Bundesverwaltungsgericht
27.12.2024
W241 2209827-2
W241 2209827-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von römisch 40 , geb. römisch 40 , StA. Iran, vertreten durch die BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2024, Zl. 1101872306-241271241, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG und 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
römisch eins. Verfahrensgang:
Erstes Verfahren:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF) aus dem Iran brachte am 13.01.2016 einen Antrag gemäß Paragraph 2, Absatz eins, Ziffer 13, AsylG ein.
2. In der Erstbefragung am 13.01.2016 gab der BF als Fluchtgrund an, im Iran gebe es keine Arbeit, man dürfe seine Meinung nicht frei sagen. Man müsse dort immer lügen, deshalb wolle er ein Land suchen, in dem er in Ruhe leben könne, ohne dass er ständig aufpassen müsse.
3. Nachdem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (in der Folge BVwG) vom 13.12.2016 der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) vom 12.10.2016, mit welchem der Antrag auf internationalen Schutz des BF als unzulässig zurückgewiesen und dessen Außerlandesbringung nach Kroatien angeordnet worden war, behoben worden war, wurde der BF am 06.02.2017 und 17.10.2018 durch das BFA einvernommen.
Dabei gab er an, dass er seit 2 Jahren und 6-7 Monaten Christ wäre. Sein Leben wäre im Iran in Gefahr gewesen, weil Konversion mit dem Tod bestraft werden würde. In Österreich besuche er eine Kirche.
4. Mit Bescheid vom 15.10.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt römisch eins.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt römisch II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, sondern gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkte römisch III. bis römisch fünf.). Unter Spruchpunkt römisch VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Begründend führte das BFA aus, dass der BF nicht habe glaubhaft machen können, dass er zum Christentum konvertiert sei. Es drohe dem BF auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde und er verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
5. Der BF erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.
6. Das BVwG führte am 23.06.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
7. Die eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 28.10.2020, Zahl W183 2209827-1/23E, abgewiesen.
Zweites Verfahren:
8. Am 22.12.2021 stellte der BF einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht bleiben würden. Er wolle angeben, dass er seit eineinhalb Jahren homosexuell sei und deswegen nicht mehr in den Iran zurückkehren könne. Dort würde man ihn aufgrund seiner sexuellen Orientierung sofort umbringen.
9. In den Einvernahmen vor dem BFA brachte der BF zusammengefasst vor, dass er in Österreich eine Beziehung mit einem Mann geführt hätte und sein Leben im Iran in Gefahr sei, weil er jetzt Christ wäre.
10. Mit Bescheid des BFA vom 12.01.2023, Zl. 1101872306/211990505, wurde der zweite Antrag des BF gemäß Paragraph 3, Absatz eins, AsylG abgewiesen und der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt römisch eins.). Gemäß Paragraph 8, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG wurde der Satus des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen (Spruchpunkt römisch II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Z3 AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt römisch IV.) und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran gemäß Paragraph 46, FPG zulässig sei (Spruchpunkte römisch III., römisch IV und römisch fünf.). Gemäß Paragraph 55, Absatz eins bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt römisch VI.).
Begründend führte das BFA aus, dass der BF sein Vorbringen nicht habe glaubhaft machen können.
Diese Entscheidung erwuchs mit 18.02.2023 in Rechtskraft.
11. Am 26.03.2023 wurde über den BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgift die Untersuchungshaft angeordnet.
Der BF wurde am 01.08.2023 vom einem Landesgericht für Strafsachen wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach Paragraph 27, Absatz eins, Ziffer eins,, 8. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten bedingt verurteilt. Die Zeit in Untersuchungshaft (26.03.2023 bis zum 01.08.2023 in JA Josefstadt) wurde ihm angerechnet.
Drittes Verfahren:
12. Am 07.08.2023 stellte der BF beim BFA einen dritten Antrag auf internationalen Schutz.
13. Bei der niederschriftlichen Erstbefragung am 07.08.2023 gab der BF an, dass seine bisherigen Fluchtgründe nach wie vor bestehen würden. Er sei Christ und bereits damals im Iran vom Islam zum Christentum konvertiert. Im Iran werde Konversion mit dem Tode bestraft. Ich wäre vor ca. einem Jahr getauft worden, eine Rückkehr in den Iran wäre sehr gefährlich für ihn.
14. In der Einvernahme am 11.10.2023 vor dem BFA gab der BF zusammengefasst an, er seinen dritten Antrag erneut mit seiner Konversion begründen und es keine neue Fluchtgründe geben würde.
15. Mit Bescheid des BFA vom 20.11.2023 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.). Eine Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.). Gemäß Paragraph 10, Absatz eins, Ziffer 3, AsylG in Verbindung mit Paragraph 9, BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß Paragraph 52, Absatz 2, Ziffer 2, FPG erlassen und gemäß Paragraph 52, Absatz 9, FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran gemäß Paragraph 46, FPG (Spruchpunkt römisch IV.) zulässig sei. Gemäß Paragraph 55, Absatz eins a, FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt römisch fünf.) nicht gewährt. Gemäß Paragraph 53, Absatz eins, in Verbindung mit Absatz 2, FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt römisch VI.) erlassen.
Der Bescheid vom 20.11.2023 erwuchs mit 05.12.2023 in Rechtskraft.
16. Am 16.01.2024 langte ein Aufnahmegesuch der Behörden von Deutschland ein. Aus dem Schreiben geht hervor, dass der BF in Deutschland am 28.11.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Am 22.01.2024 stimmte Österreich dem Ansuchen der Behörden von Deutschland zu.
Eine am 19.06.2024 geplante Überstellung musste storniert werden, da der BF flüchtig war, die Überstellungsfrist wurde auf 18 Monate verlängert.
Der BF wurde am 22.08.2024 von Deutschland nach Österreich überstellt.
Viertes, gegenständliches Verfahren:
17. Der BF stellte am 22.08.2024 einen vierten Antrag auf internationalen Schutz.
18. Im Zuge seiner Erstbefragung am 22.08.2024 gab der BF als Grund für seine neuerliche Asylantragstellung an, dass seine alten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Er werde im Iran wahrscheinlich umgebracht, er sei ein Christ.
18. In seinen Einvernahmen durch das BFA am 04.09.2024 und 25.09.2024 gab der BF an, dass es keine neuen Fluchtgründe gäbe. Er habe nur ein Problem, seine Konversion zum Christentum. Er hätte viele Sachen erzählen können, die nicht der Wahrheit entsprechen würden, wolle aber bei der Wahrheit bleiben. Die Wahrheit sei, dass er wegen der Konversion im Iran verfolgt werde. Mittlerweile sei er schon lange in Österreich. Das sei und werde auch in Zukunft sein Fluchtgrund bleiben.
Sein Vater, ein muslimischer Extremist, hätte bisher nicht gewusst, dass er zum Christentum konvertiert sei. Jetzt habe er es erfahren und das sei ein großes Problem. Er wäre sozusagen von der Familie ausgeschlossen und vom Vater bedroht worden. Er werde im Falle einer Rückkehr in den Iran dafür sorgen, dass der BF bestraft werde.
19. Mit gegenständlichem Bescheid des BFA vom 17.10.2024 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entscheidender Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte römisch eins. und römisch II.). Der BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt römisch III.).
Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der BF nach wie vor auf Rückkehrhindernisse berufe, welche bereits im Kern in seinen Vorverfahren zur Sprache gebracht worden seien.
20. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die im Wege seiner Rechtsvertretung am erhobene Beschwerde in vollem Umfang.
römisch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Aufgrund jener der Entscheidung zugrundeliegenden Akten des BFA sowie des BVwG steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Der BF ist Staatsbürger des Iran.
Der BF hat im Bundesgebiet einen Bruder, die restliche Familie lebt im Iran. Er ist ledig und hat keine Kinder. Der BF hat Kontakt zu seiner Mutter im Iran.
Er reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.01.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid vom 15.10.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Mit Erkenntnis des BVwG vom 28.10.2020, Zahl W183 2209827-1/23E, wurde die dagegen erhobene Beschwerde rechtskräftig als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF nicht glaubhaft gemacht habe, dass er ernstlich und aus innerem Entschluss zum Christentum konvertiert sei, und dass es sich bei der vorgebrachten Konversion um eine Scheinkonversion handle.
Der BF stellte am 22.12.2021 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und gab an, weiterhin aufgrund seiner Konversion im Iran verfolgt zu werden. Darüber hinaus sei er homosexuell, was ebenfalls ein Verfolgungsgrund sei.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 12.01.2023, Zl. 1101872306/211990505, negativ abgeschlossen. Diese Entscheidung erwuchs mit 18.02.2023 in Rechtskraft.
In der Folge stellte der BF am 07.08.2023 einen dritten Asylantrag.
Mit Bescheid des BFA vom 20.11.2023 wurde dieser dritte Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung gemäß Paragraph 57, AsylG wurde nicht erteilt, ferne wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und gegen den BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Der Bescheid vom 20.11.2023 erwuchs mit 05.12.2023 in Rechtskraft.
Der BF stellte am 22.08.2024 den gegenständlichen vierten Antrag auf internationalen Schutz und stützte diesen auf die gleichen Fluchtgründe, die er bereits in den drei Vorverfahren geltend gemacht hatte, nämlich eine Gefährdung aufgrund seiner Konversion. Dies sei jetzt erst seiner Familie bekannt geworden, und sein Vater habe ihn nunmehr bedroht.
1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des zweiten Antrages mit Bescheid des BFA vom 12.01.2023, Zl. 1101872306/211990505, ergeben hätte.
Das Vorbringen des BF weist keinen glaubhaften Kern auf. Es ergab sich zwischenzeitlich auch weder eine entscheidungsmaßgebliche Änderung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen. In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
1.3. Der Gesundheitszustand des BF hat sich ebenfalls seit rechtskräftiger Erledigung des Antrages mit Bescheid des BFA vom 12.01.2023 nicht entscheidungswesentlich verändert. Der BF leidet aktuell an keinen physischen oder psychischen Erkrankungen oder Gebrechen. Er befindet sich nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente.
1.4. In Übereinstimmung mit den Feststellungen im gegenständlichen Bescheid des BFA wird zur Lage im Herkunftsstaat des BF festgestellt (gekürzt durch das BVwG):
Politische Lage
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (FAZ 24.3.2023). Sie kombiniert republikanisch-demokratische Elemente mit einem theokratischen System, wobei die theokratischen Aspekte die republikanischen Prinzipien größtenteils überschatten und untergraben (BS 19.3.2024). Das Kernkonzept der Verfassung ist die "Rechtsgelehrtenherrschaft" (velayat-e faqih). Nach schiitischem Glauben gibt es einen verborgenen Zwölften Imam, den als Erlöser am Jüngsten Gericht von Gott gesandten Muhammad al-Mahdi (BPB 10.1.2020). Gemäß diesem Prinzip soll ein schiitischer Theologe praktisch in Stellvertretung des seit dem Jahr 874 in Verborgenheit weilenden Mahdi agieren und die Geschicke des Gemeinwesens lenken (BAMF 5.2022). Darauf aufbauend schuf Ajatollah Ruhollah Khomeini 1979 ein auf ihn zugeschnittenes Amt, das über allen gewählten Organen steht und somit die republikanischen Verfassungselemente des Präsidenten und des Parlaments neutralisiert: das Amt des "Herrschenden Rechtsgelehrten" (vali-ye faqih), dessen Inhaber auch "Revolutionsführer" (rahbar) genannt wird. Der Revolutionsführer übt quasi stellvertretend für den Zwölften Imam bis zu dessen Rückkehr die Macht aus (BPB 10.1.2020).
Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.3.2024), ist höchste Autorität des Landes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennt den Leiter des Justizwesens sowie des staatlichen Rundfunks und die Mitglieder des Schlichtungsrats (FH 2024). Ihm unterstehen auch die Islamischen Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inkl. der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. In der Hand religiöser Stiftungen und der "Garden" liegen mächtige Wirtschaftsunternehmen, die von der infolge der US-Sanktionen wachsenden Schattenwirtschaft profitieren (ÖB Teheran 11.2021). Die ultimative Macht liegt trotz der in der Islamischen Republik Iran abgehaltenen Wahlen in den Händen des Obersten Führers und den nicht gewählten Institutionen unter seiner Kontrolle. Diese Institutionen, einschließlich der Sicherheitskräfte und der Justiz, spielen eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung von abweichenden Meinungen und anderen Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten. Nach den Anti-Regierungs-Protesten unter dem Motto "Frau, Leben, Freiheit", die durch den Tod von Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei im Jahr 2022 ausgelöst worden waren, haben die iranischen Behörden mit ausgedehnten Maßnahmen durchgegriffen (FH 2024). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Die Revolutionsgarden, die direkt Revolutionsführer Khamenei unterstehen, bleiben selbst ein militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor (AA 30.11.2022).
Entscheidende Gremien sind der vom Volk direkt gewählte Expertenrat sowie der Wächterrat (ÖB Teheran 11.2021). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 14.3.2024). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen (ÖB Teheran 11.2021). Er sollte die Arbeit des Revolutionsführers kontrollieren. In der Praxis scheint er die Entscheidungen des Revolutionsführers jedoch nicht herauszufordern (FH 2024). Der Expertenrat wird zwar direkt von der Bevölkerung gewählt, jedoch müssen die Kandidaten zunächst vom Wächterrat bestätigt werden (BS 19.3.2024). Sechs der zwölf Mitglieder des Wächterrats sind vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (ÖB Teheran 11.2021), er überwacht die Übereinstimmung der vom Parlament verabschiedeten Gesetze mit dem islamischen Recht (Scharia) (BS 19.3.2024), ist jedoch noch wesentlich mächtiger (ÖB Teheran 11.2021). Er entscheidet, wer bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen antreten darf (BS 19.3.2024). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2020).
Der Präsident ist nach dem Revolutionsführer der zweithöchste Amtsträger im Staat. Er bildet ein Regierungskabinett, das vom Parlament bestätigt werden muss (FH 2024). Das iranische Regierungssystem ist damit ein semipräsidiales und an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021), der jeweils für zwei hintereinanderfolgende Amtszeiten zur Wahl antreten darf (FH 2024). Der Präsident ist für das tagespolitische Geschäft zuständig und hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Innen- und Außenpolitik des Landes (BBC 8.10.2022). Seine Macht ist allerdings vergleichsweise beschränkt, vor allem in Sicherheitsfragen (BBC 8.10.2022; vergleiche BPB 10.1.2020). Die Befugnisse des gewählten Präsidenten werden durch den Revolutionsführer und andere nicht gewählte Behörden eingeschränkt (FH 2024), wie auch durch das Parlament (BBC 8.10.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Das Parlament ist die gesetzgebende Institution Irans. Allerdings muss bei Gesetzesvorhaben die Vereinbarkeit mit der islamischen Rechtstradition beachtet werden. Gesetzesvorschläge kommen von den Ministern oder den Abgeordneten (DW 16.6.2021). Ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz kann vom Wächterrat so lange an das Parlament zurückverwiesen werden, bis es seinen Vorstellungen entspricht (DW 16.6.2021; vergleiche FH 2024). Der Wächterrat weist oftmals Gesetze zurück, die er als "unislamisch" ansieht (FH 2024). Die Bewerber um einen Parlamentssitz erhalten ihre Unterstützung nicht von Parteien, sondern von klerikalen und wirtschaftlichen Interessengruppen (DW 16.6.2021; vergleiche FP 7.3.2024).
Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (AA 14.3.2024), die der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ebrahim Raisi mit mehr als 62 % der Stimmen gewonnen hat (Standard 19.6.2021). Der Wettbewerb um die Wählerstimmen war stark manipuliert. Der Wächterrat hatte im Vorfeld die meisten der 600 Präsidentschaftskandidaten - darunter auch 40 Frauen - abgelehnt. Drei der genehmigten Kandidaten zogen ihre Kandidatur wenige Tage vor der Wahl zurück. Die Behörden übten auf die Medien Druck aus, um kritische Berichterstattung über Raisi oder den Wahlvorgang zu verhindern (FH 2024). Nachdem Raisi am 19.5.2024 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam (Standard 20.5.2024), wurden für den 28.6.2024 Neuwahlen angesetzt (Zeit Online 20.5.2024). Der Wächterrat hat unter 80 Bewerbern sechs Kandidaten zur Wahl zugelassen (Tagesschau 9.6.2024). Ausgeschlossen wurden vor allem Bewerber, die als moderat oder reformorientiert gelten (BAMF 10.6.2024), auch wenn mit Massoud Pezeshkian ein Kandidat antreten durfte, der den Reformisten zugerechnet wird (IRINTL 12.6.2024; vergleiche Guardian 11.6.2024). Laut Medienberichten hat die iranische Presseaufsichtsbehörde im Vorfeld der vorgezogenen Präsidentschaftswahlen Richtlinien für die Berichterstattung und Veröffentlichung von Medieninhalten zur Wahl erlassen. Es wurde angekündigt, dass sämtliche Inhalte, die darauf abzielen würden, die Wahlbeteiligung negativ zu beeinflussen, sowie jegliche Form der Organisation von Protestversammlungen als kriminell eingestuft würden. Die Richtlinien würden insbesondere auch für soziale Medien gelten (BAMF 10.6.2024).
Am 1.3.2024 fanden zuletzt Parlamentswahlen statt, wobei der Wettbewerb im Wesentlichen zwischen Hardlinern und unauffälligen Konservativen stattfand, die alle ihre Loyalität zu den revolutionären Idealen bekundeten, während einflussreiche Gemäßigte und Konservative der Wahl fernblieben und Reformisten die Wahl als nicht frei und unfair bezeichneten (REU 4.3.2024; vergleiche FP 7.3.2024). Der dafür zuständige Wächterrat hatte im Vorfeld massenhaft Kandidaten disqualifiziert (Standard 4.3.2024; vergleiche IRINTL 23.1.2024) und die Namen der schlussendlich antretenden Kandidaten wurden weniger als zwei Wochen vor der Wahl bekannt gegeben. Der Wahlkampf dauerte nur zehn Tage, sodass die Wähler wenig Zeit hatten, um die Kandidaten kennenzulernen (NYT 28.2.2024). Aktivisten wie auch Oppositionsgruppen haben im Vorfeld zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen (REU 4.3.2024; vergleiche NYT 28.2.2024), was auch zu Verhaftungen geführt hat (Standard 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung lag landesweit bei 41 %, was die niedrigste Wahlbeteiligung bei einer Parlamentswahl seit 1979 darstellt (2020 lag die Wahlbeteiligung bei 42,5 %, 2016 bei rund 62 %) (REU 4.3.2024). Die Wahlbeteiligung wird sowohl von Anhängern als auch Kritikern der Regierung als Gradmesser für die Legitimität des Regimes angesehen (NYT 28.2.2024).
Am 1.3.2024 wurde auch der Expertenrat neu gewählt (Standard 4.3.2024; vergleiche REU 4.3.2024). Die Wahlen wurden vom Regime dafür genützt, den Expertenrat zu verjüngen (Standard 4.3.2024). Die 88 Mitglieder des auf acht Jahre gewählten Gremiums bestimmen den religiösen Führer, eine Aufgabe, von der angenommen wird, dass sie der Expertenrat in Anbetracht des gesundheitlichen Zustands des 84-jährigen Ayatollahs Khamenei in dieser Amtszeit auch wahrnehmen wird müssen. Durch die Auswahl der zur Wahl stehenden Kandidaten wurde sichergestellt, welche politische Richtung gewinnt. Es wurden nur Kandidaten im Sinne Khameneis und seines islamistischen geistlichen Erbes zugelassen, von denen erwartet wird, dass sie im Fall seines Ablebens "keine Schwierigkeiten machen" und nicht auf reformerische Ideen kommen (Standard 4.3.2024; vergleiche Tagesschau 11.2.2024).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 30.11.2022; vergleiche FH 2024). In kaum einem anderen Land des Nahen Ostens kam es jedoch zu derart umkämpften Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die bestehenden programmatischen Differenzen zwischen prinzipientreuem Klerus und neokonservativen Technokraten, wirtschaftsliberalen Pragmatikern und klerikalen oder gar säkularen Reformern spiegelten einen Pluralismus in Iran wider, der allerdings phasenweise aufs Schärfste bedroht war (BPB 31.1.2020b). Die Wahlen in Iran waren einst hart umkämpft, mit Kandidaten aller großen politischen Parteien auf dem Stimmzettel. Die Ergebnisse waren unvorhersehbar und die Wahlbeteiligung war hoch. In den letzten Jahren hatten die Wähler jedoch nur noch die Möglichkeit, zwischen konservativen Kandidaten zu wählen (NYT 28.2.2024). Der Tod von Mahsa Amini im September 2022, der weitverbreitete Proteste auslöste, fand bereits im Kontext einer Wende zur schärferen Durchsetzung von "islamischen Werten" statt, die nach der ebenso streng regulierten Wahl von Ebrahim Raisi zum iranischen Präsidenten im Juni 2021 eingeleitet wurde. Dies wird auch damit in Verbindung gebracht, dass das Regime beim Ableben des inzwischen 84-jährigen Khamenei mit einem Übergangsszenario konfrontiert werden wird, bei dem die Entscheidungsträger nichts dem Zufall überlassen wollen (Standard 4.3.2024). In dieser Hinsicht befindet sich die Islamische Republik Iran laut einer Expertin in einer "kritischen Übergangsphase" (Zamirirad/SWP 19.4.2023).
Frauen haben das aktive Wahlrecht, werden bei der politischen Teilhabe allerdings mit bedeutsamen rechtlichen, religiösen und kulturellen Hindernissen konfrontiert. Nach Interpretation des Wächterrats verwehrt die iranische Verfassung es Frauen, die Ämter des Revolutionsführers oder Präsidenten, Funktionen im Experten-, Wächter- und Schlichtungsrat sowie manche Richterposten anzutreten (USDOS 23.4.2024). Frauen sind in der Politik, einschließlich der Regierung, deutlich unterrepräsentiert (FH 2024). Bei den Parlamentswahlen 2024 waren 1.713 der insgesamt 15.200 Kandidaten Frauen. Gegenüber den Parlamentswahlen im Jahr 2020 hat sich ihre Anzahl damit mehr als verdoppelt (NYT 28.2.2024).
Unter 40-Jährige, die etwa drei Viertel der iranischen Bevölkerung ausmachen, waren bislang größtenteils von jeglicher politischen Partizipation ausgeschlossen. Politische Ämter werden überwiegend von Männern der ersten Generation der Elite der Islamischen Republik - den heute über 70-jährigen Gründungsvätern - und der zweiten Generation - den heute über 60-jährigen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs sowie Vertretern der Revolutionsgarden - regiert (BPB 31.1.2020b).
Der Tod der 22-jährigen Mahsa Jîna (ihr kurdischer Vorname) Amini am 16.9.2022, nachdem sie zuvor von der sogenannten Sittenpolizei aufgrund eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs in Gewahrsam genommen wurde, löste Proteste aus, die in ihrem Ausmaß, ihrer Reichweite und ihrer Langlebigkeit sowie in der gewaltsamen Reaktion des Staates beispiellos waren (UNHRC 19.3.2024; vergleiche BPB 16.2.2023). Die Proteste, die insbesondere von Frauen, jungen Menschen und marginalisierten Ethnien - insbesondere Kurden und Belutschen - getragen wurden, zeichneten sich durch ihre Dezentralität, die Bedeutung von zivilem Ungehorsam und Flashmobs als Protestform - insbesondere durch Frauen, die ihr Kopftuch ablegen - und, wie vor allem in europäischen Debatten oft bemängelt wird, durch fehlende Organisations- und Führungsstrukturen aus (BPB 16.2.2023). Die fehlenden Führungsstrukturen waren sowohl Stärke als auch Schwäche der Proteste, bei denen das Internet und soziale Medien eine große Rolle zur Mobilisierung und Verbreitung der Protestbotschaften spielten: Einerseits machen die fehlenden Führungsstrukturen staatliche Repression schwieriger, andererseits erschweren sie auch die Herausbildung einer Bewegung, welche eine politische Alternative zum derzeitigen System darstellen könnte (FR24 16.12.2022; vergleiche USIP 6.9.2023b).
Bis zum Sommer 2023 sind die Straßenproteste schließlich abgeflaut (USIP 6.9.2023a) - wobei es rund um den Jahrestag von Aminis Tod im September 2023 zu Demonstrationen kam, denen die Sicherheitsbehörden in manchen Fällen gewaltsam begegneten (FH 2024). Die Islamische Republik blieb weiterhin funktionsfähig und im Zuge der Proteste konnte nicht beobachtet werden, dass eine Einheit des hochkompetitiven iranischen Sicherheitsapparats geschwächelt oder sich illoyal verhalten hätte (Posch/Chatham 5.5.2023). Abgesehen von gezielten Zugeständnissen an bestimmte Gruppen hat die Regierung nicht mit grundlegenden Reformen auf die Proteste reagiert (FES 3.2024). Die Regierung ist darauf bedacht, ihre Anhängerschaft zu halten, versucht aber auch, Menschen am Rande der Gesellschaft zu Anhängern der Islamischen Republik zu machen. So haben die staatlichen Medien jüngst beispielsweise neue Fernsehsendungen produziert und eine größere Anzahl von Gästen eingeladen, um heikle politische Themen zu diskutieren. Die Regierung möchte aufgeschlossen und sympathisch erscheinen, um ein gewisses Maß an Legitimität aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen. Die Regierungsvertreter sind sich allerdings darüber im Klaren, dass die Legitimität des Regimes erodiert ist, insbesondere seit der gewaltsamen Niederschlagung der landesweiten Demonstrationen, die durch den Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im Jahr 2022 ausgelöst worden waren (USIP 17.11.2023). Mit Stand April 2024 sind die Proteste abgeklungen, aber die dort artikulierten Missstände bleiben weiterhin bestehen (CRS 22.4.2024).
(…)
Sicherheitslage
Verglichen mit Nachbarstaaten wie dem Irak, Libanon, Syrien und Afghanistan hat Iran eine sehr starke Zentralregierung mit einem komplexen Institutionengefüge. Das Gewaltmonopol liegt bei staatlichen und halbstaatlichen Institutionen, die das Regime ausmachen. Irans territoriale Integrität wird immer wieder durch angebliche Drohnenangriffe und größere Explosionen infrage gestellt. Gelegentlich flammen Grenzstreitigkeiten (z. B. mit Afghanistan im Juli 2022) und Streitigkeiten bezüglich passierender Schiffe in der Straße von Hormuz mit dem Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf (BS 19.3.2024).
Iran sieht sich mit terroristischen Bedrohungen durch verschiedene Oppositionsgruppen konfrontiert, einerseits durch separatistische Aufstandsbewegungen in seinen Grenzregionen, wo arabische, belutschische und kurdische ethnische Minderheiten leben, und andererseits durch transnationale Gruppierungen wie den Islamischen Staat (IS). Zu den separatistischen Gruppierungen zählen beispielsweise das Arab Struggle Movement for the Liberation of Ahwaz (ASMLA) und die Ahvaz National Resistance in Khuzestan und Jaysh al-Adl (JAA) in Sistan und Belutschistan. In den kurdischen Gebieten agieren verschiedene Gruppierungen, darunter die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane [Partei für ein freies Leben in Kurdistan] (PJAK), die einen bewaffneten Aufstand gegen die iranischen Sicherheitskräfte führen und manchmal auch Anschläge verüben. Nach 1980 haben auch die Mujaheddin-e Khalq (MEK), die für einen Sturz des Regimes eintreten, Gewalt gegen iranische Zivilisten und Beamte ausgeübt (ISPI 26.2.2024).
Der IS hat sich seit 2017 zu vier Anschlägen in Iran bekannt. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen sogenannte "high-profile"-Ziele, also Ziele mit hoher Symbolwirkung (BBC 5.1.2024). Unter anderem werden dem IS zwei Anschläge auf den Shah-Cheragh-Schrein in Shiraz [Provinz Fars] im Oktober 2022 und August 2023 zugeschrieben, bei denen insgesamt 14 Menschen starben, wobei sich der IS selbst nur zu ersterem der beiden Anschläge bekannte (BBC 5.1.2024; vergleiche AJ 13.8.2023, Guardian 13.8.2023). Bei einem Anschlag in der Stadt Kerman [Provinz Kerman] am 3.1.2024 starben fast 100 Menschen und über 200 wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich während einer Gedenkfeier anlässlich des Todestags von Qassem Soleimani (IRINTL 3.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024), dem 2020 durch einen US-Drohnenangriff getöteten Befehlshaber der für Auslandsoperationen der Revolutionsgarden zuständigen Quds-Kräfte (BBC 4.1.2024; vergleiche AP 4.1.2024), der einer der Architekten der iranischen Politik in der Region war (BBC 4.1.2024; vergleiche Soufan 4.1.2024). Der IS bekannte sich zu dem Anschlag, wobei von einem US-amerikanischen Nachrichtendienst abgefangene Gespräche gemäß der Nachrichtenagentur Reuters bestätigen, dass der Ableger des IS in Afghanistan, der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP), für den Anschlag verantwortlich war (REU 5.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024). Der ISKP hat seine Strategie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 teils geändert und seine Operationsgebiete sowie Rekrutierungsbestrebungen "internationalisiert" (Conversation 11.1.2024; vergleiche FAZ 12.1.2024). Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem IS in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 12.6.2024; vergleiche TWI 31.10.2022).
Teheran fürchtet Unruhen unter den ethnischen und religiösen Minderheiten in den Randgebieten Irans. Fast alle Kurden im Nordwesten und Belutschen im Südosten des Landes sind Sunniten, ebenso eine substanzielle Minderheit der Araber im Südwesten. Diese Volksgruppen gelten der schiitischen Islamischen Republik als Sicherheitsrisiko, unterliegen vielfältigen Diskriminierungen und stehen oft in Opposition zum Regime. Sie scheinen eine besonders große Gefahr zu sein, weil ihre Siedlungsgebiete an den Außengrenzen Irans liegen. Daher sorgt sich die iranische Führung, Nachbarn könnten im Konfliktfall versuchen, die Minderheiten gegen den Staat zu mobilisieren (SWP 9.3.2024) und bezichtigt ausländische Mächte, v. a. Israel, die USA und manche Golfstaaten, separatistische oppositionelle Gruppierungen in Iran zu unterstützen, die das Land destabilisieren sollen (ISPI 26.2.2024).
Die belutschische separatistische Gruppierung Jaysh al-Adl [JAA, auch JUA] hat ihre Anschläge im Südosten Irans seit Dezember 2023 intensiviert (Standard 4.4.2024, ISW 30.4.2024, ISW 12.2.2024), wobei insbesondere Sicherheitskräfte, aber auch andere Vertreter staatlicher Institutionen ins Visier genommen werden, darunter etwa Richter und andere Justizbeamte (Zenith 26.1.2024). Beispielsweise im April 2024 führte die Gruppierung einen Großangriff bzw. komplexen Angriff auf Stützpunkte der Revolutionsgarden in Sistan und Belutschistan durch, bei denen insgesamt mehr als 20 Personen ums Leben kamen (ISW 4.4.2024, Tagesschau 4.4.2024). Aufgrund der militanten Aktivitäten an der Südostgrenze Irans haben die iranischen Sicherheitsbehörden nun auch Drohnen zur Ausschaltung von JAA-Kämpfern eingesetzt (ISW 30.4.2024; vergleiche RFE/RL 18.1.2022). Mitte Jänner 2024 führten die Revolutionsgarden außerdem einen Raketenangriff auf eine angebliche Stellung der JAA auf pakistanischem Staatsgebiet durch (IRINTL 17.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024), woraufhin die pakistanischen Streitkräfte mehrere Ziele in der Ortschaft Saravan in der iranischen Provinz Sistan und Belutschistan angriffen, bei denen es sich nach pakistanischen Angaben um "terroristische Verstecke" handelte (IRINTL 18.1.2024; vergleiche BBC 18.1.2024). Die JAA operiert vor allem von Pakistan aus (IRINTL 17.1.2024; vergleiche AnA 18.1.2024), und Iran war auch früher schon in bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Gruppe entlang der Grenze verwickelt (IRINTL 17.1.2024). Aufgrund der Konflikte zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen (AA 12.6.2024; vergleiche MBZ 9.2023, Arabiya 17.1.2024) ist die Bewegungsfreiheit in Sistan und Belutschistan eingeschränkt, und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 12.6.2024).
In Sistan und Belutschistan, wo 2023 länger Proteste stattfanden als in anderen Landesteilen (RFE/RL 18.1.2022), wurde zuletzt auch von gezielten Tötungen durch unbekannte Täter berichtet, welche die belutschische NGO Haalvash privaten, im Auftrag des Regimes tätigen Milizen zuschrieb (Haalvash 4.6.2024). Die belutschische NGO Baloch Campaign, die laut einem Experten bezüglich der Lage in Sistan und Belutschistan eine verlässliche Quelle ist (EXBEL 13.6.2024), berichtete von 150 Tötungen von Zivilisten durch bewaffnete Männer im Jahr 2023 (BALCAM 12.6.2024). Während Sistan und Belutschistan für seine Stammesstrukturen berüchtigt ist, lässt die große Zahl von Morden durch bewaffnete Einzelpersonen und Gruppen laut dem Experten die ernsthafte Vermutung zu, dass der Staat und seine Milizen hinter diesen Angriffen stecken, um Angst in der Gesellschaft zu schüren. Die Islamische Republik hat seit 1979 Stämme in den Kurden- und Belutschengebieten bewaffnet, in dem Wissen, dass die Waffen von den Stammesangehörigen häufig auch zur Beilegung von Stammesfehden und persönlichen Streitigkeiten eingesetzt werden (EXBEL 13.6.2024).
Die Grenze [zu Afghanistan und Pakistan] ist durchlässig, größtenteils gebirgig und eine wichtige Schmuggelroute für Drogen und andere Waren, die das organisierte Verbrechen anzieht (DFAT 24.7.2023; vergleiche BAMF 10.7.2023, AlMon 14.4.2024). Die Grenzzone zu Afghanistan, das östliche Kerman sowie Sistan und Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändler- und extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein (EDA 18.4.2024). Weiters sind die Beziehungen zwischen der iranischen Regierung und der Taliban-Regierung in Afghanistan teils angespannt (DFAT 24.7.2023). Seit die Taliban im August 2021 die Kontrolle übernommen haben, liefern sich iranische Soldaten und Taliban-Sicherheitskräfte entlang der gemeinsamen Grenze immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen (DFAT 24.7.2023; vergleiche Caspian 1.5.2024, IRINTL 25.4.2024).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt (AA 12.6.2024). Die Sicherheitskräfte sind in den Provinzen Kurdistan, Kermanshah und West-Aserbaidschan in großer Zahl präsent (MBZ 9.2023). In dieser von Kurden bewohnten Region an der Grenze zum Irak und der Türkei (Izady/Gulf 2000 o.D.) kam es zu einigen bewaffneten Zusammenstößen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Mitgliedern kurdischer Parteien, die Stützpunkte im Nordirak haben, manchmal auch mit Toten und Verletzten auf beiden Seiten (MBZ 9.2023).
Iran und regionale Konflikte
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken (EDA 18.4.2024).
Seit 2010 hat Israel angeblich mindestens zwei Dutzend Operationen - darunter Attentate, Drohnenangriffe und Cyberangriffe - gegen Iran durchgeführt (USIP 30.1.2023). Die meisten Ziele standen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Atomprogramm Teherans, das Israel als existenzielle Bedrohung betrachtet (USIP 30.1.2023; vergleiche TIS 29.12.2023). Israel hat seit langem militärische und nukleare Einrichtungen im Iran ins Visier genommen und iranische Nuklearwissenschaftler und Kommandeure sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes getötet (NYT 16.2.2024). Im Dezember vermeldete der iranische Ölminister einen Cyberangriff, den er Israel und den USA zuschrieb (FR24 18.12.2023; vergleiche NZZ 2.1.2024). Im Februar 2024 unterbrach ein Sabotageakt an zwei wichtigen Gaspipelines die Gasversorgung von zwei iranischen Provinzen. Zwei westliche Behördenvertreter und ein mit den Revolutionsgarden verbundener Militärstratege machten Israel für den Vorfall verantwortlich, wobei das Anvisieren von Infrastruktur in diesem Ausmaß eine Neuentwicklung darstellt (NYT 16.2.2024).
Iran hat eine lange Geschichte der Unterstützung von terroristischen [und anti-israelischen] Organisationen wie der Hisbollah, der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad (JPOST 27.2.2023). Das Regime unterstützt auch verschiedene "Widerstands"-Milizen im Irak (TWI 20.12.2023), in Syrien, im Jemen und auch Bahrain (CFR 11.12.2023). Die Hilfen umfassen umfangreiche finanzielle und logistische Unterstützung (TWI 20.12.2023). Im Zentrum des iranischen Netzwerks steht die libanesische Hisbollah. Sie half Iran auch bei der Unterstützung des Regimes von Bashar al-Assad im Bürgerkrieg in Syrien, wo sie andere Milizen zur Verteidigung des Regimes heranzog (CFR 11.12.2023). Die geografische Ausdehnung von Irans Allianznetz ist derzeit so groß wie nie zuvor seit der Islamischen Revolution 1979. Die mit Iran verbündeten Milizen agieren laut dem Experten Walter Posch selbstständig. Doch bei allen Aktionen gibt es Spuren, die zurück nach Iran führen (NZZ 2.1.2024).
Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7.10.2023 haben die Spannungen in der Region zugenommen (IRINTL 11.1.2024; vergleiche BBC 16.1.2024). Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass die sich zuspitzende Rivalität zwischen Iran und Israel die regionale Sicherheit prägen und die Politik im Nahen Osten auf absehbare Zeit bestimmen wird (FA 14.5.2024). Israel und Iran haben einen jahrelangen Schattenkrieg geführt, bei dem sie gegenseitig Einrichtungen angriffen, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen. Diese Angriffe haben sich während des aktuellen Krieges im Gazastreifen, der durch den Angriff der Hamas auf nahe gelegene israelische Gemeinden im vergangenen Oktober ausgelöst wurde, erheblich verschärft (BBC 19.4.2024). Während Iran seit Langem bewaffnete Gruppen beliefert, die Israel angreifen, und sie auch anderweitig unterstützt, hat es nie einen direkten Angriff der eigenen Streitkräfte von iranischem Territorium aus gegen Israel für sich beansprucht (und anscheinend auch tatsächlich nicht unternommen) (CRS 22.4.2024). Nach einem israelischen Angriff auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus am 1.4.2024 feuerte Iran jedoch erstmals rund 300 Raketen und Drohnen direkt von iranischem Staatsgebiet auf Israel ab (BBC 19.4.2024). Da die Geschosse eine Distanz von über 1.000 Meilen [rd. 1.600 km] zurücklegen mussten, war Israel rechtzeitig vorgewarnt (CNN 14.4.2024) und konnte den Angriff mit Unterstützung von Verbündeten wie den USA, Großbritanniens, Frankreichs und auch Jordaniens abwehren (BBC 19.4.2024). Die iranische Operation wurde als "hochgradig choreografiert" bezeichnet und war laut einer Analystin "offenbar darauf ausgelegt, die Zahl der Opfer zu minimieren und gleichzeitig das Spektakel zu maximieren" (CNN 14.4.2024). Israel antwortete mit einem Raketenangriff auf eine große Luftwaffenbasis im Zentrum Irans (FA 14.5.2024), in Isfahan (BBC 19.4.2024). Dieser Schlag scheint diese Runde der gegenseitigen Angriffe beendet zu haben, bestätigte aber auch, dass die Regeln, die den Schattenkrieg zwischen Iran und Israel jahrelang bestimmten, nicht mehr gelten. Es wird angenommen, dass ein Angriff der einen Seite nun eine direkte Antwort der anderen Seite nach sich ziehen wird, was das Gespenst eines größeren Krieges beschwört (FA 14.5.2024).
(…)
Allgemeine Menschenrechtslage
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15.11.1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Artikel 4, IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene "Hohe Rat für Menschenrechte" untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten "Pariser Prinzipien" (AA 30.11.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 2020). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, welche die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände vergleiche Artikel 279 bis 288 IStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Artikel eins bis 18 des 5. Buches des IStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 30.11.2022).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.11.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran (Stand: 18. November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2083021/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_(Stand_18.11.2022),_30.11.2022.pdf, Zugriff 2.2.2023 [Login erforderlich]
GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (2020): Iran: Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 24.3.2023
ÖB Teheran - Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht – Islamische Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_ÖB-Bericht_2021.pdf, Zugriff 7.2.2023 [Login erforderlich]
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2024-10-04 13:09
In Iran leben schätzungsweise rund 88,4 Millionen Menschen (CIA 22.5.2024), von denen nach offiziellen Angaben ungefähr 99 % dem Islam angehören. Etwa 90 % der Bevölkerung sind demnach Schiiten, ca. 9 % sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq (Yaresan) und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (STDOK 3.5.2018; vergleiche USDOS 15.5.2023). Im Rahmen einer viel beachteten und breit diskutierten (NYMAG 21.10.2022) Onlinebefragung der Organisation Gamaan aus dem Jahr 2020, an der sich 40.000 innerhalb Irans lebende Iraner sowie rund 10.000 im Ausland lebende Iraner beteiligt haben, wurden folgende Einstellungen bzw. religiösen Ausrichtungen angegeben: nur rund 32 % der Bevölkerung bekennen sich zum Schiitentum, 5 % zum Sunnitentum und rund 8 % zum Zoroastrismus. 9 % identifizierten sich dagegen als Atheisten, 7 % als "spirituell" und 6 % als Agnostiker. Andere gaben an, dem Sufismus, Humanismus, Christentum, dem Baha'i-Glauben oder dem Judentum zu folgen (Anteile zwischen rd. 0,1 und 3 %) und rund 22 % der Befragten wollten sich mit keiner der genannten Gruppierungen identifizieren (GAMAAN 25.8.2020). Auch wenn nicht genau gesagt werden kann, inwiefern die von Gamaan vorgelegten Zahlen auf die Gesamtbevölkerung Irans umlegbar sind, zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zum nationalen Zensus. Aus der Studie lässt sich eine erosionsartige Fragmentierung des religiösen Feldes zumindest bei den befragten Iranern ablesen. Interessant ist unter anderem die Vielfalt an verschiedenen Glaubensbekenntnissen von Konfessionslosigkeit und Atheismus, beides eigentlich Tabus in einer offiziell islamischen Gesellschaft wie der iranischen, über Zoroastrismus und Trends zu spirituellen und esoterischen Sekten, bis hin zum Agnostizismus, zu sufischen Bewegungen, den Bahai und zum Christentum. Letztere stellen laut der Studie lediglich eine relativ kleine Gruppe dar (BAMF 5.2022). In einer im Jänner 2024 geleakten (Amwaj 3.4.2024), vom Informationsministerium (MOIS) in Auftrag gegebenen, unter Verschluss gehaltenen Umfrage gaben 70 % der Befragten an, sich ein säkulares Regierungssystem zu wünschen. Eine Mehrheit lehnte die gesetzlich verordnete Hijab-Pflicht für Frauen ab (Standard 1.3.2024).
Nachstehender Karte können die Hauptsiedlungsgebiete der größten Glaubensgruppen in Iran entnommen werden. Demnach leben Sunniten mehrheitlich in den Grenzregionen im äußersten Nordwesten Irans, im Norden in einem Gebiet an der Grenze zu Turkmenistan [Provinz Golistan] sowie im Süden bei Bandar-e Abbas [Provinz Hormuzgan] und an der Grenze zu Pakistan sowie zum Südwesten Afghanistans [in Iran: Provinz Sistan und Belutschistan]. Der größte Teil des Landes wird mehrheitlich von Schiiten bewohnt. Minderheitengruppen wie Zoroastrier, Bahai, Juden und Sikhs werden auf der Karte nicht dargestellt; insbesondere in urbanen Zentren ist die Bevölkerung sehr heterogen und kann auf dieser Karte nicht dargestellt werden (BMI/BMLVS 2017).
Laut Verfassung ist Iran eine islamische Republik und der schiitische Zwölfer- oder Ja'afari-Islam ist die offizielle Staatsreligion. Die Verfassung schreibt vor, dass alle Gesetze und Vorschriften auf "islamischen Kriterien" und einer offiziellen Auslegung der Scharia beruhen müssen. In der Verfassung heißt es, dass die Bürger alle menschlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien" genießen sollen (USDOS 15.5.2023). Für Frauen bedeutet dies beispielsweise unter anderem eine allgemeine Kopftuchpflicht in der Öffentlichkeit, die [unter anderem] im Zuge der Proteste anlässlich des Todes von Mahsa Amini von vielen Protestierenden abgelehnt wurde und in den Fokus der Auseinandersetzung zwischen dem Regime und seinen Gegnern geriet (Tagesschau 6.10.2022). Gleichwohl dürfen die in Artikel 13, der iranischen Verfassung anerkannten 'Buchreligionen': Christentum, Judentum und Zoroastrismus ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben (AA 30.11.2022; vergleiche ÖB Teheran 11.2021). In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie (AA 30.11.2022). Die Freiheiten bei der Glaubensausübung sind allerdings von der Auslegung religiöser Gelehrter abhängig. Darüber hinaus lassen die Mehrdeutigkeit und die Auslegungsfähigkeit von Gesetzen den Richtern oft Raum für willkürliche Entscheidungen, was die Gefährdung von Minderheitengemeinschaften erhöht (IrWire 4.3.2024).
Die Lehrpläne aller öffentlichen und privaten Schulen müssen einen Kurs über die schiitischen Lehren enthalten. Sunnitische Schüler, sowie jene, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, müssen die Kurse über den schiitischen Islam belegen und bestehen, obwohl sie auch separate Kurse über ihre eigenen religiösen Überzeugungen belegen können. Anerkannte religiöse Minderheitengruppen, mit Ausnahme der sunnitischen Muslime, dürfen Privatschulen betreiben (USDOS 15.5.2023).
Anhänger religiöser Minderheiten unterliegen Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Lediglich schiitische Muslime dürfen in vollem Umfang am politischen Leben teilnehmen (AA 30.11.2022; vergleiche MRG 24.11.2022). Sunniten werden v. a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert (ÖB Teheran 11.2021). Die Diskriminierung am Arbeitsplatz ist durch die Praxis des gozinesh institutionalisiert, ein obligatorisches Prüfverfahren, dem sich jeder unterziehen muss, der eine Beschäftigung im öffentlichen oder halbstaatlichen Sektor sucht. Dies beinhaltet eine Bewertung der Befolgung des Islam und der Loyalität gegenüber der Islamischen Republik durch die potenziellen Arbeitnehmer (MRG 24.11.2022; vergleiche UNHRC 19.3.2024). Die Bewerber müssen dabei das Prinzip der Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) anerkennen (UNHRC 19.3.2024), das es im sunnitischen Islam [sowie nichtislamischen Religionen] nicht gibt (USDOS 23.4.2024). Die gozinesh-Kriterien schließen nicht nur Anhänger nicht anerkannter Religionen von der Arbeitssuche aus, sondern benachteiligen auch Sunniten und alle, die Ansichten vertreten, die den offiziellen Werten der Islamischen Republik zuwiderlaufen (MRG 24.11.2022; vergleiche UNHRC 19.3.2024).
Nichtmuslime sehen sich im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 30.11.2022; vergleiche IrWire 4.3.2024). Verfassungsrechtlich anerkannte Minderheiten haben auch bei Mord oder Unfalltod nicht die gleichen Rechte wie Muslime. Nach dem islamischen Strafgesetzbuch (IStGB) haben die Hinterbliebenen eines Opfers das Recht, Vergeltung oder Entschädigung zu verlangen, wenn das Opfer Muslim ist. Wenn das Opfer einer anderen [anerkannten] Religion angehört, muss der Täter lediglich Lösegeld zahlen (IrWire 4.3.2024).
Anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) werden diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte (ÖB Teheran 11.2021). Im Parlament sind beispielsweise fünf der insgesamt 290 Sitze für ihre Vertreterinnen und Vertreter reserviert: zwei für armenische Christen, einer für Juden, einer für Zoroastrier und einer für assyrische Christen (Zeit Online 19.1.2023; vergleiche FH 2024). Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär ernannt werden (USDOS 15.5.2023) und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 2024).
Für nicht anerkannte religiöse Gruppen gibt es keine rechtlichen Schutzgarantien. Diese Gruppierungen - z. B. Baha'i, Sabäer-Mandäer, Yaresani [Anm.: auch Ahl-e Haqq] (MRG 24.11.2022; vergleiche BAMF 5.2022), Anhänger fernöstlicher oder esoterischer Philosophien und Kulte (IRINTL 25.1.2022), konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche OpD 2024).
Das Ministerium für Kultur und islamische Führung und das MOIS überwachen religiöse Aktivitäten. Die Revolutionsgarden überwachen auch Kirchen (USDOS 15.5.2023) und Gottesdienste (OpD 2024). Die iranische Regierung verfolgt Angehörige religiöser Minderheiten bisweilen unter dem Vorwand, diese seien eine Gefahr für die nationale Sicherheit, und nicht, weil sie beispielsweise Christen sind (CNEN 4.2.2023). Führende Vertreter von Minderheitengruppen und Aktivisten werden oftmals unter dem allgemeinen Vorwurf der Bedrohung der "öffentlichen Moral" oder der nationalen Sicherheit zu langen Haftstrafen oder zum Tod verurteilt (MRG 24.11.2022; vgl.OpD 2024).
Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Zur Sanktionierung von Vergehen wie "Irrlehre", "Abweichung" und "Propaganda" durch Geistliche besteht ein Sondergericht, das über eine eigene Polizei, Strafprozessordnung, Gefängnisse und einen eigenen Strafkatalog verfügt, zu dessen Strafen etwa Verbote, Seminare abzuhalten oder die Kleriker-Robe in der Öffentlichkeit zu tragen ebenso gehören wie Verbannung, Haftstrafen und Todesurteile (Qantara 16.5.2023). Das Sondergericht für Geistliche untersteht direkt dem Revolutionsführer und ist, wie auch die Revolutionsgerichte, in der Verfassung nicht vorgesehen (USDOS 15.5.2023).
Ethnische und religiöse Minderheiten, die jahrzehntelang unter systemischer und systematischer Diskriminierung und Verfolgung gelitten haben, waren von der Welle der Repression seit Beginn der Proteste im September 2022 unverhältnismäßig stark betroffen [Anm.: s. u. a. Unterkap. Sunniten für weitere Informationen]. Unter anderem verwehrten die iranischen Behörden Angehörigen von getöteten Protestteilnehmern Begräbnisse nach ihren religiösen Riten zu vollziehen (UNHRC 7.2.2023). Obwohl diese Vorkommnisse nicht völlig neu waren, kam es im Zuge der Proteste auch vermehrt zu Übergriffen auf schiitische Geistliche, die aufgrund der umfassenden Politisierung von Religion mit dem iranischen Regime gleichgesetzt werden und als Vollstrecker von dessen politischen Zielen fungieren (INSS 18.5.2023; vergleiche Qantara 16.5.2023).
Muslimische Geistliche rufen manchmal zu Gewalt gegen religiöse Minderheiten auf (OpD 2024). Dabei ist die iranische Gesellschaft weniger fanatisch als ihre Führung (OpD 2024; vergleiche NLM 23.2.2023). Dies ist zum Teil auf den weitverbreiteten Einfluss des gemäßigteren Sufi-Islams zurückzuführen sowie auf den Stolz des iranischen Volkes auf seine vorislamische persische Kultur (OpD 2024). Dennoch wird mitunter von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet (ÖB Teheran 11.2021). Religiöse Familien üben Druck auf Familienmitglieder aus, die sich vom Islam abgewandt haben und Christen geworden sind (OpD 2024).
Nach Einschätzung des australischen Außenministeriums sind nicht praktizierende iranische Muslime einem geringen Risiko behördlicher oder gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt, insbesondere in den Großstädten (DFAT 24.7.2023). Der Besuch von Moscheen ist in Iran beispielsweise nicht weit verbreitet, verglichen mit anderen muslimischen Ländern (Moaddel/FTJ 2022; vergleiche MRAI 19.6.2023, Amwaj 3.4.2024), und Personen werden nicht per se als Atheisten betrachtet, weil sie keine Moscheen aufsuchen. Dies gilt auch im ländlichen Bereich. Auch halten sich viele Iraner im Privaten nicht strikt an die Fastenregeln des Ramadan. Solange die Fastenregeln nicht in der Öffentlichkeit gebrochen werden, führte dies bislang üblicherweise zu keinen Problemen (MRAI 19.6.2023). Der Konsum von Speisen und Getränken sowie Rauchen in der Öffentlichkeit während des Ramadan kann nach Artikel 638, des iranischen Strafgesetzbuchs (IStGB) jedoch mit Strafen wie Peitschenhieben sowie Haft geahndet werden (IRINTL 13.3.2024a). Während des Ramadan im Frühling 2024 wurde eine Anzahl an Restaurants und Geschäften aufgrund von Fastenverstößen geschlossen (IrWire 8.4.2024). Nachdem das [vorislamische] persische Nowruz-Fest in diesem Jahr während des Fastenmonats Ramadan stattfand, wurden die Regeln für Restaurants gegenüber den Vorjahren allerdings gelockert, sodass diese ihre üblichen Öffnungszeiten beibehalten durften, wenn auch mit verhängten Fenstern (IRINTL 13.3.2024a). Der Nowruz-Freudentag "Sizdah-bedar", der üblicherweise mit Familienausflügen ins Grüne sowie Feiern mit Tanz und Musik begangen wird, fiel mit dem islamischen Trauertag anlässlich der Ermordung des ersten schiitischen Imams Ali Ibn-Abi-Talib zusammen. Regimenahe Medien verkündeten, dass Parks und Freizeitanlagen an diesem Tag geschlossen werden würden, für den Abend, nach dem Fastenbrechen dagegen Unterhaltungsprogramme vorgesehen seien. Von offiziellen Stellen wurde beides dementiert. In vielen Teilen Irans wurden an diesem Tag Sicherheitskräfte mobilisiert, um die Bürger an der Feier des "Sizdah-bedar" zu hindern. Nach Einschätzung einer Teheraner Gastautorin des Iran Journal waren sich die Verantwortlichen selbst nicht sicher, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten (IRJ 2.4.2024).
Nach dem Gesetz dürfen Nicht-Muslime nicht missionieren oder versuchen, einen Muslim zu einem anderen Glauben zu bekehren. Das Gesetz betrachtet diese Aktivitäten als Bekehrungsversuche, die mit dem Tod bestraft werden können (USDOS 15.5.2023). Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das IStGB aufnahm, wonach die "Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen" sowie "abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können (AI 29.3.2022; vergleiche HRW 4.2024). Die vage formulierten Straftatbestände in den Artikeln 499 bis und 500 bis IStGB ermöglichen es den Behörden, Angehörige von nicht anerkannten Religionsgruppen, wie z. B. den Baha'i, für ihre Religionsausübung zu verurteilen, wenn sie diese als den islamischen Prinzipien widersprechend ansehen (HRW 4.2024). Das Regime betrachtet auch fernöstliche oder esoterische Philosophien und Kulte kritisch (IRINTL 25.1.2022). Unter anderem wurde auch ein Yogalehrer wegen "Propaganda gegen die Heiligtümer des Islam" vor einem Revolutionsgericht angeklagt, wobei seine Rechtsanwältin angab, die Behörden hätten seine Tätigkeit als Meditations- und Yogalehrer fälschlicherweise als islamfeindlich interpretiert (RFE/RL 7.11.2023).
Menschen, deren Eltern von den Behörden als Muslime eingestuft wurden, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert, gefoltert oder wegen "Apostasie" mit der Todesstrafe belegt zu werden, wenn sie andere Religionen oder atheistische Überzeugungen annehmen [Anm.: s. Unterkapitel Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für weitergehende Informationen] (AI 24.4.2024; vergleiche ÖB Teheran 11.2021).
(…)
Christen (anerkannte Religionsgemeinschaften)
Nach Angaben des staatlichen iranischen Statistikzentrums aus dem Jahr 2016 gibt es 117.700 Christen in Iran. Einige Schätzungen deuten jedoch darauf hin, dass es deutlich mehr sind, als tatsächlich angegeben (USDOS 15.5.2023). Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran. Den größten Anteil [unter den anerkannten christlichen Gemeinschaften] stellen dabei armenische Christen (STDOK 3.5.2018), wobei Vertreter dieser Religionsgemeinschaft ihre Gesamtanzahl auf 40.000-50.000 schätzen. Die Anzahl der Assyrer und Chaldäer wird auf insgesamt rund 7.000 geschätzt (USDOS 15.5.2023). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021), wobei erstere auf rund 21.000 Personen geschätzt werden, während es zu letzteren keine belastbaren Daten gibt. Viele Protestanten praktizieren ihren Glauben im Geheimen (USDOS 15.5.2023). Schätzungen zufolge stellen Konvertiten aus dem Islam mit mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen [Anm.: s. Kap. Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen für Informationen zu den nicht anerkannten christlichen Gemeinden] (AA 30.11.2022). Armenische Christen leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (STDOK 3.5.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, dies gilt allerdings nicht für evangelikale Freikirchen. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur diese historisch ansässigen Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als solche bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen. Mit der Registrierung sind bestimmte Rechte verbunden, darunter die Verwendung von Alkohol zu religiösen Zwecken. Die Behörden können eine Kirche schließen und ihre Leiter verhaften, wenn die Kirchenbesucher sich nicht registrieren lassen oder wenn nicht registrierte Personen an den Gottesdiensten teilnehmen (USDOS 15.5.2023).
Historisch ansässige Christen genießen Kultusfreiheit innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen (ÖB Teheran 11.2021) und sind in familienrechtlichen Angelegenheiten weitgehend autonom (BAMF 5.2022). Anerkannte christliche Religionsgemeinschaften haben das Recht, Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (STDOK 3.5.2018), wobei Schüler und Schülerinnen, die einer anerkannten religiösen Minderheit angehören, auch Kurse in schiitischem Islam belegen und bestehen müssen (USDOS 15.5.2023).
Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche BBC 1.4.2024), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu (AA 30.11.2022). Die iranischen Behörden gestatten Konvertiten nicht, die Kirchen der armenischen und assyrischen Gemeinschaften zu besuchen (ARTICLE18 o.D.).
Die Aktivitäten anerkannter christlicher Gemeinschaften sind streng geregelt, um Missionstätigkeit zu verhindern. Anerkannte christliche Gruppen lehnen Missionierungsarbeit daher ab, was von den Behörden regelmäßig auch überprüft wird (DFAT 24.7.2023). Alle Christen und christlichen Kirchen müssen bei den Behörden registriert sein, und nur anerkannte Christen dürfen die Kirche besuchen. Die Sicherheitsbehörden überwachen die registrierten Kirchen genau, um sicherzustellen, dass die Gottesdienste nicht auf Farsi abgehalten werden (sie müssen in der traditionellen Sprache der Kirche und nicht in der Volkssprache abgehalten werden), und führen regelmäßige Identitätskontrollen der Gläubigen durch, um zu überprüfen, dass keine Nichtchristen oder Konvertiten an den Gottesdiensten teilnehmen. Kirchen, die sich nicht daran halten, müssen mit der Schließung rechnen (DFAT 24.7.2023; vergleiche ARTICLE18 o.D.).
Obwohl armenische und assyrische christliche Gemeinden formell anerkannt und gesetzlich geschützt sind, sind ihre Gemeindemitglieder dennoch rechtlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt [u. a. als Nichtmuslime, s. Überkapitel] (OpD 2024). Selbst wenn Räumlichkeiten für religiöse Zeremonien zur Verfügung stehen, kann es für Minderheitengruppen mitunter schwierig sein, wichtige Ritualgegenstände zu beschaffen. So wurde beispielsweise von einem Fall berichtet, bei dem gegen einen Angehörigen einer religiösen Minderheit ein Bußgeld wegen Alkoholbesitzes verhängt wurde, da diesem nach Ansicht des Richters zwar die Durchführung des Messrituals und der Konsum von Messwein erlaubt sei, nicht jedoch der Transport und Besitz von Alkohol (IrWire 4.3.2024).
Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind (STDOK 3.5.2018; vergleiche Qantara o.D.).
Christliche Symbole und Dekorationen
Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren (BAMF 3.2019). Weihnachtsdekoration ist in vielen Städten Irans beliebt, man kann sie ohne Probleme finden (MRAI 19.6.2023; vergleiche BAMF 3.2019). Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019). Die gestiegene Beliebtheit von christlichen Weihnachtsfeiern und Christbäumen (unter Nicht-Christen) wurde von konservativer Seite allerdings auch kritisiert (IRJ 30.12.2019).
Der Staat kann zwar Bedenken äußern oder Beschränkungen für Geschäfte, die diese Dekorationen verkaufen, auferlegen, aber er erhebt normalerweise keine Anklage wegen Besitzes oder Verwendung dieser Dekorationen (MRAI 19.6.2023). Unter anderem versucht er auch, das in Iran verbreitete Feiern des Valentinstages zu unterbinden, der zeitlich mit dem Jahrestag der Islamischen Revolution zusammenfällt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die Herstellung von Postern, Broschüren, Schachteln und Karten mit Liebesherzsymbolen und roten Rosen, wie sie zum Valentinstag verschenkt werden, offiziell verboten. Dennoch werden derartige Waren von Ladenbesitzern angeboten und von Kunden gekauft, wobei Ladenbesitzer Sanktionen wie temporäre Geschäftsschließungen riskieren (NLM 14.2.2022). Das Tragen von christlichen Symbolen [wie z. B. Kreuzanhängern] kann nach Angaben einer iranischen Rechtsanwältin für Personen allerdings je nach Interpretation der Sittenpolizei zu Problemen führen. Die Behördenvertreter können dies beispielsweise als allgemeines und zweideutiges Vergehen im Zusammenhang mit Straftaten gegen die Keuschheit und die öffentliche Moral einstufen. Letztendlich ist es Sache des Richters oder der Polizei zu entscheiden, ob die Verwendung christlicher Symbole unter diese Straftatbestände fällt. Ein weiterer möglicher Ansatz besteht darin, Personen der "Störung der öffentlichen Werte" zu beschuldigen. Es gibt Fälle, in denen die Sittenpolizei Menschen wegen des Tragens christlicher Symbole verhaftet hat (MRAI 19.6.2023). Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge kann ein Richter sichtbare christliche Tätowierungen oder im Rahmen einer Verhaftung eines Konvertiten beschlagnahmten Schmuck oder Bilder mit christlicher Symbolik in die Beweislast im Zusammenhang mit einer Konversion einbeziehen. Dies kann jedoch von Fall zu Fall variieren (MBZ 9.2023).
Ausländische christliche Gemeinden
Ausländische christliche Gemeinden, v. a. von christlichen Arbeitsmigranten und anderen Christen aus Asien (Philippinen, Südkorea) und dem Westen, darunter viele Angehörige der katholischen, lutherischen oder presbyterianischen Kirche (OpD 2024), können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben. Sie werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch könnten die Gemeinden langfristig "aussterben" (AA 30.11.2022). Ausländischen Christen ist es streng verboten, mit iranischen christlichen Konvertiten aus dem Islam in Kontakt zu treten, geschweige denn, sie in ihre Gemeinden aufzunehmen (OpD 2024).
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Apostasie, Konversion, Proselytismus, Blasphemie
Rechtliche Rahmenbedingungen
Abfall vom Islam, Apostasie (Farsi: ertedad) fällt in den Bereich der sog. Hadd-Strafen der Sharia, die allgemein mit der Todesstrafe geahndet werden (BAMF 5.2022) - so die Angeklagten Männer sind, für Frauen ist bei Apostasie eine lebenslange Haftstrafe (bis zur Reue und Rückkehr zum Islam) vorgesehen (Landinfo 20.10.2023). Die islamischen autoritativen Rechtsquellen wie der Koran und Hadithe (Aussagen des Propheten) sind allerdings nicht immer eindeutig und zuweilen auch widersprüchlich. Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran (IStGB) ist nicht mit der Sharia identisch und Apostasie wird nicht als Straftatbestand im IStGB aufgeführt. In Fällen wie diesen erlaubt Artikel 167, der Verfassung Richtern den Rückgriff auf traditionelle islamische Rechtsquellen (Koran, Hadith und Fatwas, sog. Rechtsgutachten). Damit besteht rechtlich zumindest in der Theorie die Möglichkeit bei Apostasie eine Bestrafung gemäß den islamischen Rechtsquellen und Fatwas vorzunehmen. Obwohl die iranischen Behörden zuweilen mit Apostasie-Anklagen drohen, sind solche jedoch sehr selten (BAMF 5.2022; vergleiche ARTICLE19 6.7.2022). Zwischen 1990 und 2020 haben sie das - vermutlich auf internationalen Druck - nur dreimal getan. Die einzige Hinrichtung aufgrund von Apostasie fand 1990 statt (OpD 20.2.2023; vergleiche IRB 9.3.2021). Ein Teilnehmer an den "Frau, Leben, Freiheit"-Protesten wurde im Dezember 2022 jedoch von einem Revolutionsgericht unter anderem wegen Apostasie zum Tod verurteilt. Ihm war die Verbrennung eines Korans vorgeworfen worden, wobei er laut Amnesty International durch Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Das Urteil wurde im Mai 2023 aufgehoben, der Protestteilnehmer verstarb jedoch in Haft, bevor es zu einer Neuverhandlung kommen konnte (AI 7.9.2023; vergleiche BBC 31.8.2023).
Zum Christentum Konvertierte können auch auf Grundlage anderer Straftatbestände angeklagt werden, wobei diese Anklagepunkte zu den sogenannten Taʿzir-Strafen (Ermessensstrafen) zählen, bei denen die Urteilsfindung und das Strafmaß im Ermessen des vorsitzenden Richters liegen. Mögliche Anklagepunkte, die lt. IStGB mit unterschiedlich langen Haftstrafen geahndet werden, sind z. B.: Aktionen gegen die nationale Sicherheit (IStGB 5. Buch/Art. 498-99) (BAMF 5.2022) einschließlich der Gründung und Mitgliedschaft einer illegalen Gruppe (Landinfo 20.10.2023), Propaganda gegen das System (IStGB 5. Buch/Art. 500), Beleidigung heiliger islamischer Werte und Prinzipien (IStGB 5. Buch/Art. 513), Versammlung und Verschwörung zur Unterminierung der Landessicherheit (IStGB/Art. 610) oder Alkoholgenuss [im Zuge der Heiligen Kommunion] (IStGB/Art. 701) (BAMF 5.2022), wobei der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021). Andere politisch motivierte Anklagen wie Feindschaft gegen Gott (moharebeh) und Verderbtheit auf Erden (efsad-e fi’l-arz) [Anm.: zählen beide zu den Hadd-Strafen] wurden ebenfalls verschiedentlich dokumentiert, sind im Zusammenhang mit Bekenntnissen zu religiösen Alternativen allerdings eher selten (BAMF 5.2022).
Missionarische Tätigkeit - d. h. jegliches nicht-islamisches religiöses Agieren in der Öffentlichkeit - ist verboten und wird geahndet (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche USDOS 15.5.2023). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden, wobei es mit Stand November 2021 in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam (ÖB Teheran 11.2021). Im September 2022 wurde jedoch bekannt, dass zwei Aktivistinnen für LGBTIQ-Rechte, denen die Behörden neben anderen Anklagepunkten auch "Missionierung für das Christentum" vorwarfen, zum Tod verurteilt worden sind (BAMF 1.1.2023; vergleiche OMCT 22.9.2022).
Im November 2021 entschied der Oberste Gerichtshof, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden waren, nicht wegen "Handelns gegen die nationale Sicherheit" angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es: "Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der 'evangelikalen zionistischen Sekte', wobei beides offensichtlich die Propagierung des Christentums durch Familientreffen [Hauskirchen] bedeutet, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen" (ARTICLE18 25.11.2021; vergleiche RFE/RL 5.5.2022). Anders als die Berufungsgerichte kann der Oberste Gerichtshof keine neuen Urteile erlassen, sondern entscheidet lediglich über die Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren. Der Fall wurde an eine Zweigstelle des Berufungsgerichtshofes innerhalb des Revolutionsgerichts überstellt, das nun unabhängig von den bislang ergangenen Gerichtsurteilen - aber auch unabhängig vom Obersten Gerichtshof - zu einem Urteil in der Sache gelangen konnte. Die Konvertiten wurden daraufhin im Februar 2022 freigesprochen und bis auf eine Person, die wegen ihrer christlichen Aktivitäten noch eine andere Haftstrafe verbüßt, freigelassen. Gegen zwei der Freigelassenen wurden umgehend neue Anklagen erhoben (BAMF 5.2022). In einem ähnlich gelagerten Fall wurde ein zum Christentum konvertiertes Ehepaar, das 2020 aufgrund der Teilnahme an hauskirchlichen Treffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden war, im Mai 2023 freigesprochen und aus der Haft entlassen. Auch hier hatte ein Berufungsgericht geurteilt, dass die Organisation, Mitgliedschaft und Teilnahme an christlichen Gruppen keine Handlungen gegen die Sicherheit des Landes darstellen würden (BAMF 15.5.2023). Menschenrechtsorganisationen betonen einerseits eine mögliche Signalwirkung der Urteile (BAMF 15.5.2023; vergleiche ARTICLE18 25.11.2021), andererseits wurde beispielsweise im September 2022 bekannt, dass mehrere Christen aufgrund ihrer Beteiligung an Hauskirchen unter dem Anklagepunkt "Bildung und Betrieb illegaler Organisationen, mit dem Ziel die Sicherheit des Landes zu stören", von einem Berufungsgericht teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren (ET 24.9.2022; vergleiche OpD 22.9.2022).
Der Straftatbestand der Blasphemie im IStGB kann sich gegen anerkannte wie auch nicht anerkannte religiöse Minderheiten und Atheisten richten (MRG 12.12.2023). Gemäß Artikel 262 und Artikel 513, IStGB kann "Sab al-nabi" (Beleidigung des Propheten) und die Beleidigung der "heiligen islamischen Werte" mit dem Tod bestraft werden (USCIRF 14.9.2023), auch wenn das in der Praxis nicht üblich ist (MRG 12.12.2023). Im Mai 2023 wurde jedoch von zwei Exekutionen nach einer Verurteilung wegen Blasphemie berichtet [Anm.: s. auch Abschnitt zu Atheismus] (RFE/RL 8.5.2023; vergleiche AJ 8.5.2023). Nach Artikel 513, IStGB sind auch Haftstrafen möglich (USCIRF 14.9.2023). Im Mai 2024 wurde beispielsweise ein bekannter, kontroverser Rapper wegen Blasphemie zu drei Jahren Haft verurteilt, nachdem er zuvor von der Türkei nach Iran überstellt worden war (Spiegel 19.5.2024). "Gotteslästerer" werden zudem auch wegen "Korruption auf Erden" und "Feindschaft gegenüber Gott" belangt. Eine Änderung des IStGB im Jahr 2021 (Artikel 499 und 500 bis) schränkt die Rechte religiöser Minderheiten weiter ein, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit [Anm.: s. Überkapitel] (MRG 12.12.2023).
Behandlung von Konvertiten
Christen, insbesondere Evangelikale und andere Konvertiten aus dem Islam, sind nach Angaben christlicher Nichtregierungsorganisationen weiterhin unverhältnismäßig vielen Verhaftungen und Inhaftierungen sowie einem hohen Maß an Schikanen und Überwachung ausgesetzt (USDOS 15.5.2023; vergleiche AA 30.11.2022). Menschenrechtsorganisationen und christliche NGOs berichten weiterhin, dass die Behörden Christen, einschließlich Mitglieder nicht anerkannter Kirchen, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Aktivitäten verhaften und sie beschuldigen, illegal in Privathäusern zu operieren oder "feindliche" Länder zu unterstützen und deren Hilfe anzunehmen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen setzt die Regierung auch das Verbot der Missionierung weiter durch (USDOS 15.5.2023). 2023 wurden laut einem Bericht mehrer NGOs mindestens 166 Christen verhaftet, ein Anstieg gegenüber 2022 (134) (ARTICLE18/OpD/MEC/CSW 2.2024).
In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Trotz des Verbots des "Abfalls vom Islam" ist in Iran ein anhaltender Trend von Konversion zum Christentum festzustellen. Unter den Christen des Landes stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Viele vor allem jüngere Iraner haben sich von der Religion auch gänzlich abgewendet, weil sie mit den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seit der Islamischen Revolution nicht einverstanden sind (AA 30.11.2022). Das Regime ist bestrebt, die Werte der Islamischen Revolution von 1979 zu schützen, von denen es seine Legitimität ableitet. Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik (OpD 2024). Konversion und Bekenntnis zum Christentum sind damit Akte des Protests, der Fundamentalopposition und des Bruches mit der Islamischen Republik (BAMF 5.2022; vergleiche taz 19.2.2024). Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich vom Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen "Verbrechen gegen die nationale Sicherheit" verurteilt werden (OpD 2024). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft auch Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z. B. Zionisten) (ÖB Teheran 11.2021). Freikirchliche Protestanten werden des "evangelikalen und zionistischen" Christen- bzw. Sektentums bezichtigt (BAMF 5.2022).
Hauskirchen
Da es den anerkannten christlichen Gemeinden untersagt ist, anderen Iranern zu predigen oder sie in ihre Kirchen zu lassen, können diejenigen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, ihren Glauben nur im Geheimen, z. B. in sogenannten Hauskirchen (BBC 1.4.2024) oder alleine über christliche Satellitenkanäle und das Internet ausüben (Landinfo 20.10.2023). Einige Konvertiten haben sich den "Assemblies of God"-Kirchen angeschlossen, andere gehören verschiedenen evangelikalen Hauskirchen-Netzwerken an (RFE/RL 5.5.2022). Die Schließungen von "Assembly of God"-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS 23.2.2018). Die Größe der Hauskirchen, ihre Art und Struktur variieren. Die meisten sind klein und informell, sie bestehen aus engen Verwandten und Freunden, die sich regelmäßig zum Beten und Bibellesen oder zum Ansehen von christlichen Fernsehprogrammen auf Farsi treffen (DFAT 24.7.2023). Während Treffen in größeren Gruppen früher üblicher waren, gibt es inzwischen viele kleine Hauskirchen mit maximal zehn Mitgliedern (Landinfo 20.10.2023).
Die hauskirchlichen Vereinigungen stehen unter besonderer Beobachtung, ihre Versammlungen werden regelmäßig aufgelöst und ihre Angehörigen gelegentlich festgenommen (AA 30.11.2022; vergleiche Landinfo 20.10.2023). Es ist unklar, inwieweit die iranischen Sicherheitsdienste einen Überblick über die Konvertitengemeinden in Iran haben. Ein von Landinfo befragter Interviewpartner gab an, dass es die mittlerweile kleinere Größe der Hauskirchen für die Sicherheitsbehörden schwieriger mache, den Überblick zu behalten. Ein anderer Interviewpartner war der Ansicht, dass die Sicherheitsbehörden vermutlich über die meisten Hauskirchen im Land Bescheid wüssten, allerdings nicht die Kapazitäten hätten, gegen alle vorzugehen. Die Behörden gehen nicht notwendigerweise gegen alle ihnen bekannte Konvertitengemeinschaften vor. Gemäß einem von Landinfo befragten Konvertit täten sie dies insbesondere, wenn die Gemeinschaften aktiv an der Verbreitung des Christentums beteiligt seien und die Gemeinschaft wächst. Unabhängig davon, ob Razzien gegen Hauskirchen durchgeführt werden oder nicht, können Konvertiten manchmal auch zur Befragung vorgeladen werden. Ziel ist es, das Umfeld zu erfassen, dem die Person angehört. Wenn der Konvertit bei der Befragung die Namen anderer Konvertiten angibt, können diese ebenfalls zur Befragung vorgeladen werden (Landinfo 20.10.2023). Eine Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet, wenn ein Christ das Interesse der Behörden geweckt hat (DIS 23.2.2018). Wenn die Sicherheitsdienste eine Hauskirche entdeckt haben, überwachen sie diese in der Regel eine Zeit lang und sammeln weitere Informationen. Dazu gehören die Beschattung der Konvertiten, die Analyse ihrer Bewegungen sowie Online-Aktivitäten, auch in den sozialen Medien (Landinfo 20.10.2023).
Die Sicherheitsdienste setzen Drohungen als eines von mehreren Mitteln ein, mit denen sie versuchen, das Wachstum konvertierter Gemeinschaften zu stoppen. Drohungen werden häufig im Zusammenhang mit Verhören ausgesprochen und umfassen beispielsweise eine in Aussicht gestellte Strafverfolgung, oder auch Drohungen, einem Familienmitglied eines Priesters könnte ein "Unfall" passieren. Laut einem von Landinfo befragten Interviewpartner setzen die Behörden zunehmend auf Drohungen und Schikanen anstelle von Verhaftungen (Landinfo 20.10.2023).
Einige derjenigen Christen, die die schwersten Strafen erhalten haben (2-10 Jahre Gefängnis), wurden wegen der Leitung/Organisation von Hauskirchen verurteilt (Landinfo 20.6.2022). Von Landinfo im Jahr 2023 befragte Quellen stimmten weitgehend darin überein, dass die Behörden vor allem die Ausbreitung des Christentums verhindern wollen. Dementsprechend konzentrieren sich ihre Bemühungen auf Personen, die Hauskirchen leiten und organisieren sowie Missionierung betreiben. Alle anderen Konvertiten, die keine solche Führungs- oder Einsatzfunktion haben, sind nur selten von Inhaftierung und strafrechtlicher Verfolgung bedroht, können aber anderen Reaktionen wie Verhören durch die Sicherheitsbehörden, Drohungen und Druck zur Unterzeichnung von Erklärungen, nicht an christlichen Versammlungen teilzunehmen, ausgesetzt sein. Ebenso können sie vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen sein (Landinfo 20.10.2023). Die Aussage, dass Pastoren, Missionare oder Organisatoren von Hauskirchen besonders im Fokus der Sicherheitsbehörden befinden, bedeutet allerdings nicht, dass sich das Risiko für normale, nicht in entsprechende Aktivitäten involvierte Gemeindemitglieder automatisch auf null reduzieren würde (BAMF 5.2022). So berichteten von Landinfo Anfang 2023 befragte Gesprächspartner, dass sie Fälle von Konvertiten kennen würden, die lediglich aufgrund der Teilnahme an Hauskirchen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Sie hatten weder missioniert noch Leitungsfunktionen übernommen. Die meisten der zu Haftstrafen Verurteilten sind allerdings Leiter von Hauskirchen (Landinfo 20.10.2023). Die NGO Open Doors, die sich für Christen einsetzt, gibt in ihrem Länderprofil zu Iran im Jahr 2024 an, dass auch einfache Mitglieder von Hauskirchen verhaftet werden können (OpD 2024).
Neben Haftstrafen werden Konvertiten manchmal auch zur Teilnahme an islamischem Religionsunterricht verpflichtet, der sie davon überzeugen soll, zum Islam zurückzukehren. Der Unterricht wird oftmals von den Sicherheitsbehörden veranlasst, ohne dass es dazu eine richterliche Anordnung gäbe (Landinfo 20.10.2023).
Einerseits wird immer wieder von Razzien und Verhaftungen von Christinnen und Christen berichtet, was ein hartes staatliches Vorgehen signalisiert. Die Gemeinden sollen durch diese Unvorhersehbarkeit in Angst und Unsicherheit gehalten werden. Andererseits belegen Einzelbeispiele, dass es immer darauf ankommt, welche Person dem Beschuldigten gegenübersitzt. Auch persönliche Einstellungen und Charakteristika von Amtsträgern spielen eine Rolle. Dabei kann es fallweise erhebliche Unterschiede geben (BAMF 5.2022). Der Umgang der Sicherheitsdienste mit Konvertiten ist in den verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich. Einige Mitglieder der Sicherheitsdienste sind korrupt. Sie drohen oder nehmen Festnahmen vor, um Schmiergelder zu erpressen. Ihre Informanten, die in allen lokalen Gemeinschaften zu finden sind, können ebenfalls korrupt sein und von Konvertiten Bestechungsgelder verlangen, damit sie diese nicht an die Sicherheitsdienste melden (Landinfo 20.10.2023).
Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 USD liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Diejenigen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution zu verlieren (OpD 2024).
Behandlung von Konvertiten nach der Rückkehr
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z. B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Informanten in westlichen Ländern berichten dem iranischen Geheimdienst über Aktivitäten iranischer Christen im Ausland (OpD 2024).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein 'high-profile'-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber dies kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber zu Problemen führen (DIS 23.2.2018). Eine befragte Rechtsanwältin schilderte in diesem Zusammenhang auch, dass es Fälle gibt, bei denen Personen aufgrund von Beiträgen in den sozialen Netzwerken mit nur geringer Reichweite oder Beiträgen von lediglich "privat" einsehbaren Profilen inhaftiert wurden, da sie von Personen aus ihrem Umfeld gemeldet wurden. Der Staat ist rechtlich dazu in der Lage, Personen in derartigen Fällen aufgrund von "Vergehen gegen die nationale Sicherheit" oder "Vergehen gegen den Islam" zu verfolgen (MRAI 19.6.2023). Die iranischen Behörden fokussieren bei der Überwachung von Konvertiten zuletzt zunehmend auf Online-Aktivitäten (Landinfo 20.6.2022).
Taufe, christliche Schriften
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS 23.2.2018). Die NGO Open Doors gibt in seinem Weltverfolgungsindex 2024 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OpD 2024).
Christlichen NGOs zufolge werden die staatlichen Beschränkungen für die Veröffentlichung von religiösem Material fortgesetzt, obwohl staatlich genehmigte Bibelübersetzungen Berichten zufolge weiterhin erhältlich sind. Regierungsbeamte beschlagnahmen häufig Bibeln und ähnliche nicht schiitische religiöse Literatur und üben Druck auf Verlage aus, die nicht genehmigtes nicht-muslimisches religiöses Material drucken, um ihre Tätigkeit einzustellen (USDOS 15.5.2023). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OpD 2024). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der "Katholischen Jerusalem Bibel" ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den "Katechismus der Katholischen Kirche" ins Farsi. Beide Produkte waren mit Stand 2019 ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Atheismus
Rechtlich gesehen ist es im Iran nicht möglich, sich nicht zu einer Religion zu bekennen. Es gibt mehrere Situationen, in denen Iraner den Behörden ihre Religionszugehörigkeit mitteilen müssen (MBZ 9.2023). Personen, die sich öffentlich vom Islam lossagen, können wegen Apostasie (DFAT 24.7.2023) und Blasphemie angeklagt werden (SäkF 24.8.2020; vergleiche RFE/RL 8.5.2023). Beispielsweise im Mai 2023 exekutierte das iranische Regime zwei atheistische Aktivisten, die wegen Blasphemie zum Tod verurteilt worden waren, da sie in den sozialen Medien angeblich "Atheismus und die Beleidigung von religiösen und islamischen Heiligtümern" gefördert hätten (RFE/RL 8.5.2023; vergleiche AJ 8.5.2023). Atheisten sind daher üblicherweise diskret bei der Zurschaustellung ihrer Anschauung (DFAT 24.7.2023; vergleiche USDOS 15.5.2023). Wenn sie diese nicht weithin bekannt machen, ist es eher unwahrscheinlich, dass die Behörden auf sie aufmerksam werden (DFAT 24.7.2023). Unter anderem verbietet auch das Pressegesetz ausdrücklich eine Verbreitung von atheistischen Inhalten oder von Inhalten, die als schädlich für die islamischen Kodizes oder als Beleidigung islamischer Rechtsgelehrter angesehen werden. Die weit gefassten Definitionen erleichtern hierbei eine umfassende Zensur und verwehren den Bürgern den Zugang zu verschiedenen Informationsquellen (ARTICLE19 27.2.2018).
Atheisten aus konservativen Familien könnten mit familiärem Druck und potenzieller Ächtung konfrontiert werden, wenn ihr Atheismus bekannt würde. Atheisten aus liberaleren Familien und Teilen des Landes, wie dem Norden Teherans, sind solchem Druck dagegen nicht ausgesetzt (DFAT 24.7.2023). Gemäß einer anderen Quelle gaben Atheisten dagegen an, dass sie ihren Atheismus in den meisten gesellschaftlichen und sogar familiären Kontexten zu ihrer eigenen Sicherheit verbergen müssen (IrWire 27.2.2023).
Rückkehr zum Islam
Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 11.2021).
Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum, Konversion von einer nicht-islamischen Religion
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit 'Konversion' bzw. Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Dieser Wechsel [zwischen den beiden Hauptzweigen des Islam] ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen (ÖB Teheran 11.2021). Er gilt nicht als Konversion, da es sich dabei um keinen Religionswechsel handelt, schließlich zählen Sunnitentum wie Schiitentum zum Islam. Eine befragte Rechtsanwältin geht nicht davon aus, dass es für einen Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum bestimmte formale Anforderungen bzw. Regeln gibt. Personen, die dies wünschen, können schlicht in eine sunnitische Moschee gehen und dort beten. Aus rechtlicher Sicht besteht kein Problem bei einem Wechsel vom Schiitentum zum Sunnitentum. Es sind keine Fälle einer rechtlichen Verfolgung ähnlich wie bei einer Konversion von Muslimen zum Christentum bekannt (MRAI 19.6.2023). Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich "konvertierte" Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese ebenfalls nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
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Grundversorgung und Wirtschaft
Die Wirtschaft zeichnet sich durch ihren Kohlenwasserstoff-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor sowie eine bemerkenswerte staatliche Präsenz in der verarbeitenden Industrie und den Finanzdienstleistungen aus. Iran steht weltweit an zweiter Stelle, was die Größe der Erdgasreserven betrifft, und bei den nachgewiesenen Rohölreserven an vierter Stelle (WB 20.10.2022). Obwohl die iranische Wirtschaft für ein erdölexportierendes Land relativ diversifiziert ist (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020) und über ein Reservoir gut ausgebildeter Arbeitskräfte verfügt (BPB 15.5.2020), hängen die Wirtschaftstätigkeit und die Staatseinnahmen von den Öleinnahmen ab und sind daher volatil (WB 20.10.2022; vergleiche BPB 15.5.2020).
Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80 % der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, für die restlichen 20 % ist der private und kooperative Sektor verantwortlich (BS 19.3.2024). Die iranische Wirtschaft steht allerdings nicht einfach unter der Kontrolle der iranischen Regierung. Institutionen, die mit Hoheitsorganen abseits der Regierung (den Revolutionsgarden und dem Haus des Obersten Führers) verbunden sind, kontrollieren große Teile der Wirtschaft des Landes (EPC 28.3.2023; vergleiche BS 19.3.2024). Eine wichtige Säule im Machtapparat des Regimes sind die Bonyads (LMD 2020), wirtschaftlich mächtige religiöse, revolutionäre und militärische Stiftungen (BS 19.3.2024), die für sich beanspruchen, eine Vielzahl von Aktivitäten im Zusammenhang mit Sozialarbeit, Beratungs-, Sozial- und Rehabilitationsdiensten durchzuführen (MEI 29.1.2009). Die Bonyads werden direkt oder indirekt vom Obersten Führer kontrolliert. Dadurch sind sie strukturell vom Wettbewerb abgeschirmt und verzerren die Grundsätze des freien Marktes. Diese Einrichtungen genießen zahlreiche Privilegien, darunter Steuerbefreiungen und exklusiven Zugang zu lukrativen staatlichen Aufträgen (BS 19.3.2024). Die Revolutionsgarden sind mit einigen der Bonyads eng verbunden (MEI 3.5.2022). Sie sind wirtschaftlich ebenso aktiv und haben ihre eigenen finanziellen, wirtschaftlichen, industriellen und landwirtschaftlichen Zweige. Das Wirtschaftskonglomerat Khatam al-Anbiya, das sich im Besitz der Revolutionsgarden befindet, hat es geschafft, ein Monopol auf große Infrastrukturprojekte in Iran aufzubauen (MEI 7.6.2022). Die Vermengung der politischen mit der wirtschaftlichen Sphäre hat eine staatliche Verteilungs- und Klientelpolitik gefördert, die mit hoher Korruption einhergeht (BPB 31.1.2020a; vergleiche MEI 7.6.2022).
Mit einem Pro-Kopf-BIP von 4.669,6 USD im Jahr 2022 [letztverfügbare Daten] zählt die Weltbank die Islamische Republik Iran zu den Ländern in der Kategorie "niedriges mittleres Einkommen" (WB o.D.). Laut dem Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) befindet sich Iran mit einem Indexwert von 0,780 für das Jahr 2022 unter den Ländern mit einem hohen Entwicklungsstand. Der HDI misst den Entwicklungsstand von Staaten anhand der Faktoren "langes und gesundes Leben", "Zugang zu Bildung" und "menschenwürdige Lebensstandards für die Bevölkerung". Während die Indexwerte für Iran im Zeitraum 1990-2017 gestiegen sind, nahmen sie danach wieder ab. 2022 stieg der Indexwert erstmals wieder im Vergleich zum Vorjahr und erreichte ungefähr das Niveau von 2020 (UNDP 13.3.2024).
Das iranische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2022/2023, d. h. im iranischen Kalenderjahr [1401], das im März 2023 endete, um 3 % gewachsen (Amwaj 23.2.2024) und auch 2024 wird ein reales BIP-Wachstum von 3 % erwartet (IMF 4.2024). In USD ausgedrückt ist der nominale Wert der Wirtschaft 2022/2023 jedoch gesunken (Amwaj 23.2.2024). Das BIP-Wachstum des Landes, gemessen in konstanten Dollar-Kursen, ist seit den frühen 2010er-Jahren weitgehend unverändert geblieben und das BIP pro Kopf liegt bei Kaufkraftparität etwa 10 % unter dem Niveau der späten 2000er-Jahre (FES 3.2024).
Der Rial (IRR) hat seit der Verhängung der US-Sanktionen im Jahr 2018 auf dem freien Markt von rund 42.000 zu 1 USD auf bis zu 580.000 zu 1 USD Anfang 2024 abgewertet (IRINTL 29.1.2024a; vergleiche Bonbast 23.2.2024). Der niedrige IRR-Kurs verteuert vor allem Importe auf breiter Front (BAMF 13.2.2023). Aufgrund der Inflation profitieren gewöhnliche Iraner vom BIP-Wachstum in ihrem täglichen Leben nicht viel (FDD 30.11.2023). Die geschätzte Inflationsrate der durchschnittlichen Konsumentenpreise liegt 2024 bei 37,5 % (IMF 4.2024), wobei sie seit 2021 immer über 40 % ausmachte (IMF 4.2024; vergleiche WB 24.8.2023). Die hohe Inflation trifft Haushalte mit geringem Einkommen unverhältnismäßig stark, da deren Ausgaben für Lebensmittel und Wohnen etwa 80 % ihres Budgets ausmachen, während ihre Reallöhne sinken (WB 24.8.2023). Gemäß dem Recherchedienst des iranischen Parlaments hat die Hälfte der iranischen Bevölkerung 2022/2023 den empfohlenen täglichen Kalorienbedarf (2.100 Kalorien) nicht erreicht, was unter anderem mit der hohen Inflation für Nahrungsmittelpreise in Verbindung gebracht wurde (IrWire 30.4.2024).
Entsprechend der von der Weltbank für Iran verwendeten Definition der Armutsgrenze (Verfügbarkeit von mindestens 6,85 USD tägl.) befanden sich im Jahr 2022 21,9 % der Iraner unter der Armutsgrenze. Die Armut hat damit seit 2020 abgenommen, als noch 29,3 % der Iraner weniger als 6,85 USD täglich zur Verfügung hatten (WB 4.2024). Nach Angaben des iranischen Ministeriums für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt befanden sich im Jahr 2022 dagegen 35 % der iranischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze (Amwaj 8.2.2024), während ein bekannter iranischer Ökonom im Mai 2023 sogar von einem Anteil von 50 % sprach (IRINTL 20.5.2023; vergleiche BNE 1.8.2023). Iran hat seit 1979 bemerkenswerte Fortschritte bei der Armutsbekämpfung gemacht, der Zeitraum zwischen 2010 und 2020 gilt jedoch als verlorenes Jahrzehnt hinsichtlich des Wirtschaftswachstums, als fast zehn Mio. Iraner in die Armut abgerutscht sind (WB 11.2023). Trotz eines allgemeinen Rückgangs der Armut zwischen 2020 und 2022 gibt es nach wie vor regionale Unterschiede, insbesondere gegenüber den ländlichen und südöstlichen Regionen. So galt 2022 mehr als ein Drittel der Bevölkerung in ländlichen Gebieten als arm. Die Ungleichheiten wurden durch anhaltende Dürre und Wasserknappheit noch verschärft. Die südöstlichen Provinzen, insbesondere Sistan und Belutschistan, sind von großer Armut betroffen, die deutlich über dem nationalen Durchschnitt liegt (WB 4.2024).
Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ist im ganzen Land nahezu flächendeckend, mit Ausnahme des Zugangs zu modernen Abwassersystemen und zum Internet, wo es eine große Kluft zwischen ländlichen und städtischen Haushalten gibt (WB 11.2023). Die Grundversorgung ist gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch ein enger Familienzusammenhalt sowie das islamische Spendensystem beitragen (AA 30.11.2022).
Ein Grund für die schlechte wirtschaftliche Leistung Irans sind die europäischen und amerikanischen Wirtschaftssanktionen. Sie wurden Anfang der 2010er-Jahre verschärft, bis 2015 das Atomabkommen mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) ausgehandelt wurde, das teilweise Sanktionsentlastungen enthielt. Nach dem Rückzug der Regierung von US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen im Jahr 2018 wurden die Sanktionen von den USA einseitig wieder eingeführt und in den folgenden zwei Jahren weiter verschärft. Auch die EU und andere westliche Länder verschärften ihre Sanktionen im Zuge der "Frau-Leben-Freiheit"-Proteste im Jahr 2022 (FES 3.2024) und nach dem Hamas-Angriff vom 7.10.2023 wurden weitere Sanktionen gegen mit Iran verbundene Personen und Organisationen verhängt (Soufan 14.5.2024). Iranische Banken sind seit der Wiedereinführung der Sanktionen im Jahr 2018 vom SWIFT-System ausgenommen (MEE 30.1.2023; vergleiche BS 19.3.2024). Damit wurden sie vom globalen Finanzsystem effektiv ausgeschlossen (BS 19.3.2024).
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Sozialbeihilfen
Das sozialstaatliche System Irans besteht aus Subventionen für grundlegende Güter, Bargeldtransfers, Organisationen zur Armutsbekämpfung, die einen Teil der ärmeren Bevölkerung nach Bedürftigkeit versorgen, und Sozialversicherungsorganisationen, welche die mittleren und oberen Einkommensschichten des Landes abdecken (CERI 12.2021). Zu den Sicherungsmaßnahmen gehören Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosengeld, Krankenurlaub, Mutterschaftsgeld, Familienbeihilfen und Zuwendungen für Behinderte (WB 11.2023). Das Bildungs- und Gesundheitswesen ist für alle iranischen Staatsangehörigen, einschließlich der Rückkehrenden, über das Bildungsministerium und das Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung zugänglich (IOM 11.2023).
Sozialversicherungsleistungen
Das iranische Sozialversicherungssystem wird vom Ministerium für Kooperativen, Arbeit und Wohlfahrt überwacht und v. a. von der "Organisation für Sozialversicherung" (Social Security Organization, SSO [Farsi: Sazman Tamin Ejtemaei]) (SSA o.D.) als größtem Sozialversicherungsträger verwaltet (Bimeh 20.12.2023). Gemäß der iranischen Arbeitsgesetzgebung müssen alle regulär Angestellten des privaten Sektors bei der SSO versichert sein (SAIS Rethinking Iran 2023; vergleiche Bimeh 20.12.2023), wobei die Versicherungsprämien durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie staatliche Zuschüsse gedeckt werden. Öffentliche Bedienstete mit befristeten Verträgen sind ebenfalls bei der SSO versichert (Landinfo 12.8.2020), für [andere] Staatsbedienstete und Angehörige der Streitkräfte gibt es spezielle Versicherungssysteme (IOM 11.2023). Seit den 1990ern werden auch Angestellte in kleinen Firmen und informell tätige Selbstständige dazu ermutigt, sich bei der SSO zu versichern (Landinfo 12.8.2020). Unternehmer sind nicht dazu verpflichtet, sich zu versichern (Bimeh 20.12.2023). Es besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung bei der SSO, beispielsweise auch für Hausfrauen (IOM 11.2023). Hierbei müssen die Antragsteller bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie z. B. die Einzahlung der Versicherungsbeiträge für mindestens 30 Tage (IOM 11.2023; vergleiche Bimeh 20.12.2023) und Männer müssen ihren Ausweis zur erfolgten Ableistung des Wehrdienstes vorlegen (Bimeh 20.12.2023). Personen aus den untersten Einkommensklassen fallen unter die Salamat-Versicherung, die mittels staatlicher Finanzierung eine medizinische Grundversorgung bietet (Amwaj 29.4.2024).
Offiziellen Statistiken zufolge erhält rund die Hälfte der iranischen Bevölkerung irgendeine Art von Leistung von der SSO (IRINTL 26.10.2023; vergleiche Amwaj 29.4.2024), wobei dies auch unterhaltsberechtigte Angehörige von Versicherten mit einschließt (Landinfo 12.8.2020). Rund ein Drittel der Bevölkerung ist über Salamat versichert (Amwaj 29.4.2024). Zur Größe des informellen Sektors der iranischen Wirtschaft existieren unterschiedliche Daten. Demnach sind 25 bis rund 60 % der Arbeitskräfte informell beschäftigt (SAIS Rethinking Iran 2023). Rund 25 % der Beschäftigten, vor allem im informellen Sektor und unter Saisonarbeitern, sind nicht pensionsversichert (Landinfo 12.8.2020).
Die SSO bietet ihren Mitgliedern Krankenversicherungs-, Pensions- und Arbeitslosenversicherungsleistungen (IRINTL 26.10.2023; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Andere Leistungen werden möglicherweise von Arbeitgebern oder privaten Versicherungsgesellschaften angeboten (IOM 11.2023).
Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch (AA 30.11.2022; vergleiche SSA o.D.). Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist (Landinfo 12.8.2020).
Arbeitnehmer, die mindestens sechs Monate hintereinander Sozialversicherungsbeiträge geleistet haben, und unfreiwillig arbeitslos werden, können mindestens sechs Monate lang Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen. Sie erhalten dabei 55 % ihres angegebenen Monatslohns. Dies gilt auch für Rückkehrer. Darüber hinaus existiert keine staatliche Arbeitslosenhilfe (IOM 11.2023). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Die Mittel für die Alterspension werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt (Landinfo 12.8.2020). Mit einem Gesetzesbeschluss vom Jänner 2024 wurde das gesetzliche Pensionsantrittsalter für Männer [von 60] auf 62 Jahre angehoben, während es für Frauen bei 55 Jahren verbleibt (IRINTL 14.1.2024; vergleiche IRNA 13.2.2024). Um die volle Pension beziehen zu können, sind laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA mindestens 30 Sozialversicherungsbeitragsjahre notwendig (IRNA 13.2.2024). Andere Quellen berichten, dass die notwendigen Sozialversicherungsbeitragsjahre zum vollen Pensionsanspruch nun bei 35 (VOA 21.11.2023; vergleiche Amwaj 22.11.2023) bzw. 42 Jahren für Berufseinsteiger liegen (IRINTL 14.1.2024; vergleiche Amwaj 22.11.2023).
Andere Hilfsleistungen
Der Staat zahlt (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (Landinfo 12.8.2020). Diese Zahlung wurde ursprünglich 2010 eingeführt und hat über die Jahre deutlich an Wert verloren (IRINTL 5.10.2022; vergleiche POMEPS 12.2017). Eine neue Zuschussleistung wird nach Einkommensklassen ausgezahlt. Personen in den niedrigsten drei Einkommensklassen erhalten demnach monatlich vier Mio. IRR (87,61 EUR), die zwei Einkommensklassen darüber erhalten drei Mio. IRR (65,71 EUR) (IOM 11.4.2024; vergleiche Rade 15.1.2024).
Es gibt soziale Absicherungsmechanismen, wie z. B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z. B. Frauengruppen) (AA 30.11.2022; vergleiche IOM 11.2023). Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die 'sadeqe', die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020a).
Es gibt zwei öffentliche Organisationen für gefährdete Gruppen. Je nach den Bedürfnissen der Kunden können diese Dienste in Form von Bargeld oder Zuschüssen erbracht werden. Sie dienen als ergänzendes Unterstützungssystem für gefährdete und einkommensschwache Menschen. Die bekannteste öffentliche Organisation, die allen älteren und behinderten Bürgern offen steht, heißt Behzisti [Anm.: auch State Welfare Organization, SWO]. Sie bietet eine breite Palette von Dienstleistungen für verschiedene gefährdete Gruppen wie Drogenabhängige, alleinerziehende Mütter, arbeitende Kinder, unbegleitete Minderjährige, geistig und körperlich Behinderte, Hochbetagte und so weiter. Zu den Dienstleistungen gehören sozialpsychologische Sitzungen, Beratungsdienste, vorübergehende Unterkünfte (Garm Khaneh) und Wohnheime, geistige und körperliche Rehabilitationsdienste, Suchtbehandlung und vieles mehr (IOM 11.2023). Die International Organization for Migration (IOM) berichtete allerdings beispielsweise bezüglich der Unterstützungszahlungen für Menschen mit Behinderungen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, dass diese zwar einen gesetzlichen Anspruch auf einen monatlichen Unterhaltszuschuss von Behzisti hätten, der allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Lage nicht regelmäßig ausbezahlt wird (IOM 29.5.2024). Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet auch Dienstleistungen für von Frauen geführte Haushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um deren Lebensbedingungen zu verbessern. Öffentliche Zentren sind in der Regel überlaufen und weisen lange Warteschlangen auf. Die Leistungsempfänger, die weniger überfüllte Orte oder einen engen Kontakt zu Spezialisten/Dienstleistern bevorzugen, wenden sich an private Zentren, bei denen es sich in der Regel um kleinere spezialisierte Kliniken oder Zentren handelt (IOM 11.2023). Gemäß Angaben aus dem Jahr 2021 erhalten rund zwölf Mio. Personen Unterstützung von Behzisti oder der Iman Khomeini Relief Foundation (Kayhan 25.10.2023a).
Behzisti und die Imam Khomeini Relief Foundation helfen bedürftigen Menschen auch bei der Anmietung einer Wohnung. Anspruchsberechtigte Personen erhalten unter besonderen Bedingungen eine monatliche Beihilfe für Grundbedürfnisse wie Wohnraum. Aufgrund des Anstiegs der Wohnungspreise und des Rückgangs der Einkommen können diese Beträge die Wohnkosten in Iran nicht decken (IOM 11.2023).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt (AA 30.11.2022; vergleiche IOM 11.2023). Für Rückkehrer im Rahmen des IOM-Projekts "Assisted Voluntary Return and Reintegration" (AVRR) können jedoch auf Anfrage Hotelzimmer für ein paar Tage gebucht werden. Vorübergehende Unterkünfte, auch bekannt als Garm Khaneh, nehmen nur extrem gefährdete Obdachlose und Drogenabhängige auf (IOM 11.2023).
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Medizinische Versorgung
Grundsätzlich entspricht die medizinische Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht (west-)europäischen Standards. Das Land hat in den Jahrzehnten seit der Revolution 1979 allerdings viel in das nationale Gesundheitssystem investiert (AA 30.11.2022). Seit damals hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen (ÖB Teheran 11.2021). Auf nationaler Ebene ist das Gesundheitsministerium für die Leitung, Politikgestaltung, Planung, Finanzierung und Steuerung der Programme zuständig (IOM 11.2023).
Fast die gesamte Landbevölkerung hat Zugang zu primären Gesundheitsdiensten, die in Gesundheitshäusern und ländlichen Gesundheitszentren erbracht werden. Auf Provinzebene sind die Universitäten für medizinische Wissenschaften und die Gesundheitsdienste die wichtigsten staatlichen Einrichtungen, die die Menschen mit Gesundheitsdiensten versorgen und ihre Bedürfnisse im Bereich der individuellen, kollektiven und ökologischen Gesundheit erfüllen. Auf städtischer und ländlicher Ebene ist ein Bezirksgesundheitsnetz, bestehend aus einem Bezirksgesundheitszentrum, städtischen und ländlichen Gesundheitszentren, Gesundheitsposten und Gesundheitshäusern, mit dieser Aufgabe betraut. Neben den Universitäten für medizinische Wissenschaften und den Gesundheitsdiensten wird ein Teil der Leistungen von Versicherungsgesellschaften und den Provinz- und Bezirkseinheiten der Social Welfare Organization [Anm.: State Welfare Organization (SWO), Behzisti] erbracht (IOM 11.2023). Staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser (Landinfo 12.8.2020). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z. B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021).
Selbst in ländlichen Gebieten haben 85 % der Bevölkerung Zugang zur primären Gesundheitsversorgung, 90 % werden mit sauberem Trinkwasser versorgt, 80 % sind an entsprechende Sanitäranlagen angeschlossen. Dennoch haben bei Weitem nicht alle Zugang zu komplexen, spezialisierten und damit auch teureren Diensten (AA 30.11.2022). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich (AA 31.5.2024). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Alle Krankenhäuser sind verpflichtet, Notfälle rund um die Uhr aufzunehmen (IOM 11.2023). Ein zuverlässig funktionierendes Rettungswesen besteht auch in den Städten nicht überall (AA 31.5.2024).
Alle iranischen Staatsbürger, einschließlich der Rückkehrenden, haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) und weitere Gesundheitsdienste. Die beiden am weitesten verbreiteten Arten von primären Krankenversicherungen sind Tamin Ejtemaei und Salamat [Anm.: auch Universal Public Health Insurance (UPHI)]. Die Erstversicherung deckt die Kosten für Medikamente, medizinische und Krankenhausleistungen, Impfungen usw. ab. Kosmetische Operationen fallen nicht unter den Versicherungsschutz und können vom Versicherer nicht unterstützt werden. Unternehmen müssen ihre Angestellten bei Tamin Ejtemaei versichern (IOM 11.2023), der "Krankenversicherung der Sozialversicherung" (bimeh-ye darmani-ye ta’min-e ejtema’i), die von der Social Security Organization (SSO) bereitgestellt wird [Anm.: s. zur Sozialversicherung Kap. Sozialbeihilfen] (Landinfo 12.8.2020). Darüber hinaus ist unter bestimmten Bedingungen auch eine freiwillige Versicherung über Tamin Ejtemaei möglich. Bei der Salamat-Versicherung wird die finanzielle Situation des Antragstellers geprüft und auf dieser Grundlage die Höhe der Versicherungsprämie berechnet. In einigen Fällen kann die Versicherungsgebühr entfallen. Salamat-Versicherte haben keinen Anspruch auf eine Versicherung bei Tamin Ejtemaei. Die Versicherung umfasst auch nur medizinische Leistungen in öffentlichen und universitären medizinischen Zentren. Es gibt eine spezielle Salamat-Versicherung für Dorf- und Kleinstadtbewohner (Orte unter 20.000 Einwohnern), die für die Versicherten kostenlos ist, da der Staat die Versicherungsgebühr übernimmt, und mit der sich die Versicherten in öffentlichen medizinischen Zentren versorgen lassen können. Weiters existiert auch ein Versicherungsschutz für seltene Krankheiten, mit der Personen, die an seltenen Krankheiten leiden, einen Teil der Behandlungskosten abdecken können (IOM 11.2023). Über Salamat, bzw. den Versicherungsträger Iran Health Insurance Organization (IHIO), sind auch öffentliche Bedienstete und Studenten versichert (Landinfo 12.8.2020). Die meisten Regierungsbehörden betreiben außerdem eigene Sozialleistungszentren, die unter anderem Gesundheitsdienste für ihre Bediensteten bereitstellen (SAIS Rethinking Iran 2023). Neben den öffentlichen Krankenversicherungen gibt es auch private mit unterschiedlichen Prämien je nach Versicherungsschutz (IOM 11.2023; vergleiche Landinfo 12.8.2020). Wohltätigkeitsorganisationen, u. a. die "Imam Khomeini Stiftung", kümmern sich um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge [Anm.: s. Kap. Afghanen in Iran zur Gesundheitsversorgung für afghanische Staatsbürger in Iran] (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche Landinfo 12.8.2020).
Die peripheren Einheiten (Gesundheitshäuser/ländliche Gesundheitszentren) auf dem Gelände der medizinischen Universitäten bieten kostenlose Gesundheitsdienste an. In den anderen Einrichtungen nehmen die Patienten die von ihnen benötigten Leistungen in Anspruch, indem sie einen Teil des Betrags auf der Grundlage ihrer Krankenversicherung bezahlen (IOM 11.2023). Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer Selbstbehalte von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Aufgrund des Budgetdefizits vieler Sozialversicherungsträger werden durchschnittlich nur rund 30 % der Gesundheitsausgaben von öffentlicher Hand gedeckt, für den Rest müssen die Patienten selbst aufkommen (Amwaj 29.4.2024). Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann (ÖB Teheran 11.2021).
Der private Sektor ist vor allem in den größeren Städten vertreten und bietet denjenigen, die private Krankenhäuser und Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen möchten, verschiedene Preiskategorien. In den öffentlichen Krankenhäusern sind fast alle Gesundheitsleistungen zu einem niedrigeren Preis erhältlich und können von der Krankenversicherung [z.T., s.o.] übernommen werden. Aufgrund der langen Aufnahmezeiten, der überfüllten öffentlichen Zentren und der besseren Leistungen in privaten Gesundheitszentren ziehen es die Menschen jedoch möglicherweise vor, mehr zu bezahlen und sich an private Gesundheitseinrichtungen zu wenden (IOM 11.2023).
Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Obwohl die US-Sanktionen gegen Iran den humanitären Handel ausnehmen, gibt es faktisch Transaktionshindernisse, die die Einfuhr bestimmter Arzneimittel verhindern (BNE 13.8.2023; vergleiche IRINTL 29.1.2024b). Es kommt daher zu Engpässen bei der Einfuhr einiger spezieller Medikamentengruppen (IOM 11.2023; vergleiche IRINTL 29.1.2024b), Anfang 2024 konnten bestimmte Medikamente aus Devisenmangel nicht importiert werden (IrWire 12.1.2024). Dennoch besteht im öffentlichen Gesundheitswesen Irans laut IOM kein ernsthafter Mangel an Medikamenten, Fachärzten oder Ausrüstung (IOM 11.2023). Nach Angaben eines iranischen Behördenvertreters beschränken sich die Einfuhren im pharmazeutischen Sektor auf Medikamente für seltene Krankheiten, während andere Medikamente zur Gänze lokal produziert werden oder auf Rohmaterialien aus dem Ausland angewiesen sind (BNE 13.8.2023). Iranische Ärzte waren mitunter auch gezwungen, auf lokal hergestellte Nachahmungen spezialisierter ausländischer Arzneimittel zurückzugreifen, von denen viele von minderer Qualität sind und zu lebensverändernden Komplikationen und sogar zum Tod von Patienten geführt haben (Intercept 12.6.2023). Der erhebliche Anstieg der Preise für pharmazeutische Rohstoffe in den letzten Jahren hat zudem zu einem exorbitanten Anstieg der Arzneimittelpreise und der Ausgaben der Bürger geführt (BNE 13.8.2023; vergleiche IOM 11.2023, IRINTL 29.1.2024b). Der Rote Halbmond wurde als Anlaufstelle für die Einfuhr bestimmter Medikamente bestimmt und stellt diese für bestimmte Patienten über ausgewiesene Apotheken bereit. Im Allgemeinen sind die meisten Medikamente in Iran erhältlich. Einige Medikamente sind jedoch aufgrund der Sanktionen sehr teuer. Medikamente werden in der Regel nur in kleinen Mengen abgegeben, um einen Weiterverkauf auf dem Schwarzmarkt zu vermeiden (IOM 11.2023).
Das iranische Gesundheitssystem sieht sich mit einer erheblichen Abwanderung von medizinischen Fachkräften ins Ausland konfrontiert (IRINTL 19.3.2024; vergleiche RFE/RL 26.8.2023), was unter anderem mit wirtschaftlichen Härten, beruflichen Zwängen und einem Mangel an sozialen und politischen Freiheiten in Verbindung gebracht wird. Nach Angaben eines Mitglieds des Zentralrats der iranischen Krankenpflegeorganisation verlassen jährlich zwischen 2.500 und 3.000 Krankenpfleger Iran, was die Belastung des ohnehin schon unter Druck stehenden Systems noch weiter erhöht (IRINTL 19.3.2024).
(…)
Rückkehr
Die iranische Regierung verfolgt seit langem die Politik, keine zwangsweisen Rückführungen zuzulassen. Freiwillige Rückführungen sind möglich und werden manchmal von den rückführenden Regierungen oder der Internationalen Organisation für Migration (IOM) unterstützt. In Fällen, in denen eine iranische diplomatische Vertretung vorübergehende Reisedokumente ausgestellt hat, werden die Behörden über die bevorstehende Rückkehr der Person informiert (DFAT 24.7.2023).
Es gibt nur wenige Informationen über die Situation von Iranern, die [dauerhaft] nach Iran zurückkehren, im Allgemeinen und von zurückgekehrten Antragstellern auf internationalen Schutz im Besonderen (CEDOCA 10.5.2023). Zum Thema Rückkehrer gibt es nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde (ÖB Teheran 11.2021; vergleiche CEDOCA 10.5.2023). In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und bei Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr (ÖB Teheran 11.2021).
Nach derzeitigem Kenntnisstand können Asylantragsteller bzw. anerkannte Flüchtlinge Kontakt mit iranischen Auslandsvertretungen aufnehmen, um beispielsweise einen neuen iranischen Pass zu beantragen. Fälle von daraus folgenden Repressalien gegen die Antragsteller oder ggf. gegen deren Familien in Iran sind bislang nicht bekannt (AA 30.11.2022). Im April 2022 kündigte das Amt für Personenstandswesen an, hinkünftig "smarte" Identitätsnachweise an im Ausland lebende Iraner auszustellen. Antragsteller können sich unter anderem im iranischen Konsulat in Wien registrieren lassen, um den Identitätsnachweis zu erhalten (TEHT 10.4.2022).
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus (AA 30.11.2022). Eine von der belgischen Herkunftstländerrechercheeinheit CEDOCA im Jänner 2023 durchgeführte Recherche zu diesbezüglichen Fällen blieb ergebnislos (CEDOCA 10.5.2023). Im Allgemeinen schenken die Behörden abgelehnten Asylwerbern bei ihrer Rückkehr nach Iran wenig Beachtung. Das australische Außenministerium geht davon aus, dass ihre Aktivitäten (einschließlich Beiträgen in sozialen Medien über Aktivitäten vor Ort) von den Behörden nicht routinemäßig untersucht werden. Die Behörden können allerdings in den sozialen Medien einsehbare Aktivitäten von in Australien (oder anderswo) bekannten Iranern überprüfen (DFAT 24.7.2023) und laut einem von CEDOCA befragten Experten wird es immer üblicher, dass die Behörden Rückkehrer anweisen, ihre Konten in sozialen Netzwerken offenzulegen (CEDOCA 10.5.2023). Einer vom niederländischen Außenministerium konsultierten Quelle zufolge befragen die Behörden fast jede Person, von der sie wissen, dass sie einen Asylantrag gestellt hat, um herauszufinden, was der Grund für den Asylantrag war und ob sich die Person nicht politisch oder religiös betätigt hat. Ob Rückkehrer im Ausland einen Asylantrag gestellt haben, können die Behörden beispielsweise durch Angehörige oder Freunde der Betroffenen erfahren, durch abgehörte Kommunikation oder aufgrund einer Durchsicht von Inhalten in den sozialen Medien (MBZ 9.2023).
Es gibt leicht unterschiedliche Ansichten darüber, was das Interesse der Behörden an einem abgelehnten Asylwerber wecken könnte. Allgemein herrscht der Eindruck vor, dass diejenigen, die vor ihrer Ausreise aus Iran Gegenstand negativer behördlicher Aufmerksamkeit waren, bei ihrer Rückkehr mit Reaktionen rechnen müssen. Als weiterer Faktor wird die Art der Informationen genannt, welche Behörden über die Aktivitäten einer Person im Ausland erhalten haben, und ob diese Aktivitäten dem Regime schaden - oder ihm möglicherweise nützen - könnten (Landinfo 21.1.2021). Einer Quelle zufolge spielt der ethnische oder religiöse Hintergrund oder die sexuelle Orientierung eines Rückkehrers für sich genommen keine Rolle. Einer anderen Quelle zufolge können diese Faktoren eine kumulierende Wirkung haben (MBZ 31.5.2022; vergleiche MBZ 9.2023).
An Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden, besteht ein Verfolgungsinteresse. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrer aufgrund der Protestbewegung ab September 2022 verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich beispielsweise der Kenntnis des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland entzieht (AA 30.11.2022). [Anm.: s. Unterkap. Exiliraner, Behandlung von Aktivisten bei Rückkehr, Auswirkungen der Protestwelle von 2022 für Informationen zur Behandlung von Rückkehrern, die politisch aktiv waren oder als Aktivisten in Erscheinung getreten sind.]
Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Im Rahmen der Befragung wird der Reisepass regelmäßig einbehalten und eine Ausreisesperre ausgesprochen (AA 30.11.2022). Wenn Personen mit einem Laissez-Passer anstelle eines regulären Reisedokuments ins Land zurückkehren, kann dies zu Befragungen führen, da dies bedeuten könnte, dass die betroffenen Personen illegal ausgereist sind und/oder im Ausland um internationalen Schutz angesucht haben (CEDOCA 10.5.2023; vergleiche MBZ 9.2023). Ebenso kann es zu Befragungen führen, wenn bei einer erneuten Einreise kein Ausreisestempel im Reisepass vermerkt ist (MBZ 9.2023). Im Falle einer illegalen Ausreise ist die häufigste Strafe eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe auf Bewährung, es sei denn, die Person wird zusätzlich anderer Straftaten verdächtigt (CEDOCA 10.5.2023; vergleiche MBZ 9.2023). Wenn die Person Iran illegal verlassen hat, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen, oder in kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel und Menschenhandel sowie Aktivitäten militanter Gruppen an der Grenze verwickelt ist, ist die Reaktion wesentlich schärfer (CEDOCA 10.5.2023).
Einige Mitglieder der iranischen Diaspora kehren regelmäßig nach Iran zurück, zum Beispiel für einen Urlaub oder um Verwandte zu besuchen (MBZ 9.2023). Andere Auslandsiraner schrecken aus Angst, aufgrund ihrer politischen Aktivitäten oder regimekritischer Äußerungen inhaftiert oder an einer Ausreise gehindert zu werden, vor Reisen nach Iran zurück (IRINTL 9.1.2024). Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob jemand nach der Rückkehr befragt wird. Oft wird erst im Laufe der Zeit klar, ob eine echte Bedrohung vorliegt (MBZ 31.5.2022). Iranreisende - sowohl iranische als auch z. B. deutsche Staatsangehörige - müssen seit einiger Zeit verstärkt damit rechnen, in Iran willkürlich verhaftet und möglicherweise auch angeklagt zu werden. Ferner häufen sich seit 2022 gezielte nachrichtendienstliche Ansprachen zum Zweck einer Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit iranischen Nachrichtendiensten. Dies gilt insbesondere für Personen, die durch iranische Stellen mit einer oppositionellen Gruppierung in Verbindung gebracht werden oder bei denen Kontakte zu Personen aus der oppositionellen Szene vermutet werden (BMIH/BfV 20.6.2023; vergleiche BMI/DSN 17.5.2024). Zudem besteht die Gefahr, dass Mobilfunkgeräte und Informations- und Kommunikationshardware ausgelesen oder manipuliert werden (BMIH/BfV 20.6.2023). Eine Befragung von aus dem Ausland zurückkehrenden Iranern kann bei der Ankunft am Flughafen durch Geheimdienstmitarbeiter erfolgen (IRINTL 7.1.2022; vgl.MBZ 31.5.2022), oder zu einem späteren Zeitpunkt, in der Wohnung des Befragten und durch die lokalen Behörden (MBZ 31.5.2022). Ebenso kommt es vor, dass es Rückkehrern nach ihrer Ankunft am Flughafen erlaubt wird, nach Iran einzureisen, und sie dann zu einem späteren Zeitpunkt von den iranischen Behörden strafrechtlich verfolgt werden. Einer Quelle zufolge nehmen die Behörden Rückkehrer in der Regel nicht gleich bei der Ankunft am Flughafen fest, weil sie dort sichtbar sind und von den vielen anwesenden Personen mit ihren Handys gefilmt werden könnten. Den Rückkehrern wird dann am Flughafen zum Beispiel gesagt, dass etwas mit ihrem Pass nicht stimmt oder dass ein Bußgeld aussteht, und dass sie sich später an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit melden sollen (MBZ 9.2023).
Iran erkennt Doppelstaatsbürgerschaften nicht an (USDOS 11.1.2024) und ist dafür bekannt, Doppelstaatsbürger als Geiseln zu nehmen, und sie in seinen Verhandlungen mit anderen Ländern, insbesondere westlichen Staaten, als Verhandlungsmasse einzusetzen (IRINTL 9.1.2024). Eine Reihe von Doppelstaatsbürgern, die nach Iran zurückkehrten, werden so im Land festgehalten (CHRI 22.1.2022; vergleiche BBC 7.6.2022, IrWire 14.2.2024).
Das iranische Außenministerium hat im Dezember 2021 ein Webportal eingerichtet, auf dem Iraner, die sich im Ausland aufhalten und eine Rückkehr nach Iran erwägen, ihre Daten hochladen können, woraufhin ihnen mitgeteilt wird, ob sie sicher und ungehindert ein- und ausreisen können oder ob es offene Fälle gegen sie gibt. Allerdings ist nicht jeder in der iranischen Diaspora davon überzeugt, dass dieses System funktioniert und dass er oder sie ohne Bedenken nach Iran reisen kann. Ein Grund dafür ist, dass nicht alle iranischen Nachrichtendienste koordiniert zusammenarbeiten und daher immer die Möglichkeit besteht, dass Rückkehrer dennoch aufgegriffen werden (IRINTL 7.1.2022; vergleiche MBZ 9.2023).
(…)
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person des BF, zum Gang des ersten, zweiten und dritten Asylverfahrens sowie des gegenständlichen Verfahrens wurden auf Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides des BFA vom 12.01.2023, Zl. 1101872306/211990505, sowie des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde getroffen.
Der Gesundheitszustand des BF ergibt sich aus der Tatsache, dass keine ärztlichen Befunde vorgelegt wurden und der BF selbst angab, gesund zu sein.
2.2. Die Feststellung, dass sich keine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung des zweiten Asylantrages ergeben hat, beruht auf folgenden Erwägungen:
Der BF brachte im zweiten Asylverfahren vor, dass er zum Christentum konvertiert sei und deshalb Verfolgung im Iran befürchte. Ferner sei er homosexuell und sei deswegen ebenfalls in Gefahr.
2.2. Die Feststellung, dass sich keine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit rechtskräftiger Erledigung der vorhergehenden Anträge ergeben hat, beruht auf folgenden Erwägungen:
Der BF stützte seinen gegenständlichen Folgeantrag auf das angeblich neue Vorbringen, dass seine Familie von seiner Konversion zum Christentum erfahren habe. Sein Vater habe ihn deshalb bedroht und angekündigt, ihn im Falle einer Rückkehr bei den Behörden zu melden.
Allerdings ist dazu auszuführen, dass der BF bereits im zweiten Verfahren vorgebracht hatte, dass ihn sein Vater köpfen wolle, weil er von der Konversion erfahren hätte. Im gegenständlichen Verfahren sagte der BF jedoch aus, dass der Vater bisher nichts von seinem Glaubenswechsel gewusst hätte, nunmehr hätte er von dieser Kenntnis erlangt und ihn bedroht. Somit versucht der BF hier, neue Fluchtgründe – nämlich eine Gefährdung durch den Vater – zu kreieren, verkennt dabei jedoch, dass er dies bereits im zweiten Vorverfahren ausgesagt hatte. Offenbar hat der BF im gegenständlichen vierten Verfahren den Überblick über sein gesteigertes Vorbringen verloren, Glaubwürdigkeit konnte er somit nicht erlangen.
Zusammengefasst hat sich die belangte Behörde mit der vom BF behaupteten Sachverhaltsänderung eingehend auseinandergesetzt und ihr – wie in der Beweiswürdigung näher dargestellt – zu Recht den glaubhaften Kern abgesprochen.
Für das erkennende Gericht liegt daher auf der Hand, dass der BF durch Ausschmückung und Steigerung in Zusammenhang mit seinem früheren Vorbringen versuchte, ein neues Fluchtvorbringen – nämlich eine Verfolgung durch den Vater aufgrund seiner angeblichen Konversion – zu konstruieren.
Der BF hat im gegenständlichen Verfahren keine neuen Gründe für eine asylrelevante Verfolgung vorgebracht, sondern lediglich erneut auf sein Fluchtvorbringen, welches er bereits im ersten Asylverfahren erstattet hatte, verwiesen bzw. dieses in unglaubhafter Weise ausgebaut. Ein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt liegt daher in Hinblick auf Paragraph 3, AsylG nicht vor.
Die vom BF vorgebrachte Konversion zum Christentum wurde bereits im Bescheid des BFA vom 12.01.2023, Zl. 1101872306/211990505, als unglaubwürdig beurteilt. Damit wurde kein Sachverhalt vorgebracht, der eine neuerliche Auseinandersetzung mit der angeblichen Konversion des BF und einer damit verbundenen angeblichen Gefährdung für geboten erscheinen lässt.
2.3. Die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen (siehe oben) gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation im Iran ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Der BF hat im Verfahren auch kein entsprechendes, konkretes Vorbringen erstattet. Eine Durchsicht der aktuellen Länderberichte zum Iran vom 17.10.2024 durch das BVwG hat ergeben, dass diesen im Vergleich zu den dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Länderberichten keine entscheidungswesentlichen Änderungen bzw. Neuerungen in Bezug auf das Vorbringen des BF zu entnehmen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu den Spruchpunkten römisch eins. und römisch II. des angefochtenen Bescheides:
Gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der Paragraphen 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß Paragraph 68, Absatz 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183; 30.05.1995, 93/08/0207; 09.09.1999, 97/21/0913; 07.06.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd Paragraph 68, Absatz eins, AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen vergleiche zB VwGH 27.09.2000, 98/12/0057; 25.04.2007, 2004/20/0100). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (zweiten) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266).
Gegenüber neu entstandenen Tatsachen (novae causae supervenientes; vergleiche VwGH 20.02.1992, 91/09/0196) fehlt es an der Identität der Sache; neu hervorgekommene Tatsachen (oder Beweismittel) rechtfertigen dagegen allenfalls eine Wiederaufnahme iSd. Paragraph 69, Absatz eins, Ziffer 2, AVG (wegen nova reperta; zur Abgrenzung vergleiche zB VwGH 04.05.2000, 99/20/0192; 21.09.2000, 98/20/0564; 24.08.2004, 2003/01/0431; 04.11.2004, 2002/20/0391), bedeuten jedoch keine Änderung des Sachverhaltes iSd Paragraph 68, Absatz eins, AVG. Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identischem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183 mwN; 24.08.2004, 2003/01/0431).
Zu einer neuen Sachentscheidung – nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen iSd. Paragraph 18, Absatz eins, AsylG – kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls sie festgestellt werden kann - zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des Paragraph 18, Absatz eins, AsylG, nämlich Paragraph 28, AsylG 1997). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; 24.02.2000, 99/20/0173; 19.07.2001, 99/20/0418; 21.11.2002, 2002/20/0315; vergleiche auch VwGH 09.09.1999, 97/21/0913; 04.05.2000, 98/20/0578; 99/20/0193; 07.06.2000, 99/01/0321; 21.09.2000, 98/20/0564; 20.03.2003, 99/20/0480; 04.11.2004, 2002/20/0391; vergleiche auch 19.10.2004, 2001/03/0329; 31.03.2005, 2003/20/0468; 30.06.2005, 2005/18/0197; 26.07.2005, 2005/20/0226; 29.09.2005, 2005/20/0365; 25.04.2007, 2004/20/0100).
Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt bzw. verpflichtet die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 04.05.2000, 99/20/0192).
Auch wenn das Vorbringen des Folgeantrages in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Behauptungen steht, die im vorangegangenen Verfahren nicht als glaubwürdig beurteilt worden sind, schließt dies allerdings nicht aus, dass es sich um ein asylrelevantes neues Vorbringen handelt, das auf seinen "glaubhaften Kern" zu beurteilen ist. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der neu behaupteten Tatsachen von Bedeutung sein, macht eine neue Beweiswürdigung aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar unzulässig, etwa in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden. "Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit" (VwGH 29.09.2005, 2005/20/0365; 22.11.2005, 2005/01/0626; 16.02.2006, 2006/19/0380; vergleiche auch VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; 26.07.2005, 2005/20/0343; 27.09.2005, 2005/01/0363; 22.12.2005, 2005/20/0556; 22.06.2006, 2006/19/0245; 21.09.2006, 2006/19/0200; 25.04.2007, 2005/20/0300; vergleiche weiters VwGH 26.09.2007, 2007/19/0342).
Im Rahmen des vorangegangenen Asylverfahrens wurde das Vorbringen des BF zu den (behaupteten) Fluchtgründen im Hinblick auf deren Wahrheits- bzw. Glaubhaftigkeitsgehalt untersucht und letztlich in dem als Vergleich heranzuziehenden Bescheid des BFA vom 12.01.2023 als unglaubwürdig beurteilt. Es wurde auch in weiterer Folge verneint, dass der BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung im asylrelevanten Ausmaß ausgesetzt ist oder ein Refoulementschutz geboten ist.
Da der BF seinen gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz auf jene Gründe, die er bereits im zweiten Vorverfahren geltend machte stützte, liegt zweifelsfrei entschiedene Sache vor. Damit bezieht sich der BF nämlich auf die im Zuge der ersten und zweiten Asylantragstellung vorgebrachten Fluchtgründe und wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum "Fortbestehen und Weiterwirken", VwGH 20.03.2003, 99/20/0480 ("Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt") verwiesen. Darüber hinaus weist das Vorbringen keinen glaubhaften Kern auf.
Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich aber auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daher sind auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen vergleiche VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).
Ein neues Vorbringen, das im Zuge einer allfälligen Zuerkennung von subsidiärem Schutz Beachtung finden müsste, wurde im gegenständlichen Verfahren nicht erstattet. Auch in der Beschwerde wurde nicht konkret und nachvollziehbar dargelegt, inwiefern sich die persönliche Situation des BF oder die Sicherheits- und Versorgungslage in im Iran seit 2023 maßgeblich geändert hätte. Wie oben ausgeführt, ist der BF gesund und arbeitsfähig und daher in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus eigenem zu erwirtschaften. Im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand haben sich keine wesentlichen Änderungen seit der Entscheidung vom 12.01.2023 ergeben.
Auch im Hinblick auf Artikel 3, EMRK ist nicht erkennbar, dass die Rückführung des BF in den Iran zu einem unzulässigen Eingriff führen und er bei seiner Rückkehr in eine Situation geraten würde, die eine Verletzung von Artikel 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihm jedwede Lebensgrundlage fehlen würde. Wie festgestellt und sich mit den vorliegenden Länderinformationen deckend, ist es dem BF möglich und zumutbar, für den Lebensunterhalt selbst zu sorgen.
Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen zum Iran auch keine Gründe, davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsbürger der reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Artikel 3, EMRK ausgesetzt wäre, sodass nicht von einem Rückführungshindernis im Lichte der Artikel 2 und 3 EMRK auszugehen ist. Aufgrund der Länderberichte ergibt sich, dass sich die Lage im Herkunftsstaat seit der Entscheidung im vorherigen Asylverfahren nicht wesentlich geändert hat.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass es keine begründeten Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Artikel 2, EMRK, Artikel 3, EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Der BF hat auch nicht mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos dargelegt, dass gerade ihm im Falle einer Rückführungsmaßnahme eine Artikel 3, EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).
Es ist dem BF damit nicht gelungen, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Artikel 3, MRK widersprechende Behandlung drohen würde.
Da weder in der maßgeblichen Sachlage – und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des BF gelegen ist, bzw. auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist – noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte.
Der Antrag des BF auf internationalen Schutz war daher sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß Paragraph 68, Absatz eins, AVG zurückzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt römisch III.:
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Paragraph 57, AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des BF weder seit mindestens einem Jahr gemäß Paragraph 46 a, Absatz eins, Ziffer eins, oder Ziffer 3, FPG geduldet, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch der BF Opfer von Gewalt iSd Paragraph 57, Absatz eins, Ziffer 3, FPG wurde. Weder hat der BF das Vorliegen eines der Gründe des Paragraph 57, FPG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.
Darüber hinaus darf gemäß Paragraph 60, Absatz eins, Ziffer eins, AsylG ein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG nicht erteilt werden, wenn eine aufrechte, mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung gemäß Paragraphen 52, in Verbindung mit 53 FPG besteht. Aufgrund des aufrechten Einreiseverbots ist dem BF daher kein Aufenthaltstitel gemäß Paragraph 57, AsylG zu erteilen.
In der Beschwerde finden sich zu diesem Spruchpunkt ferner keine Ausführungen, weshalb die Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt römisch III. abzuweisen war.
4. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß Paragraph 21, Absatz 7, BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt Paragraph 24, VwGVG.
Zudem kann die Verhandlung gemäß Paragraph 24, Absatz eins, Ziffer eins, VwGVG entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. Dies ist hier der Fall.
Es erscheint der Sachverhalt aus der Beschwerde in Verbindung mit den Verfahrensakten der vorherigen Anträge auf internationalen Schutz des BF hinreichend geklärt. Die Lebensumstände des BF in Österreich wie im Herkunftsstaat sind den genannten Quellen umfassend zu entnehmen. Auch die örtlichen Gegebenheiten im Herkunftsstaat sind dem Akt des Bundesamtes zum Folgeantrag des BF aktuell und umfassend zu entnehmen. Zum nunmehrigen Vorbringen wurde der BF durch das Bundesamt einvernommen. Wie oben ausgeführt, wurde kein neues Vorbringen erstattet. Das herangezogene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation wurde dem BF im Rahmen seiner Einvernahme zur Kenntnis gebracht; auch wurde ihm Gelegenheit geboten, dazu Stellung zu nehmen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß Paragraph 25 a, Absatz eins, VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133, Absatz 4, B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die ordentliche Revision gem. Artikel 133, Absatz 4, B-VG erweist sich insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall ausschließlich tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen – schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung – aufwirft. Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung. Auch ist die im gegenständlichen Fall maßgebende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.
In der rechtlichen Beurteilung in Bezug auf das Vorliegen des Prozesshindernisses der entschiedenen Sache verweist das BVwG in seiner Entscheidung auf die umfassende höchstgerichtliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Diese ist zwar teils zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
ECLI:AT:BVWG:2024:W241.2209827.2.00