Landesteilen war die Gruppe zu gierig und brachte die Bevölkerung gegen sich auf. Al Shabaab schreckt nicht davor zurück, Menschen durch Gewalt gefügig zu machen. Menschen werden entführt, Vieh weggenommen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Teilweise flieht die Bevölkerung vor der Besteuerung (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt an, dass al Shabaab in Folge des Aufstands der Macawiisley nun einen weniger autoritären Umgang mit den Clans pflegt und sich die Gruppe demnach den Umständen angepasst hat (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

[…]

Wehrdienst und Rekrutierungen

Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Kindersoldaten: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren (UNSC 2.2.2024; vergleiche HRW 11.1.2024; BS 2024). Hauptsächlich betroffen sind hiervon die Regionen Hiiraan, Bay, Lower Shabelle, Bakool und Middle Juba (UNSC 2.2.2024). Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 22.4.2024). Die Gruppe entführt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2024). Nach anderen Angaben bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan/SWT 6.5.2022). Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutierung entgehen (Sahan/SWT 6.5.2022). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 22.4.2024). Mitunter wird hierbei auch Gewalt angewendet (BS 2024). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 23.8.2024). Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 22.4.2024). Laut einer Quelle kann es zwar sein, dass al Shabaab auch Kinder von 8-12 Jahren aushebt; tatsächlich ist demnach der Einsatz von Kindern im Kampf aber unwahrscheinlich. Es gibt keine Bilder derart junger Kämpfer der al Shabaab unter den Gefallenen. Die Jüngsten sind mindestens 16 Jahre alt, entsprechend somalischer Tradition gelten sie damit als Männer. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer der Gruppe sind jedenfalls Männer über 18 Jahren (BMLV 7.8.2024).

Schulen und Lager: Viele der den Clans abgerungenen Kinder kommen zunächst in Schulen, wo sie indoktriniert und rekrutiert werden (USDOS 22.4.2024; vergleiche UNSC 6.10.2021). Die Gruppe betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum (VOA/Maruf 16.11.2022) und hat ein Bildungssystem geschaffen, das darauf ausgerichtet ist, Rekruten hervorzubringen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verbot andere islamische Schulen und hat eigene gegründet, die als „Islamische Institute“ firmieren. Diese orientieren sich an Clangrenzen, werden von Clans finanziert und stehen unter strenger Aufsicht der örtlichen Behörden der al Shabaab. Von den Clans wird erwartet, dass sie entweder Geld oder Schüler zur Verfügung stellen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In diesen Schulen werden die Schüler weltanschaulich indoktriniert, propagiert werden die Illegitimität der Bundesregierung und die Verpflichtung zum Dschihad (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In einem Fall wird berichtet, dass Schüler dort nach zwei Jahren ein Abschlusszeugnis erhalten haben (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Nach der Absolvierung einer solchen Schule werden die Absolventen normalerweise in Trainingslager der al Shabaab verbracht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vergleiche VOA/Maruf 16.11.2022). Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt (VOA/Maruf 16.11.2022). Nach Angaben eines Augenzeugen konnten Absolventen in seinem Fall über ihren weiteren Weg innerhalb der Organisation selbst entscheiden, etwa ob sie religiöse Studien betreiben oder in eine Teilorganisation eintreten wollten (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In einigen Gegenden betreibt al Shabaab auch „reguläre“ Schulen. Doch auch diese agieren nach der Ideologie der Gruppe (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Sie sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan/SWT 6.5.2022). Kinder werden dort einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren (USDOS 22.4.2024). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeinheiten - wie Danaab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (Sahan/SWT 6.5.2022).

Rekrutierung über Clans: Üblicherweise rekrutiert al Shabaab über die Clans (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Clans auf dem Territorium von al Shabaab müssen in Form junger Männer Tribut an die Gruppe abführen. Die Gruppe kommt in Dörfer, wendet sich an Älteste und fordert eine bestimmte Mannzahl (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; MBZ 6.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, Sitzung 105). Der Clan wird die geforderte Zahl stellen. Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 verfügt die Gruppe in den Clans über „Agenten“, welche die Auswahl der Rekruten vornehmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Angaben wendet sich al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle an Familien, um diese zur Herausgabe von Buben aufzufordern (Sahan/SWT 6.5.2022).

Jedenfalls treten oft Älteste als Rekrutierer auf (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben sind alle Wehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet für die Gruppe als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z. B. bei militärischen Operationen im Umfeld oder zur Aufklärung. Wehrfähig sind demnach auch Jugendliche mit 16 Jahren, die gemäß somalischer Tradition als erwachsen gelten (BMLV 7.8.2024).

Wo al Shabaab rekrutiert: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB Nairobi 10.2024). Rekrutiert wird vorwiegend in Gebieten unter Kontrolle der Gruppe, im südlichen Kernland, in Bay und Bakool (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Dort fällt al Shabaab dies einfacher, die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Etwa 40 % der Fußsoldaten von al Shabaab stammen aus diesen beiden Regionen (Marchal 2018, Sitzung 107). Auch bei den Hawiye / Galja'el und Hawiye / Duduble hat die Gruppe bei der Rekrutierung große Erfolge (AQ21 11.2023). Viele Kämpfer stammen auch von den Rahanweyn. Generell finden sich bei al Shabaab Angehörige aller Clans (MBZ 6.2023). Auch viele Menschen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten melden sich freiwillig zu al Shabaab (BMLV 7.8.2024).

[…]

Zwangsrekrutierung: Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQ21 11.2023; Ingiriis 2020), jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, Sitzung 92; vergleiche BMLV 7.8.2024; MBZ 6.2023). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021). Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei (MBZ 6.2023). Laut Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann man allerdings auf dem Gebiet der al Shabaab eine Rekrutierungsanfrage nicht einfach verneinen. Auch wenn al Shabaab Rekruten als Freiwillige präsentiert, haben diese i.d.R. keine wirkliche Option (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zudem erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab die Forderung nach Rekruten auch als Bestrafung einsetzt, etwa gegen Gemeinden, die zuvor mit der Regierung zusammengearbeitet haben. In anderen Gebieten, wo die Gruppe versucht, Clans auf die eigene Seite zu ziehen, hat sie hingegen damit aufgehört, Kinder wegzunehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Jedenfalls kommen Zwangsrekrutierungen vor - nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Bei zwei Studien aus den Jahren 2016 und 2017 haben 10-11 % der befragten ehemaligen Angehörigen von al Shabaab angegeben, von der Gruppe zwangsrekrutiert worden oder ihr aus Angst vor Repressalien beigetreten zu sein (MBZ 6.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass 13 % der Angehörigen der Gruppe Zwangsrekrutierte sind (ÖB Nairobi 10.2024). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen oder Versprechungen (FIS 7.8.2020a, Sitzung 18; vergleiche MBZ 6.2023), eine Unterscheidung zwischen "freiwillig" und "erzwungen" ist nicht immer möglich (MBZ 6.2023).

Wo Zwangsrekrutierungen vorkommen: Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQ21 11.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023; FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Überhaupt werden dort nur wenige Leute rekrutiert, und diese nicht über die Clans (AQ21 11.2023). Dort hat al Shabaab die Besteuerung im Fokus und nicht das Rekrutieren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) und hätte auch keine Kapazitäten dafür (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 auch für andere städtische Gebiete wie etwa Kismayo oder Baidoa (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 1.9.2021, Sitzung 21).

Verweigerung einer Rekrutierung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wie viele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan (BMLV 7.8.2024). So kann es dann z. B. zur Entführung oder Ermordung unkooperativer Ältester kommen (MBZ 6.2023). Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufs (BMLV 7.8.2024; vergleiche MBZ 6.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 7.8.2024). Generell haben größere Clans aufgrund gegebener Ressourcen eher die Möglichkeit, sich von Rekrutierungen freizukaufen, als dies bei Minderheiten der Fall ist (MBZ 6.2023). Insgesamt besteht offenbar Raum für Verhandlungen. Wenn die Gruppe beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Schülern für ihre Schulen verlangt, kann ein Clan entweder Kinder zum Besuch dieser Schulen schicken oder für eine bestimmte Anzahl von Schülern anderer Clans bezahlen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Eine andere Möglichkeit besteht in der Flucht (MBZ 6.2023). Eltern schicken ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022). Junge Männer flüchten mitunter nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Andererseits berichtet ein Augenzeuge, dass jene Jugendlichen, die nach Absolvierung einer Schule der al Shabaab vor einer möglichen Zwangsrekrutierung nach Mogadischu geflohen sind, bald wieder in die Heimat zurückkehrten, weil ihre Eltern bestraft worden sind (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In anderen Fällen sind gleich ganze Familien vor einer Rekrutierung der Kinder geflohen, viele endeten als IDPs (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle erklärt, dass, wer sich generell Rekrutierungen widersetzt, bedroht oder in Haft gesetzt wird (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es meist zu Gewalt (BMLV 7.8.2024; vergleiche UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

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Minderheiten und Clans

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vergleiche SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

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Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vergleiche BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, Sitzung 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vergleiche DI 6.2019, Sitzung 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

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Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

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Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

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Relevante Bevölkerungsgruppen

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Subjekte gezielter Attentate durch al Shabaab und anderer terroristischer Gruppen

Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats bzw. Vorgehens durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:

●             Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS (BS 2024; vergleiche USDOS 30.6.2024; ÖB Nairobi 10.2024) sowie deren lokale Angestellte (BMLV 7.8.2024);

●             nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter (Williams/ACSS 27.3.2023; vergleiche BS 2024; MBZ 6.2023); die öffentlichen Institutionen Somalias werden von al Shabaab als unislamisch erachtet (MBZ 6.2023);

●             Angehörige der nationalen Sicherheitskräfte (BS 2024; vergleiche MBZ 6.2023; USDOS 30.6.2024) im sowie abseits des Dienstes (MBZ 6.2023);

●             Politiker von Bund und Bundesstaaten (MBZ 6.2023; vergleiche Williams/ACSS 27.3.2023; BS 2024); al Shabaab greift z. B. gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen. Laut einer Quelle haben hochrangige Politiker eine höhere Priorität (MBZ 6.2023);

●             mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten (USDOS 22.4.2024) und ehemalige oder pensionierte Staatsvertreter - z. B. vormalige Bezirksvorsteher (TSD 20.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 6.3.2024);

●             Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen (USDOS 22.4.2024); Mitarbeiter werden mitunter beschuldigt, das Christentum verbreiten zu wollen (USDOS 30.6.2024).

●             Wirtschaftstreibende (Sahan/SWT 7.9.2022), insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld ("Steuer") an al Shabaab abzuführen, aber auch, wenn sie die Regierung unterstützen oder einem Clan angehören, der in die Militäroffensive involviert ist (MBZ 6.2023). Ins Visier geraten mitunter auch jene, welche auf Anordnung der NISA an den eigenen Gebäuden Überwachungskameras der Sicherheitsbehörden installiert haben (HIPS 7.5.2024);

●             Älteste und Gemeindeführer (Williams/ACSS 27.3.2023; vergleiche USDOS 22.4.2024; MBZ 6.2023); gemäß somalischen Regierungsangaben aus dem Jahr 2022 hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert (KM 31.8.2022). Älteste, die nicht oder nicht ausreichend mit der Gruppe kooperieren, werden mitunter eingeschüchtert, entführt oder ermordet (MBZ 6.2023). In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Ältesten ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben (BMLV 9.2.2023; vergleiche UNSC 15.6.2023; Sonna 12.4.2023; INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies betrifft insbesondere Älteste der Hawadle (BMLV 7.8.2024; vergleiche HO 21.3.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IO-D/STDOK/SEM 4.2023), aber z. B. auch Älteste in der Region Gedo (Sahan/SWT 17.11.2023) und der Saleban (MBZ 6.2023), Abgaal in Middle Shabelle und vereinzelt Älteste in Mudug (BMLV 7.8.2024);

●             Unterstützer der Macawiisley, z. B. zivile Informanten; ganze Gemeinden sind von Rachemaßnahmen bedroht (Sahan/Petrovski 3.5.2024);

●             Wahldelegierte (UNSC 15.6.2023; vergleiche Williams/ACSS 27.3.2023; MBZ 6.2023) und deren Angehörige (USDOS 22.4.2024; vergleiche UNSC 10.10.2022); in der Vergangenheit hat al Shabaab alle, die an Wahlen teilnehmen, als Apostaten bezeichnet und sie zu potenziellen Zielen für Anschläge erklärt (Sahan/SWT 9.6.2023; vergleiche MBZ 6.2023). Von Anfang 2021 bis Juli 2023 gab es mehr als 50 diesbezügliche Vorfälle, 71 % davon in Mogadischu (ACLED 28.7.2023). Doch auch etwa in Bay und Bakool wurden Delegierte getötet (Sahan/SWT 21.8.2023);

●             Angehörige diplomatischer Missionen (USDOS 22.4.2024);

●             prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten bzw. Organisationen der Zivilgesellschaft (USDOS 22.4.2024; vergleiche MBZ 6.2023);

●             religiöse Führer (Williams/ACSS 27.3.2023; vergleiche MBZ 6.2023); laut einer Quelle hat es aber in der jüngeren Vergangenheit keine Attentate auf religiöse Führer gegeben (MBZ 6.2023).

●             Journalisten (BS 2024; vergleiche MBZ 6.2023) und Mitarbeiter von Medien (USDOS 22.4.2024);

●             Humanitäre Kräfte (BS 2024; vergleiche MBZ 6.2023);

●             Telekommunikationsarbeiter (USDOS 22.4.2024);

●             mutmaßliche Kollaborateure und Spione - siehe auch weiter unten (HRW 11.1.2024; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; BS 2024; USDOS 22.4.2024);

●             Deserteure (MBZ 6.2023); siehe dazu Wehrdienst und Rekrutierungen / Al Shabaab - Deserteure und ehemalige Kämpfer

●             als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten) (BS 2024) oder Blasphemiker (USDOS 30.6.2024) bzw. Personen, die nicht der Glaubensauslegung von al Shabaab folgen (z. B. Sufis) (BMLV 7.8.2024); siehe dazu Religionsfreiheit

●             (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staates in Somalia (ISS) (AA 23.8.2024; vergleiche HO 26.3.2023); den ISS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse (JF 14.1.2020);

●             Personen, die einer Schutzgelderpressung ("Steuern") nicht nachkommen

Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. "Steuern" an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (BMLV 7.8.2024).

Spionage und Kollaboration: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden (AA 23.8.2024). Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird (HRW 11.1.2024; vergleiche USDOS 30.6.2024). Beispiele für Hinrichtungen: Im Jänner 2024 werden in Jilib sieben Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung, die Regierung von Jubaland, die USA und Kenia öffentlich exekutiert (Halqabsi 15.1.2024). Im Juni 2023 werden in Kunyo Barrow, Lower Shabelle, fünf Männer wegen angeblicher Spionage für die Bundesregierung und ausländische Nachrichtendienste öffentlich durch Erschießen exekutiert (SMN 16.6.2023).

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Grundsätzliche Ziele: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden (BMLV 9.2.2023). Hotels werden i.d.R. angegriffen, um die Entrichtung von Steuern und Abgaben einzumahnen. Möglicherweise anwesende Staatsvertreter gelten hierbei als „Draufgabe“. Ausnahmen dazu können vorkommen, etwa, wenn ein Anschlag einer bestimmten Feier in einem Hotel gilt oder wenn sich dort gleichzeitig drei Minister befinden würden. Anschläge auf Cafés und Restaurants fallen entweder ebenfalls in die Kategorie „Mahnung“ oder sollen Schlagzeilen machen - etwa wenn ein Anschlag auf Fußballzuschauer verübt wird, um daran zu erinnern, dass Fußball aus Sicht von al Shabaab „un-islamisch“ ist (BMLV 7.8.2024).

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Drohungen: Eine Quelle der FFM Somalia 2023, deren Mitarbeiter in vielen Teilen Somalias arbeiten, erklärt, dass Bedrohungen durch al Shabaab nicht überprüfbar sind. Tatsächlich ist oft unklar, wer hinter einer Drohung steht, ob es um den Arbeitgeber geht oder um Persönliches oder um ein Familienmitglied (weil z. B. der Vater Polizist ist). Kein Mitarbeiter dieser großen Organisation hat bisher wegen Drohungen die Organisation verlassen müssen (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle der FFM erläutert diesbezüglich: Wenn eine Person eine Textnachricht von al Shabaab erhalten hat und darin nur Drohungen ausgesprochen und keine Forderungen gestellt werden, dann ist es oft schwierig, tatsächlich al Shabaab als Absender festzustellen. Die Nachricht kann auch von einer anderen Quelle stammen, die dafür eigene Motive hat. Zusätzlich agiert al Shabaab als Stellvertreter anderer mafiöser Strukturen. Wenn z. B. ein Mord aufgrund von wirtschaftlichen oder Clan-Interessen ausgeführt wird, kann dieser von al Shabaab vollzogen werden - oder aber die Gruppe wird dafür verantwortlich gemacht (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

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Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen (BMLV 7.8.2024).

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Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen ("Steuern")

Betriebe und Einzelpersonen werden durch Angst genötigt, Geld an al Shabaab abzuführen (UNSC 10.10.2022, Absatz 46,). Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben (HI 10.2020). Für Zahlungsverzögerungen bei "Steuer"-Forderungen drohen i.d.R. hohe Strafzahlungen (GN 10.11.2022b; vergleiche HI 10.2020) oder der Ausschluss von Märkten (HI 10.2020). Wenn z. B. ein Fahrer eine Abgabe verweigert oder versucht, einen Checkpoint der al Shabaab zu umfahren, dann muss er als Strafe meist den doppelten Betrag abführen. Diese nicht-verhandelbare Strafe wird etwa per SMS "zugestellt" oder aber Fahrzeugbesitzer oder Fahrer werden per Nachricht an eines der Schariagerichte der Gruppe einberufen (GITOC/Bahadur 8.12.2022). Auf Zahlungsverweigerungen folgen Drohungen (BS 2024) oder die Konfiszierung von Gütern (MBZ 6.2023). Für al Shabaab ist es nicht schwierig, eine Telefonnummer zu bekommen. So kann die Gruppe jede Person erreichen. In Mogadischu rufen sie z. B. Mitarbeiter einer Quelle an und sagen: "Kommen Sie zum Ort römisch zehn und geben sie uns 2.000 US-Dollar." In anderen Gebieten hat al Shabaab einen direkteren Zugriff (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Allerdings ist es immer möglich, dass hinter Steuerforderungen gar nicht al Shabaab steht, sondern andere kriminelle Akteure, die sich als al Shabaab ausgeben. Im Fall einer Weigerung der Zahlung an al Shabaab gibt es in vielen Fällen einen Spielraum für Verhandlungen über die Höhe (Landinfo 8.9.2022). Bei einer völligen Verweigerung übergibt al Shabaab den "Fall" dem Amniyat (MBZ 6.2023).

Später folgen auch Todesdrohungen (HI 10.2020). In extremen Einzelfällen kann es vorkommen, dass al Shabaab Personen, die keine Gebühren abführen wollen, tötet (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vergleiche BS 2024; MBZ 6.2023). Auch wenn derartige Fälle sehr selten sind, sorgen sie dafür, dass andere aus Angst freiwillig „Steuern“ abführen (GITOC/Bahadur 8.12.2022). Es kommt auch zur Zerstörung von Eigentum und Betriebsmitteln (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche GITOC/Bahadur 8.12.2022; HI 10.2020). Manchmal werden Geschäfte mit Sprengsätzen zerstört (MBZ 6.2023). Oder aber al Shabaab sorgt dafür, dass Unternehmen keine Aufträge mehr erhalten. Wirtschaftstreibende verschweigen es üblicherweise, wenn sie Geld an al Shabaab abführen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige "Steuer"-Zahlungen im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele, wiewohl al Shabaab einen "günstigen" Zeitpunkt abwartet, um gleichzeitig auch solche Ziele zu treffen (BMLV 7.8.2024). Ein anderes Beispiel stammt aus Galmudug im Jahr 2022, wo Nomaden den Forderungen von al Shabaab nicht nachgekommen sind. Dort griff al Shabaab die Gemeinde an, entführte und tötete Nomaden und plünderte ihren Viehbestand (UNSC 10.10.2022, Absatz 47 f,).

Generell halten Todesdrohungen und - in Einzelfällen - tatsächlich angewandte Gewalt das "Steuer"-System der al Shabaab aufrecht (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vergleiche AQ21 11.2023; MBZ 6.2023). Die Androhung von Gewalt ist insofern ein Sparfaktor, als es aus Sicht von al Shabaab dadurch weniger Kontrolle braucht (AQ21 11.2023). Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden (HI 10.2020). Nach anderen Angaben besteht dieser Druck z. B. in Bossaso weniger stark, in Garoowe kaum (AQ21 11.2023).“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, die bereits im angefochtenen Bescheid getroffen wurden, stützen sich auf die zitierten Quellen und wurden von den Parteien nicht substanziell bestritten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers und seiner Clan- sowie Religionszugehörigkeit gründen sich auf seine diesbezüglichen übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben im Verfahren.

Die Feststellung dazu, dass der Beschwerdeführer in Mogadischu geboren ist und abgesehen davon sein gesamtes Leben in Jilib in der Region Middle Jubba verbracht hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen übereinstimmenden Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung. Dass sich Jilib im Entscheidungszeitpunkt unter Kontrolle der Al-Shabaab befindet, stützt sich auf die zitierten Länderberichte und die damit in Einklang stehende Angabe des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung zur schulischen Bildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers in Somalia ergibt sich aus seinen entsprechenden übereinstimmenden und damit glaubhaften Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung zum Ableben des Vaters des Beschwerdeführers und zum aktuellen Aufenthalt seines Stiefvaters, seiner Mutter, seiner beiden Brüder und einer seiner Schwestern ergibt sich ebenso aus seinen diesbezüglichen gleichlautenden und damit glaubhaften Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung. Der Beschwerdeführer gab damit im Zusammenhang stehend in der mündlichen Verhandlung an, er habe mit seinen in Kismaayo lebenden Familienangehörigen zuletzt Kontakt gehabt, als er sich in der Türkei befunden habe. Vor dem BFA, und damit zu einer Zeit, die etwa zwei Jahre nach dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Türkei gelegen ist, gab der Beschwerdeführer jedoch noch an, er habe mit seinen in Kismaayo lebenden Familienangehörigen über die sozialen Medien Kontakt, sodass es schon nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer seit seinem Aufenthalt in der Türkei keinen Kontakt mehr mit seinen in Kismaayo lebenden Familienangehörigen gehabt habe. Es liegen außerdem auch keine Anhaltspunkte dafür vor, wieso der Beschwerdeführer nunmehr nicht über die sozialen Medien in Kontakt mit seinen in Kismaayo lebenden Familienangehörigen mehr stehen sollte. Der momentane Aufenthalt einer weiteren Schwester und seiner Ehefrau kann nicht festgestellt werden, da der Beschwerdeführer sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung angab, nicht zu wissen, wo sich diese beiden Familienangehörigen von ihm aufhalten würden.

Die Feststellungen zur Ausreise aus Somalia, zur Weiterreise nach Österreich und zu den Kosten der Ausreise ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, er sei wegen der Nichtbezahlung des Zakats von der Al-Shabaab mitgenommen, für acht Monate inhaftiert, wegen seiner Erkrankung auf Hinwirken seines Stiefvaters freigelassen worden, aufgrund dessen aus Jilib geflohen und mittels eines Anrufes in Mogadischu bedroht worden, ist aufgrund des widersprüchlichen und unplausiblen Vorbringens des Beschwerdeführers vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft. Auffallend ist dabei zunächst, dass der Beschwerdeführer die Erstbefragung nicht dafür nutzte, um auch nur ansatzweise diesen behaupteten Fluchtgrund zu artikulieren. Es ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei in der Erstbefragung falsch protokolliert worden, dass er in Mogadischu als Reinigungskraft für die somalische Regierung gearbeitet habe, zwar zu folgen, als er vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angab, er habe lediglich in einem Hotel als Reinigungskraft gearbeitet, in welchem auch Regierungskräfte genächtigt hätten. Dies erklärt jedoch nicht, wieso der Beschwerdeführer in der Erstbefragung mit keinem Wort die auf die Nichtbezahlung des Zakats folgenden Konsequenzen erwähnte.

Davon abgesehen erstattete der Beschwerdeführer widersprüchliche und unplausible Angaben hinsichtlich des Grundes der Mitnahme des Beschwerdeführers durch die Al-Shabaab. Der Beschwerdeführer schilderte damit zusammenhängend vor dem BFA, die Al-Shabaab habe den Zakat zwar immer erhöht, doch habe die Familie des Beschwerdeführers bis Juni römisch 40 ungestört leben können und habe sie bis dahin den erhöhten Zakat immer begleichen können, nur jenen im Juni römisch 40 habe sie nicht mehr bezahlen können. In der Beschwerde wird hingegen konträr ausgeführt, die Familie des Beschwerdeführers habe den Zakat bereits über einen ungefähren Zeitraum von sechs Monaten nicht aufbringen können. Obgleich damit dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen ist, wann die fehlende Liquidität eingetreten sei, so geht aus diesem Vorbringen doch hervor, dass die Familie des Beschwerdeführers über einen längeren Zeitraum und damit keinesfalls lediglich mit Stichpunkt Juni römisch 40 zahlungsunfähig gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung kehrte der Beschwerdeführer hingegen in diesem Belangen inhaltlich zu seinem Vorbringen vor dem BFA zurück, als er auch hierbei erneut anführte, bis Juni römisch 40 in Jilib friedlich gelebt zu haben und erst der von der Al-Shabaab geforderte Zakat in der Höhe von 500 US-Dollar im Juni römisch 40 für die Familie nicht mehr bezahlbar gewesen sei; er erwähnte mit keinem Wort, dass seine Familie schon vor Juni römisch 40 Probleme mit der Al-Shabaab bzw. Probleme mit der Bezahlung des Zakats gehabt habe, was jedoch seltsam anmutet, als in der Beschwerde auch ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren des BFA unter anderem gerade dieses Detail erzählen hätte wollen.

Hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit des Zakats bzw. von Steuern wird in den zitierten Länderberichten zwar ausgeführt, dass Menschen de facto keine Wahl haben und die Al-Shabaab bezahlen müssen, sowie dass Steuerforderungen theoretisch nicht verhandelbar sind, doch ist in der Praxis ein gewisses Maß möglich und gibt es in vielen Fällen bei der Weigerung der Zahlung Spielraum für Verhandlungen über die Höhe. In Anbetracht dessen, dass die Familie des Beschwerdeführers die finanziellen Mittel in der Höhe von etwa 1.500 US-Dollar für seine Ausreise aus Somalia innerhalb einer relativ kurzen Zeit durch den Verkauf von deren Vieh bzw. 200 Ziegen erwirtschaften konnte, ist nicht nachvollziehbar, wieso ein Teil des Viehs bzw. der Ziegen nicht schon eher für die Begleichung der von der Al-Shabaab gestellten Forderung verkauft worden sei. Unter Zugrundelegung der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, eine Ziege sei für 60 bis 80 US-Dollar verkauft worden, hätten für die Begleichung des Zakats in der Höhe von 500 US-Dollar nur etwa acht der insgesamt 200 Ziegen verkauft werden müssen. Selbst, wenn die Familie des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Forderungsstellung durch die Al-Shabaab daher nicht sofort über die entsprechenden liquiden Mittel verfügt hätte, so wäre im Lichte der Länderberichte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wohl doch verhandelbar gewesen, die Zeit für den Verkauf dieser acht Ziegen zu bekommen. Da den zitierten Länderberichten außerdem zu entnehmen ist, dass der Zakat im Zusammenhang mit der Vieh-und Landwirtschaft gewöhnlich lediglich einmal bzw. zweimal jährlich eingetrieben wird, wäre es der Familie des Beschwerdeführers auch zumutbar gewesen, einen relativ kleinen Teil ihres Viehbestandes für die Begleichung der Zakatforderung zu verkaufen. Davon abgesehen wären nach dem Verkauf der acht Ziegen auch weiterhin genug Ziegen vorhanden gewesen, um den seit jeher durch die Vieh- und Landwirtschaft bestrittenen Lebensunterhalt der Familie des Beschwerdeführers zu decken.

Zusätzlich verwickelte sich der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit den an die Zahlungsunfähigkeit des Zakats anknüpfenden Konsequenzen in gravierende Widersprüche. Der Beschwerdeführer gab vor dem BFA diesbezüglich lediglich an, Al-Shabaab habe, nachdem der Zakat nicht bezahlt worden sei, gefordert, dass er zur Al-Shabaab komme, sei mitgenommen und für acht Monate in einem Lager festgehalten worden. Davon stark abweichend ist dem Beschwerdevorbringen hingegen zu entnehmen, Al-Shabaab habe aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Zakats, bevor sie die Übergabe des Beschwerdeführers an sie gefordert hätten, das Land der Familie des Beschwerdeführers angezündet. Erneut divergierend schilderte der Beschwerdeführer das Vorgehen von der Al-Shabaab in der mündlichen Verhandlung. Hierbei führte der Beschwerdeführer nämlich aus, die Al-Shabaab habe ihn zunächst in eine Moschee vorgeladen, wo er zu den Hintergründen der Nichtbezahlung des Zakats befragt worden sei und habe der Beschwerdeführer daraufhin geantwortet, er könne es sich schlichtweg nicht leisten. Die Al-Shabaab habe sodann eine Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer verlangt, welche er jedoch abgelehnt habe und aufgrund dessen sei er mitgenommen und für acht Monate lang inhaftiert worden. Der Beschwerdeführer lieferte somit im Laufe des Verfahrens drei völlig unterschiedliche Varianten hinsichtlich dessen, wie die Al-Shabaab auf die Nichtbezahlung des Zakats reagiert habe. Der Beschwerdeführer schilderte nämlich lediglich in der Beschwerde neben der Mitnahme seiner Person auch die Beschädigung des Eigentums seiner Familie und führte der Beschwerdeführer alleine in der mündlichen Verhandlung aus, dass eine Mitnahme nicht direkt erfolgt sei, sondern dieser eine Befragung in einer Moschee vorgelagert gewesen sei. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle jedoch insbesondere, dass alleine dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ein Rekrutierungsversuch und eine entsprechende Verweigerung des Beschwerdeführers zu entnehmen ist sowie dass die Mitnahme und Inhaftierung des Beschwerdeführers letztlich die Strafe der Verweigerung der Zusammenarbeit dargestellt habe. Vor dem BFA und in der Beschwerde artikulierte der Beschwerdeführer nämlich mit keinem Wort, dass er eine Zusammenarbeit mit der Al-Shabaab aktiv verweigert hätte und ergibt sich insbesondere aus dem Vorbringen vor dem BFA vielmehr konträr, dass die Mitnahme und Inhaftierung eine Folge der Nichtbezahlung des Zakats dargestellt hätten und nicht etwa die Konsequenz der verweigerten Zusammenarbeit mit der Al-Shabaab. Nicht verkannt wird an dieser Stelle, dass der Beschwerdeführer auch vor dem BFA erwähnte, dass die Al-Shabaab in Moscheen ihre Ideologien beworben habe, doch ist diesem Vorbringen nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer selbst in einer Moschee auf eine Zusammenarbeit mit der Al-Shabaab angesprochen worden sei. Er gab hingegen dezidiert an, dass der erste persönliche Kontakt mit der Al-Shabaab in seinem Elternhaus im Juni römisch 40 erfolgt sei und sonst keine weiteren persönlichen Kontakte mit der Al-Shabaab stattgefunden hätten.

Hinzu kommt auch noch, dass der Beschwerdeführer die Haftzeit von acht Monaten vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung unterschiedlich erzählte. Während der Beschwerdeführer vor dem BFA lediglich angab, er habe acht Monate lang in einem Lager der Al-Shabaab sein müssen und habe Vorträgen folgen müssen, die auf Aufgaben vorbereitet hätten, führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung aus, er sei geschlagen worden, habe kein gutes Essen bekommen und es sei gepredigt worden. Der Beschwerdeführer artikulierte damit gesteigert erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass er im Zuge der acht Monate langen Gefangenschaft auch physischer Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Von der erkennenden Richterin außerdem dazu befragt, ob der Beschwerdeführer in einer Form auf die Zusammenarbeit vorbereitet worden sei oder auch Vorträge gehalten worden seien, verneinte der Beschwerdeführer – im starken Gegensatz zu seinem Vorbringen vor dem BFA – diese Fragen explizit und gab hingegen völlig neu an, es sei lediglich immer wieder gepredigt worden, dass man Geld erhalten würde und freie Heiratswahl habe.

Ferner war der Beschwerdeführer auch hinsichtlich der Umstände seiner Freilassung aus der Al-Shabaab-Gefangenschaft widersprüchlich. Vor dem BFA gab er dazu nämlich noch an, er habe an Schlaflosigkeit gelitten und sei letztlich aufgrund der Intervention seines Stiefvaters aus der Gefangenschaft, unter der Prämisse wieder zurückzukommen, freigelassen worden. In der mündlichen Verhandlung stützte der Beschwerdeführer zwar seine Freilassung ebenso auf eine Krankheit, gab hierbei jedoch anders an, Hautausschläge und Kopfweh gehabt zu haben. Der Stiefvater habe von der Erkrankung des Beschwerdeführers gehört, sei zum Lager der Al-Shabaab gekommen, habe ihn freibekommen und sich für die Rückkehr des Beschwerdeführers nach der Behandlung durch einen Arzt verbürgt. Davon abgesehen, dass der Beschwerdeführer damit eine andere Erkrankung als Grund seiner Entlassung angab, ist es zusätzlich auch nicht nachvollziehbar, wie der Stiefvater von der Erkrankung des Beschwerdeführers überhaupt erfahren haben sollte, als dem Vorbringen des Beschwerdeführers insgesamt nicht zu entnehmen ist, dass er mit seiner Familie oder seinem Stiefvater während der acht Monate langen Gefangenschaft in Kontakt gestanden wäre.

Letztlich verstrickte sich der Beschwerdeführer auch noch in einen Widerspruch im Zusammenhang mit seiner Ausreise. Er gab vor dem BFA nämlich noch an, mit seinem Stiefvater nach der Entlassung aus der Al-Shabaab Gefangenschaft nach Kismaayo und anschließend zusammen mit seinem Stiefvater nach Mogadischu gereist zu sein, wo sie in einem Hotel untergekommen seien. Zwar führt der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung aus, er sei mit seinem Stiefvater nach der Entlassung aus der Al-Shabaab Gefangenschaft nach Kismaayo geflohen, führte sodann aber völlig divergierend zu seinem Vorbringen vor dem BFA aus, sein Stiefvater habe die alleinige Weiterreise des Beschwerdeführers nach Mogadischu organisiert und sei der Beschwerdeführer alleine nach Mogadischu gereist, wo er 20 Tage bis zur Ausreise bei seinem Schlepper gelebt habe. Der Beschwerdeführer erstattete damit im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben hinsichtlich der alleinigen bzw. gemeinsamen Reise nach Mogadischu sowie der Unterkunft in Mogadischu.

Es ist aufgrund dieser gerade aufgezeigten zahlreichen Widersprüche und Unplausibilitäten damit nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Somalia aufgrund der Nichtbezahlung des Zakats von der Al-Shabaab mitgenommen worden sei, einer (versuchten) Zwangsrekrutierung ausgesetzt gewesen sei, für acht Monate inhaftiert worden sei, aus Jilib geflohen sei und einen Drohanruf in Mogadischu erhalten zu haben. In diesem Zusammenhang wird auch nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer sowohl vor dem BFA als auch in der mündlichen Verhandlung angab, sein Vater sei im Jahr römisch 40 aufgrund des Vorwurfs einer Kollaboration mit der somalischen Regierung von der Al-Shabaab erschossen worden und seine Schwester sei mit einem Al-Shabaab Mitglied zwangsverheiratet sowie verschleppt worden, doch habe der Beschwerdeführer seinen Angaben zur Folge bis Juni römisch 40 friedlich in Jilib leben können und hätten bis zum behaupteten Vorfall im Juni römisch 40 mit der Al-Shabaab keine bzw. keine auf den Beschwerdeführer fokussierten Kontakte stattgefunden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist damit gesamtheitlich nicht zu entnehmen, dass er selbst oder seine Familie aufgrund der behaupteten Ermordung des Vaters des Beschwerdeführers oder der behaupteten Zwangsverheiratung bzw. Verschleppung der Schwester des Beschwerdeführers durch die Al-Shabaab – wie auch immer geartete – Probleme erfahren hätten.

Der Beschwerdeführer ist damit insgesamt gesehen bisher nicht ins Visier der Al-Shabaab geraten und liegen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vor, wieso der Beschwerdeführer nunmehr im Falle der ohnehin lediglich hypothetischen Rückkehr der Al-Shabaab auffallen oder seitens der Al-Shabaab mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht werden sollte. Insbesondere fällt der Beschwerdeführer – mangels Glaubwürdigkeit des entsprechenden Vorbringens – auch nicht in eine der in den zitierten Länderfeststellungen genannten Risikogruppen und ist diesen insbesondere auch zu entnehmen, dass die Al-Shabaab üblicherweise Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden, angreift bzw. zielgerichtet jene Personen, derer sie habhaft werden möchte – zu denen der Beschwerdeführer aber mangels eines glaubhaften Vorbringens nicht fällt – angreift. Auch vor dem Hintergrund der Länderberichte ist daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Somalia von der Al-Shabaab negative Konsequenzen erfahren würde.

Hinsichtlich einer Rekrutierung durch die Al-Shabaab ist den zitierten Länderberichten noch zu entnehmen, dass es in Gebieten, die unter Kontrolle der Al-Shabaab stehen, zu Zwangsrekrutierungen von Kindern sowie Erwachsenen kommen kann, gleichzeitig ist den zitierten Länderberichten aber auch zu entnehmen, dass die meisten Menschen der Gruppe freiwillig beitreten. Dass sämtliche junge Männer systematisch zwangsrekrutiert würden, ist den zitierten Berichten damit nicht zu entnehmen und lässt sich für den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Somalia auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit für eine Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab ableiten, da er – wie weiter oben bereits geschrieben – bisher nicht ins Visier der Al-Shabaab geraten ist und auch bis zu seiner Ausreise aus Somalia bzw. bis zu seinem 20. Lebensjahr unbehelligt und ohne von einem (glaubhaften) Rekrutierungsversuch durch die Al-Shabaab in der unter Kontrolle der Al-Shabaab stehenden Stadt Jilib leben habe können.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Clanzugehörigkeit zu den Dir bisher keine Diskriminierung erfahren hat, stützt sich auf sein Vorbringen vor dem BFA, wo er dezidiert angab, dass mit seiner Clanzugehörigkeit ein normales und unbeeinflusstes Leben möglich gewesen sei und verneinte er, jemals aufgrund seiner Clanzugehörigkeit verfolgt worden zu sein. Auch sonst artikulierte der Beschwerdeführer im Verfahren nichts Gegenteiliges. Aus den zitierten Länderberichten ergibt sich außerdem, dass es sich bei dem Clan der Dir um einen noblen Mehrheitsclan handelt, sodass auch vor dem Hintergrund der Länderberichte eine Diskriminierung aufgrund der Clanzugehörigkeit im Falle der Rückkehr ausgeschlossen werden kann.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht vergleiche auch die Verfolgungsdefinition in Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 11, AsylG 2005, die auf Artikel 9, der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde vergleiche VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr vergleiche VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann vergleiche VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG Paragraph 45, Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus vergleiche VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde vergleiche VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe vergleiche VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, konnte der Beschwerdeführer aufgrund vielfacher Widersprüchlichkeiten und Unplausibilitäten nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund der Nichtbezahlung des Zakats in eine von der Al-Shabaab ausgehende Bedrohungssituation geraten ist und ist deswegen auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer nunmehr – da keine sonstigen Anhaltspunkte im Verfahren hervorgekommen sind – der Al-Shabaab auffallen würde und ihm deswegen die Gefahr droht, durch die Al-Shabaab asylrelevant verfolgt zu werden. Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab.

Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nach Somalia auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Dir – wie ebenso in der Beweiswürdigung dargelegt – keine asylrelevante Verfolgung.

Dem Beschwerdeführer ist es daher insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Somalia kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aktuell in Somalia eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2025:W221.2299927.1.00