Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum

12.02.2025

Geschäftszahl

W268 2286986-1

Spruch


W268 2286986-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Somalia, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2024, Zl. 1347378601/230621115, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 06.05.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

römisch eins. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 26.03.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag fand eine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Am 08.01.2024 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, sein Vater sei von der Al Shabaab inhaftiert worden, seine Familie sei im Jahr 2022 von der Al Shabaab angegriffen worden, seine Eltern seien geschlagen worden und seine Mutter habe ihm zur Ausreise geraten. Der Beschwerdeführer sei zudem aufgrund seiner Clanzugehörigkeit verfolgt worden.

2. Mit im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß Paragraph 3, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) und gemäß Paragraph 8, Absatz eins, in Verbindung mit Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen. Es wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.) und gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen (Spruchpunkt römisch IV.). Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß Paragraph 46, FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt römisch fünf.) und gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG als Frist für seine freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt römisch VI.).

3. Gegen den am 16.01.2024 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung fristgerecht am 12.02.2024 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

4. Am 06.05.2024 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers statt.

5. Mit Schreiben vom 28.01.2025 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffend Somalia vom 16.01.2025, welches vom Beschwerdeführer mit Schreiben vom 28.01.2025 zur Kenntnis genommen wurde.

römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist somalischer Staatsangehöriger und wurde am römisch 40 geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hawiye und dem Sub-Clan Galgalo an, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und spricht muttersprachlich Somalisch.

Er wurde in Mogadischu geboren und wuchs in Jowhar auf, wo er mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt lebte. Vor seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer für ein Jahr in Mogadischu, wo er mit seinem Onkel im gemeinsamen Haushalt lebte. Die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers leben im Entscheidungszeitpunkt in Mogadischu. Die Mutter des Beschwerdeführers wird von seinem Onkel unterstützt, der in Shalanbood lebt und in einem Lebensmittelgeschäft arbeitet. Der Beschwerdeführer steht zu seiner Mutter, zu seinem Onkel und seinem Großvater in Kontakt. Die Familie des Beschwerdeführers bewirtschaftete in Jowhar eine eigene Landwirtschaft, auf der sich das Wohnhaus der Familie befand. Die Familie des Beschwerdeführers ist wirtschaftlich im unteren Mittelstand einzuordnen.

Der Beschwerdeführer besuchte für zwei Jahre die Koranschule sowie für fünf Monate eine Privatschule und unterstützte seinen Vater in der Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist arbeitsfähig und leidet an keinen schwerwiegenden physischen oder psychischen Erkrankungen.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Somalia:

Der Beschwerdeführer ist in Somalia keinen von der Al Shabaab ausgehenden Verfolgungshandlungen ausgesetzt (gewesen). Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und drohen ihm weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses noch seiner Volksgruppen- bzw. Clanzugehörigkeit oder aus politischen Gründen Probleme bzw. eine Verfolgung durch Al Shabaab oder die somalischen Behörden.

Der Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr nach Somalia – konkret in die Hauptstadt Mogadischu – unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände sowie der in Mogadischu herrschenden ausreichend stabilen Sicherheits- und Versorgungslage nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und es wäre ihm auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer verließ Somalia im Jahr 2023 mit dem Flugzeug und reiste im März 2023 irregulär in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.03.2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seither durchgehend in Österreich auf.

Er besuchte Deutschkurse und verfügt über rudimentäre Deutschkenntnisse, nimmt jedoch in Österreich nicht auf maßgebliche Weise am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben teil. Er hat weder im Bundesgebiet aufhältige Familienangehörige noch enge soziale Bindungen. Er ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer Organisation und geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er ist zum Entscheidungszeitpunkt strafgerichtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.

1.4. Zur maßgeblichen Lage in Somalia werden nachfolgende Feststellungen getroffen:

Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Somalia (Version 7, Stand 16.01.2025):

Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 23.8.2024). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2024).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Staatlichkeit: Somalia ist nach allen internationalen Maßstäben eines der fragilsten Länder der Welt (Obsiye/AFRA 31.8.2023) und wird mitunter als der am meisten gescheiterte Staat der Welt beschrieben. Das Land verfügt seit dem Zusammenbruch des Regimes von Mohamed Siyad Barre im Jahr 1991 über keine einheitliche Regierung (Rollins/HIR 27.3.2023). Al Shabaab kontrolliert fast 70 % von Süd-/Zentralsomalia (Rollins/HIR 27.3.2023) und gilt als Proto-Staat (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022) bzw. als de-facto-Regime (AA 23.8.2024).

Nach anderen Angaben ist Somalia zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 23.8.2024; vergleiche Obsiye/AFRA 31.8.2023). Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, es gibt keine flächendeckende, effektive Staatsgewalt (AA 23.8.2024). Denn obwohl das Land nominell von Präsident Hassan Sheikh Mohamud regiert wird, steht ein Großteil des Landes nicht unter staatlicher Kontrolle (Rollins/HIR 27.3.2023). Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, ihren Pflichten aus dem Gesellschaftsvertrag (nach westlicher Konzeption des Nationalstaates) in und um Mogadischu auch nur teilweise nachzukommen, geschweige denn ein landesweites Gewaltmonopol zu errichten (Sahan/SWT 5.6.2023). Sie tut sich schwer dabei, Kontrolle über das beanspruchte Gebiet oder auch über Mogadischu auszuüben (BS 2024; vergleiche HO/Ainashe 9.6.2024). Da sie nur wenige Gebiete kontrolliert (BS 2024) und sie es nicht schafft, sich außerhalb von Mogadischu durchzusetzen (ÖB Nairobi 10.2024), verfügt die Bundesregierung kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 2024b).

Die Bundesregierung bietet ihren Bürgern derzeit nur wenige wesentliche Dienstleistungen an. Die ständige Instabilität bleibt ein prägendes Merkmal des Lebens. Viele Menschen verlassen sich hinsichtlich grundlegender Dienstleistungen und Schutz weiterhin auf bestehende traditionelle, informelle Institutionen (Sahan/SWT 5.6.2023). Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist gering (BS 2024). Denn der Staat leidet an gescheiterten Institutionen, vom Gesundheitswesen bis zu den Sicherheitskräften. Persönlichkeitsorientierter Politik wird Vorrang gewährt (Sahan/Awad 28.8.2023). Politiker verfolgen persönliche und Claninteressen, sie streben nach Macht und wirtschaftlichen Ressourcen - und nicht nach dem Erreichen gemeinsamer Ziele (BS 2024). Informelle politische und Clanbeziehungen dominieren einen fragilen Staat. Und die immer noch offene institutionelle Lücke wird durch eine Reihe anderer Akteure – darunter al Shabaab – aufgefüllt (Sahan/Awad 28.8.2023). Zudem ist die politische Landschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von Clandynamiken, regionalen Rivalitäten und Machtkämpfen auf oberen Ebenen gekennzeichnet. Clanbasierte Politik und Identitäten haben die Bildung politischer Allianzen und Konflikte im ganzen Land erheblich beeinflusst. Verschiedene Fraktionen und regionale Regierungen wetteifern um die Macht, was zu politischer Fragmentierung und einem Mangel an kohärenter Regierungsführung geführt hat (Sahan/SWT 7.7.2023).

Korruption und Vetternwirtschaft sind weit verbreitet (HO/Ainashe 9.6.2024; vergleiche Rollins/HIR 27.3.2023), und gleichzeitig ist die Regierung zum Überleben stark auf internationale Hilfe angewiesen (Rollins/HIR 27.3.2023). Laut einer Quelle ist die Korruption unter Präsident Hassan Sheikh Mohamud schlimmer, als sie schon in seiner ersten Amtszeit gewesen ist (BMLV 4.7.2024). Die Unfähigkeit oder Unwilligkeit gegen die endemische Korruption vorzugehen, behindert den Staatsbildungsprozess und den Aufbau von Institutionen und untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in bestehende staatliche Institutionen (BS 2024). All dies führt zu Fragen hinsichtlich der Legitimität und politischen Relevanz der Bundesregierung (HO/Ainashe 9.6.2024).

Seit 2016 und 2017 die fünf Bundesstaaten gegründet wurden, stockt der Verfassungsprozess. Grundlegende Fragen des Staatsaufbaus sind nicht geklärt. Dies lähmt staatliches Handeln. Die innenpolitische Lage ist durch systemische Konflikte zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten geprägt, weil eben die Verfassungsgebung und Kompetenzverteilung noch immer nicht abgeschlossen sind (AA 23.8.2024).

Regierung: Unter der bestehenden Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 wird der Präsident für eine Amtszeit von vier Jahren von einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments gewählt. Der Präsident teilt sich seine exekutive Macht mit dem Premierminister, der wiederum nur mit Unterstützung des Parlaments arbeiten kann (FH 2024b). Mit der erneuten Wahl des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud (2012-2017) am 15.5.2022 wurde der Wahlprozess mit großer Verzögerung abgeschlossen. Trotz aller Bekundungen konnten die - eigentlich für Ende 2020 geplanten - Parlamentswahlen nicht demokratisch gestaltet werden. Stattdessen wurde wieder auf einen Selektionsprozess ähnlich wie bei den Wahlen 2016 zurückgegriffen (AA 23.8.2024; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Am 9.6.2022 wurde der neue Präsident ins Amt eingeführt (UNSC 1.9.2022b). Hamza Abdi Barre trat im Juni 2022 sein Amt als Premierminister an. Im August 2022 wurde ein neues Kabinett bestehend aus 75 Ministern, stellvertretenden Ministern und Staatsministern ernannt (FH 2024b).

Parlament: Die provisorische Verfassung sieht ein Zweikammernparlament mit einem 275-köpfigen Unterhaus und einem 54 Senatoren umfassenden Oberhaus vor (HIPS 1.11.2021). Die Mitglieder zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt. Die Wahlen zum Oberhaus begannen im Juli 2021 und konnten nach Monaten der Streitigkeiten im November 2021 abgeschlossen werden (FH 2024b). Sie wurden auf voller Breite manipuliert, nur um 15 der 54 Sitze gab es tatsächlich einen Wettstreit. Die meisten Senatoren sind nunmehr de facto von den Präsidenten der Bundesstaaten nominierte (HIPS 8.2.2022) Alliierte, Freunde und manchmal auch Familienangehörige. Insgesamt hat es sich nicht um einen glaubwürdigen Wahlbewerb gehandelt, der Vorgang kann kaum als "Wahl" bezeichnet werden (HIPS 1.11.2021).

Bei der Wahl zum Unterhaus wählen Älteste und Gruppen der Zivilgesellschaft eines bestimmten Subclans Wahlmänner, welche als Delegierte dann wiederum einen Abgeordneten küren. Senatoren und Abgeordnete wählen schlussendlich den Präsidenten. Der Manipulation sind Tür und Tor geöffnet (FP/Ainte/Mahmood 22.9.2021; vergleiche BS 2024). Die Abgeordneten werden also in indirekter Wahl von Delegierten gewählt (AA 23.8.2024; vergleiche UNSC 13.5.2022). Eigentlich war für die Wahlen vorgesehen, dass jeder einzelne Unterhausabgeordnete von 101 Wahldelegierten seines Clans gewählt wird (2017 waren es 51 Delegierte pro Sitz). Später wurde die Zahl auf 67 Delegierte pro Sitz gesenkt (HIPS 1.11.2021), ca. 27.000 Personen konnten am Wahlprozess teilnehmen (BS 2024). Insgesamt wurden die Wahlen durch innenpolitische Streitigkeiten für mehr als ein Jahr verzögert (AA 23.8.2024; vergleiche UNSC 13.5.2022). Es musste eine allseits akzeptierte Repräsentation der verschiedenen Clans sowie der Gliedstaaten sichergestellt werden, was den Prozess der Delegiertenbestimmung sehr langwierig und intransparent gemacht hat. Der gesamte Prozess wurde von verschiedenen nationalen und internationalen Politikern und Beobachtern hinsichtlich seiner Legitimität in Frage gestellt (AA 23.8.2024). Tatsächlich ist es auf breiter Front zu Wahlmanipulationen gekommen (HIPS 8.2.2022) bzw. gab es Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und einen Mangel an Transparenz (UNSC 8.2.2022; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024) sowie hinsichtlich Bestechung (AA 23.8.2024; vergleiche Sahan/SWT 18.8.2023), Korruption, Stimmenkauf, Gewalt und Einschüchterung (BS 2024). Der Wahlvorgang wird als die korrupteste, intransparenteste und teuerste Wahl in der jüngeren Geschichte Somalias bezeichnet. Viele der Abgeordneten haben demnach ihre Stimme an den Höchstbietenden verkauft (Sahan/SWT 18.7.2022; vergleiche FH 2024b). Zudem haben der Präsident sowie die Präsidenten der Bundesstaaten und andere Akteure maßgeblich die Nominierung der Wahldelegierten manipuliert (BS 2024). Am 28.4.2022 wurde der Wahlprozess der am 29.7.2021 begonnenen Parlamentswahlen - die eigentlich 2020 stattfinden hätten sollen - abgeschlossen (AA 23.8.2024). 20 % der 275 Abgeordneten zum Unterhaus sind Frauen (UNSC 13.5.2022).

Demokratie: Zwar gab es die o. g. indirekten Wahlen, doch hat es seit Jahrzehnten keine allgemeinen, direkten Wahlen auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene mehr gegeben (AA 23.8.2024; vergleiche FH 2024b). In Süd-/Zentralsomalia gibt es keine demokratischen Institutionen. Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung (BS 2024). Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung demokratisch nicht legitimierter traditioneller Strukturen (v. a. Clanstrukturen) vergeben (AA 23.8.2024). Auch auf der Ebene der Bundesstaaten wurden bislang ausschließlich indirekte Wahlen abgehalten (BS 2024), zur Bildung ihrer Legislative verwenden sie ebenfalls Clan-basierte Machtteilungssysteme (FH 2024b). Generell sind zwar immer wieder progressive Bemühungen zu beobachten, jedoch scheint der Druck der konservativen Eliten im Land oftmals größer zu sein als das tatsächliche Bewusstsein in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte (ÖB Nairobi 10.2024). Allerdings hat die Mehrparteiendemokratie in Somalia weder Geschichte noch Tradition. Dafür sind im System von gemeinsamen Verhandlungen und Entscheidungen in und zwischen Clans durchaus demokratisch Werte zu finden (BS 2024).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des parlamentarischen Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den [sogenannten] kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 20.3.2023; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024; BS 2024). Beim 4.5-System handelt es sich um eine Machtteilungsformel, die politische Vertretung und Ressourcen unter Somalias großen Clans und Minderheitengruppen aufteilt (HO/Ainashe 9.6.2024). Seit dem Jahr 2000 gilt diese Formel, die eigentlich dazu bestimmt war, Somalia vorübergehend Stabilität zu verleihen. Allerdings hat sie sich bezüglich der Entwicklung des Landes als kontraproduktiv erwiesen. Denn mit ihr sind Clanzugehörigkeit und -Loyalität wieder wichtiger geworden als die Loyalität zum Staat (Sahan/SWT 28.3.2022; vergleiche HO/Ainashe 9.6.2024). Zudem fördert die Formel Korruption, Vetternwirtschaft und Stimmenkauf, was die allgemeine Funktionsfähigkeit der Regierung untergräbt (HO/Ainashe 9.6.2024). Nach Angabe anderer Quellen ist das 4.5-System zwar in vielerlei Hinsicht unfair; doch es ist gegenwärtig jenes System, das wenigstens ein Minimum an Stabilität garantiert (AQ21 11.2023; vergleiche HO/Ainashe 9.6.2024) und es dem Land ermöglicht, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzuhalten und friedliche Machtübergaben zu erleichtern (HO/Ainashe 9.6.2024).

Die Toppositionen der Bundesregierung sind im Rahmen der Formel für die Clans der Darod und Hawiye reserviert (ACLED 28.7.2023), die Minderheiten sind hingegen unterrepräsentiert (BS 2024). Seit 20 Jahren stellen Hawiye und Darod folglich den Präsidenten und den Premierminister, die Rahanweyn den Parlamentssprecher. Die Dir halten hingegen die Toppositionen am Obersten Gericht (TANA/ACRC 9.3.2023).

Staatsgliederung: Die Übergangsverfassung sieht drei Verwaltungsebenen vor: Die Bundesebene (Bundesregierung); Bundesstaaten (Federal Member States) und Bezirke (BS 2024; vergleiche ICG 25.9.2023). Während Puntland, das 1998 als Bundesstaat gegründet wurde, bereits zuvor existierte, gründete die Bundesregierung die übrigen Bundesstaaten zwischen 2013 und 2016 - namentlich Galmudug, HirShabelle, den South West State (SWS) und Jubaland (ICG 25.9.2023). Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet, weist diese Zuordnung allerdings zurück (BS 2024). Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration (BRA) unter direkter Kontrolle der Bundesregierung (HIPS 8.2.2022). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (STDOK 8.2017; vergleiche MBZ 6.2023). Eine dritte Regierungsebene besteht aus Bezirksverwaltungen. Deren Bildung schreitet in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich schnell voran (ICG 25.9.2023). Mit eigenen Programmen soll der Aufbau von Lokalverwaltungen gefördert werden. 2024 hat das Dowlad-Kaab Local Governance Program ein Vorgängerprogramm abgelöst. Es umfasst: Abschluss laufender Projekte von Lokalregierungen; Überwachung und Umsetzung neuer Projekte in den nächsten fünf Jahren; Erweiterung und Verbesserung der Aktivitäten; Bereitstellung von Fördermitteln durch den Bund (Halqabsi 27.8.2024).

Aktuelle politische Lage: Nach anfänglichen Versuchen, das durch die Vorgängerregierung mit vielen Bundesstaaten gestörte Verhältnis wieder herzustellen, verhärteten sich ab März 2024 wieder die Fronten. Auslöser dafür war v. a. die vom Präsidenten eingeleitete Überarbeitung der Übergangsverfassung. Der eingeschränkte Personenkreis, der daran beteiligt war, und die Art und Weise, wie die überarbeiteten Verfassungsartikel durch das Parlament „gepeitscht“ (teilweise war nicht einmal das Mindestquorum für eine gültige Abstimmung vorhanden) wurden, sorgte bei den Regierungen der Bundesstaaten für massive Ablehnung (BMLV 7.8.2024). Nicht alle von ihnen waren zuvor konsultiert worden. römisch fünf. a. Puntland stemmt sich gegen die Änderungen (Horn 30.4.2024), hat sich danach aus dem föderalen System zurückgezogen und seine Absicht bekräftigt, unabhängig zu handeln (EPC 24.5.2024; vergleiche UNSC 3.6.2024; UNGA 23.8.2024; RANE/Stratfor 16.4.2024). Dieser Schritt Puntlands hat die Legitimität der Bundesregierung erheblich geschwächt und einen Präzedenzfall für andere Regionen geschaffen, ihre Autonomie geltend zu machen (HO/Ainashe 9.6.2024).

Initiierte Verfassungsänderungen betreffen die Verlängerung der Amtszeiten in den Bundesstaaten; die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems und die Abschaffung des Amtes des Premierministers; sowie die Begrenzung der Zahl der nationalen politischen Parteien auf zwei (HO/Wasuge 29.5.2024; vergleiche UNSC 2.2.2024; AA 23.8.2024). Denn ein derartiges Zweiparteiensystem könnte dazu führen, dass faktisch nur noch die zwei stärksten Clans die Wahlen für sich entscheiden (AA 23.8.2024). Außerdem soll das vorherrschende Clan-Quotensystem durch ein allgemeines Wahlrecht abgelöst werden. Das Bundesparlament hat diesen Änderungen am 30.3.2024 zugestimmt (EPC 24.5.2024; vergleiche UNSC 3.6.2024; UNGA 23.8.2024). Bei dieser Abstimmung gab es - wie erwähnt - teils kein ausreichendes Quorum, teils kam es zu Stimmenkauf (BMLV 4.7.2024; vergleiche Horn 2.4.2024). Laut einer Quelle soll jeder Abgeordnete mit 20.000 US-Dollar bestochen worden sein (Horn 2.4.2024). Am 11.11.2024 stimmten beide Parlamentskammern letztendlich über ein Gesetzespaket zu allgemeinen Wahlen ab. Allerdings haben nur 170 der 310 Abgeordneten überhaupt an der Abstimmung teilgenommen. Laut Plan sollen im Juni 2025 Lokal- und Regionalwahlen stattfinden, im September 2025 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Jubaland und Teile der Opposition haben die neue Gesetzeslage als verfassungswidrig kritisiert (ÖB Nairobi 19.11.2024), Jubaland hat nun ebenfalls mit der Bundesregierung gebrochen (SMN 28.11.2024). Gleichzeitig hat die Forderung der Bundesregierung, dass alle äthiopischen Soldaten mit Jahresende 2024 das Land verlassen müssen, zu Unstimmigkeiten mit dem SWS sowie mit Gedo und Hiiraan geführt. Überall dort wird die weitere Präsenz der äthiopischen Truppen unterstützt (Sahan/SWT 4.9.2024)

Somalias föderale Architektur bricht also zunehmend auf, und die Bundesregierung läuft Gefahr, dass sie nur noch die Hawiye vertritt. Mit Ausnahme des Präsidenten des SWS, Abdiaziz Laftagareen, nahmen am National Consultative Council (NCC) [Anm.: eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Bundesstaaten] im Oktober 2024 nur noch Vertreter der Hawiye teil. Die beiden von Darod dominierten Bundesstaaten Puntland und Jubaland haben ihre Zusammenarbeit mit Mogadischu eingestellt. Die Digil-Mirifle im SWS stehen in Opposition zur Forderung der Bundesregierung, dass mit Ende 2024 alle äthiopischen Truppen aus Somalia abgezogen sein müssen. Und mit den Hawadle in Hiiraan stehen sogar Hawiye in Opposition zur Bundesregierung. Letztere präsentiert sich nunmehr als nicht viel mehr als ein brüchiges Bündnis aus Abgaal und Habr Gedir (Galmudug) (Sahan/SWT 30.10.2024). Der Bruch Jubalands mit der Bundesregierung (November 2024) gibt Anlass zur Sorge, dass Somalia noch weiter fragmentiert (SMN 28.11.2024). Ohne Jubaland und Puntland können wichtige Verfassungsänderungen jedenfalls nicht umgesetzt werden (Sahan/SWT 25.11.2024).

Islamismus: Die moderat-islamische politische Ausrichtung des Präsidenten (BMLV 1.12.2023; vergleiche Sahan/SWT 28.6.2022) entspricht de facto der Ausrichtung der Muslimbruderschaft (BMLV 1.12.2023). Der Präsident stützt sich dabei auf die von ihm gegründete politische Partei, Union for Peace and Development (AQ13 6.2023; vergleiche BMLV 1.12.2023; Sahan/Bryden 5.7.2024), der fast alle vom Präsidenten ernannten Personen angehören und über deren Inhalte wenig bekannt ist (AQ13 6.2023), und die islamische Gruppierung Damul Jadiid (Neues Blut) (BMLV 1.12.2023). Generell spielen in der somalischen Politik islamistische Gruppen nun eine direktere Rolle, und religiöse Normen gewinnen an Einfluss und Bedeutung. Die Nominierung des [Anm.: desertierten] Mitgründers der al Shabaab zum Religionsminister unterstreicht diesen Trend (BS 2024).

Insgesamt sind die islamistischen Gruppen die am besten organisierten politischen Kräfte des Landes. Sie können zudem auf Ressourcen und Verbindungen in den Golfstaaten zurückgreifen. Seit 2009 rotiert die Macht im Staat zwischen unterschiedlichen Fraktionen der Muslimbrüder. Prominente Fraktionen sind Damul Jadiid, al Islah, Aala Sheikh und Daljir. Gleichzeitig war unter Präsident Farmaajo auch die salafistische al I'tisaam an der Macht beteiligt (Sahan/SWT 16.2.2024). Diese Gruppe erachtet die Demokratie als Verletzung der Scharia (Sahan/SWT 5.9.2022) und gilt als ideologischer Bruder von al Shabaab (Sahan/Bacon/Guiditta 7.8.2023). Al I'tisaam verfolgt de facto die gleichen Ziele wie al Shabaab – aber ohne Gewalt. Dafür versucht die Gruppe die Wirtschaft zu beeinflussen. Gleichzeitig gibt es zwischen beiden Gruppen einen Dialog (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Davon abgesehen gibt es Hinweise darauf, dass die Bundesregierung über Vermittlung durch Katar mit al Shabaab in Verhandlungen getreten ist. Einige Minister der Regierung stehen Arrangements mit der Terrororganisation positiv gegenüber (BMLV 4.7.2024).

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

De facto wird Mogadischu von der Bundesregierung verwaltet (SDP/SPA 14.9.2022). Benadir ist die einzige Region, über welche die Bundesregierung volle Kontrolle ausübt (HIPS 8.2.2022). Gleichzeitig spielen al Shabaab, ATMIS, die internationale Gemeinde und der Privatsektor bedeutende Rollen in Mogadischu (HIPS 8.2024). Die Übergangsverfassung sieht vor, dass das Bundesparlament über den Status der Region Benadir - und damit den Status von Mogadischu - entscheiden muss. Bislang wurde keine Entscheidung gefällt, der Status von Benadir bleibt unklar. Die Bundesregierung wehrt sich dagegen, dass Benadir ein eigener Bundesstaat wird. Dadurch würde sie stark an Einfluss verlieren (HIPS 8.2.2022). Die Entscheidung über den Status von Benadir ist eines der wichtigsten, nach wie vor unentschiedenen politischen Themen (SDP/SPA 14.9.2022).

Da die Hauptstadt direkt der Bundesregierung untersteht, ernennt der somalische Präsident Bürgermeister (gleichzeitig Gouverneur von Benadir) und Stellvertreter (HIPS 8.2.2022; vergleiche SDP/SPA 14.9.2022) sowie alle District Commissioners. Zudem verwaltet die Bundesregierung alle in der Stadt eingehobenen Erträge (SDP/SPA 14.9.2022).

Die Benadir Regional Administration (BRA) verfügt über eine funktionierende Regionalregierung und wird vom Bürgermeister von Mogadischu geführt (BMLV 7.8.2024). Die BRA konnte ihre Autorität innerhalb der Mischung informeller Machtmakler in Mogadischu langsam stärken. So werden z. B. Mietverträge zwischen IDP-Siedlungen und Grundbesitzern – zuvor mündlich – nunmehr schriftlich niedergelegt und bei der BRA hinterlegt. Damit ist auch die Zahl der Zwangsräumungen zurückgegangen (NH 17.8.2023b).

In Mogadischu spielen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und Murusade aufgrund der Bevölkerungsstruktur auch weiterhin eine dominante Rolle (BMLV 7.8.2024; vergleiche HIPS 8.2024). Der Bürgermeister, seine vier Stellvertreter und die meisten District Commissioners gehören diesen drei Clans an. Clanzugehörigkeit und Loyalität spielen eine entscheidende Rolle bei der Besetzung der wichtigsten Posten in der Stadt (HIPS 8.2024).

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2023). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst (und in noch geringeren Teilen vom sogenannten Islamischen Staat in Somalia), während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (BMLV 7.8.2024).

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 sind Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und – in gewissem Maße – Dhusamareb sichere Städte. Alle anderen Städte variieren demnach von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle sind auch Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten (BMLV 7.8.2024). Laut einer anderen Quelle sind alle Hauptstädte der Bundesstaaten relativ sicher (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).


Eine Quelle gibt die Lage mit Stand 28.6.2024 folgendermaßen wieder:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\741D62FB.tmp
Quelle: PGN 28.06.2024


Critical Threats bietet einen Überblick über die spezifisch auf al Shabaab bezogene Situation für Somalia und Kenia (Karte vom April 2024):

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\AB335A77.tmp
Quelle: CT/Karr/AEI 23.9.2024


ACLED bietet einen Überblick über die Vorfälle in Somalia innerhalb vier unterschiedlicher Monate des Jahres 2024:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\F48AE29D.tmp
(ACLED 29.11.2024; ACLED 28.10.2024; ACLED 30.9.2024; ACLED 31.7.2024)

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNGA 23.8.2024). Weiterhin fordert der Konflikt Opfer, es kommt zu willkürlichen Tötungen, Vertreibungen und anderen Kriegsverbrechen durch alle Konfliktbeteiligten. Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB Nairobi 10.2024), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen in vielen Teilen Süd-/Zentralsomalias berichtet (AA 23.8.2024). Al Shabaab bleibt weiterhin die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Somalia (UNSC 28.10.2024; vergleiche HIPS 7.5.2024). Die Gruppe führt komplexe Angriffe gegen Regierungskräfte und ATMIS, aber auch gegen Zivilisten und Wirtschaftstreibende durch (UNSC 28.10.2024). Weite Teile des Hinterlandes verbleiben unter Kontrolle der dschihadistischen al Shabaab. Weitere Teile werden von Clanmilizen oder Bundesstaaten kontrolliert, die nicht mit der Bundesregierung kooperieren (BS 2024). Laut UN verteilen sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle in Berichten der Jahre 2024 und 2023 wie folgt:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\5EE6ECE4.tmp
(UNSC 27.9.2024; UNSC 3.6.2024; UNSC 2.2.2024; UNSC 13.10.2023; UNSC 15.6.2023)

Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan (BMLV 7.8.2024) sowie Lower Shabelle und Lower Juba (FSNAU/IPC 23.9.2024a). Seit Dezember 2023 verstärkt al Shabaab ihre Aktivitäten in Lower Shabelle, Bay (UNSC 2.2.2024) und Bakool. In diesen drei Regionen sind jene Positionen bzw. Orte hart umkämpft, von denen aus größere Räume kontrolliert werden können. Das beste Beispiel dafür ist der seit Monaten andauernde Kampf um Goof Gaduud Burey in der Nähe von Baidoa (BMLV 7.8.2024).

In den vergangenen Jahren wurden Offensiven gegen al Shabaab durchgeführt, die sich zunächst aus militärischer Sicht als erfolgreich erwiesen haben. Anfängliche territoriale Erfolge bringen aber oft eine weitaus schwierigere Herausforderung mit sich: die Stabilisierung eroberter Gebiete. Das Versäumnis, befreite Gebiete wirksam zu stabilisieren, hat wiederholt zum Rückzug von Regierungskräften geführt (Sahan/SWT 4.8.2023). Die Sicherheitskräfte sind fragmentiert, es mangelt ihnen an Kapazitäten, weiteres Gebiet zu erobern. Die Offensive der Jahre 2022 und 2023 konnte nur unter Zuhilfenahme lokaler Milizen durchgeführt werden - und trotzdem wurden die meisten der damals eingenommenen Gebiete wieder verloren (Sahan/SWT 5.1.2024). Gleichzeitig hat das Versäumnis, gespaltene Gemeinschaften zu versöhnen, dazu geführt, dass auch in Absenz von al Shabaab neue Konflikte entstehen konnten. So wurde al Shabaab etwa im Rahmen der Operation Badbaado in Lower Shabelle in den Jahren 2019–2020 aus mehreren Städten vertrieben. Drei Jahre danach kämpft die Bundesregierung aber immer noch darum, die befreiten Gebiete zu stabilisieren. Hilfsleistungen und staatliche Dienstleistungen bleiben unzureichend und oberflächlich (Sahan/SWT 4.8.2023).

Die Bundesregierung hat es nach wie vor nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten (BMLV 7.8.2024). Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen (BMLV 7.8.2024; vergleiche BS 2024). Andererseits leben und arbeiten in Somalia laut einer Quelle mehr als 60.000 Gastarbeiter aus Kenia und Uganda (TEA/Barigaba 28.4.2024).

Armee und Schutztruppe (ATMIS) als relevanter Faktor: ATMIS wurde im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, im Dezember 2023 um 3.000 Mann und im Juni 2024 um weitere 2.000. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente etc.). Eine Nachfolgemission für ATMIS steht im Raum (BMLV 7.8.2024). [siehe auch Ausländische Kräfte]

ATMIS ist maßgeblich an der Kontrolle des Territoriums beteiligt. römisch fünf. a. in städtischen Gebieten fungiert ATMIS als Haltetruppe und ist für die Sicherheit der somalischen Führung und der Wirtschaftsquellen des Landes, einschließlich Häfen und Flughäfen, maßgeblich verantwortlich. Dahingegen konzentrieren sich die somalischen Sicherheitskräfte auf das Vordringen in weniger besiedelte Gebiete (ACAPS 17.8.2023). Die Bundesarmee ist aber überdehnt (Sahan/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023).

Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 ist das Szenario, wonach al Shabaab bei einem Abzug von ATMIS das Land übernimmt, nicht mehr plausibel (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine weitere Quelle gibt an, dass die Bundeskräfte nach einem Abzug von ATMIS nicht kollabieren werden, und al Shabaab nicht nach Mogadischu zurückkehren wird (Think/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle erklärt, dass es für al Shabaab nun sehr schwer geworden ist, die Bundesregierung zu überrennen (AQ21 11.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass nur bei völligem Wegfall jeglicher externen Unterstützung der Fall eintreten könnte, dass die Bundesregierung zusammenbricht (BMLV 1.12.2023). Mit Unterstützung einer Nachfolgemission von ATMIS sowie externen Partnern (etwa der Türkei, UN und EU) wird demnach das Halten von Mogadischu möglich sein (BMLV 7.8.2024). Schlussendlich gibt eine Quelle an, dass größere Städte - z. B. Mogadischu, Kismayo, Baidoa - aufgrund der dort gegebenen Massierung an Mannschaften und Gerät nicht von al Shabaab eingenommen werden können; dahingegen geht diese Quelle davon aus, dass die Gruppe nach einem Abzug von ATMIS wieder weite Teile des ländlichen Raumes zurückgewinnen wird können (Sahan/SWT 6.3.2024). Eine andere Quelle geht davon aus, dass Baidoa oder Kismayo nur gehalten werden können, wenn Äthiopien bzw. Kenia ihre dort stationierten Kontingente aufrechterhalten (BMLV 7.8.2024).

Macawiisley-Offensive: Unter Einbeziehung lokaler Clanmilizen gelang es der Regierung in einer großen Offensive seit August 2022 erstmals, al Shabaab aus weiten Teilen HirShabelles und Galmudugs zurückzudrängen (AA 23.8.2024). An der Spitze des Kampfes standen die Macawiisley-Milizen (Economist 3.11.2022; vergleiche Sahan/SWT 4.8.2023, ICG 21.3.2023). Diese lokalen Milizen werden von den Vereinten Nationen "Community Defence Forces" genannt (UNSC 15.6.2023). Im Rahmen der Offensive konnten die größten territorialen Gewinne seit Mitte der 2010er-Jahre erzielt werden. Bundesarmee und lokale Milizen haben al Shabaab aus signifikanten Teilen Zentralsomalias vertrieben (ICG 21.3.2023; vergleiche Economist 3.11.2022; Sahan/SWT 13.9.2023), und zwar in den Regionen Middle Shabelle, Hiiraan, Galgaduud und Mudug. Die Gruppe verlor die Kontrolle über mehrere strategische Städte wie die Hafenstadt Xaradheere (Mudug), Ceel Dheere, Adan Yabaal (BBC 15.6.2023; vergleiche ICG 21.3.2023), Galcad und Runirgod (Galgaduud und Middle Shabelle). Diese Städte wurden fast 15 Jahre lang von al Shabaab kontrolliert und leisteten einen erheblichen Beitrag zu ihren Finanzen (BBC 15.6.2023). Zudem hält al Shabaab derzeit keine Räume oder Orte mehr an der Küste in Galmudug oder HirShabelle, allerdings wird diese auch nicht lückenlos von der Regierung kontrolliert (BMLV 7.8.2024).

Allerdings hat die Offensive ab Mitte 2024 Rückschläge erlitten, einige Orte und Gebiete gingen wieder an al Shabaab verloren (UNSC 28.10.2024; vergleiche AA 23.8.2024). Auch in der Vergangenheit ist es der somalischen Regierung nicht gelungen, grundlegende staatliche Kernaufgaben in den befreiten Gebieten wahrzunehmen, sodass al Shabaab sich nach Rückzug immer wieder neu aufstellen und Gebiete zurückerobern konnte. Dieses Phänomen ist nun erneut zu beobachten und kostet die Regierung Unterstützung bei den Clanmilizen (AA 23.8.2024; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Die Rückschläge sind u. a. auf einen Mangel an Truppen zurückzuführen (ÖB Nairobi 10.2024). Generell stehen keine bzw. zu wenige leistungsfähige und verlässliche Truppen zur Verfügung, um eroberte Orte zu halten, wenn die Angriffstruppen weiterziehen (BMLV 7.8.2024). Zudem kam es zu logistischen Problemen, einem Mangel an Ressourcen und einem Aufbrechen von Clankonflikten (HIPS 7.5.2024).

Die Beziehungen der Bundesregierung zu manchen im Kampf gegen al Shabaab erfolgreichen Clans (v. a. die Hawadle) haben sich aufgrund politischer Verwerfungen abgekühlt (ACLED 15.9.2023). Gleichzeitig zwingt die Unfähigkeit der Regierung, die Kontrolle über gewonnene Gebiete aufrechtzuerhalten und eine starke Präsenz aufzubauen, lokale Clans zu Friedensabkommen mit al Shabaab, um die eigene Sicherheit zu gewährleisten (HI 4.2023; vergleiche ACLED 15.9.2023; BMLV 7.8.2024). Während al Shabaab nun versucht, den einen Teil der Hawiye gegen die Bundesregierung zu mobilisieren (v. a. Habr Gedir / Mohamud Hirab, Murusade und Abgal / Wacaysle), versucht die Bundesregierung, den anderen Teil (z.B. Habr Gedir) gegen al Shabaab in Stellung zu bringen (ACLED 15.9.2023; vergleiche BMLV 7.8.2024). Al Shabaab hat versucht sich anzupassen – etwa im Umgang mit der Lokalbevölkerung. Die Gruppe setzt nun mehr auf Anreize als auf Zwang und Erpressung. Bereits Ende Dezember 2022 wurde mit Teilen der Saleban ein neues Abkommen geschlossen (ICG 21.3.2023). Gleichzeitig schürt al Shabaab unter den Clans Angst, dass fremde Clanmilizen über sie herzufallen drohen. Diese Propaganda dient auch als Rekrutierungsmittel, z. B. bei den Murusade in Zentralsomalia (BMLV 7.8.2024).

Spannungen in neu eroberten Gebieten haben zudem teils zu Kampfhandlungen zwischen Clans geführt (AQ21 11.2023). Der Konkurrenzkampf zwischen den Clans um die Kontrolle über befreite Gebiete in Teilen von HirShabelle löste wochenlange angespannte Auseinandersetzungen und in einigen Fällen tödliche Zusammenstöße aus (Sahan/SWT 9.8.2023).

Aktueller Trend: Laut zweier Quellen ist al Shabaab nun stärker als zuvor (BMLV 4.7.2024; vergleiche Sahan/SWT 3.7.2023). Es kam zu zusätzlichen Rekrutierungen, wobei al Shabaab gleichzeitig größere Verluste vermeiden konnte – anders als die Bundesarmee. Selbst während der intensiven Phase der Gefechte erlitt die Gruppe geringere Verluste als ihr Gegner (BMLV 1.12.2023). Ab Jänner 2023 hat die Bundesarmee zwar 12.000 neue Soldaten in Dienst bestellt. Davon ist aber nur noch die Hälfte einsatzbereit. Von Jänner 2023 bis April 2024 musste die Armee 4.600 Gefallene verzeichnen. Die Armee ist ausgeblutet, die Spezialeinheit Gorgor - die im Zuge der Offensive breit eingesetzt worden ist - ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Alleine beim Angriff der al Shabaab auf das Lager Osweyne hat sich eine ganze Brigade aufgelöst. Von 2.400 Mann sind dort 800 gefallen, viele weitere wurden verwundet oder sind desertiert. Auch die Darawish von Galmudug sind stark dezimiert worden. Insgesamt wird attestiert, dass die Bundesarmee nicht mehr handlungsfähig ist. Seit Ende 2023 sind auch keine Bemühungen bekannt, Lücken durch neue Rekrutierungen zu füllen. Lediglich für Gorgor werden neue Soldaten ausgebildet. Gleichzeitig ist die "Volksmobilisierung" über die Macawiisley zum Erliegen gekommen, während der Abzug von ATMIS weiter fortschreitet. Tatsächlich gibt es aber keine Truppen, die ATMIS ersetzen könnten. Somalia ist nach Angaben einer Quelle Lichtjahre davon entfernt, Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen zu können (BMLV 4.7.2024).

Im März und April 2024 scheiterte ein letzter Versuch der Bundesregierung, eine neue Offensive voranzutreiben. Letztendlich gibt es keine Kräfte mehr, welche nun eine neue Offensive führen könnten. Das Momentum liegt bei al Shabaab, die Bundesregierung befindet sich in der Defensive (BMLV 7.8.2024). Die Gruppe hat viele der von der Bundesregierung seit August 2022 erzielten Erfolge wieder zunichtegemacht (VOA/Babb 18.6.2024). Während der Gebietsgewinn in HirShabelle nachhaltiger ist, wurde das in Galmudug gewonnene Gelände nahezu gänzlich wieder verloren (BMLV 4.7.2024). Al Shabaab konnte mehr als die Hälfte des verlorenen Gebietes wieder besetzen (BMLV 7.8.2024).

Al Shabaab hat trotz der nominell hohen Verluste, die der Gruppe durch Luftangriffe und Gefechte zugefügt worden sind, keinen Mangel an Kämpfern. Zumindest ist es nicht gelungen, Angriffe von al Shabaab auf Militärstützpunkte einzudämmen. Sie ist auch immer noch in der Lage, Angriffe in Mogadischu, gegen Stützpunkte der ATMIS und über die Grenzen der ATMIS-Mitgliedsstaaten Äthiopien und Kenia hinweg zu verüben (Soufan 3.7.2023; vergleiche BMLV 7.8.2024). Das sogenannte "Hafenabkommen" zwischen Äthiopien und Somaliland hat al Shabaab viele neue Rekruten gebracht (VOA/Babb 18.6.2024).

Die Gruppe hat zwar signifikant an Gebiet und Kämpfern eingebüßt, ist aber weit von einer Niederlage entfernt (BMLV 7.8.2024; vergleiche BS 2024). Al Shabaab greift weiterhin regierungsnahe Kräfte und Ziele sowie Zivilisten im ganzen Land an. Die Gruppe übt Druck auf Zivilisten aus, ihre extremistische Ideologie zu unterstützen (USDOS 15.5.2023). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen sowie Sicherheitskräfte und deren unmittelbare Umgebung. Auch der Flughafenbereich ist betroffen (AA 3.6.2024). In Zentralsomalia hält sich al Shabaab weiterhin im freien Gelände zwischen den Ortschaften auf und greift bei jeder Gelegenheit die Orte selbst bzw. die Bewegungen zwischen den Ortschaften an (BMLV 7.8.2024).

Al Shabaab verwendet gewalttätige, extremistische Taktiken. Die Gruppe bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit. Sie ist in hohem Maß anpassungsfähig und mobil und kann ihren Einfluss auch in Gebieten außerhalb der eigenen Kontrolle geltend machen. Die Gruppe bedient sich neben politischen und kriminellen Mitteln (wie Einschüchterung, Erpressung etc.) zur Kontrolle der Bevölkerung im militärischen Bereich zur Erreichung der Ziele der gesamten Bandbreite der asymmetrischen Kriegsführung. Mit unterschiedlichen Methoden gelingt es al Shabaab, die Bevölkerung zu kontrollieren, Einfluss auf die Politik zu nehmen und in Süd-/Zentralsomalia für ein Klima der Angst zu sorgen: Kontrolle großer Gebiete; sogenannte Hit-and-Run-Angriffe gegen Städte und militärische Positionen; Ausnutzung von Clanstreitigkeiten mit einer Taktik des "teile und herrsche"; Unterbrechung von Hauptversorgungsrouten und Blockade von Städten; und in wichtigen Städten (z. B. Mogadischu, Baidoa, Galkacyo, Jowhar) gezielte Attentate, Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Mörserangriffe. Zusätzlich ist die Gruppe auch weiterhin in der Lage, größere - sogenannte "komplexe" - Angriffe durchzuführen. Dabei verfolgt al Shabaab insgesamt eine klassische Guerilla-Doktrin: Die Einkreisung von Städten aus dem ländlichen Raum heraus (BMLV 7.8.2024).

Während eines Großteils der Trump-Jahre konnten Kämpfer der al Shabaab aufgrund der Intensität der Luftangriffe nicht in Konvois reisen (Sahan/SWT 2.8.2023). Heute ist besorgniserregend, wie leicht sich die Gruppe in weiten Teilen Somalias bewegen kann. Al Shabaab ist nun wieder in der Lage, Hunderte Kräfte zu konzentrieren, um Stützpunkte der Bundesarmee oder ihrer Verbündeten zu vernichten (BMLV 7.8.2024).

Kampfhandlungen: In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es regelmäßig zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. ATMIS und al Shabaab (AA 23.8.2024; vergleiche AA 3.6.2024). Die aktuelle Offensive konzentriert sich im Wesentlichen auf die Bundesstaaten Galmudug und HirShabelle (AA 23.8.2024; vergleiche ACAPS 17.8.2023). Auch entlang der Hauptversorgungsrouten unternimmt al Shabaab weiterhin Angriffe, und die Gruppe hat einige davon einnehmen können (USDOS 20.3.2023). Wie zuvor auf den Vorfallskarten von ACLED im Kapitel Sicherheitslage ersichtlich, konzentrierten sich Kampfhandlungen im Wesentlichen auf den SWS, mit vereinzelten Vorfällen in HirShabelle, Galmudug und Jubaland (ACLED 29.11.2024; vergleiche ACLED 28.10.2024; ACLED 30.9.2024; ACLED 31.7.2024). In den Monaten Oktober und November 2024 trugen sich 50 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle als Gewalttaten zwischen al Shabaab und ATMIS bzw. somalischen Sicherheitskräften in der Region Lower Shabelle zu (ACLED 29.11.2024; vergleiche ACLED 28.10.2024). Laut einer anderen Quelle ereignet sich der Großteil der Angriffe im Umfeld von Mogadischu, namentlich in Lower und Middle Shabelle (UNSC 28.10.2024). Im Folgenden zeigt eine Landkarte die Schwerpunkte von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und somalischen Sicherheitskräften im Zeitraum 1.10.-22.11.2024:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\D86E15FE.tmp
Quelle: ACLED 29.11.2024

Vereinzelt kommt es seitens al Shabaab auch zu Angriffen mit Artillerie. So wurden etwa am 13.6.2024 Mörsergranaten auf den Flughafen in Baidoa abgeschossen, am 1.7.2024 auf ein Krankenhaus in Baidoa, am 20.8.2024 wurden Raketen auf das UN-Areal in Mogadischu abgefeuert, am 1.9.2024 auf jenes von ATMIS, am 5.9.2024 auf den Flughafen in Mogadischu (UNSC 27.9.2024; vergleiche UNSC 28.10.2024).

Gebietskontrolle: Innerhalb der letzten zehn Jahre ist es der Regierung und den Truppen von AMISOM/ATMIS gelungen, die Kontrolle über viele Teile des Landes zurückzuerlangen (THLSC 20.3.2023). Al Shabaab wurde erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB Nairobi 10.2024). Während ATMIS und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (USDOS 15.5.2023; vergleiche BS 2024; ÖB Nairobi 10.2024). Gleichzeitig hat al Shabaab die Fähigkeit behalten, in Mogadischu zuzuschlagen (USDOS 15.5.2023). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias befinden sich also teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle von al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 23.8.2024). In Baidoa und Jowhar hat sie stärkeren Einfluss. Ihre Verbündeten kontrollieren viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten (BMLV 7.8.2024).

Einerseits hält al Shabaab gegen einige Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 11.1.2024; vergleiche BMLV 7.8.2024). Andererseits reicht der Aktionsradius lokaler Verwaltungen oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "Urban Island Scenario" besteht also weiterhin. Das heißt, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und ATMIS sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Gebessert hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle, wo auch Bewegungen zwischen den Orten möglich sind. Als "Inseln" zu bezeichnen sind hingegen z. B. Xudur, Waajid, Diinsoor, Wanla Weyne und Baraawe (BMLV 7.8.2024). Dabei operiert al Shabaab v. a. aus dem ländlichen Raum heraus, übt aber auch auf Städte und Gebiete, die nicht direkt von der Gruppe kontrolliert werden, erheblichen Einfluss aus (BS 2024). In Gebieten, in welchen al Shabaab keine direkte Kontrolle ausübt - sei es wegen der Präsenz von somalischen oder internationalen Sicherheitskräften, sei es wegen der Präsenz von Clanmilizen - versucht die Gruppe die lokale Bevölkerung und die Ältesten durch Störoperationen entlang der Hauptversorgungsrouten zu bestrafen bzw. deren Unterstützung zu erzwingen (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQ21 11.2023).

Wie auf der Karte von PGN im Kapitel Sicherheitslage ersichtlich, befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab. Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind:

1.           das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; de facto die gesamte Region Middle Juba;

2.           Jamaame und Badhaade in Lower Juba;

3.           Gebiete um Ceel Cadde und Qws Qurun in der Region Gedo;

4.           Gebiete nördlich und entlang des Shabelle in Lower Shabelle, darunter Sablaale und Kurtunwaarey;

5.           der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

6.           Gebiete rechts und links der Grenzen von Bay mit Bakool bzw. Bakool und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

7.           die südliche Hälfte von Galgaduud mit der Stadt Ceel Buur (PGN 28.6.2024).

Generell kann aber kein Gebiet in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden. Insbesondere durch die Infiltration mittels verdeckter Akteure kann die Gruppe nahezu überall aktiv werden. Ein Vordringen größerer Kampfverbände von al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch ATMIS und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und ATMIS – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden. Immer wieder gelingt es al Shabaab, kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte einzunehmen, um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (BMLV 7.8.2024). Al Shabaab hat sich – in begrenztem Ausmaß – fähig gezeigt, Territorien, die bereits durch die Bundesarmee und ATMIS befreit wurden, wieder zurückzuerobern. In der Vergangenheit war das Scheitern, eroberte Territorien erfolgreich zu halten, mit dem Mangel an Polizeipräsenz in den eroberten Gebieten und der allgemein schlechten Moral in der Bundesarmee verbunden, die auf sehr geringe und oftmals verzögerte Besoldung zurückzuführen war (ÖB Nairobi 10.2024).

Andere Akteure: Kämpfe zwischen Clans und Subclans - v. a. um Wasser- und Landressourcen - sind weit verbreitet, insbesondere in den Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle bzw. in Regionen, in denen die Regierung oder staatliche Behörden schwach oder nicht vorhanden sind (ÖB Nairobi 10.2024). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.6.2024; vergleiche BS 2024), zwischen Clanmilizen und Sicherheitskräften (BS 2024) sowie zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen (AA 23.8.2024). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es auch zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten (USDOS 20.3.2023)

Die Offensive in Zentralsomalia - und auch die Verwendungen von Clanmilizen ("Community Defence Forces") gegen al Shabaab - hat Clanrivalitäten teils verstärkt (BS 2024; vergleiche UNGA 23.8.2024; HIPS 7.5.2024). Die Abhängigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte von Clanmilizen birgt erhebliche Risiken. Es gibt tiefe Spaltungen zwischen Clans, und Bündnisse mit bestimmten Clans können andere Clans entfremden. Manche haben sich entsprechend mit al Shabaab verbündet (BS 2024). Al Shabaab wiederum zündelt und fördert Clankonflikte. Insgesamt ist nach der Offensive in Zentralsomalia ein Klima der Straflosigkeit entstanden: Clans, die Rechnungen begleichen wollen, müssen keinen Widerstand von staatlicher Seite erwarten – weder von der Bundesarmee noch von den Darawish, die entweder gebunden oder aber nicht existent sind. Neben der Ablenkung durch den Kampf gegen al Shabaab lähmen auch die Wiederwahlambitionen diverser Präsidenten der Bundesstaaten und die Schwäche der Regionalkräfte die Kapazitäten und Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungen hinsichtlich von Clankonflikten. Alles in allem gibt es nun mehr und stärkere Clanauseinandersetzungen, z. B. in Qoryooley zwischen den Digil-Clans Jidde und Garre; im Raum Dhusamareb zwischen den Hawiye-Clans Habr Gedir und Duduble; in Mudug zwischen den Hawiye / Sa’ad und Darod / Leelkase; oder in Middle Shabelle zwischen den Hawiye-Clans Abgal und Hawadle (BMLV 4.7.2024). Derartige Clankonflikte führen immer wieder auch zur Vertreibung von Zivilisten (UNSC 27.9.2024). Die Vereinten Nationen berichten in diesem Zusammenhang von Vorfällen in Diinsoor und Qoryooley (SWS), Jowhar (HirShabelle), Luuq (Jubaland) und Cabudwaaq (Galmudug) (UNSC 28.10.2024).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 23.8.2024). Gewaltakte durch bewaffnete Gruppen und Banden und Armutskriminalität sind im gesamten Land weit verbreitet. Bewaffnete Überfälle, Autoraub ("Carjacking"), sexueller Missbrauch und auch Morde kommen häufig vor (AA 3.6.2024). Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2017 befinden sich mehr als 1,1 Millionen Handfeuerwaffen in Privatbesitz. Nur ein Bruchteil davon ist registriert (Sahan/SWT 4.12.2023).

Sogenannter Islamischer Staat in Somalia (ISS): Im Jahr 2021 bekannte sich der ISS zu 36 Angriffen, im Jahr 2022 zu 32, bis November 2023 nur zu 9 - davon 3 in Puntland und 6 in Mogadischu (TSD 12.11.2023).

Durch Konflikte Vertriebene: 2024 wird von UNHCR angegeben, dass bis August des Jahres 343.000 Menschen aus unterschiedlichen Gründen zu Vertriebenen im eigenen Land geworden sind (UNHCR 2024); 2023 waren es insgesamt über 1,5 Millionen Menschen (UNHCR 2023). Bis August 2024 wurden 159.000 Personen durch Konflikte vertrieben. Die meisten neuen IDPs aufgrund von Konflikten gab es - abseits von Somaliland - 2024 bis inklusive August in den Regionen Gedo (50.000), Lower Juba (22.000), Bay (18.000), Mudug (16.000), Middle Juba (15.000) und Lower Shabelle (15.000). Dahingegen wurden in Benadir/Mogadischu (300), Bari (500) und Galgaduud (2.000) deutlich weniger Menschen neu vertrieben, in Nugaal gar keine (UNHCR 2024).

Zivile Opfer: Nach Angaben von Amnesty International war al Shabaab im Jahr 2023 für 312 von 945 getöteten oder verletzten Zivilisten verantwortlich (AI 24.4.2024). Der UN-Sicherheitsrat gibt die Verantwortung von al Shabaab für zivile Opfer im Zeitraum Jänner-Mai 2024 mit 54 % an. An zweiter Stelle folgen staatliche Sicherheitskräfte, danach Clanmilizen und Unbekannte (UNSC 3.6.2024). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (BMLV 7.8.2024).

Zwar richten sich Angriffe von al Shabaab üblicherweise gegen Personengruppen, die von der Gruppe als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten (BMLV 7.8.2024; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an (BMLV 7.8.2024). Auch mit Sprengstoffanschlägen greift die Gruppe meist nicht mutwillig Zivilisten an und verwendet diese Taktik - im Vergleich zu anderen Terrorgruppen - gezielter. Dennoch wählt sie in regelmäßigen Abständen Ziele aus, bei denen die Gruppe weiß, dass viele Zivilisten Kollateralschäden erleiden werden - etwa bei Angriffen auf Hotels, Kaffee- oder Teehäuser, Restaurants oder belebte Straßenkreuzungen (FDD/Roggio 11.10.2023).

Für Zivilisten besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche BMLV 7.8.2024; FIS 7.8.2020b, Sitzung 24ff) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 7.8.2024; vergleiche LIFOS 3.7.2019, Sitzung 25; FIS 7.8.2020b, Sitzung 24). So hat Mogadischu über die Jahre Dutzende Arbeiter der Straßenreinigung verloren, die durch versteckte Sprengsätze getötet wurden, welche entlang von Straßen im dahinter liegendem Müll platziert waren (AJ 21.7.2022). Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt auch Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 10ff). So stattet al Shabaab etwa beim Zurückgehen im Rahmen einer Regierungsoffensive mitunter verlassene Gebäude mit Sprengfallen aus, die später auch zurückkehrende Zivilisten treffen können (Sahan/SWT 26.2.2024; vergleiche Sahan/SWT 29.9.2023). Ein Ziel von al Shabaab ist es, Angst zu verbreiten (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Zivilisten werden in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen versetzt, und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 27). Unklar ist, ob auch der Anschlag auf ein Restaurant am Lido Beach in Mogadischu am 2.8.2024 für diese Kategorie gewertet werden kann. Bei diesem komplexen Anschlag wurden mindestens 37 Personen getötet und 250 verletzt - nahezu allesamt Zivilisten (UNSC 27.9.2024; vergleiche UNSC 28.10.2024).

Eine [Anm.: ältere, aber weiterhin zutreffende] Grafik des Hiraal Institute bestätigt, dass der wesentliche Fokus von al Shabaab auf den Sicherheitskräften liegt [Anm.: Erklärung zur Grafik: SNA - Bundesarmee; SPF - Polizei; FMS - Bundesregierung; PSF - puntländische Sicherheitskräfte; blau - ca. 5.2021-4.2022; orange - ca. 5.2022-4.2023]:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\123D32BC.tmp
Quelle: HI 5.2023

Allgemein ist die Datenlage zu Zahlen ziviler Opfer jedenfalls unklar und heterogen. Der Experte Matt Bryden veranschaulichte dies im Jahr 2021 mit den Angaben mehrerer Organisationen. So gab es laut UNMAS (Mine Action Service) 2020 wesentlich weniger zivile Tote (454) als im Jahr davor (1.140). Dahingegen berichtet US-AFRICOM von 776 Vorfällen mit insgesamt 2.395 Opfern im Jahr 2020 und 676 Vorfällen mit 1.799 Opfern 2019. US-AFRICOM zählt zivile und militärische Opfer zusammen. Dementsprechend wären 2020 wesentlich mehr Sicherheitskräfte untern den Opfern gewesen als Zivilisten – ein Widerspruch zu den Angaben der UN, wonach Zivilisten die Hauptlast der Sprengstoffanschläge tragen würden. Dies wird auch von ATMIS bestätigt: Demnach richteten sich 2019 28 % der Anschläge direkt gegen Zivilisten, 2020 waren es 20 % (Sahan/Bryden 6.4.2021).

Von den Vereinten Nationen werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) über die letzten Jahre wie folgt angegeben:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\5DB742A.tmp
(UNSC 27.9.2024; UNSC 3.6.2024; UNSC 2.2.2024; UNSC 13.10.2023; UNSC 15.6.2023; UNSC 16.2.2023; UNSC 1.9.2022a; UNSC 13.5.2022; UNSC 8.2.2022; UNSC 11.11.2021; UNSC 10.8.2021; UNSC 19.5.2021; UNSC 17.2.2021)

Die letzte halbwegs glaubwürdige Volkszählung wurde im Jahr 1975 durchgeführt - auch diese mit signifikanten Einschränkungen (Sahan/SWT 10.5.2023). Neueste Schätzungen gehen von 18,7 Millionen (FSNAU/IPC 23.9.2024b), andere von rund 17 Millionen Einwohnern aus (WFP 26.9.2024; vergleiche IPC 13.12.2022). Bei Herannahme von 17 Millionen Einwohnern lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:10.780 [Anm.: Berechnung auf Basis der in vorgenannten Quellen angegebenen Zahlen] (UNSC 27.9.2024).

Luftangriffe: Immer wieder kommt es zu Luftschlägen, v. a. durch die USA. Unter der Trump-Regierung wurden innerhalb von vier Jahren fast 220 Luftangriffe durchgeführt (Sahan/SWT 2.8.2023). Dahingegen waren es 2021 nur 11 (HRW 13.1.2022), 2022 waren es 15 (BMLV 9.2.2023) und 2023 mindestens 13 - v. a. in Zentralsomalia (HRW 11.1.2024). Außerdem führen folgende Länder Luftschläge in Somalia durch: Kenia, z. B. am 22.6.2022 im Grenzgebiet von Gedo zu Kenia (GN 22.6.2022); Äthiopien (VOA 8.8.2022), z. B. am 30.7.2022 in der Region Bakool (SG 31.7.2022); die Türkei führt Drohnenangriffe gegen al Shabaab durch (HRW 11.1.2024; vergleiche VOA/Maruf 30.11.2022). Drohnen werden von somalischen und verbündeten Kräften vermehrt eingesetzt (UNGA 23.8.2024). Generell hat die Zahl an Luftangriffen aber erheblich abgenommen, die durchgeführten konzentrieren sich i.d.R. auf höherrangige Angehörige der al Shabaab oder dienen der unmittelbaren Unterstützung der Regierungskräfte im Gefecht, v. a. wenn diese Gefahr laufen, von al Shabaab überwältigt zu werden (BMLV 7.8.2024).

Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Die Sicherheitslage in Mogadischu ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, dass al Shabaab Angriffe auf Behörden und ihre Unterstützer verübt. Zugleich stecken hinter der Gewalt in der Stadt neben al Shabaab auch Regierungskräfte, der sogenannte Islamische Staat in Somalia (ISS) und Unbekannte (BMLV 7.8.2024). In der Stadt befinden sich die Polizei, die Präsidentengarde, die Bundesarmee, die National Intelligence and Security Agency (NISA), private Sicherheitskräfte und Clanmilizen in unterschiedlichem Umfang im Einsatz (Sahan/SWT 6.9.2023). Nichtstaatliche Sicherheitskräfte, darunter Clanmilizen, üben trotz wiederholter Versuche, sie auf Linie zu bringen, erheblichen Einfluss in der Stadt aus. Die Teile dieser Patchwork-Sicherheitsarchitektur konkurrieren regelmäßig um Checkpoints und den Zugang zu Ressourcen (Sahan/SWT 6.9.2023). Dabei konnten aufgrund der verbesserten Lage zuletzt etliche Checkpoints innerhalb der Stadt abgebaut werden (BMLV 4.7.2024).

Insgesamt durchläuft die Sicherheitslage Mogadischus eine positive Entwicklung (AQSOM 4 6.2024). Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Kämpfe war (BBC 18.1.2021; vergleiche Sahan/SWT 18.1.2022). 2011 war Mogadischu eine halb entleerte Ruinenstadt, Einschusslöcher, zerstörte Häuser und Milizen in Kampfwagen prägten das Bild. Es gab keinerlei staatliche Dienste (Sahan/SWT 18.1.2022). Seit 2014 ist das Leben nach Mogadischu zurückgekehrt (SRF 27.12.2021) und die Stadt befindet sich unter Kontrolle von Regierung und ATMIS (PGN 28.6.2024). Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen zehn Jahren im Allgemeinen verbessert (Sahan/SWT 6.9.2023). römisch fünf. a. unter der aktuellen Regierung wurde al Shabaab aus der Stadt weitgehend abgedrängt (ÖB Nairobi 11.1.2024). Immer neue Teile von Mogadischu werden wieder aufgebaut. Es herrscht große Aktivität, viel Geld wird investiert (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) - auch in ganze neue Stadtteile an der Peripherie (AQSOM 4 6.2024). Nun ist Mogadischu eine pulsierende Stadt mit hohen Apartmentblocks und Einkaufszentren. Der berühmte Lido-Strand ist am Wochenende voll mit Familien. Historische Gebäude und Monumente wurden renoviert und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Unzählige Kaffeehäuser sind aus dem Boden geschossen. Der private und der öffentliche Sektor sind aufgrund der relativen Stabilität der Stadt stark gewachsen. Sechs Banken und Dutzende internationaler Firmen haben in Mogadischu eine Niederlassung eröffnet. Es gibt Investitionsmöglichkeiten, und es sind neue Arbeitsplätze entstanden (Sahan/SWT 18.1.2022; vergleiche TEV/Odour 24.6.2024). Händler können ihre Waren auf den Markt bringen, und überhaupt können die Menschen relativ frei zirkulieren (ÖB Nairobi 11.1.2024). Die Stimmung der Menschen in der Stadt ist laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 relativ positiv. Dies hat mit den Bemühungen der Regierung im Kampf gegen al Shabaab zu tun (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamed hat sich die Atmosphäre in Mogadischu dramatisch verändert, die Stadt ist ruhiger geworden (Sahan/SWT 8.6.2022).

Gleichzeitig bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen. In Mogadischu besteht aber kein Risiko, von der Gruppe zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Laut einer Quelle gibt es für normale Bewohner kein echtes Sicherheitsproblem. Dieses beschränkt sich demnach auf Ausländer, Personen, die für diese Ausländer arbeiten und allenfalls jene, die für die Regierung arbeiten (ÖB Nairobi 11.1.2024).

Noch im Jahr 2022 sind Quellen davon ausgegangen, dass Mogadischu im Falle eines Abzugs von ATMIS die Rückkehr von al Shabaab drohte (Robinson/TGO 27.1.2022; vergleiche Meservey/RCW 22.11.2021). Nun aber geben mehrere Quellen an, dass diese Gefahr nicht (mehr) zu sehen ist (Sahan/SWT 1.9.2024; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023; Think/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Eine Quelle erklärt, dass ein rascher Zusammenbruch des Staates nur noch dann zu erwarten ist, wenn jegliche externe Unterstützung eingestellt wird (BMLV 1.12.2023). Doch selbst bei einem vollständigen und ersatzlosen Abzug von ATMIS ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung Mogadischu halten wird können - wenn sie alle verfügbaren Kräfte dort zusammenzieht (BMLV 4.7.2024).

Generell haben sich seit 2014 die Lage für die Zivilbevölkerung sowie die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden verbessert (BMLV 7.8.2024). Die Regierung hat in Maßnahmen investiert, um das Risiko komplexer Angriffe durch al Shabaab in der Stadt zu reduzieren (UNSC 28.10.2024). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 hat sich die Sicherheitslage in der Stadt seit 2017 weiter verbessert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer anderen Quelle der FFM ist die Lage heute ähnlich wie 2017, jedenfalls aber besser als etwa 2012-2014 (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage in Mogadischu im Jahr 2023 gegenüber 2022 verbessert hat, und auch besser ist als 2016 oder 2017 (BMLV 14.9.2023). Auch eine anonymisierte Quelle betont im März 2024, dass sich die Sicherheitslage in Mogadischu in den Vormonaten verbessert hat - gerade im Vergleich zu dem Jahrzehnt davor (AQSOM 1 3.2024). Eine weitere Quelle vom Oktober 2023 erklärt, dass sich die Sicherheitslage in der Stadt verbessert hat (RD 26.10.2023). In einem Jahresbericht zum Jahr 2023 wird vermerkt, dass sich die Lage in Mogadischu in diesem Jahr wesentlich verbessert hat (HIPS 7.5.2024). Mehrere lokale Quellen der norwegischen COI-Einheit beschrieben im Mai 2022 die Sicherheitsentwicklungen in der Stadt als positiv. Jedenfalls ist die Zahl an Vorfällen und Todesopfern in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben. Diesbezüglich muss zudem berücksichtigt werden, dass gleichzeitig die Zahl an Einwohnern deutlich gestiegen ist (Landinfo 8.9.2022). So hat UNFPA die Einwohnerzahl im Jahr 2014 mit 1,65 Millionen angegeben (UNFPA 10.2014), während die Zahl im Jahr 2022 auf fast 2,9 Millionen geschätzt wird (IPC 13.12.2022). Laut Vereinten Nationen leben in Mogadischu nun mehr als 900.000 IDPs (Sahan/SWT 6.9.2023). Eine neuere Quelle erklärt, dass sich die Sicherheitslage mit der Überdehnung der somalischen Sicherheitskräfte im Umland von Mogadischu verschlechtert hat. Mehrere Stützpunkte wurden hier von ATMIS an lokale Kräfte übergeben. Dies hat zu einem Anstieg an Angriffen und Anschlägen durch al Shabaab in Mogadischu geführt (Sahan/SWT 1.9.2024). Auch eine andere Quelle erklärt im August 2024, dass die Angriffe von al Shabaab in der Vorstadt eine alarmierende Intensität erreicht haben. Die Gruppe nützt dabei die Schwächung der äußeren Verteidigungslinien der Stadt aus (TSD 22.8.2024).

Sicherheitskräfte: Die Stadt hat 17 Bezirke und mehrere sogenannte Residential Areas, die noch nicht zu Bezirken gemacht worden sind. Mit ca. 18.000 Mann verfügt die Stadt über ausreichend Sicherheitskräfte (Sahan/SWT 7.11.2022) - davon sind 5.000-6.000 Polizisten. In jedem Bezirk gibt es eine Polizeistation (Sahan/SWT 6.9.2023). Eine weitere Quelle nennt diese Zahlen plausibel (BMLV 7.8.2024). Seit April 2023 wird eine neue paramilitärische Einheit in Mogadischu eingesetzt (BMLV 7.8.2024; vergleiche RD 10.4.2023). Dabei handelt es sich um in Uganda ausgebildete Kräfte (JOWH 10.4.2023). Diese Militärpolizei - eine Einheit der Bundesarmee - wurde mit der Stabilisierung Mogadischus beauftragt (FTL 14.4.2023; vergleiche JOWH 10.4.2023). Der Einsatz der 3.000-3.500 Mann der Militärpolizei ist ein massiver Beitrag für die Sicherheitslage in der Stadt. Die Einheit kümmert sich u. a. um die militärische Sicherung von Mogadischu (BMLV 7.8.2024). Truppen an Checkpoints werden nunmehr häufiger rotiert, was die Möglichkeiten von al Shabaab (Stichwort: Bestechung) reduziert (AQSOM 1 3.2024; vergleiche UNSC 28.10.2024).

Allerdings reicht die gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um Aktivitäten der al Shabaab gänzlich zu unterbinden (BMLV 7.8.2024). Auch eine weitere Quelle vertritt die Ansicht, dass die somalischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, der von al Shabaab ausgehenden Bedrohung für die gesamte Region Benadir entgegenzutreten (UNSC 10.10.2022). Unter den Sicherheitskräften herrscht mangelnde Koordination und Kommunikation, dafür aber Korruption. Und gleichzeitig erschweren fehlende Personalausweise und Register (etwa für Fahrzeuge) und Adressen die Sicherheitskontrolle (Sahan/SWT 7.11.2022). Zudem ist die Polizei nicht unbedingt effizient und diszipliniert (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) und gleichzeitig überfordert. Sie musste in den vergangenen Jahren mit einem wachsenden Drogenmilieu und Bandenwesen sowie mit al Shabaab und einer zunehmenden Politisierung der Sicherheitskräfte unter dem Ex-Präsident Farmaajo kämpfen. Seit der Stationierung der o. g. von Uganda ausgebildeten Kräfte gibt es aber zunehmend Versuche, z. B. illegale Checkpoints zu räumen (Sahan/SWT 6.9.2023). Die Sicherheitskräfte können zudem nun großteils jene Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte. Zuvor verfügte die Bundesregierung nicht flächendeckend über ausreichend staatliche Institutionen hinsichtlich der Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums. Die diesbezügliche Lage hat sich gebessert (BMLV 7.8.2024).

Mit Stand 2020 berichtet die finnische COI-Einheit: Die Bewohner haben eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020b). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei - aufgrund der Unterwanderung selbiger - die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020b; vergleiche BMLV 7.8.2024). Nach neueren Angaben ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei aufgrund der neu eingesetzten Kräfte gestiegen. Auch wenn diese streng genommen der Bundesarmee angehören, heben sie das Ansehen der Sicherheitskräfte. Sowohl Polizei als auch Bundesarmee bleiben aber weiterhin von al Shabaab unterwandert (BMLV 1.12.2023).

Al Shabaab kontrolliert in Mogadischu schon seit Jahren keine Gebiete mehr (MBZ 6.2023; vergleiche AQ21 11.2023), unterhält aber ein beachtliches Netzwerk an Mitgliedern und Informanten (MBZ 6.2023). Das Ausmaß der Präsenz der Gruppe im Stadtgebiet ist sehr unterschiedlich (BMLV 7.8.2024). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 7.8.2024; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023, Landinfo 8.9.2022). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (BMLV 7.8.2024). Kaxda (ein neuer Bezirk am Nordrand der Stadt) gilt laut einer Quelle als Brutstätte militanter Aktivität (TSD 20.9.2023). Die Gruppe verfügt in Mogadischu über keine nennenswerte institutionelle Präsenz. Trotzdem erhebt die Gruppe den Zakat (islamische Steuer) von Unternehmen in der Stadt. Zudem macht al Shabaab ihre Präsenz insofern bemerkbar, dass sie ihre Form der "Moral" umsetzt. So tötete die Gruppe beispielsweise Anfang März 2023 zehn Personen, denen der Verkauf von Drogen in den Stadtbezirken Yaqshiid und Dayniile vorgeworfen worden war (Sahan/SWT 6.9.2023).

Bei allen Möglichkeiten, über welche al Shabaab verfügt, so hat die Gruppe in Mogadischu kein freies Spiel. Regierungskräfte sind in allen Bezirken der Stadt präsent – etwa mit Checkpoints; und es werden Razzien durchgeführt. Die Anzahl an Mitgliedern, Unterstützern und Ressourcen in Mogadischu sind begrenzt, und daher muss al Shabaab diesbezügliche Prioritäten setzen (Landinfo 8.9.2022). Quellen der FFM Somalia 2023 erklären: Al Shabaab ist weiter abgedrängt worden und daher kommen komplexe Angriffe seltener vor (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). An den Kontrollpunkten an Straßen wird ein großer Aufwand bei Durchsuchungen betrieben (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). In Dayniile sind keine Flaggen der al Shabaab mehr zu sehen. Die Polizei ist nun in der ganzen Stadt vertreten – auch an der Peripherie (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Teils antworten Menschen in der Stadt nicht mehr auf Anrufe durch al Shabaab (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Üblicherweise galt, dass al Shabaab jede Person töten konnte, die sie töten wollte. Nunmehr gilt dies laut einer Quelle nicht mehr uneingeschränkt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle erklärt, dass die Fähigkeiten von al Shabaab, sich in der Stadt zu bewegen und Menschen gezielt zu töten, durch Sicherheitsmaßnahmen eingeschränkt worden sind (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Der Austausch des Personals an den Checkpoints der Regierung hat zur Einschränkung der Fähigkeiten von al Shabaab erheblich beigetragen. Zuvor bestochene und/oder infiltrierte Checkpoints wurden so für die Gruppe wertlos. Laut Expertenmeinung herrscht ein Krieg um Mogadischu, der nicht unbedingt mit Kugeln geführt wird. Die Bundesregierung versucht al Shabaab mit Maßnahmen - Checkpoints, Einschränkung der Finanzoperationen, Bekämpfung der Justiz von al Shabaab - von ihren "steuerlichen" Pfründen in der Stadt zu entkoppeln. Al Shabaab wiederum setzt sich dagegen zur Wehr. Dieser Kampf ist noch nicht entschieden (AQ21 11.2023). So geht die Gruppe nach der Installation von Überwachungskameras nicht mehr in persona auf dem Bakara-Markt "Steuern" eintreiben; doch hat sie diese Aktivität schlicht auf elektronische Möglichkeiten und Wege ausgelagert (BMLV 4.7.2024). Allerdings geht al Shabaab seit Oktober 2024 brutal gegen Personen vor, welche Überwachungskameras des Staates installiert haben (SMN 30.11.2024; vergleiche Halqabsi 29.10.2024).

Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Gruppe in Mogadischu aktiv Deserteure sucht und liquidiert (Landinfo 8.9.2022; vergleiche BMLV 7.8.2024). Laut einer Quelle rekrutiert al Shabaab in der Stadt auch keine neuen Mitglieder (Landinfo 8.9.2022). Nach Angaben einer anderen Quelle ist aufgrund des massiven Bevölkerungsanstiegs und der zahlreichen Jugendlichen ohne Auskommen für al Shabaab ohnehin ein großes Rekrutierungspotenzial gegeben, das auch genutzt wird (BMLV 7.8.2024).

Die Zahl an Hit-and-Run-Angriffen auf Checkpoints der Sicherheitskräfte, die in der zweiten Jahreshälfte 2023 gestiegen ist, ist 2024 wieder gesunken. Al Shabaab ist aber nicht aus der Stadt verschwunden und verübt weiterhin gezielte Anschläge auf Regierungseinrichtungen und deren Vertreter bzw. auf Ziele im öffentlichen Raum, z. B. am 14.7.2024 auf das Top Coffee Restaurant zum Zeitpunkt des Fußball-EM-Finales mit neun Toten und mindestens 20 Verwundeten oder am 2.8.2024 am Lido Beach mit mindestens 32 Toten und 62 Verwundeten (BMLV 7.8.2024; vergleiche UNSC 28.10.2024). Die Gruppe verbreitet auch weiterhin Angst (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Mogadischu ist eine Großstadt und steht zur Infiltrierung offen. Es ist schwer auszumachen, wer zu al Shabaab gehört und wer nicht (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe ist in der Lage, jede Person in Mogadischu ausfindig zu machen. Demnach herrscht bei den Bürgern die Angst, dass jederzeit etwas passieren könnte (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Ein Mitarbeiter einer internationalen NGO gibt an, dass er und Kollegen Drohanrufe bekommen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Die Gruppe kann immer noch große Anschläge in Mogadischu durchführen (UNSC 28.10.2024) oder etwa den Sitz des Präsidenten (Villa Somalia) mit Mörsern beschießen. Und es gibt auch weiterhin gezielte Attentate (IO-D/STDOK/SEM 4.2023) und Anschläge auf Regierungstruppen und ATMIS (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Mit einem komplexen Anschlag auf das SYL Hotel in der Nachbarschaft der Villa Somalia hat den Willen und die Kapazität von al Shabaab unter Beweis gestellt. Dieser Angriff hat die relative Ruhe in der Stadt beendet und geht mit den Rückschlägen der Bundeskräfte in Zentralsomalia einher (Sahan/SWT 15.3.2024).

Al Shabaab ist also auch weiterhin in der Stadt aktiv. Die Gruppe hat zahlreiche Informanten innerhalb der Sicherheitskräfte (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023), auch relevante Verwaltungsstrukturen gelten als unterwandert (Landinfo 8.9.2022; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von "Steuern" (Mohamed/VOA 9.11.2022; vergleiche Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Zwischen Mai und Juli 2022 erhielten auch zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab. Dabei liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar. Zudem wird die Errichtung von Häusern besteuert. Für Zahlungsverzögerungen drohen Strafzahlungen (Mohamed/VOA 9.11.2022). Al Shabaab ist auch im Jahr 2024 in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben und die Bevölkerung einzuschüchtern (BMLV 7.8.2024).

Laut dem niederländischen Außenministerium sind folgende Personen in Mogadischu einem erhöhten Risiko von Gewalt durch al Shabaab ausgesetzt: Regierungsvertreter, Politiker und Behördenvertreter, in- und ausländische Sicherheitskräfte; die genannten Gruppen stellen die Hauptziele von Angriffen von al Shabaab dar. Daneben werden auch Wahldelegierte, Wirtschaftstreibende, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, NGO-Bedienstete und Clanälteste, die sich zur Regierung bekennen, zu Zielen (MBZ 6.2023).

Zivilisten: Die Gruppe ist weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen (BMLV 7.8.2024). Üblicherweise zielt al Shabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates ["Officials"] (UNSC 6.10.2021; vergleiche BMLV 7.8.2024). "Normale" Zivilisten stellen im Allgemeinen kein Ziel von Angriffen der al Shabaab dar (MBZ 6.2023; vergleiche Landinfo 8.9.2022; BMLV 7.8.2024). Sie leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Jene, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (BMLV 7.8.2024). Allerdings kann ein "in Verbindung stehen" auch schon gegeben sein, wenn etwa Geschäftsleute - wie von der Regierung gefordert - an ihren Geschäften Videokameras installieren. Alleine im Oktober und November 2024 sind 37 Personen in Zusammenhang mit der Installation von sogenannten CCTV-Kameras getötet worden (SMN 30.11.2024).

Das größte Risiko für Zivilisten, die nicht mit der Regierung in Verbindung stehen, besteht darin, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und damit zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQSOM 4 6.2024). Denn al Shabaab nimmt zivile Opfer in Kauf und greift immer wieder stark frequentierte Örtlichkeiten an (MBZ 6.2023). Dabei handelt es sich i.d.R. um solche Orte, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z. B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren (Landinfo 8.9.2022). Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab. Die Hauptziele der Gruppe befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (BMLV 7.8.2024). Insgesamt widmet die Gruppe Zufallsopfern aber wenig Aufmerksamkeit. Sie erachtet bei Angriffen getötete Zivilisten als Märtyrer (Landinfo 8.9.2022).

Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (BMLV 7.8.2024; vergleiche FIS 7.8.2020b).

Auf die Frage nach den größten Gefahren im täglichen Leben in Mogadischu erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023: Erstens Erpressung durch al Shabaab; die Gruppe versucht immer, an Geld zu kommen. Daher besteht immer das Risiko, von ihr einen Drohanruf oder eine bedrohliche Textnachricht zu erhalten. Zweitens besteht für einen Durchschnittsbürger zwar kein Risiko, gezielt angegriffen zu werden; aber natürlich besteht immer das Risiko, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle nennt dieses Risiko (wrong Place, wrong Time). Demnach werden Normalbürger nicht angegriffen. Es muss immer ein bestimmtes Interesse an einer Person herrschen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt zu bedenken, dass man sich in Mogadischu nicht so leicht verstecken, nicht einfach isolieren kann. Man besucht die Familie, geht auf den Markt oder ins Spital etc. Personen sind demnach einfach aufzuspüren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Zum Ziel werden jene, die für die Regierung arbeiten. Diese Personen brauchen geeigneten Schutz. Auch Journalisten tragen ein höheres Risiko, insbesondere jene, die sich kritisch zu al Shabaab geäußert haben. Üblicherweise wird gezielt eine Person angegriffen, nicht aber deren Familienmitglieder (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Bewegungsfreiheit: Die Menschen wissen um die Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese (zu bestimmten Uhrzeiten) zu meiden (AQSOM 4 6.2024). Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen (Gov Som 2022, Sitzung 99).

Nach neueren Angaben gibt es nun weniger Checkpoints als früher. Präsident Hassan Sheikh Mohamud hat die Auflösung der meisten innerstädtischen Checkpoints angeordnet. Die verbliebenen befinden sich an neuralgischen Punkten der Stadt, etwa in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes oder dem Flughafen. An den Einfallstraßen wird jedes Fahrzeug kontrolliert. Insgesamt wird an diesen Straßensperren professioneller vorgegangen als noch vor einigen Jahren. Größere Einschränkungen gibt es aktuell nur mehr bei besonderen Anlässen - dies wird mittlerweile aber im Vorfeld angekündigt (BMLV 7.8.2024).

Die Zugehörigkeit zu einem starken Clan oder Verbindungen zu mächtigen Personen in der Stadt können an Checkpoints oder beim Zusammentreffen mit Regierungskräften von Vorteil sein. Als starke Clans erachtet werden in Mogadischu v. a. die Hawiye / Abgaal und die Hawiye / Habr Gedir (Landinfo 8.9.2022; vergleiche AQSOM 4 6.2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass Mogadischu hinsichtlich der Clanzugehörigkeit generell als kosmopolitisch erachtet werden kann. Eine Rolle spielt der Clan allerdings bei sozialen Angelegenheiten, bei Eheschließungen, beim Ringen um Macht, in der Politik (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (FIS 7.8.2020b; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) - wenn sie unbewaffnet sind (AQSOM 4 6.2024). Die Mittelschicht verwendet häufig das Service von Tuk-Tuks, die Ärmeren gehen zu Fuß oder verwenden Busse (TANA/ACRC 9.3.2023).

Quellen der FFM Somalia 2023 berichten: Einige Checkpoints werden von NISA kontrolliert (z. B. am Flughafen); innerhalb der Stadt aber meist von der Polizei. Die neu eingesetzte Militärpolizei unterhält Kontrollpunkte in den Vororten und an Einfallstraßen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Für normale Bürger gibt es hinsichtlich der Bewegungsfreiheit allgemein keine Probleme in Mogadischu (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Clan oder Geschlecht spielen hier keine Rolle (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Frauen können sich auch problemlos alleine bewegen, nur spät in der Nacht könnte es hier zu Sicherheitsproblemen kommen. Insgesamt haben alle Menschen die gleichen Probleme: Die Freiheit wird manchmal durch Straßensperren massiv eingeschränkt – etwa an Feiertagen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) oder wenn wichtige Delegationen in der Stadt sind. Wenn gerade kein besonderer Anlass gegeben ist, gibt es für beide Geschlechter und alle Clans Bewegungsfreiheit (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer weiteren Quelle fragen Polizisten an Checkpoints häufig um ein Trinkgeld, um die Bezahlung ihres Essens, um Zigaretten. Tatsächlich werden aber nur Autos – und hier meist die Fahrer – kontrolliert, Fußgänger und Tuk-Tuks können passieren (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Auch eine andere Quelle erklärt, dass an Checkpoints Passagiere in Tuk-Tuks problemlos passieren können und - wenn überhaupt - nur der Fahrer befragt wird (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023).

Gewaltkriminalität: Es gibt Bandenwesen und Straßenkriminalität. Teile von Karaan, Heliwaa und Yaqshiid bzw. alle Ränder der Stadt sind hoher Kriminalität ausgesetzt (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Für Zivilisten besteht nach wie vor die Sorge vor Raubüberfällen und Gewalt, insbesondere nachts. Dabei ist die Ermordung von Raubopfern keine Seltenheit. Dies steht insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufstieg von Jugendbanden (bekannt als "Ciyaal Weero", d. h. "aggressive Kinder") seit 2021 (Sahan/SWT 6.9.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Diese Gangs haben ursprünglich Passagiere von Tuk-Tuks (Bajaj) tyrannisiert. Sie haben geraubt, was die Menschen gerade bei sich hatten (Sahan/SWT 27.7.2022). Viele Gang-Mitglieder nehmen auch Drogen oder trinken Alkohol (Sahan/SWT 27.7.2022; vergleiche Sahan/SWT 29.8.2022). Ciyaal Weero verüben Raub, Erpressung und Gewalt (HIPS 7.5.2024). Den Gangs werden auch andere Verbrechen vorgeworfen, darunter sexuelle Übergriffe (Sahan/SWT 6.9.2023; vergleiche Sahan/SWT 27.7.2022), Raubüberfälle und Morde (Sahan/SWT 27.7.2022). Gleichzeitig sind Jugendgangs nach Gebieten organisiert und reklamieren verschiedene Teile der Stadt für sich (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche Sahan/SWT 29.8.2022), was zu weiterer Gewalt führt (Sahan/SWT 29.8.2022). Mit zunehmender Ausbreitung haben sie begonnen, sich gegenseitig zu bekämpfen (Sahan/SWT 27.7.2022). Die Regierung hat Nachtpatrouillen eingeführt, um der Sache entgegenzutreten (HIPS 7.5.2024).

In Mogadischu kommt es mitunter auch zu Landkonflikten, z. B. im August 2023 in Xamar Weyne. Dort wurden in Folge von Gewalt auch mehrere Menschen vertrieben (Sahan/Gedo 7.8.2023).

Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020b).

Islamischer Staat in Somalia (ISS): Der sogenannte ISS ist in Mogadischu kaum präsent (BMLV 4.7.2024). Im Jahr 2023 bekannte sich der ISS zu folgenden gewalttätigen Aktionen in Mogadischu und Umland: am 6.1. Anschlag mit einem Sprengsatz auf einen Polizisten in Dayniile; 12.2. Anschlag mit einem Sprengsatz auf einen Behördenvertreter; 3.3. Anschlag mit einem Sprengsatz auf Polizisten; 3.4. Anschlag mit einem Sprengsatz auf ATMIS; 9.6. Anschlag mit einem Sprengsatz auf die Polizei; 27.7. Anschlag mit einem Sprengsatz auf einen Geheimdienstmitarbeiter (TSD 12.11.2023). Der ISS verfügt in Mogadischu über begrenzten Einfluss (Landinfo 8.9.2022), kann aber Schutzgeld erpressen (TSD 12.11.2023).

Vorfälle: In Benadir/Mogadischu leben nach Angaben einer Quelle 2,874.431 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2022 insgesamt 105 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "Violence against Civilians"). Bei 94 dieser 105 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2023 waren es 88 derartige Vorfälle (davon 81 mit je einem Toten) (ACLED 12.1.2024). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und Violence against Civilians ergeben sich für 2023 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): 3,06;

2023 waren besonders die Bezirke Dayniile (67 Vorfälle), Dharkenley (41), Wadajir/Medina (29), Hodan (28) und Yaqshiid (25), in geringerem Ausmaß die Bezirke und Hawl Wadaag (15), Heliwaa (13) und Karaan (13) von tödlicher Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2023 v. a. in den Bezirken Dayniile (13 Vorfälle) sowie in Dharkenley (15), Wadajir/Medina (15) und Yaqhshiid (13) von gegen sie gerichteter, tödlicher Gewalt betroffen (ACLED 12.1.2024).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Al Shabaab – (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten

Kindersoldaten: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren (UNSC 2.2.2024; vergleiche HRW 11.1.2024; BS 2024). Hauptsächlich betroffen sind hiervon die Regionen Hiiraan, Bay, Lower Shabelle, Bakool und Middle Juba (UNSC 2.2.2024). Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 22.4.2024). Die Gruppe entführt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2024). Nach anderen Angaben bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan/SWT 6.5.2022). Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutierung entgehen (Sahan/SWT 6.5.2022). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 22.4.2024). Mitunter wird hierbei auch Gewalt angewendet (BS 2024). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 23.8.2024). Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 22.4.2024). Laut einer Quelle kann es zwar sein, dass al Shabaab auch Kinder von 8-12 Jahren aushebt; tatsächlich ist demnach der Einsatz von Kindern im Kampf aber unwahrscheinlich. Es gibt keine Bilder derart junger Kämpfer der al Shabaab unter den Gefallenen. Die Jüngsten sind mindestens 16 Jahre alt, entsprechend somalischer Tradition gelten sie damit als Männer. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer der Gruppe sind jedenfalls Männer über 18 Jahren (BMLV 7.8.2024).

Schulen und Lager: Viele der den Clans abgerungenen Kinder kommen zunächst in Schulen, wo sie indoktriniert und rekrutiert werden (USDOS 22.4.2024; vergleiche UNSC 6.10.2021). Die Gruppe betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum (VOA/Maruf 16.11.2022) und hat ein Bildungssystem geschaffen, das darauf ausgerichtet ist, Rekruten hervorzubringen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verbot andere islamische Schulen und hat eigene gegründet, die als „Islamische Institute“ firmieren. Diese orientieren sich an Clangrenzen, werden von Clans finanziert und stehen unter strenger Aufsicht der örtlichen Behörden der al Shabaab. Von den Clans wird erwartet, dass sie entweder Geld oder Schüler zur Verfügung stellen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In diesen Schulen werden die Schüler weltanschaulich indoktriniert, propagiert werden die Illegitimität der Bundesregierung und die Verpflichtung zum Dschihad (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In einem Fall wird berichtet, dass Schüler dort nach zwei Jahren ein Abschlusszeugnis erhalten haben (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Nach der Absolvierung einer solchen Schule werden die Absolventen normalerweise in Trainingslager der al Shabaab verbracht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vergleiche VOA/Maruf 16.11.2022). Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt (VOA/Maruf 16.11.2022). Nach Angaben eines Augenzeugen konnten Absolventen in seinem Fall über ihren weiteren Weg innerhalb der Organisation selbst entscheiden, etwa ob sie religiöse Studien betreiben oder in eine Teilorganisation eintreten wollten (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In einigen Gegenden betreibt al Shabaab auch „reguläre“ Schulen. Doch auch diese agieren nach der Ideologie der Gruppe (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Sie sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan/SWT 6.5.2022). Kinder werden dort einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren (USDOS 22.4.2024). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeinheiten - wie Danaab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (Sahan/SWT 6.5.2022).

Rekrutierung über Clans: Üblicherweise rekrutiert al Shabaab über die Clans (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Clans auf dem Territorium von al Shabaab müssen in Form junger Männer Tribut an die Gruppe abführen. Die Gruppe kommt in Dörfer, wendet sich an Älteste und fordert eine bestimmte Mannzahl (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; MBZ 6.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, Sitzung 105). Der Clan wird die geforderte Zahl stellen. Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 verfügt die Gruppe in den Clans über „Agenten“, welche die Auswahl der Rekruten vornehmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Angaben wendet sich al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle an Familien, um diese zur Herausgabe von Buben aufzufordern (Sahan/SWT 6.5.2022).

Jedenfalls treten oft Älteste als Rekrutierer auf (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben sind alle Wehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet für die Gruppe als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z. B. bei militärischen Operationen im Umfeld oder zur Aufklärung. Wehrfähig sind demnach auch Jugendliche mit 16 Jahren, die gemäß somalischer Tradition als erwachsen gelten (BMLV 7.8.2024).

Wo al Shabaab rekrutiert: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB Nairobi 10.2024). Rekrutiert wird vorwiegend in Gebieten unter Kontrolle der Gruppe, im südlichen Kernland, in Bay und Bakool (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Dort fällt al Shabaab dies einfacher, die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Etwa 40 % der Fußsoldaten von al Shabaab stammen aus diesen beiden Regionen (Marchal 2018, Sitzung 107). Auch bei den Hawiye / Galja'el und Hawiye / Duduble hat die Gruppe bei der Rekrutierung große Erfolge (AQ21 11.2023). Viele Kämpfer stammen auch von den Rahanweyn. Generell finden sich bei al Shabaab Angehörige aller Clans (MBZ 6.2023). Auch viele Menschen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten melden sich freiwillig zu al Shabaab (BMLV 7.8.2024).

Eine informierte Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, noch nie von Zwangsrekrutierungen an Straßensperren gehört zu haben (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Dahingegen wird in IDP-Lagern - etwa im Umfeld von Kismayo - sehr wohl (freiwillig) rekrutiert (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Wen al Shabaab rekrutiert: Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren eine relevante Quelle an Fußsoldaten (EASO 1.9.2021, Sitzung 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu, bzw. marginalisierten Gruppen (Ingiriis 2020; vergleiche Sahan/SWT 30.9.2022). Viele der Rekruten haben das Bildungssystem von al Shabaab durchlaufen (BMLV 7.8.2024). Die Gruppe nutzt in den von ihr kontrollierten Gebieten zudem gegebene lokale Spannungen aus. Minderheiten wird suggeriert, dass ein Beitritt zur Gruppe sie in eine stärkere Position bringen würde. Daher treten Angehörige von Minderheiten oft freiwillig bei und müssen nicht dazu gezwungen werden (MBZ 6.2023).

Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 1.9.2021, Sitzung 18).

Warum al Shabaab beigetreten wird: Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspekte umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 1.9.2021, Sitzung 21; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können - trotz fehlenden religiösen Verständnisses - auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020a, Sitzung 17; vergleiche Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, Sitzung 33), bei anderen ist es Abenteuerlust (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, Sitzung 33). Laut einer Quelle sind 52 % der Mitglieder von al Shabaab der Gruppe aus ökonomischen Gründen beigetreten, 1 % aus Abenteuerlust (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben sind etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, Sitzung 120f; vergleiche Rollins/HIR 27.3.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha/SIGLA 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019b, Sitzung 4). So lange die Gruppe über Geld verfügt, verfügt sie auch über ein großes Rekrutierungspotenzial. Zudem hat sie aufgrund von xenophoben - insbesondere anti-äthiopischen - Ressentiments Zulauf an Freiwilligen (BMLV 7.8.2024).

Nur manche Menschen folgen al Shabaab aus ideologischen Gründen, die meisten tun es aus pragmatischen Gründen. Vielen geht es um Schutz - und in vielen Bezirken des Landes bleibt al Shabaab diesbezüglich die sichtbarste und praktikabelste Option (Sahan/SWT 25.8.2023). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite (FIS 7.8.2020b, Sitzung 21) und sonstige Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan/SWT 30.9.2022; vergleiche Sahan/Menkhaus 23.8.2023).

Gerade in den seit vielen Jahren von der Gruppe kontrollierten Gebieten ist die Bevölkerung im Austausch gegen Sicherheit und Stabilität eher bereit, Rekruten abzugeben (MBZ 6.2023). Und speziell Angehörige marginalisierter Gruppen treten der Gruppe mitunter bei, um sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, Sitzung 34). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit, Rache an Angehörigen anderer Clans zu üben (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, Sitzung 14f; vergleiche EASO 1.9.2021, Sitzung 20). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 22.4.2024) - so z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020). Schlussendlich darf auch Angst vor al Shabaab als Motivation nicht vergessen werden. Demonstrationen extremer Gewalt halten viele Menschen bei der Stange (Sahan/SWT 12.6.2023).

Entlohnung bei al Shabaab: Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab vor einigen Jahren mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, Sitzung 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 50-100 US-Dollar (UNSC 10.10.2022; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024), Finanzbedienstete 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022). Eine andere Quelle nennt als Einstiegssold fertig ausgebildeter Kämpfer einen Betrag von 80-100 US-Dollar, bar oder in Gutscheinen (BMLV 7.8.2024). Gemäß somalischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten der al Shabaab 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (Gov Som 2022, Sitzung 99). Ein Mann, der in Mogadischu von einem Militärgericht wegen Anschlägen für al Shabaab verurteilt worden war, hat angegeben, einen Sold von 70 US-Dollar im Monat erhalten zu haben (GN 10.7.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha/SIGLA 2019).

Zwangsrekrutierung: Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQ21 11.2023; Ingiriis 2020), jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, Sitzung 92; vergleiche BMLV 7.8.2024; MBZ 6.2023). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021). Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei (MBZ 6.2023). Laut Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann man allerdings auf dem Gebiet der al Shabaab eine Rekrutierungsanfrage nicht einfach verneinen. Auch wenn al Shabaab Rekruten als Freiwillige präsentiert, haben diese i.d.R. keine wirkliche Option (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zudem erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab die Forderung nach Rekruten auch als Bestrafung einsetzt, etwa gegen Gemeinden, die zuvor mit der Regierung zusammengearbeitet haben. In anderen Gebieten, wo die Gruppe versucht, Clans auf die eigene Seite zu ziehen, hat sie hingegen damit aufgehört, Kinder wegzunehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Jedenfalls kommen Zwangsrekrutierungen vor - nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Bei zwei Studien aus den Jahren 2016 und 2017 haben 10-11 % der befragten ehemaligen Angehörigen von al Shabaab angegeben, von der Gruppe zwangsrekrutiert worden oder ihr aus Angst vor Repressalien beigetreten zu sein (MBZ 6.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass 13 % der Angehörigen der Gruppe Zwangsrekrutierte sind (ÖB Nairobi 10.2024). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen oder Versprechungen (FIS 7.8.2020a, Sitzung 18; vergleiche MBZ 6.2023), eine Unterscheidung zwischen "freiwillig" und "erzwungen" ist nicht immer möglich (MBZ 6.2023).

Wo Zwangsrekrutierungen vorkommen: Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 7.8.2024; vergleiche AQ21 11.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023; FIS 7.8.2020, Sitzung 17f). Überhaupt werden dort nur wenige Leute rekrutiert, und diese nicht über die Clans (AQ21 11.2023). Dort hat al Shabaab die Besteuerung im Fokus und nicht das Rekrutieren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) und hätte auch keine Kapazitäten dafür (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 auch für andere städtische Gebiete wie etwa Kismayo oder Baidoa (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 1.9.2021, Sitzung 21).

Verweigerung einer Rekrutierung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wie viele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan (BMLV 7.8.2024). So kann es dann z. B. zur Entführung oder Ermordung unkooperativer Ältester kommen (MBZ 6.2023). Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufs (BMLV 7.8.2024; vergleiche MBZ 6.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 7.8.2024). Generell haben größere Clans aufgrund gegebener Ressourcen eher die Möglichkeit, sich von Rekrutierungen freizukaufen, als dies bei Minderheiten der Fall ist (MBZ 6.2023). Insgesamt besteht offenbar Raum für Verhandlungen. Wenn die Gruppe beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Schülern für ihre Schulen verlangt, kann ein Clan entweder Kinder zum Besuch dieser Schulen schicken oder für eine bestimmte Anzahl von Schülern anderer Clans bezahlen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Eine andere Möglichkeit besteht in der Flucht (MBZ 6.2023). Eltern schicken ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022). Junge Männer flüchten mitunter nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Andererseits berichtet ein Augenzeuge, dass jene Jugendlichen, die nach Absolvierung einer Schule der al Shabaab vor einer möglichen Zwangsrekrutierung nach Mogadischu geflohen sind, bald wieder in die Heimat zurückkehrten, weil ihre Eltern bestraft worden sind (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In anderen Fällen sind gleich ganze Familien vor einer Rekrutierung der Kinder geflohen, viele endeten als IDPs (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle erklärt, dass, wer sich generell Rekrutierungen widersetzt, bedroht oder in Haft gesetzt wird (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es meist zu Gewalt (BMLV 7.8.2024; vergleiche UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

Rekrutierung von Mädchen und Frauen: Auch Mädchen werden in den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab für Zwangsehen mit Kämpfern der Gruppe entführt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche BS 2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass al Shabaab sich auch in solchen Fällen an die Clans wendet und fordert, dass Frauen als Ehefrauen bereitgestellt werden. Dieser Aufforderung wird dann aus Angst nachgegeben. In Gebieten, die nicht unter Kontrolle von al Shabaab stehen, verfügt die Gruppe diesbezüglich demnach nicht über ausreichend Druckmittel (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Frauen und Mädchen der Bantu werden mitunter auch mittels Todesdrohungen in Ehen gezwungen, die sich in der Praxis eher als temporäre sexuelle Versklavung erweisen (Benstead/Lehman 2021). Al Shabaab bezahlt kein Brautgeld. Wird der Gruppe eine Tochter verweigert, kann es vorkommen, dass ersatzweise ein Sohn als Rekrut verlangt wird (AQ21 11.2023). Kann eine Abgabe nicht entrichtet werden, dann entführt al Shabaab ersatzweise Frauen und zwingt diese zur Ehe (MBZ 6.2023).

Abseits der Ehe werden Frauen bei al Shabaab zumeist in unterstützender Rolle eingesetzt (UNSC 10.10.2022; vergleiche AQ21 11.2023): als Steuereinheberinnen, Lehrer- oder Predigerinnen in Madrassen, Wächterinnen in Gefängnissen; zum Kochen und Putzen, in der Spionage oder der Waffenpflege (UNSC 10.10.2022), beim Waffenschmuggel und bei der Waffenlagerung. Manche betreiben auch Fundraising, andere dienen als Selbstmordattentäterinnen (AQ21 11.2023; vergleiche ICG 27.6.2019a, Sitzung 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM bzw. ATMIS Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019a, Sitzung 12).

Allgemeine Menschenrechtslage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 23.8.2024). Die Vereinten Nationen sind besorgt, dass durch die Vorrangstellung der Scharia die Menschenrechte in Somalia ausgehebelt werden (UNHRCOM 6.5.2024). Zudem stellt die Einhaltung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen für die Bundesregierung keine Priorität dar. Diese konzentriert sich auf den Kampf gegen al Shabaab und humanitäre Krisen. Menschenrechtserfolge werden nicht immer als Teil der Lösung dieser Probleme betrachtet (ÖB Nairobi 10.2024).

Generell werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert (BS 2024; vergleiche AI 24.4.2024). Zivilisten tragen die Last des bewaffneten Konflikts in Somalia, willkürliche Angriffe und die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt gibt es in allen Landesteilen (BS 2024). Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (USDOS 22.4.2024; vergleiche BS 2024). Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen (USDOS 22.4.2024) und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich (BS 2024). Bei Kämpfen unter Beteiligung der African Transition Mission in Somalia (ATMIS), Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten sowie zu anderen Kriegsverbrechen, welche durch alle Konfliktbeteiligten verübt werden (USDOS 22.4.2024; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Es gibt zahlreiche Berichte, wonach die Regierung und ihre Handlanger Personen willkürlich und außergesetzlich töten (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben stellen extralegale Tötungen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar (AA 23.8.2024). Jedenfalls werden Sicherheitskräfte beschuldigt, Zivilisten bei Streitigkeiten um Land, bei Checkpoints, bei Zwangsräumungen und anderen Gelegenheiten willkürlich angegriffen zu haben (BS 2024). In solchen Fällen ist aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems häufig von Straflosigkeit auszugehen (AA 23.8.2024)

Es gibt keine Berichte über von der Regierung gesteuertes Verschwindenlassen (USDOS 22.4.2024).

Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen (USDOS 22.4.2024; vergleiche BS 2024). Die Regierung schiebt bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab vor (USDOS 22.4.2024).

Die Regierung macht zwar glaubwürdige Schritte, um einige öffentlich Bedienstete strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen, generell bleibt Straflosigkeit aber die Norm (USDOS 22.4.2024).

Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte, verhaftet, schlägt und exekutiert Zivilisten (BS 2024). Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; begeht Vergewaltigungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten und entführt Menschen (USDOS 22.4.2024).

In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig grausame Körperstrafen verhängt und öffentlich vollstreckt, z. B. Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe. Regelmäßig richtet die Gruppe ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird (AA 23.8.2024), bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden (BS 2024). Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen (UNSC 6.10.2021).

Minderheiten und Clans

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans: Der Clan ist die relevanteste soziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das einzelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vergleiche SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vergleiche BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56). Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht: Die Übergangsverfassung und Verfassungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, Sitzung 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, Sitzung 42) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, Sitzung 42; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, Sitzung 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Polizeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, Sitzung 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vergleiche DI 6.2019, Sitzung 11). Diese Resilienzmaßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, Sitzung 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, Sitzung 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, Sitzung 14).

Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbänden gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaft kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).

Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, Sitzung 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

●             Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

●             Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

●             Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

●             Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

●             Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Politik: In Süd-/Zentralsomalia sind politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale Parlament um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel (ÖB Nairobi 10.2024). Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten (ÖB Nairobi 10.2024; vergleiche USDOS 22.4.2024; FH 2024b) [siehe dazu auch: Politische Lage/Süd-/Zentralsomalia]. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 2024b). Sie werden von relevanten politischen Posten ausgeschlossen, und die wenigen Angehörigen von Minderheiten, die solche Posten halten, haben kaum die Möglichkeit, sich für ihre Gemeinschaften einzusetzen (SPC 9.2.2022). So finden sich in der aktuellen Regierung zwar alle relevanten Clans und Gruppen wieder (AA 23.8.2024), und das Frauen- sowie das Umweltministerium werden von Angehörigen von Minderheiten geführt (AQ21 11.2023). In Süd-/Zentralsomalia ist die formelle Vertretung von Minderheiten im Rahmen der 4.5-Formel nicht mit einer tatsächlichen politischen Mitsprache gleichzusetzen, da unter dem Einfluss und Druck der politisch mächtigen Clans agiert wird. Die Formel trägt dazu bei, dass bestehende Strukturen aufrechterhalten und damit Minderheiten sozial und politisch ausgrenzt werden (ÖB Nairobi 10.2024). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 versucht die Regierung hingegen, Minderheiten zu ermutigen, sich für Regierungsstellen zu bewerben. Allerdings ist die Diskriminierung tief in der Gesellschaft verwurzelt und besteht weiter fort (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Lage: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion (USDOS 22.4.2024; vergleiche AA 23.8.2024; FH 2024b). Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – mittelbar auch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (AA 23.8.2024). Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut, sie verfügen über geringere Ressourcen (Sahan/SWT 24.10.2022) und erhalten weniger Remissen (Sahan/SWT 24.10.2022; vergleiche SPC 9.2.2022). In staatlichen Behörden - etwa Polizei und Justiz - sind Minderheiten nur spärlich vertreten (ÖB Nairobi 10.2024). Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu [Anm.: Die Digil sind v. a. Landwirte und nicht Nomaden und können bei Dürre schwerer ausweichen]. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird (Sahan/SWT 24.10.2022). Selbst in Mogadischu erhalten Minderheitenangehörige weniger Nahrungsmittelhilfe (TANA/ACRC 9.3.2023). Sie stehen einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber (UN OCHA 14.3.2022).

Ein Programm der Bundesregierung soll zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von fast 25.000 benachteiligten und marginalisierten Haushalten beitragen. Dieses von Deutschland finanzierte 50-Millionen-Euro-Programm zielt darauf ab, den Zugang zu Bildung, Gesundheit, Hygiene und Ernährung für Kinder und Jugendliche zu verbessern und die Ernährungssicherheit benachteiligter Haushalte zu erhöhen. Die Regierung von Jubaland organisiert Workshops für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen, um Integration und Partizipation zu fördern (UNSOM 5.8.2023).

Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind laut einer Quelle überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden (USDOS 22.4.2024). Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Gebieten, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (ÖB Nairobi 10.2024). Von Frauen marginalisierter Gruppen eingebrachte Vergewaltigungsanzeigen werden tendenziell ignoriert (UNSOM 5.8.2023).

Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (UNHCR 22.12.2021a, Sitzung 58).

Mogadischu: In der Hauptstadt verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (AQSOM 4 6.2024; vergleiche FIS 7.8.2020a). Laut einem Experten dominieren auch die Rahanweyn mittlerweile bestimmte Stadtteile. Insgesamt leben in Mogadischu sehr viele unterschiedliche Clans, alle können Eigentum besitzen, sich in der Wirtschaft betätigen (AQSOM 4 6.2024), sich frei bewegen und niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (AQSOM 4 6.2024; vergleiche FIS 7.8.2020b, Sitzung 39). Außerdem tendieren die Menschen dazu, auf dem Gebiet des eigenen Clans zu wohnen. Beziehungen zu Abgaal oder Habr Gedir - familiäre, wirtschaftliche, eheliche oder freundschaftliche - sind von Vorteil, um Konflikte abwenden oder lösen zu können. Generell agieren die dominanten Clans Mogadischus aber nicht im rechtsfreien Raum, da sie aufgrund von z. B. in Mogadischu begangenem Unrecht mit Gegenunrecht in anderen Teilen Somalias rechnen müssen (AQSOM 4 6.2024). Im Allgemeinen ist es schwierig, Menschen, die in Mogadischu aufgewachsen sind, oberflächlich nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS 25.6.2020). Zum Clanwesen in Mogadischu siehe auch Sicherheitslage / Süd-/Zentralsomalia / Banadir.

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021a). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021a, Sitzung 57; vergleiche SEM 31.5.2017) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (MBZ 6.2023). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017; vergleiche AQSOM 4 6.2024). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021a).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (Landinfo 21.5.2019b). Ein Experte erklärt, dass Gabooye zwar nicht angegriffen werden, diese aber davor Angst haben. Minderheiten werden demnach nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit angegriffen, es sei denn, dass sie bei einem Vorhaben im Weg stehen (AQSOM 4 6.2024).

Allerdings sind Angehörige berufsständischer Kasten Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.12.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2024; vergleiche AQSOM 4 6.2024). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; vergleiche SEM 31.5.2017). Es kommt zu Beschimpfungen, Ausschluss von bestimmten Berufen, Einschränkungen beim Landbesitz sowie zu Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem (AQSOM 4 6.2024). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Aufgrund der oft schlechten Ausbildung treffen Gabooye außerhalb ihrer traditionellen Berufe am Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten (MBZ 6.2023). Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vergleiche FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vergleiche SEM 31.5.2017). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).


Grundversorgung/Wirtschaft

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Wirtschaft und Arbeit

Somalia hat 2023 einige bedeutende Meilensteine ​​erreicht, u. a. die Sicherung eines erheblichen Schuldenerlasses in der Höhe von 4,5 Milliarden US-Dollar, die Integration mit internationalen Finanzinstitutionen (HIPS 7.5.2024) sowie im November 2023 den Beitritt als achtes Mitglied zur Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) mit ihren 300 Millionen Einwohnern und einer Zoll- und Handelsunion (SG 25.11.2023; vergleiche HIPS 7.5.2024). Letztendlich markiert die Eröffnung der Ziraat Katilim Bank in Mogadischu nach fünf Jahrzehnten die Rückkehr ausländischer Banken nach Somalia (HIPS 7.5.2024).

Wirtschaft allgemein: Das BIP wuchs 2022 um 2,4 % und 2023 um 2,8 %, nach anderen Angaben um 3,1 %. Für 2024 werden 3,7 % (GN 10.3.2024; vergleiche UNSC 27.9.2024; HO 20.6.2024), für 2025 3,9 % Wachstum prognostiziert (HO 20.6.2024; vergleiche AFDB 30.5.2024). Dabei stieg das BIP pro Kopf von 875 US-Dollar im Jahr 2021 (BS 2022) auf 1.364 US-Dollar im Jahr 2023. Zudem fließen pro Kopf und Jahr mehr als 140 US-Dollar an Hilfe ins Land (BS 2024). Allerdings wird das Wirtschaftswachstum weitgehend vom Bevölkerungszuwachs nivelliert. Dies hemmt die Reduzierung von Armut (BS 2024).

Der Konsum der Privathaushalte hat sich von 9,3 Milliarden US-Dollar 2016 auf 13,3 Milliarden im Jahr 2022 gesteigert. Die Exporte konnten im gleichen Zeitraum von 1,1 Milliarden (davon 431 Millionen US-Dollar für Vieh) auf 1,8 Milliarden US-Dollar (558 Millionen für Vieh) gesteigert werden (NBS 2023). Andererseits sind dort, wo der Regierung Ressourcen und Kapazitäten gefehlt haben, private Unternehmen eingestiegen. Schätzungen zufolge haben allein lokale Unternehmen wie Hormuud Telecom, Salaam Somali Bank, BECO und Buruuj in den letzten zwei Jahrzehnten über 2,5 Milliarden US-Dollar in die Kerninfrastruktur des Landes investiert (GO 27.6.2023).

Auch Remissen tragen signifikant zu den Investitionen im Land bei - etwa im Bausektor (BS 2024). Sie steuerten in den Jahren 2021 und 2022 jeweils mehr als 27 % zum BIP bei (AFDB 23.6.2023). Neben der Diaspora sind auch viele Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (ÖB Nairobi 10.2024). Im städtischen Raum zeigt die Wirtschaft in ganz Somalia Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung. Dies ist etwa am Bauboom und der Wiedereröffnung von Supermärkten, Restaurants und Geschäften erkennbar (BS 2024).

Doch die somalische Wirtschaft bleibt im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen (ÖB Nairobi 10.2024). Die Mehrheit der Bevölkerung und die somalische Wirtschaft insgesamt ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (ÖB Nairobi 10.2024; vergleiche Sahan/SWT 11.10.2023). Über 70 % der Bevölkerung sind für ihren Lebensunterhalt auf die Landwirtschaft angewiesen (Sahan/SWT 14.8.2023). Landwirtschaft, Handel, Kommunikation und mobile Geldtransferdienste tragen maßgeblich zum BIP bei; alleine die Landwirtschaft - und hier v. a. die Viehwirtschaft - erwirtschaftet rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte (BS 2024). Der Großteil der Wirtschaft bzw. der wirtschaftlichen Aktivitäten ist dem informellen Sektor zuzurechnen (UNSC 10.10.2022). Insgesamt sind zuverlässige Daten zur Wirtschaft schwierig bis unmöglich zu erhalten bzw. zu verifizieren (ÖB Nairobi 10.2024) bzw. sind vertrauenswürdige Daten kaum vorhanden (BS 2024).

Al Shabaab und andere nicht staatliche Akteure behindern kommerzielle Aktivitäten in Bakool, Bay, Gedo und Hiiraan (USDOS 22.4.2024).

Inflation, Währung, Bezahldienste: Die Inflation lag in den Jahren 2018-2021 zwischen 4 % und 5 % pro Jahr; 2022 lag sie bei 6,8 % (NBS 2023), 2023 bei 4,2 %, nach anderen Angaben bei 6,1 %. Für 2024 werden 4,8 % prognostiziert (FSNAU 18.9.2023c; vergleiche UNSC 27.9.2024; AFDB 30.5.2024; UNSC 3.6.2024). Der Somali Shilling ist im Allgemeinen stabil (FSNAU/IPC 23.9.2024a), die sogenannte Dollarisierung schreitet aber weiter voran, der US-Dollar gilt als de-facto-Währung (BS 2024; vergleiche FSNAU/IPC 23.9.2024a; Sahan/SWT 1.11.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Der Shilling kommt nur noch bei kleinen Transaktionen zum Einsatz, Shilling-Banknoten befinden sich kaum noch im Umlauf. Mobile Geldtransfers haben den physischen Umtausch von Geldscheinen weitgehend ersetzt (BS 2024; vergleiche TANA/ACRC 9.3.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Schon im Jahr 2021 hatten etwa 73 % der Erwachsenen in Mogadischu Zugang zu derartigen Diensten (TANA/ACRC 9.3.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 bezahlen nur noch jene Menschen bar, die entweder kein Handy haben oder für die das Mitführen eines Handys gefährlich ist. Zudem bezahlen demnach nur noch sehr arme Menschen mit Somalischen Shilling (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Auch Transfers am Mobiltelefon erfolgen in US-Dollar (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Die Nationalbank verfolgt Pläne, den Shilling wieder verstärkt einzuführen (Sahan/SWT 1.11.2023).

Staatshaushalt: Die Regierung ist stark von externer Hilfe abhängig [siehe auch Tabelle unten]. Zwei Drittel des Staatsbudgets werden von externen Akteuren finanziert (BS 2024; vergleiche UNSC 2.2.2024). Die Staatsausgaben werden - mit rund 20 % - vom Sicherheitssektor dominiert (BS 2024; vergleiche Sahan/SWT 13.12.2023). Bildung wird im Budget 2024 höher dotiert, während andere soziale Dienste - etwa der Gesundheitsbereich - schlechter ausgestattet wurden (Sahan/SWT 13.12.2023). Die Regierung ist auch von den Prioritäten der Geber abhängig, welche rund 73 % des Haushalts finanzieren (HIPS 7.5.2024). Die Bundesregierung hat ihre Fähigkeit, Steuern einzuheben, verbessert (BS 2024). 2022 hob sie laut einer Quelle noch 263 Millionen US-Dollar ein, 2023 waren es 329 Millionen (HIPS 7.5.2024).

Abseits davon ist die ins Land fließende offizielle Entwicklungshilfe von 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 auf mehr als 3 Milliarden im Jahr 2020 deutlich gewachsen. Etwa die Hälfte der Entwicklungshilfe fließt allerdings in humanitäre Hilfe. Aufgrund der fehlenden Kontrolle über das Territorium – aber auch hinsichtlich technischer Fähigkeiten – war die Regierung bisher nicht in der Lage, ein nationales Steuersystem aufzubauen, und sie hat darauf auch kein Monopol. Durch die Bundesregierung werden Steuern v. a. in und um Mogadischu eingehoben. Daneben erheben auch die Regierungen der Bundesstaaten Steuern (BS 2024).

Arbeitslosenquote: Hinsichtlich konkreter Zahlen zur Arbeitslosigkeit gibt es unterschiedlichste und teils widersprüchliche Angaben:

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(UNFPA 27.7.2022; Sahan/SWT 29.5.2023; ÖB Nairobi 10.2024; AFDB 30.5.2024; BS 2024; WB 2024)

Die Jugendarbeitslosigkeit wird hier also mit 30-68 % angegeben. Bei einer Studie aus dem Jahr 2016 gaben allerdings nur 14,3 % der befragten Jugendlichen (Mogadischu 6 %, Kismayo 13 %, Baidoa 24 %) an, zum Befragungszeitpunkt arbeitslos zu sein. Möglicherweise war den Befragten die Definition von „arbeitslos“ unklar (IOM 1.2.2016). Zusätzlich wurde in einer eingehenden Analyse von UNFPA im Jahr 2016 festgestellt, dass nur knapp die Hälfte der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (15-64) überhaupt am Arbeitsleben teilnimmt. Der Rest ist „ökonomisch inaktiv“; in diese Gruppe fallen in erster Linie Hausfrauen, gefolgt von Schülern/Studenten, pensionierten oder arbeitsunfähigen Personen. Bei den ökonomisch Aktiven wiederum finden sich in allen Lebensbereichen deutlich mehr Männer (UNFPA 2016):

●             Ländlich: 68,8 % der Männer - 40,5 % der Frauen

●             Urban: 52,6 % der Männer - 24,6 % der Frauen

●             IDP-Lager: 55,2 % der Männer - 32,6 % der Frauen

●             Nomaden: 78,9 % der Männer - 55,6 % der Frauen (UNFPA 2016)

Aufgeschlüsselt für Puntland und Süd-/Zentralsomalia ergibt sich aus den UNFPA-Daten, dass dort 44,4 % der erwerbsfähigen Bevölkerung arbeiten. 11,4 % gelten als Arbeitssuchende. 44,2 % der Bevölkerung sind ökonomisch inaktiv. Als arbeitend werden in der Studie folgende Personen bezeichnet: jene, die in den der Erhebung vorangegangenen zwölf Monaten bezahlter Arbeit nachgegangen sind oder selbstständig waren. Darunter fällt auch unbezahlte (aber produktive) Arbeit in der Familie, bei welcher direkt Einkommen generiert wird (etwa Viehhüten, Arbeit am eigenen Ackerland; Wirtschaftstreibende, Dienstleister im eigenen Betrieb). Als arbeitslos werden jene Personen bezeichnet, die in diesen zwölf Monaten nach Arbeit gesucht haben und bereit waren, eine Arbeit anzunehmen (UNFPA 2016, Sitzung 29):

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Quelle: (UNFPA 2016. Sitzung 29)

Grundversorgung und humanitäre Lage

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet (AA 23.8.2024). Wiederkehrende klimabedingte Schocks, Unsicherheit und Konflikte, Umweltzerstörung, fehlende Investitionen und eine schlechte Infrastruktur wirken sich negativ auf die Ernährungssicherheit aus (WFP 26.9.2024; vergleiche AA 23.8.2024; UNSC 27.9.2024). Es gibt kaum öffentliche Dienste, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Und auch wenn mit internationaler Unterstützung versucht wird, hier Abhilfe zu schaffen, sind derartige Dienste für viele Menschen nur schwer oder gar nicht zugänglich (BS 2024). 2022 hat der Gouverneur der somalischen Zentralbank erklärt, dass es für die Zurverfügungstellung eines finanziellen Sicherheitsnetzes für Bedürftige seitens der Regierung keinerlei budgetären Spielraum gibt (BN 29.6.2022).

Armut: Weite Teile der Bevölkerung in Somalia leiden unter Armut und Ernährungsunsicherheit. Schätzungsweise 70 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag (WFP 26.9.2024). Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank ist die Armutsquote hingegen von 69 % im Jahr 2021 auf 54,4 % im Jahr 2022 gesunken (AFDB 30.5.2024).

Besonders stark und weit verbreitet ist Armut in ländlichen Gebieten und in den Siedlungen von Binnenvertriebenen (ÖB Nairobi 10.2024). Die Armen leben am Existenzminimum und haben keinen angemessenen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wohnraum, sauberem Wasser, Gesundheitsversorgung, Schulen und Energie (BS 2024). Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei (ÖB Nairobi 10.2024). Im Vergleich zum Jahr 2023 ist aber die Zahl der Menschen, welche humanitäre Hilfe benötigen, um 17 % auf 6,9 Millionen zurückgegangen. Die Zahl jener, welche sich hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung in Krise oder im Notstand befinden, hat sich von 5 auf 4 Millionen reduziert (UNSC 27.9.2024). Grund dafür, warum noch immer viele Menschen humanitäre Hilfe benötigen, sind Konflikte, Überschwemmungen, erhöhte Lebensmittelpreise und eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten (WFP 26.9.2024).

Dürre, Regenfälle, Überschwemmungen: Die zuvor erwarteten drastischen Einschränkungen für die Landwirtschaft aufgrund der Überschwemmungen Ende 2023 sind ausgeblieben (UNSC 2.2.2024). Drei überdurchschnittliche Regenzeiten haben dazu beigetragen, dass mehr landwirtschaftliche Produkte produziert werden und sich Weideland und Herden erholen. Haushalte, die von der Dürre schwer betroffen waren, konnten so ihre Situation verbessern (WFP 26.9.2024; vergleiche UNSC 27.9.2024; HO 20.6.2024). Die Gu-Regenzeit 2024 (April-Juni) begann früh, brachte aber gegen Ende nur eingeschränkt Niederschlag (FSNAU/IPC 23.9.2024a). Die Regenmenge war durchschnittlich bis überdurchschnittlich, die Verteilung aber erratisch (IPC 23.9.2024). Für die Deyr-Regenzeit 2024 (Oktober-Dezember) wurden unterdurchschnittliche Regenmengen erwartet. Dies ist z. T. auf das Wetterphänomen La Niña zurückzuführen (WFP 27.9.2024; vergleiche WFP 26.9.2024; FSNAU/IPC 23.9.2024a).

Überschwemmungen kamen 2024 ebenfalls vor, z. B. im August, als etwa 2.400 Menschen im Bezirk Belet Weyne vor Fluten flüchten mussten (WFP 26.9.2024). Auch in Gedo, Bay und Bakool sowie in Middle und Lower Shabelle gab es vereinzelt Überschwemmungen. Insgesamt mussten deswegen in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 ca. 120.000 Menschen fliehen (IPC 23.9.2024), nach anderen Angaben waren es 81.000 (UNSC 27.9.2024). Insgesamt waren rund 270.000 von schweren Regenfällen betroffen (UNGA 23.8.2024; vergleiche UNSC 27.9.2024).

Fluchtbewegungen aufgrund von Dürre: Im Jahr 2022 sind in Süd-/Zentralsomalia 1,179.000 Menschen aufgrund der Dürre vertrieben worden (UNHCR 31.12.2022). 2023 waren es Stand November 528.000; die meisten diesbezüglich Vertriebenen stammen aus den Regionen Bay (152.000), Lower Shabelle (109.000), Gedo (90.000), Bakool (62.000), Middle Juba (29.000), Bari (24.000) und Lower Juba (19.000). Die wenigsten Menschen flohen aus Woqooyi Galbeed (Somaliland; 0), Benadir (900), Nugaal (1.000), Galgaduud (2.000) und Sanaag, Sool und Togdheer (Somaliland, je 4.000) sowie Awdal (Somaliland; 6.000) (UNHCR 2023). Im Jahr 2024 ist so gut wie niemand aufgrund von Dürre intern vertrieben worden (FSNAU/IPC 23.9.2024a; vergleiche UNHCR 2024).

Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Preise: Seit dem Ende der Dürre im Jahr 2023 hat es hinsichtlich Ernährungssicherheit vielversprechende Entwicklungen gegeben. Die Regierung hat es etwa geschafft, soziale Absicherungssysteme zu stärken. Zudem haben sich im Rahmen der Überschwemmungen 2023 vorbeugende Maßnahmen als nützlich erwiesen. Doch trotz dieser Fortschritte sieht sich immer noch ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung einer Ernährungskrise ausgesetzt (WFP 26.9.2024). Die Ernte aus der Gu-Saison wird nach Prognosen 45 % unter dem Langzeitmittel (1995-2023) liegen (FSNAU/IPC 23.9.2024a). Dafür haben die Regenfälle das Weideland regeneriert (IPC 23.9.2024). Es wurde prognostiziert, dass bei schlechten Regenfällen in der Deyr-Regenzeit 2024 die Fortschritte, die hinsichtlich Ernährungssicherheit seit dem Ende der Dürre gemacht wurden, wieder rückgängig gemacht werden (WFP 27.9.2024). Denn diesbezüglich ist mit negativen Effekten auf die Ernten zu rechnen (WFP 26.9.2024). Am Welthungerindex von Deutsche Welthungerhilfe und Concern Worldwide findet sich Somalia auf Rang 127 von 127 bewerteten Ländern. Allerdings hat sich der Wert auf einer Skala, auf welcher Null als bester Wert gilt, seit dem Jahr 2000 von 63,3 auf 44,1 verbessert (DWHH/CWW 9.10.2024).

Insgesamt ist die Nahrungsmittelproduktion 2024 wieder gestiegen. Bei Nahrungsmitteln ist die Inflation deutlich zurückgegangen (UNSC 3.6.2024). Der Somali Shilling ist im Allgemeinen stabil (FSNAU/IPC 23.9.2024a). Die Wasser- und Nahrungsmittelpreise befinden sich nahegehend am langjährigen Durchschnitt, Preise für importierte Grundnahrungsmittel befinden sich über dem Durchschnitt (IPC 23.9.2024).

Wasserversorgung: Somalia gehört weltweit zu den Ländern mit der größten Rate an Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Laut UNICEF benötigen acht Millionen Menschen, darunter fast fünf Millionen Kinder, Unterstützung im Hygienebereich und bei der Wasserversorgung (UNICEF 31.10.2023; vergleiche SOYDA 4.9.2023). 52 % der Menschen haben Zugang zu grundlegender Wasserversorgung, auf dem Land sind es nur 28 % (ÖB Nairobi 10.2024). Die mäßigen bis starken Gu-Regenfälle (April–Juni) 2023 haben auch den Zugang zu Wasser und Weideland verbessert und den Menschen eine gewisse Erleichterung gebracht. Die Wasserpreise sind teils um etwa 40 % gesunken (UNSC 15.6.2023). Humanitäre Organisationen bemühen sich, für Bedürftige in Mogadischu die Kosten für Wasser zu senken. In IDP-Lagern wird Wasser kostenlos zur Verfügung gestellt. NGOs bauen öffentliche Wasserentnahmestellen. Private Wasserunternehmen gewähren Zuschüsse für Wasserzahlungen oder spenden Gewinne an marginalisierte Gruppen. Das Unternehmen DAHAB stellt den Moscheen in Mogadischu sowie IDPs und städtischen Armen kostenlos Wasser zur Verfügung (TANA/ACRC 9.3.2023). Auf dem Land sind unterschiedliche Organisationen tätig, u. a. hat der somalische Rote Halbmond (SRCS) Wasserstellen und -Reservoirs restauriert oder geschaffen (SRCS 2024).

Energie: Der Mangel an zuverlässiger Energieversorgung stellt für die wirtschaftliche Entwicklung ein erhebliches Hindernis dar. Laut Weltbank haben nur 16 % der somalischen Bevölkerung Zugang zu Elektrizität, in ländlichen Gebieten sind es nur 3 % (ENPO 28.6.2023).

Hunger, Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot]. Mit Stand September 2024 befanden sich ca. 2,9 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (15 % der Bevölkerung); ca. 720.000 in Stufe 4 (4 %) und keine in Stufe 5 (Hungersnot). Zusammen mit den rund 6,1 Millionen in IPC 2 ist etwas mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 18,7 Millionen Menschen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt (FSNAU/IPC 23.9.2024b). Damit befinden sich im September 2024 19 % der Bevölkerung in einer höheren Stufe als IPC 2; 2023 waren es 3 % mehr Menschen. Allerdings wurde für Ende 2024 prognostiziert, dass die Zahl auf 4,4 Millionen Menschen (23 % der Bevölkerung) ansteigen wird (IPC 23.9.2024).

Die folgenden Lagekarten von IPC zu Food Insecurity zeigen die Situation im Zeitraum Juli 2022 bis September 2024 sowie eine Prognose bis Dezember 2024:

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Quelle: FSNAU/IPC 23.9.2024b; FSNAU/IPC 23.9.2024c; FSNAU/IPC 28.2.2023; FSNAU 11.9.2022a

Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Ernährungsunsicherheit sowie an Mangel- oder Unterernährung leiden (USDOS 22.4.2024). Die meisten IDP-Lager werden mit IPC 3 verzeichnet, in Bay und Bakool auch mit IPC 4. Die Stadtbevölkerung kommt diesbezüglich etwas besser weg, die Situation dort wird meist mit IPC 2 oder IPC 3 klassifiziert (IPC 23.9.2024).

IPC-Verteilung nach Gebieten in Prozent der Bevölkerung für Dezember 2022, September 2023 und September 2024:

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Humanitäre Hilfe: In Somalia ist die längstdienende humanitäre Mission tätig, jährlich werden Milliarden US-Dollar ausgegeben (Ali/TEL 28.1.2022). Von den für 2024 vorgesehenen 1,6 Milliarden US-Dollar waren laut Angaben der UN bis September erst 37 % finanziert. Von den 5,2 Millionen Menschen, die hinsichtlich Nahrungsmittelversorgung als vulnerabel identifiziert wurden (UNSC 27.9.2024), konnten von Jänner bis März 2024 durchschnittlich 2,1 Millionen Menschen pro Monat mit Nahrungsmittelhilfe erreicht werden. Diese Zahl ging in den Monaten April bis Juni auf 1,5 Millionen, in den Monaten Juli bis September auf monatlich 1,3 Millionen Menschen zurück. Humanitäre Organisationen mussten ihre Operationen aufgrund finanzieller Engpässe einschränken (IPC 23.9.2024). Nach anderen Angaben wurden im September 2024 1,63 Millionen Menschen erreicht (UNSC 27.9.2024). Das WFP konnte im August 2024 1,1 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreichen; im gleichen Monat wurden 535.000 Menschen mit Ernährungshilfe ["Nutrition"] unterstützt, knapp die Hälfte davon waren Personen mit akuter Unterernährung - darunter Kinder und Schwangere (WFP 26.9.2024). Im Juni 2024 wurden knapp 261.000 schwer unterernährte Kinder mit Ernährung erreicht (FSNAU/IPC 23.9.2024a). Ohne humanitäre Hilfe würden mehr Menschen an Hunger sterben (IR 30.8.2023).

Die Anzahl der humanitären Partner steigt in ganz Somalia (ÖB Nairobi 10.2024). An der Nothilfe beteiligt sich auch die staatliche Somali Disaster Management Agency (SODMA). Sie hat etwa im Dezember 2023 3.800 Tonnen Hilfslieferungen für Benadir freigegeben und dort 150.000 Familien geholfen (RD 16.1.2024b). Auch nach Jubaland hat die SODMA humanitäre Hilfe verschifft (RD 7.1.2024).

Bis zum Geldtransferprogramm Baxnaano gab es kein Programm für ein soziales Sicherheitsnetz. Baxnaano ist das erste von der Bundesregierung geleitete Geldtransferprogramm, es wird vom WFP unterstützt und von der Weltbank finanziert. Stand Juni 2023 wurden über dieses Programm monatlich bedingungslose Geldtransfers an 200.000 arme und gefährdete Haushalte mit Kindern bereitgestellt und damit ca. 1,2 Millionen Menschen erreicht (IMF 31.7.2023). Das Programm ILED (Inclusive Local and Economic Development) trägt mit Geldtransfers zur Resilienz von mehr als 44.000 Haushalten (rund 265.000 Personen) bei. In diesem Rahmen erhalten mehr als 6.000 Schwangere sowie stillende Mütter für 24 Monate eine Geldhilfe von 20 US-Dollar (EU-ETFA 16.8.2023).

Beim humanitären Zugang für Hilfsorganisationen bleiben Herausforderungen bestehen, die Entwicklung scheint aber positiv (ÖB Nairobi 10.2024). Trotzdem beeinträchtigen die Sicherheitslage oder etwa bürokratische Hürden die Arbeit humanitärer Kräfte (UNSC 27.9.2024; vergleiche HRW 11.1.2024; USDOS 22.4.2024; UNSC 3.6.2024; SMN 20.8.2024). Manchmal verhindert al Shabaab die Zufuhr humanitärer Hilfsgüter (MBZ 6.2023). Laut Vereinten Nationen können 36 von 74 Bezirken nur schwer erreicht werden ("hard to reach") (UNSC 27.9.2024), insbesondere gilt dies für Tayeeglow (Bakool), Sablaale (Lower Shabelle) und Adan Yabal (Middle Shabelle) sowie für Buale, Jilib und Saakow (Middle Juba) (IPC 23.9.2024).

Zudem übersteigt die Bedürftigkeit die humanitären Kapazitäten (Sahan/SWT 16.8.2024). In IDP-Lagern wirkt sich außerdem Korruption auf die Verteilung humanitärer Güter aus (Sahan/SWT 16.8.2024; vergleiche IR 30.8.2023; AA 23.8.2024). Gleichzeitig wird laut Untersuchungen der Vereinten Nationen weit verbreitet humanitäre Hilfe durch Landbesitzer, lokale Behörden und Sicherheitskräfte abgezweigt und entwendet (HRW 11.1.2024). Menschen werden mitunter aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit von Hilfe ausgeschlossen. Zudem ist in kurzer Zeit sehr viel Geld mit wenig Kontrolle nach Somalia geflossen, einiges davon kommt nicht bei den Bedürftigen an (AQ21 11.2023). Es kommt zur systematischen Fehlleitung humanitärer Güter - v. a. von Geldhilfen (HIPS 7.5.2024; vergleiche AQ21 11.2023). In Somalia sind es die mächtigen Gruppen, die den Löwenanteil erhalten: an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Letztere wird oft von mächtigeren Clans vereinnahmt (Sahan/SWT 24.10.2022).

Öffentliche und gesellschaftliche Unterstützung: [Anm.: Bis auf das o. g. Programm Baxnaano] gibt es kein öffentliches Wohlfahrtssystem (BS 2024), keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe (AA 23.8.2024). Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor (BS 2024). Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals zumindest einen rudimentären Schutz (AA 23.8.2024; vergleiche BS 2024). Wenn eine Person des eigenen Clans Unterstützung braucht, dann ist die Gewährung derselben nicht verhandelbar (Sahan/SWT 24.10.2022). Im Clan gibt es ein System des Fundraising (Qaraan). Dieses erfolgt in Somalia und in der Diaspora nicht nur dann, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen etwa auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Majid/Abdirahman/Hassan 2017).

Vorrangig stellt die patrilineare (väterliche) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die väterliche Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden i.d.R. - wie es ein Experte formuliert - "einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos". Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten (ACCORD 31.5.2021). Gleichzeitig variiert das verfügbare Sozialkapital stark nach Clan: Mitglieder mächtiger Clans haben naturgemäß Zugang zu starken Netzwerken zur gegenseitigen Unterstützung, zum Schutz und zum Informationsaustausch (BS 2024). Beispiele an Clan- und Familiensolidarität:

●             Eine Frau in Baidoa berichtet, dass, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, sie und ihre Kinder von ihrem Bruder erhalten werden, der als Tagelöhner arbeitet (NPR 23.12.2022).

●             In einer Dokumentation der Deutschen Welle wird ein junger Mann gezeigt, der im Sudan medizinisch versorgt und von dort zurückgeholt werden musste. Die Ältesten sammelten Geld im ganzen Clan, und dieser gab dafür schließlich 7.000 US-Dollar aus. Danach hat der Clan dem Mann um 3.000 US-Dollar ein Tuk-Tuk finanziert, damit er den gefährlichen Weg der Migration nicht noch einmal antritt (DW 3.2021).

●             Eine IDP-Mutter von elf Kindern in Puntland, deren Mann krank ist, wurde über Jahre von Verwandten finanziert (RE 19.3.2024).

●             Für Kinder einer in Daami (Hargeysa) lebenden, alleinerziehenden Straßenhändlerin sind Verwandte für das Schulgeld aufgekommen (RE 13.8.2024).

●             Ein verheirateter Vater von zehn Kindern (Region Sool) berichtet, dass er, als er fünf Jahre lang arbeitslos war, nur durch die Unterstützung der Verwandtschaft überleben hat können (RE 6.3.2024).

●             Ein Landarbeiter berichtet, dass er mit seinem Einkommen Eltern und Geschwister in seiner Heimatstadt Hobyo unterstützt (RE 6.8.2024).

●             Eine 18-jährige Frau finanziert mit ihrem Einkommen als Reinigungskraft Schulgeld und Ernährung ihrer jüngeren Geschwister (RE 18.9.2023).

●             Auch mehrere andere Männer und Frauen unterstützen mit ihren Einkommen Eltern und jüngere Geschwister (RE 5.10.2023; vergleiche RE 19.10.2023; RE 26.10.2023; RE 15.11.2023).

●             Eine verwitwete IDP-Frau und Mutter von vier Kindern berichtet, dass sie von Verwandten Unterkunft und Nahrung erhält (RE 11.8.2023). Eine andere IDP-Mutter von neun Kindern erklärt, dass sie von anderen Muslimen mit Nahrung unterstützt wird. Ein IDP-Paar mit fünf Kindern berichtet, dass Verwandte Nahrung schicken (RE 17.4.2023).

●             Ein verheirateter Vater von acht Kindern erklärt, dass er von Verwandten 300 US-Dollar borgen konnte, um einen eigenen Betrieb zu starten (RE 13.1.2024). Ein anderer Mann - Angehöriger der Minderheit der Tumal - berichtet, dass ihm ein Verwandter aus Finnland 100 US-Dollar geschickt hat (RE 30.10.2023).

●             Ein Geschäftsmann und zehnfacher Vater, der seinen Betrieb zusperren musste, berichtet, dass er von seiner Schwester in Saudi-Arabien mit 200 US-Dollar pro Monat unterstützt wird. Ein anderer Verkäufer, dem es wegen der Dürre ähnlich ergangen ist, erhält pro Monat 150 US-Dollar von einem Onkel in Südafrika, der auch noch für zwei seiner Brüder die Semestergebühren an der Universität in Mogadischu finanziert. Ein weiterer Verkäufer hat sich einerseits an einen Onkel in Großbritannien gewandt und ist andererseits mit seiner Familie zurück zu seinen Eltern gezogen, um sich die 20 US-Dollar Miete zu sparen. Vom Onkel in Großbritannien erhält er 250 US-Dollar im Monat (RE 22.7.2022).

In Somalia sind soziale Kontakte im Fall von Dürren und anderen Krisen seit Langem eine Quelle der Widerstandsfähigkeit, ein effizienter Teil der Bewältigungsstrategie (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023; vergleiche DI 6.2019), die zum Überleben von Haushalten beigetragen hat. Die bei einer Studie am häufigsten angegebenen Unterstützungsquellen sind Familie, Freunde und Nachbarn (24 %), gefolgt von internationalen (15 %) und lokalen NGOs (8 %). Soziale Kontakte haben auch während der letzten Dürre eine entscheidende Rolle gespielt (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Ohne die gegenseitige Unterstützung - ohne Teilen - wäre die Katastrophe noch viel größer geworden (Spiegel/Hoffmann 24.9.2022). Die Haushalte haben sich gegenseitig auf vielfältige Weise unterstützt, auf materielle und immaterielle Art, darunter mit Bargeld, Lebensmitteln, Informationen und emotionaler Unterstützung. Oft teilen diejenigen mit mehr sozialen Verbindungen und besserem Zugang zu Ressourcen mit weniger gut vernetzten Haushalten. Der Zusammenhalt erstreckte sich mitunter auch auf externe Hilfe - etwa Bargeldhilfen durch humanitäre Organisationen. Lokale Führer haben Gemeinschaftstöpfe eingerichtet, in welche die Haushalte Teile der erhaltenen Hilfe einzahlen. So wurde einerseits sichergestellt, dass vulnerable Haushalte nicht leer ausgehen, und andererseits wurden derart Spannungen zwischen Haushalten, die Hilfe erhalten, und solchen, die keine Hilfe erhalten, abgemildert. Zu den gefährdeten Gemeindemitgliedern gehören in diesem Zusammenhang z. B. ältere und/oder behinderte Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, Waisen und Witwen (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). NRC berichtet beispielsweise von einer IDP-Familie, die nach Baidoa geflüchtet ist. Dort siedelte sie sich gezielt in einem Lager an, wohin schon vorher Menschen aus der eigenen Community geflüchtet waren. Ein Nachbar ist in diesem Kontext manchmal ein Dorfbewohner von zu Hause, ein entfernter Verwandter. So entsteht ein Unterstützungssystem (NRC 16.11.2023). Bei einem anderen Beispiel wird hinsichtlich der Überschwemmungen im Rahmen der Deyr-Regenzeit 2023 berichtet, dass die meisten Familien aus dem überfluteten IDP-Lager Horseed-1 in Baidoa bei Verwandten untergekommen sind (UN OCHA 23.11.2023).

Neben Familie und Clan helfen hierbei auch andere soziale Verbindungen - seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z. B. Unterkunft und Nahrung finden können (DI 6.2019). Soziale Unterstützung erfolgt auch über islamische Wohltätigkeitsorganisationen und NGOs (BS 2024). Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann (SIDRA 6.2019a; vergleiche OXFAM/Fanning 6.2018). Manchmal werden Kinder auch einfach zu Nachbarn zum Essen geschickt (OXFAM/Fanning 6.2018).

Zudem ist in der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt (DI 6.2019). Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität (ACCORD 31.5.2021). Ein Gemeindeführer eines Dorfes bei Garoowe erklärt beispielsweise, dass Menschen ihre Verwandten nicht zurücklassen würden. Es wird demnach geteilt, so lange es etwas zu teilen gibt (UN OCHA 23.11.2023). Auch Remissen werden mitunter mit Nachbarn, Verwandten und Freunden geteilt (DI 6.2019). Oft borgen sich Haushalte Geld oder Waren von lokalen Betrieben (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Selbst Kleinhändlerinnen in IDP-Lagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen (RE 19.2.2021). Allerdings profitieren nicht alle von diesen Systemen: Bei einer Studie haben im Jahr 2023 56 % der befragten Haushalte angegeben, über keinerlei Unterstützungsquellen zu verfügen. 85 % gaben an, dass sie es nicht geschafft haben, irgendwo einen Kredit zu bekommen (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Ein Viehzüchter aus Awdal berichtet beispielsweise, dass er aufgrund des Verlusts von Vieh bei einem lokalen Geschäft auf Kredit eingekauft hat. Als seine Schulden 1.000 US-Dollar erreicht haben, wurden ihm weitere Einkäufe versagt; seitdem leben er und seine Familie von dem, was Verwandte ihnen geben (RE 6.9.2023).

Rückkehrspezifische Grundversorgung

Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Der UNHCR hat mehr als 3.200 Haushalte von Rückkehrern - v. a. aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen - zu ihrer Situation befragt. Dabei haben 57 % angegeben, dass ihr Haushalt nicht über genügend Einkommen verfügt. Das verfügbare Einkommen stammt oftmals aus der Arbeit als Tagelöhner, als Selbständige oder aus humanitärer Hilfe. 45 % der befragten Haushalte gaben an, dass es an Arbeitsmöglichkeiten mangle, und 12 %, dass die verfügbaren Jobs zu weit entfernt sind (UNHCR 9.11.2022).

Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet (ÖB Nairobi 10.2024). Rückkehrer, Menschen, die aus Flüchtlingslagern im Ausland nach Somalia zurückgekehrt sind, finden sich oft in IDP-Lagern wieder (USDOS 22.4.2024; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024). Viele Rückkehrer sind zudem Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v. a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Jene die es nicht geschafft haben, im Westen bleiben zu können, werden mitunter stigmatisiert (AQ21 11.2023). Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24).

Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich ggf. auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 37). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 müssen sich aus der Diaspora Zurückkommende neu in den Kontext einordnen. Hat eine Person Mittel und Informationen oder aber Verwandte, kann sie zurechtkommen. Doch nicht jedermann - und im Speziellen Minderheitsangehörige - hat in Mogadischu Verwandte (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).

In Kismayo werden Somali, die nach Jahrzehnten in Kenia nach Somalia zurückgekehrt sind, auch in der Verwaltung eingesetzt – mitunter in hohen Funktionen. Anekdotische Berichte belegen, dass viele der Rückkehrer aus Kenia in ganz Somalia für Behörden oder NGOs arbeiten (AJ 14.9.2022a). Rückkehrer, die im Ausland ausgebildet wurden, können - bei vorhandenen, besseren Fähigkeiten - am Arbeitsmarkt Vorteile haben (EASO 9.2021; vergleiche AQ21 11.2023). Sie können durchaus gute Jobs erhalten. So finden sich etwa auch im somalischen Parlament und in der Bundesregierung viele Rückkehrer. Manche davon haben eine gute Ausbildung genossen, andere - etwa ein Minister - waren in der Diaspora Taxifahrer (AQ21 11.2023). Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden sind für Rückkehrer höchst relevant. Die Unterstützung, die ein Rückkehrer aus diesen Netzwerken ziehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr er diese Netzwerke während seines Auslandsaufenthalts gepflegt hat. Natürlich spielen auch Clannetzwerke eine Rolle. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Rückkehrer sich oft in Gebieten ansiedeln, die von eigenen Clanmitgliedern bewohnt werden (EASO 9.2021).

Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer, in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vergleiche AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 39f). Laut Angestellten von IOM in Somaliland würde ein Rückkehrer ohne Beziehungen oder Kontakten in Hargeysa in der Stadt trotzdem mit Wasser, Nahrung und Unterkunft versorgt werden. Dies erfolgt informell und aus Gründen der Gastfreundschaft und anderen kulturellen Werten. Die Verfügbarkeit derartiger kulturell bedingter Unterstützung kann aber weder geplant werden, noch ist diese längerfristig garantiert (IOM 2.3.2023). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020a, Sitzung 39).

Unterstützung extern: Der UNHCR unterstützt freiwillige Rückkehrer. So wurden alleine im Zeitraum Dezember 2014 bis September 2022 ca. 16.000 Haushalte bei der freiwilligen Rückkehr unterstützt (UNHCR 9.11.2022). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 23.8.2024). Auch z. B. das Elman Peace Center bietet kostenlose Berufsausbildung für Jugendliche (Elman o.D.a; vergleiche Elman o.D.b).

Rückkehrprogramme: Seit Mai 2023 führt IOM für Österreich ein neues Reintegrationsprojekt durch, das auch Somalia umfasst. Das Programm bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 3.000 Euro Sachleistungen (etwa für eine Ausbildung oder zur Unternehmensgründung) sowie zusätzliche Unterstützung und Beratung nach Bedarf (BMI 7.2023; vergleiche BMI 29.5.2024). Auch die auf Rückkehrer spezialisierte Organisation IRARA kooperiert im Rahmen des EU Reintegration Programme (EURP) mit Frontex, um u. a. in Somalia eine Reintegration zu gewährleisten. Hierbei werden nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückkehrer aus Schengen-Staaten unterstützt. Bei der Ankunft werden folgende Leistungen angeboten: Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft; dringende medizinische Betreuung; spezielle Betreuung vulnerabler Personen; Geldaushilfe. IRARA bietet auch sogenannte Post-Return Assistance. Diese umfasst etwa Hilfe beim Aufbau eines Betriebes; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Bildung und Berufsausbildung; Geldaushilfe (IRARA 7.11.2024).

Unterkunft: Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (AA 15.5.2023); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 24). Bei der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben allerdings nur 23 % der unterstützten und 42 % der nicht unterstützten Rückkehrerhaushalte (Sample: 3.200) angegeben, in einem IDP-Lager zu leben (UNHCR 9.11.2022). IOM-Mitarbeiter erklären, dass der durchschnittliche Rückkehrer sich vorübergehend nur eine Wellblechhütte oder eine traditionelle Wohnstatt als Unterkunft leisten kann ( IOM 2.3.2023). In der bereits erwähnten Studie von UNHCR haben 33 % der befragten Rückkehrerhaushalte angegeben, in einer Wellblechbehausung zu wohnen, 24 % wohnten in einem Buul, weitere 24 % in anderen temporären Behausungen. 79 % der Haushalte haben angegeben, auch zwei Jahre nach ihrer Rückkehr noch in einer behelfsmäßigen Unterkunft zu leben (UNHCR 9.11.2022).

Frauen: Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hängen die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit alleinstehender Frauen und ihr wirtschaftlicher Handlungsspielraum von einigen wenigen individuellen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen die erweiterte Familie und der Clan bzw. Subclan. Über diese Netzwerke kann eine Frau z. B. Arbeit oder den Zugang zu finanziellen Ressourcen organisieren. Darüber hinaus zählt der Bildungsstand Betroffenen. Für Frauen mit einem höheren Bildungsniveau ist es einfacher, wirtschaftlich zu überleben. Die größte Herausforderung für Frauen am Arbeitsmarkt ist oft nicht die Tatsache, dass sie alleinstehend sind, sondern dass es ihnen an Bildung mangelt (MBZ 6.2023). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB Nairobi 10.2024).

Arbeitsmarkt

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt am Existenzminimum, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar, das ihnen Zugang zu Wasser, Gesundheitsversorgung, Bildung und Strom verschafft (BS 2024). Gemäß Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank arbeiteten 2021 56 % im Dienstleistungsbereich, 17,7 % in der Industrie und 26,3 % in der Landwirtschaft (AFDB 30.5.2024). Bei einer großen Studie von UNFPA aus dem Jahr 2016 kam hingegen heraus, dass die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %) arbeiten. Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet demnach als Dienstleister oder im Handel (14,1 %) (UNFPA 2016, Sitzung 36f):

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Insgesamt arbeiten ca. 95 % der Berufstätigen im informellen Sektor [Anm.: Dies erklärt ggf. die oben dargestellten, unterschiedlichen Zahlen] (USDOS 22.4.2024). UNDP schätzt, dass jedes Jahr 400.000 Somalis auf den Arbeitsmarkt strömen, doch der städtische Arbeitsmarkt ist instabil und nicht vorbereitet, eine solche Zahl zu bewältigen (Sahan/SWT 31.5.2023). Da es nur wenig formelle Anstellungen im Land gibt, finden sich viele junge Somali in schlecht bezahlten, informellen und instabilen Arbeitssituationen wieder (Sahan/SWT 29.5.2023).

Es gibt zahlreiche Berufe, bei welchen die Gesprächspartner der FFM Somalia 2023 Fähigkeiten und Ausbildung für hilfreich bei der Arbeitsplatzsuche erachten. Gerade der Bedarf an technischen bzw. handwerklichen Fähigkeiten wächst (Omer/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Hier gibt es eine große Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bzw. zwischen dem, was der Markt möchte, und dem, was die Menschen können (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023). Dabei fehlt das Verständnis, dass jemand, der vier Jahre Ausbildung gemacht hat, mehr Geld wert ist als jemand mit einer Kurzausbildung. Dementsprechend investiert kaum jemand in eine handwerkliche Ausbildung, während diese Bereitschaft im universitären Bereich gegeben ist (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Dabei ist es nicht einfach, mit einem Universitätsabschluss einen adäquaten Job zu finden, weil die Privatuniversitäten die Absolventen nicht unbedingt mit den am Arbeitsmarkt relevanten Fähigkeiten ausstatten (so werden etwa nach wie vor kaum technische Fächer unterrichtet) (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Und auch eine handwerkliche bzw. Lehrausbildung (TVET) ist nicht etabliert (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Arbeitssuchenden mangelt es folglich oft an handwerklichen Fähigkeiten. In Somaliland hat TVET politisch aber keine Priorität, obwohl es nur geringe Ausbildungskapazitäten gibt (Scholar/STDOK/SEM 5.2023) und die Nachfrage nicht erfüllt wird (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Einige Hotels betreiben deshalb z. B. ihre eigene Gastgewerbeausbildung, etwa das Sky Hotel in Hargeysa. Zudem gibt es einige wenige Projekte von NGOs (Scholar/STDOK/SEM 5.2023), etwa bei YOVENCO in Berbera (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023).

Quellen der FFM Somalia 2023 berichten, dass die oben erwähnte Lücke am Arbeitsmarkt durch Migranten und Gastarbeiter kompensiert wird. In unterschiedlichen Branchen – etwa auf dem Bau, in der Fischerei, in technischen Berufen oder im Gesundheitsbereich – finden sich Staatsangehörige aus Äthiopien, dem Jemen, Syrien, Ägypten, Kenia, Indien, Bangladesch, Pakistan und anderen Ländern (Wria/SEM/STDOK 5.2023; vergleiche SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Laut einer gut informierten Quelle stammen 98 % der Kfz-Meister aus dem Ausland, v. a. aus Kenia oder Äthiopien (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). In den vielen neuen, höherklassigen Hotels in Hargeysa sind viele Kellner und Hotelbedienstete Ausländer, weil es vor Ort kein qualifiziertes Personal gibt. In diesem Bereich arbeiten viele Kenianer oder Asiaten - auch als Hotelmanager. Einen großen Markt bietet die Innenausstattung, dieser wird von Jemeniten und Syrern dominiert (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Ägyptische Ärzte betreiben eine Klinik in Hargeysa (Wria/SEM/STDOK 5.2023).

Am Arbeitsmarkt gefragt sind alle Berufe, die beim Hausbau benötigt werden (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; Omer/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Auch geringe Kenntnisse können hier schon den Ausschlag geben (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Namentlich genannt wurden diesbezüglich von Quellen der FFM Somalia 2023:

●             Bauarbeiter (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023)

●             Maurer (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Zimmerer (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Stahlbau (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Installateure (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023)

●             Innenausstattung, Möbelherstellung (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SNST-T/STDOK/SEM 5.2023)

●             Fliesenleger (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; Omer/STDOK/SEM 4.2023)

●             Elektriker (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023)

Außerdem genannt wurden:

●             Handyreparatur (Scholar/STDOK/SEM 5.2023)

●             (Auto-)Mechaniker (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche Omer/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023)

●             Gastgewerbe, Köche, Hotellerie (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche STDOK/SEM 5.2023a; SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; IOM 2.3.2023)

●             Landwirtschaft und Gartenbau (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Kühl- und Klimatechnik (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Kommunikation (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023)

●             Management (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023)

●             IT-Kenntnisse (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; IOM 2.3.2023)

●             Telekommunikation (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023)

●             Cyber Security (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023)

●             Human Ressources (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023)

●             Fischerei (Küstengebiete): Kenntnisse im Umgang mit GPS, Echolot und Fischortungsausrüstung (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

●             Schneider (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023)

●             Henna-Malerin (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023)

●             Solartechnik (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023)

●             Medizinischer Bereich (Ärzte, Krankenpfleger, Hebammen etc.) (IOM 2.3.2023)

●             Marketing and Sales (IOM 2.3.2023)

●             Buchhaltung (IOM 2.3.2023)

Die Bundesregierung hat ein Programm gestartet, um 3.000 neue Lehrer auszubilden. Zudem hat sie verlautbart, dass sie innerhalb ihres ersten Amtsjahres 23.000 junge Somali neu angestellt hat - die meisten davon als Soldaten (SD 17.6.2023). Wie bereits erwähnt, spielt das Unternehmertum in der somalischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Schätzungen zufolge werden alleine dadurch mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze geschaffen (WB/Friedson 22.3.2022). Zum Beispiel hat der Telekom-Konzern Hormuud Telecom in den vergangenen Jahren Tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer (EAT 14.2.2021). Auch bei der Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten gibt es noch viele Möglichkeiten (z. B. Herstellung von Ketchup oder Fruchtsaft) (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Nach Angaben einer Quelle sind zwei Drittel der aktiven Erwerbsbevölkerung Selbständige (WB 13.7.2022).

Bei einer Umfrage hinsichtlich der Interaktion mit Migranten in Hargeysa (Stadtteile Dami, State House und Cakara), bei welcher mehr als 200 Erwachsene (70 % weiblich, 30 % männlich) befragt worden sind, ordneten sich jene mit eigenem Einkommen (84) folgenden Gruppen zu: Selbständige (30), Angestellte (28) und Tagelöhner (26). Frauen arbeiteten hauptsächlich in Kleinbetrieben - etwa Geschäfte, Catering, Dienstleistungen (25 von 44) sowie als Hausbedienstete (9); bei Männern (40) waren 11 Selbständige, 7 Bauarbeiter und 7 Transporteure. Von den nicht Beschäftigten (117) gaben 57 % an, Kinder zu betreuen bzw. den Haushalt zu führen - fast ausschließlich Frauen. 17 % bezeichneten sich als arbeitslos, 14 % waren Studenten und 12 % Ältere und Kranke (MMC/IOM 19.8.2022).

Ungelernte: Viele Menschen zogen im Rahmen der Dürre aus ländlichen Gebieten in die Stadt, um z. B. auf dem Bau Arbeit zu finden (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Ohne besondere Qualifikationen findet man dort als Tagelöhner eine Tätigkeit. Ein gesunder Mann kann sich direkt an ein Bauunternehmen wenden und sich nach Einsatzmöglichkeiten erkundigen (IOM 2.3.2023). Zudem gibt es für Ungelernte etwa auch Möglichkeiten als Träger am Hafen (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche IOM 2.3.2023), als Reinigungskraft (IOM 2.3.2023; vergleiche YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; Scholar/STDOK/SEM 5.2023) als Ziegelmacher oder in der Zustellung. Mit einem Mindestmaß an Ausbildung kann auch eine Arbeit als z. B. Maler möglich sein. In kleineren Städten gibt es auch im Bereich der Viehzucht Beschäftigungsmöglichkeiten (IOM 2.3.2023). Ein IDP berichtet, dass in seinem Lager die meisten Frauen als Wäscherinnen und die meisten Männer auf Baustellen Beschäftigung finden (HO 25.6.2024a).

Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen - etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel (ICG 27.6.2019b, Sitzung 10f). Bei einer Studie haben 53 % der befragten Haushalte angegeben, über einen weiblichen Haushaltsvorstand zu verfügen. Gleichzeitig haben 81 % angegeben, verheiratet zu sein. Demnach gilt in mindestens 28 % der befragten Haushalte die Frau als Haushaltsvorstand, obwohl dort auch ein Ehemann lebt (Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023). Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei (ICG 27.6.2019b, Sitzung 10f). Laut einer Quelle sind bei 74 % der Haushalte Frauen die maßgeblichen Geldverdiener, bei 62 % die ausschließlichen (AQ21 11.2023). Frauen sind also mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019a, Sitzung 2).

Frauen können etwa als Kleinhändlerinnen tätig werden (VOA/Maruf 11.4.2023; vergleiche RE 19.2.2021). Es ist üblich, in Städten wie Mogadischu oder Hargeysa Frauen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TEL/Warah 11.3.2019). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen in Privatunternehmen eine führende Rolle. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB/Friedson 22.3.2022), in Hargeysa befindet sich mehr als die Hälfte aller Familienunternehmen bzw. sogenannten Household Enterprises im Besitz von Frauen (WB/Friedson 22.3.2022; vergleiche WB/Friedson 22.3.2022). Der Großteil der im Kleinhandel aktiven Personen ist weiblich (TANA/ACRC 9.3.2023). 80-90 % des derart betriebenen Handels werden von Frauen kontrolliert. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f). Auf dem großen Viehmarkt in Hargeysa stellen Frauen rund 90 % aller Händler (ARTE/Unger/Bergeron 2021).

Generell finden Frauen v. a. im informellen Sektor Beschäftigung, vielen mangelt es aber an Bildung (AQ21 11.2023). Gerade für vom Land in Städte ziehende Frauen bietet sich deswegen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an (VOA/Maruf 11.4.2023). Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft oder stellen Gebetsmatten her (VOA/Maruf 11.4.2023). Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin (OXFAM/Fanning 6.2018, Sitzung 10) oder aber auch auf Baustellen (FIS 5.10.2018, Sitzung 24f; vergleiche OXFAM/Fanning 6.2018, Sitzung 10). Viele der Hunderten Straßenreiniger in Mogadischu sind Witwen und die alleinigen Geldverdiener ihrer Familien. Das höchste hier verfügbare Einkommen beträgt 150 US-Dollar im Monat; manche bekommen Essensrationen. Die Stadtverwaltung versucht auch, männliche Reinigungskräfte anzuwerben, hat aber wenig Erfolg. Viele Männer weigern sich demnach, solche Arbeiten zu verrichten (AJ 21.7.2022).

Im Zuge der FFM Somalia 2023 wurde beobachtet, dass man arbeitende Frauen z. B. im Hotel (Hargeysa, Berbera) im Reinigungsbereich sieht. Am Flughafen Hargeysa arbeiten viele Frauen, sowohl bei der Sicherheit, als auch beim Immigration Service, in Geschäften und am Gate. In Restaurants am Straßenrand ist eine weibliche Bedienung nicht ungewöhnlich, wiewohl die Kundschaft zum Großteil aus Männern besteht (STDOK/SEM 5.2023a). Frauen betätigen sich auch als Straßenhändlerinnen oder bieten auf der Straße oder bei Baustellen Imbisse an. Frauen ohne Qualifikationen betätigen sich oft als Wäscherin oder Reinigungskraft (IOM 2.3.2023). Reinigungsdienste sind sehr gefragt (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023), in Hargeysa gibt es hier auch schon spezialisierte Unternehmen. Um von so einem Unternehmen angestellt zu werden, braucht es keinen besonderen Hintergrund (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). Frauen können sich bei der Suche nach Arbeit bei einer dieser Firmen registrieren lassen. Andere Frauen arbeiten als Haushaltshilfe oder auch in Teehäusern. Mit einem Mindestmaß an Ausbildung können sie auch als Friseurinnen, Henna-Malerinnen, in Schönheitssalons oder als Verkäuferinnen eine Anstellung finden (IOM 2.3.2023).

All die zuvor genannten Tätigkeiten führen Frauen jenseits des ihnen traditionell zugeschriebenen Bereichs des eigenen Haushalts aus (OXFAM/Fanning 6.2018, Sitzung 10). Und gleichzeitig ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (SOMSUN 6.4.2021).

Jobsuche [v.a. Informationen der FFM Somalia 2023]

"There are two ways to find a job. Either you have very strong skills. Then you can manage to find one, regardless of your clan. römisch eins f that’s not the case, you need family [clan] links." (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023)

Unabhängige Jobvermittlung: Es gibt in Mogadischu keine Institutionen, die Arbeitslosen bei der Suche nach Arbeit unterstützen (IOM 2.3.2023). Allerdings gibt es einen Online-Jobmarkt bzw. Jobvermittlungsportale (Wria/SEM/STDOK 5.2023; vergleiche MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023) etwa die Webseite somalijobs.org (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023) oder die Seiten shaqodoon.net und qaranjobs.com (IOM 2.3.2023). Aber nur manche Stellen werden dort online ausgeschrieben (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Somalijobs bietet etwa Jobinserate von UN-Agenturen, NGOs, privaten Unternehmen (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; Omer/STDOK/SEM 4.2023) und Regierungen für alle Teile Somalias, z. B. von Dahabshiil oder eDahab oder von Bildungseinrichtungen (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche Omer/STDOK/SEM 4.2023). Laut einer Quelle handelt es sich bei diesen Inseraten um jene Positionen, bei denen viel Erfahrung und Wissen erforderlich ist (Omer/STDOK/SEM 4.2023) - also wo qualifiziertes Personal benötigt wird. Die Arbeitssuche über Somalijobs ist nicht vom eigenen Clan abhängig. Eine Person kann sich auch aus Mogadischu für einen Job in Hargeysa bewerben (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023).

In den großen Städten gibt es größere Unternehmen, etwa Hotels, Restaurants, IT, Telekommunikation (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Große Firmen, wie Hormuud, Dahabshiil oder Telesom, versuchen, die besten Leute zu finden (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023), und dementsprechend werden Stellen offen ausgeschrieben (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). So sucht etwa der Hafenbetreiber DP World für den Hafen in Berbera Angestellte über Soziale Medien (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Insgesamt gibt es jedoch nur wenige solche Firmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023) und insgesamt nur wenige formelle Jobs. Dies gilt auch für Mogadischu (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche IOM 2.3.2023). Zumindest in Somaliland werden manche Positionen auch auf Internetseiten der Regierung oder niedrigerer Verwaltungseinheiten (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023) oder auch über Soziale Medien ausgeschrieben (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; Wria/SEM/STDOK 5.2023). Manche Geschäfte bewerben offene Stellen auch mit Schildern in Schaufenstern (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023).

Manchmal werden auch Jobvermittler eingesetzt - etwa im Bereich von privatem Sicherheitspersonal oder für Reinigungs- und Gebäudeservice (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023). In Berbera berichtet die in der handwerklichen Ausbildung tätige NGO YOVENCO, dass sie mit Unternehmen und der Lokalverwaltung in Kontakt steht, um dorthin Praktikanten zu vermitteln. Im Gegenzug treten Kleinunternehmen auch an die NGO heran, wenn Mitarbeiter gesucht werden (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023).

Beispiel Berbera: Beim Hafenbetreiber DP World in Berbera ist einer Quelle zufolge das Thema Clanzugehörigkeit bei der Postenbesetzung zwar nicht völlig abgeschafft, die Zustände ändern sich allerdings. Für Arbeitsplätze bei diesem Unternehmen bewerben sich nunmehr auch Menschen aus z. B. Hargeysa, die nicht in Berbera verwurzelt sind. Auch bei der Stadtverwaltung in Berbera haben sich die Dinge geändert. Demnach werden nun städtische Bedienstete, die nicht dem Anspruch des Dienstgebers entsprechen, mitunter entlassen. Die Stadtverwaltung orientiert sich zunehmend an DP World: Man sucht qualifiziertes Personal (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023).

Beziehungen: In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab (BS 2024). Abseits internationaler oder großer Unternehmen ist die Akzeptanz von Ausschreibungen und Bewerbungen im Privatsektor verhältnismäßig gering ausgeprägt (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Der Arbeitsmarkt ist größtenteils informell (Omer/STDOK/SEM 4.2023), und daher erfolgt auch die Arbeitsvermittlung oft informell - über persönliche Netzwerke, über Familie, Freunde und Clan (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; MAEZA/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023). Viele Jobs werden nicht aufgrund von Qualifikationen vergeben (IOM 2.3.2023), viele Betriebe arbeiten weiterhin großteils über Familienbekanntschaften. Eingestellt werden Verwandte (Wria/SEM/STDOK 5.2023; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023) oder andere Menschen, denen vertraut wird (Wria/SEM/STDOK 5.2023). Clanverbindungen spielen bei der Arbeitssuche eine kritische Rolle (FH 2024a), Clanmitglieder werden oft bevorzugt (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche USDOS 22.4.2024). Allerdings sind auch viele Jobs einfach familienorientiert, wenn z. B. eine Familie ein kleines Geschäft betreibt (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Üblicherweise ist es also notwendig, bei der Suche nach einer Arbeit Verwandte oder Bekannte oder Beziehungen zu haben (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt insbesondere für "bessere" Jobs oder nach einem Universitätsabschluss (FIS 7.8.2020b, Sitzung 33f; vergleiche Scholar/STDOK/SEM 5.2023), nur ein Fünftel der Universitätsabsolventen findet nach dem Abschluss eine Anstellung (ARTE/Unger/Bergeron 2021).

Viele freie Stellen werden über mündliche Kommunikation weitergegeben (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche MAEZA/STDOK/SEM 4.2023). Für Personen, die über keine guten Clanbeziehungen verfügen, für IDPs ist es daher schwieriger, eine Arbeit zu finden (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche FIS 7.8.2020b, Sitzung 33f; vergleiche Sahan/SWT 29.5.2023). Auch für Minderheiten sind die Möglichkeiten oft begrenzt, da sie nur über eine begrenzte Anzahl an Unternehmen und Verbindungen sowie über einen begrenzten Zugang zu Bildung verfügen. In Hargeysa betätigen sich viele von ihnen als Friseure oder Schuster, nur eine kleine Zahl betätigt sich auch in anderen Berufen (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

Auch wenn Kompetenz wichtiger geworden ist, gehen Jobs an eigene Clanmitglieder. So bleibt auch das Geld innerhalb des eigenen Clans. Dies gilt auch für Mogadischu (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Ein Beispiel bildet das Hotel Ambassador in Hargeysa, wo von der Reinigungskraft bis zum Sicherheitsmitarbeiter alle Angestellten dem Clan des Besitzers angehören. Auch abseits von Betrieben erfolgen Anwerbungen laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 oft über den Clan - etwa in Somaliland bei der Polizei oder in der Verwaltung, die unter den großen Clans aufgeteilt ist (SECEX/STDOK/SEM 4.2023). Bei den somaliländischen Ministerien gibt es zwar Angestellte unterschiedlicher Clans, aber man verhandelt zwischen den Ministerien, um dies zu erreichen - man tauscht also untereinander Positionen aus, um den Eindruck zu vermeiden, dass man nur vom eigenen Clan rekrutiert (Scholar/STDOK/SEM 5.2023).

Referenzen: Die Ansprüche hinsichtlich der Dokumentation der eigenen Fähigkeiten hängt von der ausgeschriebenen Position ab. Manchmal braucht es Diplome, Zertifikate, Abschlüsse (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023), Bürgen und Referenzen (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023) - gerade für formelle Jobs. In Somaliland benötigt man für eine formelle Anstellung jedenfalls einen Personalausweis (IOM 2.3.2023). Firmen schauen sich den Lebenslauf und Kopien von z. B. Universitätsdiplomen an; erst nach einem Interview und der Bewertung wird manchmal nach den Originalen gefragt (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Und manchmal führen Arbeitgeber einen Reference Check durch und rufen jene Institutionen, welche die Dokumente ausgestellt haben (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023) sowie Bürgen und Referenzen direkt an. Firmen verlassen sich dabei eher auf Referenzen als auf Dokumente (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Für einfache Arbeiten braucht es i.d.R. keinen Qualifikationsnachweis. Hier zählen praktische Erfahrung, persönliche Empfehlungen und Beziehungen. In Somaliland wird dafür auch kein Personalausweis benötigt (IOM 2.3.2023).

Ungelernte: Eine Arbeit als Tagelöhner zu erhalten gestaltet sich einfacher (Wria/SEM/STDOK 5.2023). Arbeiten für Ungelernte stehen jedermann offen (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Wenn man informelle Arbeit sucht - etwa als Bau- oder Hilfsarbeiter - dann braucht man nicht viele Fähigkeiten und auch keine Beziehungen, wenn man die Arbeit physisch verrichten kann (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Laut einer anderen Quelle können auch hier manchmal Beziehungen nötig sein. Eine Quelle erklärt, dass es in Mogadischu einfacher ist, einen Job zu finden, weil dort der Bausektor boomt (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Auch als Arbeiter oder Träger am Hafen von Berbera oder in Mogadischu kann jedermann eine Arbeit bekommen (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Auch wenn eine Person einfach nur als Haushaltshilfe oder Reinigungskraft arbeiten möchte, braucht es meist keine familiären Beziehungen (SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Nach Angaben von IOM werden hingegen auch solche Jobs oft an Verwandte vergeben. Jedenfalls finden sich für ungelernte Arbeitsuchende auf Jobvermittlungsportalen keine Stellen. Sie müssen direkt z. B. auf Baustellen gehen, und dort um eine Arbeit fragen (IOM 2.3.2023).

Frauen: Frauen mit Ausbildung können sich um einen Job umsehen. Frauen ohne Ausbildung übernehmen üblicherweise Aufgaben im Haushalt oder aber sie finden eine Anstellung über Familienkontakte, oder indem sie von Tür zu Tür gehen. Frauen ohne Kontakte in Mogadischu müssen oft die am schlechtesten bezahlten Jobs annehmen - etwa als Wäscherin oder Reinigungskraft (IOM 2.3.2023).

Einkommen

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen (USDOS 22.4.2024). Somaliland geht es zwar insgesamt besser, die wirtschaftliche Situation der Haushalte ist dort aber mehr oder weniger die gleiche wie im Süden des Landes (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Quellen der FFM Somalia 2023 geben an, dass die Gehälter in Mogadischu und Hargeysa ungefähr gleich hoch ausfallen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vergleiche SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Bei einer Umfrage hinsichtlich der Interaktion mit Migranten in Hargeysa (Stadtteile Dami, State House und Cakara), bei welcher mehr als 200 Erwachsene (70 % weiblich, 30 % männlich) befragt worden sind, gaben 42 % an, über ein eigenes Einkommen zu verfügen. Bei männlichen Befragten lag der Wert bei 67 %, bei weiblichen bei 31 % (MMC/IOM 19.8.2022).

Laut IOM kann das durchschnittliche Monatseinkommen je nach Standort, Beruf, Ausbildung und Beschäftigungssektor variieren. In Mogadischu liegt das durchschnittliche Monatseinkommen demnach bei 232 bis 325 Euro (IOM 8.5.2024). Laut anderen Quellen scheinen 100 US-Dollar so etwas wie ein Standardgehalt darzustellen (SECEX/STDOK/SEM 4.2023); laut einer anderen Quelle verdienen Personen mit Fähigkeiten mindestens 200 US-Dollar im Monat (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Informelle Jobs gibt es für Taglöhner auch auf monatlicher Basis. Laut einer Quelle kann eine Person mit solchen Tätigkeiten 100-500 US-Dollar verdienen. 500 US-Dollar werden dann bezahlt, wenn die Person die Tätigkeit in einem bestimmten Unternehmen z. B. seit zehn Jahren zur Zufriedenheit ausführt. Anfänger verdienen demnach nicht mehr als 100-150 US-Dollar z. B. als Kellnerin oder in kleinen Geschäften. In kleineren Städten ist der Verdienst geringer (Omer/STDOK/SEM 4.2023).

Nachfolgend findet sich eine umfassende Sammlung an Einkommensbeispielen für Angaben hinsichtlich von Verdiensten pro Tag in US-Dollar in den Jahren 2022-2024:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\8508906F.tmp

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\63FC52B.tmp
(BBC 5.9.2023; Elsamahi/Ochieng/Bedelian 9.6.2023; Guardian/Mohamed Ahmed 8.6.2022; IOM 2.3.2023; RE 13.8.2024; RE 19.6.2024; RE 8.5.2024; RE 10.4.2024; RE 24.3.2024; RE 19.3.2024; RE 6.3.2024; RE 16.1.2024; RE 13.1.2024; RE 15.11.2023; RE 30.10.2023; RE 26.10.2023; RE 5.10.2023; RE 28.8.2023; RE 25.8.2023; RE 24.8.2023; RE 16.8.2023; RE 11.8.2023; RE 12.7.2023; RE 29.6.2023; RE 22.6.2023; RE 26.5.2023; RE 17.4.2023; RE 29.3.2023; RE 18.12.2022; RE 6.12.2022; RE 1.12.2022; RE 30.11.2022; RE 23.11.2022; RE 26.10.2022; RE 24.8.2022; RE 3.8.2022; RE 22.7.2022; RE 18.2.2021; SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; Trocaire 30.8.2022; YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

Hier Beispiele für Angaben hinsichtlich von Verdiensten pro Monat in US-Dollar in den Jahren 2022-2024:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\8FF647A7.tmp

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\48B013E3.tmp
(AI 18.8.2021; FTL 28.7.2022; Guardian/Mohamed Ahmed 8.6.2022; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023; Omer/STDOK/SEM 4.2023; RE 13.8.2024; RE 6.8.2024; RE 24.3.2024; RE 19.3.2024; RE 6.3.2024; RE 15.11.2023; RE 26.10.2023; RE 19.10.2023; RE 18.9.2023; RE 28.8.2023; RE 12.7.2023; RE 29.3.2023; RE 17.3.2023; RE 29.11.2022; RE 3.8.2022; RE 18.2.2021; Sahan/SWT 13.12.2023; Scholar/STDOK/SEM 5.2023; SECEX/STDOK/SEM 4.2023; SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023; YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

Arbeitslose: Für Arbeitslose gibt es weder in Somaliland noch anderswo in Somalia staatliche Unterstützung. Wenn man kein oder kein gutes Einkommen hat, ist man auf die Verwandtschaft, auf Clanbeziehungen angewiesen. Auf diese kann man sich i.d.R. verlassen (Scholar/STDOK/SEM 5.2023).

Einkommen - IDPs: In den städtischen Gebieten hat die beschleunigte Land-Stadt Migration zur Herausbildung peripherer Stadtgemeinden geführt, die von sozialen Dienstleistungen, dem formellen Arbeitsmarkt und politischer Mitsprache abgeschnitten sind (ÖB Nairobi 10.2024). Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Frauen gehen oft von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an, etwa als Wäscherinnen oder in der Hausarbeit. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Viele IDPs erhalten auch Unterstützung von Hilfsorganisationen (VOA/Maruf 11.4.2023). Laut einer Quelle reicht diese Hilfe aber nicht aus (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Nach anderen Angaben bieten NGOs und der Privatsektor den Menschen grundlegende Dienste - vor allem in urbanen Zentren (OXFAM/Fanning 6.2018, Sitzung 4). Zudem haben Menschen in IDP-Lagern - v. a. wenn sie länger dort leben - in der Regel auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut (ACCORD 31.5.2021, Sitzung 23). Von IDP-Frauen in Bossaso wird berichtet, dass sie mit dem Trennen von Spreu und Weizen 3-5 US-Dollar am Tag verdienen und zudem den Spreu verkaufen dürfen (VOA/Maruf 11.4.2023).

Einkommen - Finanzierung: 2019 ist es gelungen, die Gargaara Company Ltd. zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben (WB 6.2021, Sitzung 7). Das von der EU finanzierte Programm Finance for Inclusion in Somalia (FIG) unterstützt Finanzinstitutionen u. a. dabei, ihre Finanzierungen auf Sektoren der Landwirtschaft und der Fischerei auszuweiten - etwa Kredite für Fischerboote oder Farmvergrößerungen (Halbeeg 27.3.2023). Generell haben alternative Finanzierungskanäle (mobile Geldtransfers, Mikrofinanzierung) für die Menschen den Zugang zu Finanzierung erleichtert (TANA/ACRC 9.3.2023).

Einkommen - Clan und Verwandte: In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche (14-30 Jahre) an, in erster Linie von der Familie in Somalia (60 %) und von Verwandten im Ausland (27 %) versorgt zu werden (IOM 1.2.2016, Sitzung 42f). Insgesamt bietet das traditionelle Recht (Xeer) bzw. damit verbunden die erweiterte Familie und der Clan ein grundlegendes soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- (SEM 31.5.2017, Sitzung 5/32f; vergleiche Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; BS 2024) bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (auch: Jilib; Diya-zahlende Gruppe) helfen sich bei internen Zahlungen - z. B. bei Krankenkosten - und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, Sitzung 9/32ff).

Einkommen - Remissen: Rücküberweisungen aus der Diaspora stellen rund 30 % des BIP. Im ersten Halbjahr 2022 flossen so mehr als 2,2 Milliarden US-Dollar nach Somalia (AFDB 2023). Laut Internationalem Währungsfonds flossen 2020 ca. 1,6 Milliarden US-Dollar an Private, in den Jahren 2021 und 2022 waren es je ca. 2,1 Milliarden (IMF 31.5.2023).

2023 betrugen die Remissen 2,4 Milliarden US-Dollar. Für das Jahr 2024 werden hier nun 2,7 Milliarden, für 2025 sogar fast 3,0 Milliarden US-Dollar erwartet (IMF 31.5.2023). Remissen spielen damit eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der Armut (ÖB Nairobi 10.2024). Für viele Haushalte sind sie eine der Haupteinnahmequellen (BS 2024). Remissen stellen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar, v. a. für die unteren 40 %, wo Remissen 54 % aller Haushaltsausgaben decken (WB 6.2021). Diese Überweisungen tragen wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei. Allerdings sind sie ungleich verteilt (BS 2024). Schätzungsweise 40 % der somalischen Haushalte erhalten in der einen oder anderen Form Remissen (Sahan/SWT 11.10.2023). IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen (DI 6.2019, Sitzung 28). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen (IPC 1.3.2021). Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist (RVI/Majid/Abdirahman/Hassan 1.9.2018). Denn auch Minderheiten mangelt es oft am Zugang zu Remissen (SPC 9.2.2022).

Laut einer Studie von IOM aus dem Jahr 2021 sind 67 % der Empfänger von Remissen arbeitslos. Für viele Menschen sind die Überweisungen ein Rettungsanker (Sahan/SWT 2.9.2022; vergleiche OXFAM 15.12.2023, Star 30.8.2022). Überweisungen werden hauptsächlich für allgemeine Haushaltsausgaben (z. B. Nahrung, Wasser) sowie Bildung und Gesundheit verwendet (UNCDF 4.2023; vergleiche OXFAM 15.12.2023). Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (RVI/Majid/Abdirahman/Hassan 1.9.2018).

Wirtschaftlich steuern Remissen 27-30 % zum BIP bei (AFDB 23.6.2023; vergleiche ÖB Nairobi 10.2024) und übersteigen damit die Summe der ins Land kommenden humanitären Hilfe bei Weitem (Sahan/SWT 28.8.2024; vergleiche SRF 27.12.2021). Remissen fließen auch aus Somalia ab: Dort arbeiten z. B. mehr als 60.000 Gastarbeiter aus Uganda und Kenia. Alleine jene aus Kenia schicken jährlich 180 Millionen US-Dollar in ihr Heimatland zurück. Bei diesen Gastarbeitern handelt es sich vorwiegend um Fachkräfte z. B. in der Wirtschaft, im Management, im humanitären Sektor oder im Dienstleistungsbereich (etwa Hotel- und Gastgewerbe) (TEA/Barigaba 28.4.2024).

Lebenserhaltungskosten

Mehrere Quellen geben für unterschiedliche Orte folgende monatlichen Lebenshaltungskosten an (in US-Dollar):

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\3592E5DF.tmp
(IOM 2.3.2023; Omer/STDOK/SEM 4.2023; YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 bekommt man in Somaliland für sein Geld mehr als in Mogadischu (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine andere Quelle ist hingegen der Auffassung, dass man in Mogadischu günstiger leben kann als in Hargeysa (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023). Laut einer Quelle kann eine Familie in Hargeysa von einem Einkommen von 100 US-Dollar im Monat nicht leben, die Summe reicht demnach nicht für Lebensmittel und Strom (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Polizisten und Soldaten, die ca. 100 US-Dollar Lohn beziehen, können sich mit den zusätzlich an sie ausgegebenen Naturalien für ihre Familien drei Mahlzeiten am Tag leisten. Für Bildung und medizinische Versorgung bleibt dann allerdings kein Geld übrig (Scholar/STDOK/SEM 5.2023). In den kleineren Städten Somalilands sind die Lebenshaltungskosten geringer (IOM 2.3.2023).

Neben Lehrern ist es in Somaliland auch für andere öffentlich Bedienstete oft schwierig, mit dem eigenen Gehalt ein Auskommen zu finden. Viele von ihnen haben Nebeneinkommen, z. B. als Taxifahrer oder an einer Privatschule im Nachmittagsunterricht (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023) oder aber (in Berbera) als Träger am Hafen (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Außerdem sparen Menschen Geld, indem man von billigem traditionellem Essen lebt (z. B. Mais mit Milch bzw. Dashuro) und nicht von teurem Reis und Nudeln. In Hargeysa ziehen Menschen, die nicht zu den Gabooye gehören, in den Stadtteil Daami, weil dort die Mieten günstiger sind. Andere Arme ziehen in die Außenbezirke, wo es viele Wellblechhäuser gibt und diese auch günstiger sind (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass es in kleineren Städten wie Berbera üblich sei, bei Geschäften oder z. B. im Teehaus anschreiben zu lassen. Manche Menschen häufen so große Schulden an; und trotzdem schaffen es alle, zu überleben (YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023). Allerdings befindet sich eine Person dann in einer schwierigen Lage, wenn es keine Verwandten gibt. Oft bleibt dann nur das Betteln oder die Person findet ein Auskommen als Hilfsarbeiter - zumal, wenn keine Qualifikationen vorliegen (Scholar/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche IOM 2.3.2023).

Wohnungsmarkt

Wohnungssuche: Nur die besseren Häuser werden auf Online-Plattformen oder Facebook inseriert bzw. beworben (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 aber nur für Hargeysa (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Ansonsten gibt es in Somalia und Somaliland keine Möglichkeiten zur Wohnungssuche im Internet (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche SOMEMP/STDOK/SEM 5.2023). Sucht jemand eine Wohnung, muss er i.d.R. herumfragen oder sich auf lokale Netzwerke verlassen (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zumindest in Somaliland gibt es einer Quelle zufolge aber auch Broker (Makler), die wissen, welche Häuser am Markt verfügbar sind, und die bei der Suche helfen (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023). Da viele Menschen aus ländlichen Gebieten in die Stadt ziehen, wächst jedenfalls der Bedarf. Viele der Landflüchtigen leben bei Verwandten in der Stadt. Andere lassen sich in Gegenden nieder, in welchen die Mieten günstiger sind (Omer/STDOK/SEM 4.2023). In Hargeysa ist es laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 verhältnismäßig einfach, ein Miethaus zu finden (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Unterkunftsarten: Es gibt unterschiedliche Arten von Unterkünften. Üblich sind Häuser aus Ziegeln, Wellblechhäuser (Sandaqad bzw. Iron Sheet House) und traditionelle Hütten (IOM 2.3.2023; vergleiche Omer/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt sowohl für Mogadischu, als auch für Hargeysa und kleinere Städte des Landes (IOM 2.3.2023). In Somaliland ist es üblich, Häuser mit 4-5 Zimmern zu mieten (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche Omer/STDOK/SEM 4.2023). In Hargeysa gibt es keine separaten Zwei-Zimmer-Appartements (SNST-T/STDOK/SEM 5.2023) oder Wohnungen mit nur einem Zimmer (Omer/STDOK/SEM 4.2023). Laut IOM kommen Rückkehrer nach Somalia oder Somaliland meist in Wellblechhäusern oder traditionellen Hütten unter (IOM 2.3.2023).

Clanbeschränkungen: In Hargeysa können die Menschen wohnen, wo sie wollen. In der somaliländischen Hauptstadt sind alle Clans vertreten. Zumeist fällt die Entscheidung aber darauf, in der Nähe der Familie und des Clans zu verbleiben (IRARA/STDOK/SEM 5.2023). Nach diesem Muster haben sich in allen größeren Städten Clanviertel gebildet - auch in Mogadischu. Dort gibt es zwar auch einige - sehr teure - gemischte Viertel, etwa rund um die Regierungseinrichtungen und rund um den Flughafen. Sind die finanziellen Möglichkeiten eingeschränkt, zieht man i.d.R. in den Stadtteil seines Clans (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023).

Im Prinzip gibt es in Städten aber keine Einschränkungen durch die Clanzugehörigkeit (IRARA/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Wenn man z. B. in Burco über keine Familie verfügt, kann man dort trotzdem eine Wohnung mieten (IRARA/STDOK/SEM 5.2023). Auch in Mogadischu gibt es laut IOM hinsichtlich einer Anmietung keine Einschränkungen durch die eigene Clanzugehörigkeit (IOM 2.3.2023). In der Stadt wohnen auch Majerteen oder Isaaq, obgleich diese Clans über keine Clanviertel in Mogadischu verfügen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 gibt allerdings zu bedenken, dass es eine Herausforderung sein kann, an einem Ort zu wohnen, wo man über keine Familie, über keine Freunde verfügt (IRARA/STDOK/SEM 5.2023).

Frauen: Frauen wohnen laut IOM üblicherweise bis zur Eheschließung bei den Eltern. Dass sie ohne Ehemann oder die eigene Familie wohnen, ist unüblich. Trotzdem gibt es Frauen, die alleine wohnen, je nach finanzieller Ausstattung in Wellblechhäusern oder Appartements. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, dass mehrere alleinstehende Frauen zusammen eine Wohnung bewohnen (IOM 2.3.2023). Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Sucht eine alleinstehende Frau eine Wohnung, wirft dies unter Umständen Fragen auf (FIS 7.8.2020a, Sitzung 31f).

Rückkehrer: Die meisten Rückkehrer nach Somaliland können sich laut IOM bei der Unterbringung keinen höheren Standard leisten und nehmen Wellblechhäuser oder traditionelle Unterkünfte in Anspruch. Dies gilt sowohl für Hargeysa als auch für kleinere Städte, wie z. B. Ceel Afweyn oder Borama (IOM 2.3.2023).

Mietpreise - Mogadischu: In Mogadischu hängen die Mietpreise u. a. von der Sicherheitslage im betroffenen Wohngebiet ab (IOM 2.3.2023). Zudem sinken die Wohnkosten laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 i.d.R. mit der Entfernung zum Flughafen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Unterschiedliche Quellen machen folgende Angaben zu den Preisen:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\29A2399B.tmp
(BBC 5.9.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; IOM 2.3.2023; RE 30.10.2023; RE 26.10.2023; RE 18.9.2023; RE 28.8.2023)

Anekdotische Mietpreise in unterschiedlichen Städten:

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\4FCD2161.tmp
(RE 22.6.2023; RE 17.3.2023; RE 18.12.2022; RE 6.12.2022; RE 1.12.2022; RE 3.8.2022)

Kauf: Es wurden keine spezifischen Informationen zu Haus- oder Wohnungskauf erhoben. Laut einer vorliegenden Information werden Wohnungen in neuen Wohntürmen in Mogadischu in einem Prospekt von 83.000 US-Dollar (58 Quadratmeter) bis 173.000 US-Dollar (120 Quadratmeter) angeboten (AQSOM 4 6.2024).


Beispiele für Lebenserhaltungskosten

Die folgende Tabelle zeigt unterschiedliche Bildungskosten in mehreren Städten Somalias (in US-Dollar pro Monat):

C:\Users\kattnere\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\6ABB4B17.tmp
(EEAS 21.6.2023; RE 13.8.2024; RE 8.5.2024; RE 24.3.2024; RE 19.3.2024; RE 6.3.2024; RE 13.1.2024; RE 15.11.2023; RE 30.10.2023; RE 26.10.2023; RE 18.9.2023; RE 16.8.2023; RE 11.8.2023; RE 6.8.2023; Scholar/STDOK/SEM 5.2023; SNST-T/STDOK/SEM 5.2023; TANA/ACRC 9.3.2023; YOVENCO/STDOK/SEM 5.2023)

Rückkehr

Rückkehr aus der Diaspora: Seit Jahren steigt die Anzahl der nach Somalia zurückgekehrten somalischen Flüchtlinge - u. a. aufgrund steigender Bemühungen zur Repatriierung (z. B. durch Kenia) (ÖB Nairobi 10.2024). Doch auch aus der Diaspora kommen seit 2009 Somali zurück in ihre Heimat, viele mit Bildung, Fähigkeiten und einer unternehmerischen Einstellung. Zuerst tröpfelten sie nur ins Land, ab 2012 fluteten sie zurück (Sahan/SWT 27.5.2022; vergleiche DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023). Rückkehrer aus der Diaspora übernehmen z. B. in Somaliland Führungspositionen in der Regierung, der Verwaltung oder als Berater. Diese Personen werden aber laut einer staatlichen Quelle nicht als "Rückkehrer" erachtet, da sie üblicherweise Doppelstaatsbürger sind und z. B. über einen europäischen Pass verfügen (NDRA/STDOK/SEM 5.2023). Auch viele lokale Angestellte internationaler NGOs oder Organisationen sind aus der Diaspora zurückgekehrte Somali. Andere kommen nach Somalia auf Urlaub oder eröffnen ein Geschäft (STDOK/SEM 2017). Manche Eltern senden ihre Kinder nach Somalia zurück, um ihnen die Heimat näherzubringen; es herrscht eine Angst vor "Verwestlichung" und die Angst, dass einem die Kinder vom Staat weggenommen werden. Manche der Kinder kommen freiwillig, andere werden gezwungen. Manche kommen zur „Reorientierung“, wenn sie im Westen Alkohol oder Drogen konsumiert haben oder sich in Gangs engagieren. Manche Kinder bleiben bei Verwandten, manche kommen in "Reorientierungszentren". Hinsichtlich solcher Einrichtungen gibt es Berichte zu sexuellem Missbrauch, Anketten und Zwangsehen (AQ21 11.2023; vergleiche USDOS 22.4.2024).

Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich mit dem Jahr 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Mai 2024 mehr als 139.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt (UNHCR 12.6.2024). IOM beziffert die Zahl an Rückkehrern im Jahr 2022 hingegen mit ca. 224.000 (MBZ 6.2023). Von den 139.000 von UNHCR genannten Rückkehrern gingen rund 57.000 nach Lower Juba (Kismayo), 37.000 nach Mogadischu, 11.000 nach Bay, 3.400 nach Woqooyi Galbeed (Hargeysa), 3.300 nach Gedo, 2.900 nach Lower Shabelle und 2.600 nach Bari (Puntland) (UNHCR 12.6.2024).

Von Jänner 2020 bis Dezember 2023 unterstützte UNHCR 3.641 Somali bei ihrer Rückkehr aus dem Jemen über das Assisted Spontaneous Returnees Program (ASR), und zusätzlich 5.337, die eigenständig nach Somalia zurückgekehrt sind. Unter dem ASR kehrten 2023 1.500 Personen zurück (UNHCR 23.1.2024). Insgesamt kamen aus dem Jemen bis Mai 2024 mehr als 51.000 Somali zurück (UNHCR 12.6.2024). Somaliland ist zwar der Hauptankunftsort für Flüchtlinge und Rückkehrer aus dem Jemen, doch UNHCR und Partnerorganisationen unterstützen somalische Rückkehrer bei der Weiterreise zu den Herkunftsgebieten in anderen Teilen Somalias (ÖB Nairobi 10.2024; vergleiche NDRA/STDOK/SEM 5.2023).

Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 auch die freiwillige Rückkehr von Somali aus Kenia. Grundlage ist ein trilaterales Abkommen zwischen Kenia, Somalia und dem UNHCR. Seit Abschluss des trilateralen Abkommens kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 85.400 Menschen aus Kenia nach Somalia zurück. Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland (AA 23.8.2024; vergleiche UNHCR 12.6.2024). Trotz seiner Rolle bei der Rückführung aus Kenia warnt der UNHCR angesichts der aktuellen Lage in Somalia davor, Personen in Gebiete in Süd- oder Zentralsomalia zwangsweise zurückzuschicken, da die Sicherheit nicht gewährt werden kann (ÖB Nairobi 10.2024).

Seit Frühjahr 2018 unterstützt die sogenannte EU-IOM Joint Initiative for Migrant Protection and Reintegration rückkehrwillige somalische Migranten vornehmlich in Libyen und Äthiopien. Die Leistungen umfassen Beratung zu Möglichkeiten der Rückkehr sowie der Integration in den somalischen Arbeitsmarkt. Außerdem wird die Entwicklung von standardisierten Rückführungsverfahren nach Somalia gefördert (AA 23.8.2024). Aus Dschibuti sind bis Mai 2024 insgesamt 773 Personen zurückgekehrt, aus Libyen 755 (UNHCR 12.6.2024).

(Zwangs-)Rückführungen: Laut dem deutschen Auswärtigen Amt ist die unfreiwillige Rückkehr nach Somalia nach wie vor in nahezu allen westlichen Staaten ausgesetzt (AA 23.8.2024). Nach anderen Angaben sind Zwangsrückführungen in Somalia zwar ein heikles Thema und die Regierung will sie nicht. Trotzdem werden demnach Somali zwangsweise zurückgeführt, namentlich aus den USA (mit Charter durch Jubba Air), Norwegen und Großbritannien. Kanada bringt Rückkehrer nach Nairobi, von wo aus diese mit Jubba Air nach Mogadischu weiterreisen (KONS/STDOK/SEM 4.2023). Auch Saudi Arabien (NDRA/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche Wria/SEM/STDOK 5.2023) und die VAE schieben Somali in ihre Heimat ab (NDRA/STDOK/SEM 5.2023).

Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch (AA 28.6.2022). Insgesamt hat IOM von 2020 bis 2022 bei 187 freiwilligen Rückführungen aus Europa Unterstützung geleistet. Die Rückkehrer kamen u. a. aus Belgien (14), Deutschland (66), Finnland (12), Griechenland (20), den Niederlanden (8), Österreich (8), der Schweiz (22) und Zypern (14). 33 der Rückgeführten waren weiblich. 141 verblieben in Mogadischu, die anderen reisten weiter nach Garoowe (6) und Hargeysa (34) (IOM 2.3.2023). Im Jahr 2022 wurden Somali aus Belgien, Norwegen, Dänemark, der Schweiz und Schweden nach Somalia zurückgebracht - die meisten davon freiwillig (ÖB Nairobi 14.12.2022). Laut deutschem Auswärtigen Amt wurden 2023 19 somalische Staatsangehörige nach Somalia zurückgeführt, im ersten Halbjahr 2024 waren es fünf (AA 23.8.2024).

Freiwillige Rückkehr über IOM: IOM leistet bei der Rückkehr von Somali z. B. aus dem Sudan oder aus dem Jemen Unterstützung. Die Organisation hat auch einige Charterflüge aus Libyen organisiert. Zudem führt IOM für manche europäische Länder Programme für Rückkehrer. Manche dieser Programme umfassen eine große Bandbreite an Unterstützung – Reintegrationsberatung, wirtschaftliche Ausbildung, Bargeld, Monitoring und Evaluierung. Vor der Covid-19-Pandemie bestand die Hilfe meist aus Sachleistungen, heutzutage gibt es v. a. Geld. Für vulnerable Rückkehrer bietet IOM in Mogadischu Schutzunterkünfte an. In Hargeysa werden dazu Hotels verwendet. Dort können die Rückkehrer 3-5 Tage bleiben, bevor sie an ihr Endziel reisen (Wria/SEM/STDOK 5.2023).

(Freiwillige) Rückkehr über IRARA (International Return and Reintegration Assistance): Die Organisation hat bezüglich Somalia in der Vergangenheit Projekte mit der EU und Deutschland implementiert. Nun geschieht dies über das Frontex Joint Reintegration Services Project (JRSP). In diesem aktuellen Projekt hat IRARA (Stand Anfang Mai 2023) 13 Rückkehrer aus Schweden, Deutschland, Zypern und Belgien empfangen. IRARA empfängt die Rückkehrer am Flughafen und gibt monetäre Unterstützung; hilft mit temporärer Unterkunft und Weiterreise; und bietet Beratung und ein sog. Livelihood Package (IRARA/STDOK/SEM 5.2023). Laut Flyer von IRARA setzt die Organisation für EU- und Schengenstaaten nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückführungen um. Als Dienste werden aufgezählt: Abholung vom Flughafen, Unterstützung bei der Weiterreise, vorübergehende Unterkunft, Geldaushilfe, Sonderversorgung für vulnerable Personen; Hilfe bei der Gründung eines Start-ups; längerfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung (IRARA 6.2024).

Im JRSP sind 2.000 US-Dollar pro Rückkehrer vorgesehen, zuzüglich einer Ankunftsunterstützung von 615 Euro für die ersten drei Tage. Laut IRARA ist diese Rückkehrhilfe zu niedrig angesetzt, Rückkehrer können damit nicht viel anfangen. Einige Rückkehrer verwenden das Geld, um die Miete für ein Jahr zu bezahlen. Nach Schätzung von IRARA sollte das Rückkehrgeld mindestens doppelt so hoch angesetzt werden, im besten Fall aber bei 6.000 Euro (IRARA/STDOK/SEM 5.2023).

Manche potenzielle Rückkehrer schämen sich, weil sie es nicht geschafft haben, in Europa Fuß zu fassen. Zudem hat die Reise nach Europa oft hohe Kosten verursacht, manche Familien mussten sich verschulden. Daher wollen viele Somali nicht freiwillig zurückkehren (IRARA/STDOK/SEM 5.2023), sie können die entstandenen Schulden nicht zurückzahlen. Und tatsächlich werden manche Rückkehrer als Versager erachtet, und es kommt zu Stigmatisierung (IRARA/STDOK/SEM 5.2023; vergleiche IOM 2.3.2023). Nicht selten empfängt die Familie Rückkehrer nicht mit offenen Armen. Daher bietet IRARA auch psycho-soziale Unterstützung an (IRARA/STDOK/SEM 5.2023). Die staatliche somaliländische NDRA gibt zu bedenken, dass manche Rückkehrer von Erlebnissen auf ihrem Migrationsweg traumatisiert sind. Manche benötigen psychologische Betreuung, manche medizinische Versorgung. Dies und die Tatsache, dass die Rückkehrer viel Geld aufgewendet haben, um nach Europa zu gelangen, sollte beim Schnüren von Rückkehrpakten bedacht werden. Dieses sollte ausreichen, um ein Start-up zu gründen und psycho-soziale Unterstützung in Anspruch nehmen zu können. Laut NDRA ist das insbesondere bei Rückkehrpakten aus Europa nicht der Fall, während dies etwa bei von UNHCR vergebenen Paketen für Rückkehrer – etwa aus dem Jemen – sehr wohl der Fall ist (NDRA/STDOK/SEM 5.2023).

Erfahrungen von IRARA: An Dokumenten führen Rückkehrer manchmal ein Go-Home-Certificate mit sich, manchmal ein Laissez-Passer. Damit, und mit dem Boardingpass können sie auch am Flughafen in Hargeysa einreisen. Schon an ihrer Aussprache werden Rückkehrer am Flughafen als Einheimische erkannt. Die Grenzbeamten fragen nach einer lokalen Telefonnummer, damit ein Identitätscheck gemacht werden kann. Keiner der von IRARA empfangenen Rückkehrer hatte bei der Einreise größere Probleme. Dies gilt auch für das Screening am Flughafen in Mogadischu. Diesbezüglich gab es bislang keine Berichte hinsichtlich Problemen mit den Behörden. Dies gilt jedenfalls, solange es sich um eine freiwillige Rückkehr handelt (IRARA/STDOK/SEM 5.2023).

Von den im gegenwärtigen Projekt (Stand Anfang Mai 2023) von IRARA empfangenen 13 Rückkehrern gingen zwei nach Somaliland, die anderen nach Süd-/Zentralsomalia. Einige Rückkehrer haben sich erfolgreich reintegriert und führen ihre eigenen Geschäfte – sowohl in Somaliland als auch in Somalia. Freiwillige Rückkehrer werden als normale Bürger behandelt. Es gibt keine politische Diskriminierung, es gibt keine Belästigung von Rückkehrern. IRARA sind zudem keine Fälle bekannt, wo Rückkehrer in IDP-Camps endeten. Die Familie ist für die soziale Integration entscheidend. Ohne sie wird es schwierig, sich einzurichten. Jene Rückkehrer, die von ihrer Familie unterstützt wurden, sind deutlich erfolgreicher, als jene, die nur IRARA als Unterstützung hatten. Die Mehrheit der Rückkehrer bleibt, nur wenige verschwinden; einzelne kehren nach Europa zurück. Das Monitoring der Rückkehrer ist für IRARA jedenfalls eine Herausforderung. Einige der Menschen, die aus Europa zurückgeschickt werden, haben einen Reisepass eines anderen europäischen Landes. Sie nehmen das AVRR-Programm in Anspruch und reisen dann legal nach Europa zurück (IRARA/STDOK/SEM 5.2023).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Behandlung: Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt (AA 23.8.2024). Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird. Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige und andere Rückkehrer. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten (AA 28.6.2022).

Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt (AA 28.6.2022). Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht. Es sind keine Fälle bekannt, dass im Exil lebende Somali aufgrund oppositioneller Tätigkeit nach ihrer Rückkehr Repressionen durch Stellen der Regierung ausgesetzt sind (AA 23.8.2024), es gibt ihnen gegenüber auch keine Feindseligkeit (AQ21 11.2023). Eine Quelle gibt an, dass Rückkehrer insofern einem höheren Risiko ausgesetzt sein können, da sie als wohlhabend eingeschätzt werden (MBZ 6.2023). Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 stellen Rückkehrer für al Shabaab kein Ziel dar (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Rückkehrstudie von UNHCR: Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Dabei hatten 48 % der Befragten angegeben, wegen der verbesserten Sicherheitslage nach Somalia zurückgegangen zu sein. 14 % machten diesen Schritt wegen besserer ökonomischer Möglichkeiten. Nur 24 % der befragten Haushalte gaben an, in einem "IDP-Lager" zu wohnen [Anm.: Anführungszeichen von UNHCR übernommen]. 94 % der Rückkehrer gaben an, nach ihrer Rückkehr keinerlei Form von Gewalt (Drohungen, Einschüchterungen, physische Gewalt) erlebt zu haben. 90 % gaben an, sich in ihrer Gemeinde und im Bezirk frei bewegen zu können. 91 % der Befragten gaben an, dass sie nicht als Rückkehrer diskriminiert würden; und 88 % wurden auch nicht wegen ihrer ethnischen oder Clan-Zugehörigkeit diskriminiert. 88 % der Befragten haben keine Streitigkeiten austragen müssen. Von jenen, die in Konflikte verwickelt waren, gaben 38 % Wohnungs- und Landstreitigkeiten als Gründe an, weitere 27 % Familienstreitigkeiten (UNHCR 22.3.2022).

Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es von und nach Nairobi (Kenia), Entebbe (Uganda), Addis Abeba (Äthiopien), Dschibuti, Dubai (VAE), Doha (Katar), Jeddah (Saudi Arabien) und Istanbul (Türkei) (MBZ 6.2023). Internationale Fluglinien, welche den Flughafen bedienen, sind u. a. Turkish Airlines, Ethiopian Airlines, Qatar Airways, FlyDubai und Air Arabia, heimische Fluglinien sind u.a. Jubba Airways, Daalo Airlines und Somali Airlines (HO 15.6.2024). Insgesamt verzeichnet der Flughafen der Hauptstadt am Tag laut einer Quelle mehr als 130 Flüge (GN 1.2.2024), laut einer anderen sind es mehr als 40. Das jährliche Passagieraufkommen beträgt rund 1,5 Millionen (HO 15.6.2024).

Mit einem NOTAM (Notice to Airmen) hat die Somali Civil Aviation Authority die Anforderungen hinsichtlich einer Einreise am Aden Adde International Airport in Mogadischu geklärt. Diese waren zuvor umstritten gewesen. Es gilt: Somali mit Doppelstaatsbürgerschaft benötigen kein Visum; dies gilt auch für alle Menschen der somalischen Ethnie, die mit ausländischen Pässen reisen. Für diese wird das Visum bei Ankunft ausgestellt (HO/SCAA 14.6.2023). Laut einer Quelle finden Einreisekontrollen im Wesentlichen an den internationalen Flughäfen und einer geringen Anzahl an offiziellen Grenzübergängen (z. B. Dhobley zu Kenia oder Doolow zu Äthiopien) statt. Es ist demnach unklar, inwiefern ethnisch somalischen Personen ohne reguläre Reisedokumente die Einreise verweigert wird (AA 23.8.2024).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen unter 1.1. zu seiner Person stützen sich auf seine Aussagen in der Erstbefragung, in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde sowie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Dass der Beschwerdeführer ein Jahr vor seiner Ausreise bei seinem Onkel in Mogadischu lebte, gab der Beschwerdeführer glaubhaft in der mündlichen Verhandlung an Sitzung 6 des Verhandlungsprotokolls). Ebenso verhält es sich mit der Feststellung, dass die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers im Entscheidungszeitpunkt in Mogadischu leben und die Mutter vom Onkel des Beschwerdeführers unterstützt wird, der in Shalanbood lebt und in einem Lebensmittelgeschäft arbeitet sowie dass der Beschwerdeführer zu seiner Mutter, seinem Onkel und seinem Großvater in Kontakt steht Sitzung 7 des Verhandlungsprotokolls). Dass die Familie des Beschwerdeführers in Jowhar eine Landwirtschaft bewirtschaftete, auf der sich das Wohnhaus der Familie befand und die Familie des Beschwerdeführers wirtschaftlich dem unteren Mittelstand einzuordnen sei, gab dieser glaubhaft vor dem Bundesamt an (AS 93).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, war einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister zu entnehmen.

2.2. Zu den Gründen für das Verlassen von Somalia konnte der Beschwerdeführer eine Bedrohungslage nicht glaubhaft machen, zumal er sich im Rahmen seiner Schilderungen in einige Widersprüche verwickelte und sich sein Vorbringen in wesentlichen Punkten auch als unplausibel und unsubstantiiert erweist.

So brachte er im Wesentlichen vor, sein Vater sei von der Al Shabaab inhaftiert worden, seine Familie sei im Jahr 2022 von der Al Shabaab angegriffen worden, seine Eltern seien geschlagen worden und seine Mutter habe ihm zur Ausreise geraten. Der Beschwerdeführer sei zudem aufgrund seiner Clanzugehörigkeit verfolgt worden.

Der Beschwerdeführer gab jedoch in seiner Erstbefragung gänzlich andere Fluchtgründe als vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht an. So führte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, er habe Somalia aufgrund der anhaltenden Dürre verlassen, komme aus einer armen Familie, die nichts zu essen gehabt habe, wolle seine Familie von Europa aus unterstützen und möchte in Österreich eine bessere Zukunft haben und hier arbeiten (AS 23).

Der Beschwerdeführer gab vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass seine Mutter von der Al Shabaab angeschossen worden sei, machte jedoch widersprüchliche Angaben zum genauen Hergang. So gab er vor dem Bundesamt an, die Al Shabaab habe seiner Mutter in den Rücken geschossen (AS 97), in der mündlichen Verhandlung jedoch, sie hätten ihr in die Hüfte geschossen Sitzung 8 des Verhandlungsprotokolls).

Ferner führte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt an, die Al Shabaab sei vier Tage später wiederum zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen, habe seine Mutter nach ihm befragt und man hätte den Beschwerdeführer mitgenommen, wenn er zu Hause gewesen wäre (AS 97). In der mündlichen Verhandlung führte er im Widerspruch dazu an, die Al Shabaab hätte seine Mutter angerufen und ihr befohlen, den Beschwerdeführer zum Stützpunkt zu bringen, da sie den Beschwerdeführer ansonsten holen würden Sitzung 8, Sitzung 12 des Verhandlungsprotokolls).

Der Beschwerdeführer konnte auch sein weiteres Vorbringen nur vage und detaillos schildern. So konnte er keine Angaben dazu machen, welchen Betrag die Al Shabaab von seiner Familie verlangt hätte (AS 97) und auch nicht, wann die Al Shabaab erstmalig einen Geldbetrag von seiner Familie verlangt hätte Sitzung 8 des Verhandlungsprotokolls). Vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, beim zweiten Mal seien vier Männer der Al Shabaab zu ihnen nach Hause gekommen (AS 97), in der mündlichen Verhandlung jedoch, es seien vier bis fünf Männer gewesen sowie unmittelbar darauf wiederum, dass es vier Männer gewesen seien Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls). Vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, er sei während dieses Vorfalls von den Männern geschubst worden (AS 97), in der mündlichen Verhandlung jedoch, dass die Männer ihn erkannt und geschlagen hätten, er von einem Mann mit einem Gewehr geschlagen worden und hingefallen sei Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht nachvollziehbar erklären, was er damit gemeint habe, dass die Al Shabaab Männer ihn „erkannt“ hätten. So führte er an, sie hätten ihn erkannt, weil er Bücher in der Hand gehabt hätte und zufällig in diesem Zeitpunkt in das Haus gekommen sei sowie dass sie ihn schon vorher gekannt hätten bzw. dass sie ihn „instinktiv“ erkennen hätten können Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls).

Ferner gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt an, bei Nachbarn Hilfe geholt zu haben, als seine Mutter von den Al Shabaab angeschossen worden sei (AS 97), in der mündlichen Verhandlung jedoch, dass er gar nicht dabei gewesen sei, als seine Mutter angeschossen worden sei, sondern erst von der Schule zurückgekommen sei und seine Mutter bereits verletzt gewesen sei Sitzung 9, Sitzung 11 des Verhandlungsprotokolls). Auf Vorhalt dieses Widerspruchs in der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an zu glauben, dass der Dolmetscher dies vielleicht falsch übersetzt habe Sitzung 10 des Verhandlungsprotokolls). Dem widerspricht jedoch das Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt, dem zu entnehmen ist, dass dem Beschwerdeführer die Niederschrift rückübersetzt wurde und der Beschwerdeführer bestätigt hat, dass der Dolmetscher rückübersetzt hat, was der Beschwerdeführer gesagt habe, seine Angaben richtig und vollständig waren und er den Dolmetscher während der gesamten Einvernahme einwandfrei verstanden hat (AS 105).

Zudem machte der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben dazu, wie lange sich seine Mutter im Krankenhaus aufgehalten habe. Vor dem Bundesamt führt er an, sie habe sich zwei Wochen (AS 97), in der mündlichen Verhandlung dagegen, sie habe sich ca. vier Tage lang im Krankenhaus aufgehalten Sitzung 12 des Verhandlungsprotokolls), was doch einen erheblichen Unterschied ausmacht.

Der Beschwerdeführer konnte zudem den fluchtauslösenden Vorfall auch zeitlich nicht einordnen. Er gab in der mündlichen Verhandlung an, sich nicht an das Datum erinnern zu können und mit Daten nicht gut umgehen zu können Sitzung 9 des Verhandlungsprotokolls). Ferner gab er nach dem genauen Ablauf des Überfalls befragt lediglich an, dass es sehr schnell gegangen sei Sitzung 11 des Verhandlungsprotokolls). Selbst unter Berücksichtigung des jungen Alters des Beschwerdeführers, der im Entscheidungszeitpunkt minderjährig war und zum Zeitpunkt des Vorfalls im Jahr 2021 somit erst etwa 15 Jahre alt gewesen sein müsste, sollte der Beschwerdeführer dennoch dazu in der Lage sein, konkretere Angaben zu dem Vorfall und der ungefähren zeitlichen Einordnung – so etwa nach Jahreszeiten oder ungefähren Monaten – machen zu können. Auch die Dauer des Krankenhausaufenthaltes seiner Mutter hätte der Beschwerdeführer zumindest ungefähr einschätzen können müssen. Derartig zeitlich auseinanderliegende Angaben können nicht durch das junge Alter des Beschwerdeführers erklärt werden. Da der Beschwerdeführer im Zeitpunkt dieser Vorfälle 15 Jahre alt gewesen wäre, wäre anzunehmen, dass er zumindest die groben Eckpunkte des Vorfalls widerspruchsfrei schildern könnte, zumal es sich dabei um einschneidende Erlebnisse für den Beschwerdeführer gehandelt hätte.

Der Beschwerdeführer schilderte den Ablauf vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht jedoch gänzlich unterschiedlich. So gab er vor dem Bundesamt an, er sei gerade nach Hause gekommen, als vier Männer seinen Vater geschlagen hätten, seine Mutter habe geschrien, habe versucht, sich einzumischen, sie sei angeschossen worden, der Beschwerdeführer sei geschubst und sein Vater daraufhin entführt worden (AS 97). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er dagegen an, er sei nach Hause gekommen, habe seine verletzte Mutter gesehen, sie hätten seinen Vater mitgenommen und er habe danach mitbekommen, dass seine Mutter versucht habe, seinen Vater zu retten und sie sei dadurch verletzt worden. Während der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angab, dass vier Männer seinen Vater geschlagen hätten, gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, zwei Männer seien bei seinem Vater gewesen, hätten ihn festgehalten und versucht, ihn mit Gewalt mitzunehmen Sitzung 11 des Verhandlungsprotokolls).

Nicht plausibel ist auch, warum die Al Shabaab den Vater des Beschwerdeführers unter Zwang mitnehmen hätte sollen, den Beschwerdeführer selbst jedoch nicht, nur um ihn danach zu verfolgen und nach ihm zu suchen. Ebenso nicht plausibel ist die Angabe des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, er sei mit seiner Mutter nach deren Krankenhausaufenthalt nach Hause zurückgekehrt, obwohl diese von der Al Shabaab dort angeschossen worden sei und die Al Shabaab nach dem Beschwerdeführer gesucht habe Sitzung 13 des Verhandlungsprotokolls). Ein solches Vorgehen widerspricht den vom Beschwerdeführer angegebenen Verfolgungsbefürchtungen.

Widersprüchliche Angaben machte der Beschwerdeführer auch dazu, ob er von der Al Shabaab persönlich bedroht worden sei. Während er vor dem Bundesamt noch angab, nicht persönlich von der Al Shabaab bedroht worden zu sein (AS 99), gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, die Al Shabaab habe ihn persönlich bedroht, indem sie ihm eine Nachricht über das Handy seiner Mutter geschickt hätten Sitzung 13 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer gab dies in der mündlichen Verhandlung erstmalig an und unterließ es, genauere Angaben zum Inhalt dieser Nachricht zu machen. Er konnte in der Folge nicht glaubhaft machen, durch eine Nachricht persönlich von der Al Shabaab bedroht worden zu sein. Der Beschwerdeführer konnte durch seine Angaben auch nicht glaubhaft machen, von besonderem Interesse für die Al Shabaab zu sein bzw. gewesen zu sein. So gab er in der mündlichen Verhandlung lediglich an, dass die Al Shabaab junge Leute suche und diese manipulieren würde, sie gerne junge Leute rekrutieren würden und der Beschwerdeführer in die Rekrutierungszielgruppe fallen würde Sitzung 13 des Verhandlungsprotokolls). Es sind im Verfahren jedoch keine besonderen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Merkmale hervorgekommen, die dafür sprechen würden, dass die Al Shabaab besonderes Interesse daran haben könnte, den Beschwerdeführer zu rekrutieren.

Anzumerken ist zudem, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt angab, sein Problem habe bereits im Jahr 2021 bestanden, er sei jedoch erst im Jahr 2022 ausgereist. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, während dieser Zeit in Mogadischu gelebt zu haben (AS 99). Den Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in Mogadischu konnte nicht entnommen werden, dass er persönlich bedroht oder verfolgt worden sei, zumal er nur allgemein und vage angab, dass es dort oft Attentate gegeben habe Sitzung 13 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer gab auch an, keine Probleme bei der Ausreise aus Somalia gehabt zu haben Sitzung 14 des Verhandlungsprotokolls). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich in ganz Somalia bedroht oder verfolgt worden, so ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer sich ein weiteres Jahr in Somalia problemlos aufhalten könnte. Zudem führte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt an, den Ausreiseentschluss nicht selbst gefasst zu haben, sondern dass seine Mutter diesen für ihn gefasst habe, was ebenso gegen eine aktuelle Bedrohungs- oder Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Ausreise spricht (AS 95). Ferner ist auszuführen, dass es den Familienangehörigen des Beschwerdeführers möglich ist, nach wie vor unbehelligt in Somalia – so etwa in Mogadischu und Shalanbood - zu leben. Demnach kann davon ausgegangen werden, dass auch der Beschwerdeführer wiederum bei ihnen leben könnte ohne der Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein.

Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung auch an, aufgrund seiner Flucht aus dem Herkunftsstaat Repressalien zu befürchten Sitzung 14 des Verhandlungsprotokolls). Diese Angabe ist vor dem Hintergrund der Länderinformationen nicht zu objektivieren, denen keine Informationen dahingehend zu entnehmen sind, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren würden.

Zudem gab der Beschwerdeführer auch an, zwar den Hawiye und somit einem großen Clan anzugehören, jedoch sein Subclan sehr klein sei und er innerhalb des großen Clans diskriminiert werde und deshalb keinen Schutz erhalten würde Sitzung 14 des Verhandlungsprotokolls). Zwar kann dem Länderinformationsblatt entnommen werden, dass Angehörige „nobler“ Clans, wie etwa der Hawiye, die zahlenmäßig klein seien, als Minderheiten bezeichnet werden. Selbst unter Annahme der Diskriminierung des Sub-Clans des Beschwerdeführers in Somalia ist diesbezüglich festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren keine diesbezüglichen Verfolgungshandlungen behauptete bzw. nicht substantiiert geltend machte, aufgrund seiner Clanzugehörigkeit in asylrelevanter Weise verfolgt worden zu sein und dies auch nicht hervorgekommen oder etwa anhand der Länderberichte anzunehmen ist.

2.3. Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Jowhar in der Region Middle Shabelle. Nach den festgestellten Länderinformationen befindet sich Jowhar unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS. Jowhar kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Jowhar gilt als relativ ruhig. Dort befinden sich das Brigadekommando der burundischen ATMIS-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen. Es besteht daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass dem Beschwerdeführer in Jowhar aufgrund der volatilen Sicherheitslage schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen würden. Der Beschwerdeführer ist zudem in Jowhar geboren, ist dort aufgewachsen und lebte bis zum letzten Jahr vor seiner Ausreise dort. Dass er in Jowhar von der Al Shabaab bedroht oder verfolgt werde, konnte der Beschwerdeführer wie in Punkt römisch II.2.2. ausgeführt, nicht glaubhaft machen.

Der Beschwerdeführer wuchs in Jowhar auf und lebte dort bis ein Jahr vor seiner Ausreise. Er ist somit mit den Gegebenheiten in Jowhar vertraut. Auch von einer Unterstützung durch den Clan des Beschwerdeführers ist auszugehen, zumal der Beschwerdeführer im Verfahren keine dem entgegenstehenden Angaben machte. Den aktuellen IPC-Food-Insecurity-Lagerkarten zufolge wurde für Jowhar jedoch für die Monate September bis Dezember 2023 Stufe 3 („Crisis“) prognostiziert und kann mangels aktueller familiärer Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Jowhar nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer in einem IDP-Lager Unterkunft nehmen müsste.

Im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens sind jedoch keine Gründe hervorgekommen, weshalb der Beschwerdeführer nicht nach Mogadischu zurückkehren könnte. Aus den wiedergegebenen Länderberichten geht hervor, dass Mogadischu von der somalischen Regierung verwaltet wird. Es gibt ausreichend Sicherheitskräfte und eine etablierte Verwaltung; Regierungskräfte sind in allen Bezirken der Stadt präsent. Es gilt laut den zitierten Berichten als höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. Es besteht kein Risiko, von Al Shabaab in Mogadischu zwangsrekrutiert zu werden. Zudem ist Mogadischu – wie sich ebenfalls aus den Länderfeststellungen ergibt – auf dem Luftweg mit dem Flugzeug sicher erreichbar.

Überdies hat der Beschwerdeführer in Mogadischu Familienangehörige, da seine Mutter dort lebt. Er verfügt zudem über Unterstützungsmöglichkeiten durch seinen Onkel, der bereits die Ausreise des Beschwerdeführers organisierte und finanzierte (AS 95) und die Mutter des Beschwerdeführers nach wie vor unterstützt. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer ein Jahr vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat bei diesem leben. Zudem gab der Beschwerdeführer im Verfahren glaubhaft an, mit seiner Mutter und seinem Onkel nach wie vor in Kontakt zu stehen. Im Verfahren haben sich keine Gründe ergeben, die dagegensprechen würden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr nach Somalia von seiner Mutter und seinem Onkel unterstützt werden kann. Zwar entstammt der Beschwerdeführer keiner reichen Familie, er gab vor dem Bundesamt jedoch selbst an, dass seine Familie wirtschaftlich im unteren Mittelstand einzuordnen sei. Zudem gab der Beschwerdeführer an, in Somalia für einige Monate eine Privatschule besucht zu haben, was ebenso dafürspricht, dass die Familie des Beschwerdeführers wirtschaftlich zumindest so gut aufgestellt ist, dass sie den Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr nach Somalia finanziell unterstützen kann.

Ferner ist kein Grund ersichtlich, weshalb der junge und gesunde sowie arbeitsfähige Beschwerdeführer, der zuletzt in der Landwirtschaft seiner Familie arbeitete, nach seiner Rückkehr nicht am Erwerbsleben teilnehmen könnte und so seinen Unterhalt bestreiten könnte. Den aktuellen IPC-Food-Insecurity-Lagekarten zufolge wurde für Mogadischu für die Monate Oktober bis Dezember 2024 Stufe 2 („Stressed“) prognostiziert und ist aufgrund der familiären Anknüpfungspunkte, über die der Beschwerdeführer verfügt, nicht davon auszugehen, dass er real Gefahr läuft, in einem der IPD-Lager, für die Stufe 3 („Crisis“) prognostiziert wurde, zu landen. Diese Einstufung bedeutet, dass für zumindest 20% der Haushalte der Lebensmittelkonsum zwar reduziert, aber ausreichend ist, ohne dass sie sich auf irreversible Bewältigungsstrategien einlassen müssen. Im Vergleich mit der vergangenen Periode hat sich insoweit die Lage für Mogadischu verbessert. Weiters ist zu beachten, dass nach den IPC-Stufen definitionsgemäß nicht (notwendigerweise) die gesamte Bevölkerung von den jeweiligen Versorgungsschwierigkeiten betroffen ist, sondern die jeweilige Stufe bereits dann erreicht wird, wenn zumindest ein Fünftel der Bevölkerung diese Schwierigkeiten aufweist. Eine Verschlechterung der IPC-Einstufung Mogadischus ist im Verfahren nicht hervorgekommen und ergibt sich auch aus den aktuellen Länderinformationen nicht. Auch eine Unterstützung durch Angehörige seines Clans ist möglich. Aus den Länderfeststellungen ist ersichtlich, dass in Mogadischu Angehörige aller Clans leben. Aus den Länderberichten geht zudem hervor, dass in Mogadischu auch ungelernten Arbeitskräften eine Vielzahl an Jobs zur Verfügung stehen.

Als Angehöriger des Subclans der Galgalo ist der Beschwerdeführer zudem dem „noblen“ Clan der Hawiye zuzurechnen (wie sich etwa aus den Länderinformationen Kapitel „Politische Lage“ Unterkapitel „HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)“ ergibt). In Mogadischu spielen die Hawiye/Abgaal sowie die Hawiye/Habr Gedir und die Hawiye/Murusade aufgrund der Bevölkerungsstruktur auch weiterhin eine dominierende Rolle und verfügen über eine herausragende Machtposition. Auch wenn der Beschwerdeführer keinem Subclan in Mogadischu mit „herausragender Machtposition“ angehört, so ist er dennoch Angehöriger einer der großen Clanfamilien in Somalia, welche auch in Mogadischu maßgeblichen Einfluss besitzt. Außerdem leben in Mogadischu Angehörige aller somalischen Clans und auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (siehe das Kapitel „Politische Lage“ Unterkapitel „Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)“ und Kapitel „Minderheiten und Clans“ Unterkapitel „Bevölkerungsstruktur“). Auch angesichts der dargelegten persönlichen Umstände des Beschwerdeführers ist im konkreten Fall kein erhöhtes Risiko zu erkennen. Dazu kommt, dass laut den Länderinformationen das eigentliche soziale Sicherungsnetz die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan bildet. Braucht eine Person eines Clans Hilfe, so ist diese auch nicht verhandelbar und muss verpflichtend erfolgen. Mittels einer Art Fundraising" (Qaraan) werden Gelder gesammelt, um zB. auch die Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung (Kapitel „Grundversorgung/Wirtschaft“ Unterkapitel „Grundversorgung und humanitäre Lage“). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger eines Mehrheitsclans, sowie in Anbetracht des Vorhandenseins verwandtschaftlicher Beziehungen, nämlich der Mutter und des Onkels, die notwendige Unterstützung durch diese erhalten kann, um sich ein eigenständiges Leben in Mogadischu aufzubauen. Zur Überwindung allfälliger Anfangsschwierigkeiten kann der Beschwerdeführer überdies Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen (siehe das Unterkapitel „Rückkehrspezifische Grundversorgung“ im Kapitel „Grundversorgung/Wirtschaft“). Angesichts seiner persönlichen Situation und der Unterstützungsmöglichkeit durch seine Mutter und seinen Onkel vor Ort besteht daher keine Gefahr, dass der Beschwerdeführer auf die Versorgung in einem IDP-Lager angewiesen wäre bzw. gezwungen wäre, sich in einem Lager für Binnenvertriebene niederzulassen.

Der Beschwerdeführer würde daher bei einer Rückkehr nach Somalia – konkret nach Mogadischu – unter Berücksichtigung seiner individuellen Umstände sowie der in Mogadischu herrschenden ausreichend stabilen Sicherheits- und Versorgungslage nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und es wäre ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

Schließlich geht aus den wiedergegebenen Länderberichten ein Rückkehrprogramm für Somalia hervor, welches Rückkehrern EUR 500,- an Bargeld sowie EUR 2.800,- an Sachleistungen – etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung, für Bildungsmaßnahmen, Beratung oder situationsspezifischer Unterstützung vor Ort – bietet. Es werden zudem von der Organisation IRARA in Kooperation mit Frontex Leistungen bei der Ankunft (Abholung vom Flughafen, Unterstützung bei der Weiterreise, temporäre Unterkunft etc.) sowie auch langfristige Unterstützung angeboten.

2.4. Dass der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat im Jahr 2023 mit dem Flugzeug verließ, im März 2023 unrechtmäßig ins Bundesgebiet einreiste und am 26.03.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich aus seinen im Verfahren getätigten Angaben. Die Feststellungen zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich zudem unstrittig aus dem Zeitpunkt seiner Asylantragstellung.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist und Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, war einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister und einer amtswegig vorgenommenen Einsichtnahme in das Betreuungsinformationssystem des Bundes zu entnehmen.

Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen waren anhand seiner Aussagen im Verfahren sowie der von ihm vorgelegten Unterlagen zu treffen. Er gab im Verfahren gleichbleibend an, im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen, nicht Mitglied eines Vereins oder einer sonstigen Organisation zu sein sowie keine in Österreich aufhältigen Verwandten oder Familienangehörige zu haben. Dass er über enge soziale Bindungen verfügt, brachte er nicht vor und kam im Verfahren nicht hervor. Demnach war festzustellen, dass er in Österreich nicht auf maßgebliche Weise am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Leben teilnimmt.

2.5. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich auf das vom Bundesverwaltungsgericht im Zuge der Ladung zur Beschwerdeverhandlung ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.01.2025, Version 7. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln. Der Beschwerdeführer ist den Berichten auch nicht substantiiert entgegengetreten und hat eine fallrelevante wesentliche Änderung nicht behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

3.1.1. Gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974, (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ vergleiche VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vergleiche VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird vergleiche VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine ihm in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen landesweit drohende Verfolgung nicht glaubhaft gemacht hat:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel eins, Abschnitt A Ziffer 2, der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des Beschwerdeführers über eine Bedrohung oder Verfolgung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Ebenso wenig kam eine asylrelevante Diskriminierung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Sub-Clan der Galgalo hervor. Sonstige Gründe einer aktuellen, asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia aus Konventionsgründen.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. In allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen kann keine Verfolgung gesehen werden vergleiche VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605) und ist auch eine existenzgefährdende Schlechterstellung des Beschwerdeführers aus Gründen der GFK nicht ersichtlich.

3.1.4. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert, und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch eins. als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

3.1.2.1. Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt bei der Prüfung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Artikel 3, EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Artikel 3, EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Artikel 3, EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Artikel 3, EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (stRSpr, jüngst VwGH 25.09.2023, Ra 2023/19/0297).

Die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des Paragraph 8, Absatz eins, AsylG 2005 stellt eine rechtliche Beurteilung dar, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat (VwGH 21.05.2019, Ra 2018/19/0127).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Artikel 2, oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen vergleiche VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).

In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hinzuweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Artikel 3, EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde vergleiche etwa VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, römisch eins gegen Schweden, Nr. 61 204/09). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

3.1.2.2. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt 19 Jahre alt und gesund ist. Er wurde in Mogadischu geboren und ist in Jowhar aufgewachsen, wo er bis ein Jahr vor seiner Ausreise lebte. Im letzten Jahr vor seiner Ausreise lebte er in Mogadischu bei seinem Onkel. Aktuell lebt seine Mutter in Mogadischu und wird vom Onkel des Beschwerdeführers unterstützt. Auch der Großvater des Beschwerdeführers lebt in Somalia. Der Beschwerdeführer kann daher im Falle einer Rückkehr auf ein bestehendes familiäres Netzwerk zurückgreifen.

Zudem haben sich im Verfahren keine Gründe ergeben, die dagegen sprechen würden, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr nach Somalia einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Der Beschwerdeführer hat in Somalia zudem die Koranschule sowie für einige Monate eine Privatschule besucht. Eine Erwerbstätigkeit in Mogadischu zu finden wäre dem Beschwerdeführer somit jedenfalls möglich. Es wird berücksichtigt, dass Somalia in weiten Landesteilen damit kämpft, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Im Fall des Beschwerdeführers ist aber aufgrund der allgemein ausreichend stabilen Sicherheits- und Versorgungslage in Mogadischu unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Beschwerdeführers wie insbesondere familiäres und soziales Netz und eine Basis-Schulbildung nicht davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde oder ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werde. Der Beschwerdeführer kann im Fall seiner Rückkehr die Grundbedürfnisse menschlicher Existenz abdecken.

Dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt. Auch wenn Al Shabaab in Mogadischu nach wie vor Anschläge verüben kann, so sind diese nicht gegen Einzelpersonen, sondern überwiegend gegen die Regierung und mit diesen in Zusammenhang stehende Einrichtungen gerichtet. Es ist dem Beschwerdeführer daher zuzumuten, dass er gefährdete Zonen meidet und sich entsprechend in der Stadt bewegt, wie er dies auch vor seiner Ausreise getan hat. Es ist somit nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in seiner Herkunftsregion von Akten willkürlicher Gewalt betroffen sein wird, durch die er einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit ausgesetzt wäre.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist daher in der geforderten Gesamtbetrachtung somit nicht zu erkennen, dass dieser im Fall einer Rückkehr nach Somalia in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Somalia, in seine Herkunftsregion, möglich ist.

Aufgrund dieser Ausführungen war daher auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch III.:

Gemäß Paragraph 58, Absatz eins, Ziffer 2, AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß Paragraph 57, Absatz eins, AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (Paragraph 17, StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des Paragraph 73, StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach Paragraphen 382 b, oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit März 2023 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er war nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies auch weder im Verfahren noch in der Beschwerde behauptet wurde.

3.1.4. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt römisch IV.:

Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß Paragraph 61, FPG, eine Ausweisung gemäß Paragraph 66, FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß Paragraph 67, FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (Paragraph 9, Absatz eins, BFA-VG).

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8, EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Absatz eins, auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (Paragraphen 45 und 48 oder Paragraphen 51, ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz [NAG], Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 100 aus 2005,) verfügen, unzulässig wäre.

Nach Artikel 8, Absatz eins, EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Artikel 8, MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des Paragraph 9, BFA-VG 2014 zu prüfen. Nach dessen Absatz eins, ist nämlich (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FrPolG 2005, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Artikel 8, Absatz 2, MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus Paragraph 9, Absatz 3, BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (stRSpr, jüngst VwGH 29.06.2023, Ra 2022/21/0139).

Vom Prüfumfang des Familienlebens sind nicht nur die Kleinfamilie mit den Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten umfasst, es können auch andere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese eine gewissen Intensität erreichen, umfasst sein. Als Kriterien kommen hierfür etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Artikel 8, Absatz eins, EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen vergleiche VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093).

Da der Beschwerdeführer überhaupt keine Familienangehörigen in Österreich hat, stellt die Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers dar.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen:

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen vergleiche EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. Gegen Lettland, Appl. 60.654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Artikel 8, EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist vergleiche Thym, EuGRZ 2006, 541).

Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus vergleiche Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, „dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich beträgt zum Entscheidungszeitpunkt ein Jahr und ca. zehn Monate; ihr kommt im Lichte der obigen Ausführungen daher kein maßgebliches Gewicht zu. Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ erscheinen zu lassen vergleiche VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Ziffer 85, f.).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne des Artikel 8, Absatz 2, EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß aufgrund ihrer Asylantragstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, 2007/01/0479).

Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthalts in Österreich bemüht war, sich in die Gesellschaft zu integrieren, da er Deutschkurse besucht hat und über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt. Eine überdurchschnittliche Integration kann darin jedoch nicht erkannt werden und musste ihm die Unsicherheit seines Aufenthalts aufgrund des noch laufenden Verfahrens bewusst sein.

Für den Beschwerdeführer bedeutet dies, dass in familiärer Hinsicht seine bestehenden Beziehungen zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat sowie sein fehlendes Familienleben in Österreich, hinsichtlich seines Privatlebens die recht kurze Aufenthaltsdauer von einem Jahr und fünf Monaten in Österreich, keine maßgeblichen privaten Bindungen und im Gegenzug seine Sozialisation und Sprachkenntnis in Somalia gegen einen Verbleib in Österreich sprechen. Dadurch, dass der Beschwerdeführer in Somalia sozialisiert wurde, er dort Schulbildung erhalten, Erfahrung im Arbeitsleben gesammelt hat und über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, sowie durch Erwerbstätigkeit, allenfalls durch Annahme von Gelegenheitsarbeiten, bei einer Rückkehr seine Existenz grundsätzlich zu sichern imstande ist, führt die Rückkehrsituation zu keinem Überwiegen der Interessen an einem Verbleib in Österreich.

Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keine maßgeblichen familiären, beruflichen oder sozialen Bindungen. Seine gesetzten Integrationsschritte sind nicht überdurchschnittlich. Außerhalb des gegenständlichen Asylverfahrens kommt ihm im Bundesgebiet keine Aufenthaltsberechtigung zu. In einer Gesamtbetrachtung ist daher davon auszugehen, dass im Falle des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer ein nur geringer Grad an Integration erreicht worden ist. Die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens in Österreich ist aufgrund des Umstandes, dass er seinen Aufenthalt auf einen im Ergebnis nicht berechtigten Antrag auf internationalen Schutz gestützt hat, nur in geringem Maße gegeben.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden ist, bewirkt keine Erhöhung des Gewichtes der Schutzwürdigkeit von persönlichen Interessen an einem Aufenthalt in Österreich, da das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen darstellen vergleiche VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

Nach Maßgabe einer Interessenabwägung im Sinne des Paragraph 9, BFA-VG ist davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß Paragraph 9, Absatz 2, BFA-VG in Verbindung mit Artikel 8, EMRK dar.

3.1.5. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch fünf. und römisch VI.:

Gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß Paragraph 46, FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Nach Paragraph 50, Absatz eins, FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Artikel 2, oder Artikel 3, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Bundesgesetzblatt Nr. 210 aus 1958,, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Nach Paragraph 50, Absatz 2, FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Artikel 33, Ziffer eins, der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 55 aus 1955,, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Bundesgesetzblatt Nr. 78 aus 1974,), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (Paragraph 11, AsylG 2005).

Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des Paragraph 50, FPG ergeben würde.

Gemäß Paragraph 55, Absatz eins, FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach Paragraph 55, Absatz 2, FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Dies, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Derartige Gründe wurden im Verfahren nicht vorgebracht und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine längere Frist erforderlich machen würden. Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Abschiebung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, war auch die Beschwerde gegen die Spruchpunkte römisch fünf. und römisch VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchteil B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Artikel 133, Absatz 4, erster Satz B-VG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr. 51 aus 2012, ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen hier allein in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedstaat, die auf den umfassenden und aktuellen Feststellungen des Bundesamtes über die Lage im Vertragsstaat beruht sowie in der Bewertung des Gesundheitszustandes sowie der Intensität des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:BVWG:2025:W268.2286986.1.01